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Marokkanisches Tagebuch
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eBook124 Seiten1 Stunde

Marokkanisches Tagebuch

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Über dieses E-Book

Ich heiße Carl Bloem. Als ich zwanzig Jahre alt wurde, setzte ich mich ins Auto und fuhr nach Marokko. Es gab keine besonderen Grund für diese Reise. Es gab aber auch keinen Grund in Deutschland zu bleiben, denn zuhause wartete nur ein Leben auf mich, dessen Start ich gerne noch um einige Zeit herauszögern wollte. Und mal sehen, was unterwegs geschieht... vielleicht stellt sich die Frage hinterher ja gar nicht mehr.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum16. Mai 2020
ISBN9783750237353
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    Buchvorschau

    Marokkanisches Tagebuch - Carl Bloem

    Prolog

    Der Passat wehte beständig von Nordosten. Dort, wo die Küstenlinie in einer Biegung nach Westen verlief, blies er kalt den Berg hinunter. Er heulte durch die leeren Augen der Kasbah, die auf der Spitze der Anhöhe hockte wie eine fette, alte Spinne, ein Relikt vergangenen Glanzes, vom Wind geschliffen und vom Sand geschmirgelt. Im Süden wechselte sich der Strand mit vorgelagerten Siedlungen, Abflussrohren und Mülldeponien ab, vorbei an der Mündung des Souss und dem Park. Ich war nie weiter an der Küste nach Süden gefahren und konnte mir nur vorstellen, dass es immer so weiter ging. Ein Berg, eine Stadt, die Mündung eines Flusses, der kein Wasser führte. Lediglich die Abwasserkanäle sprudelten fleißig und zogen hässliche Streifen in die Brandung. Die starke Strömung hielt die Bucht jedoch sauber und wenn der Wind mal nicht unablässig den Fischgestank vom Hafen herüberwehte, konnte man mit einem flüchtigen Blick, ein wirklich schönes Fleckchen Erde sehen.

    Ich befand mich in Agadir, dem südlichsten Flughafen Marokkos und im Moment der begehrte Anlaufpunkt vieler Touristen. Es war das Jahr 1993 und die Menschen kamen im April aus den verschiedensten Ländern hierher, um das ausgesprochen warme und stabile Klima zu genießen. Man traf sie zumeist in den Hotelanlagen oder am Strand. Ab und zu verirrten sich einige den Berg hinauf, in die Viertel der Einheimischen, kehrten aber nicht selten nach kurzer Zeit um, denn die Karten der Restaurants wurden immer kürzer und Alkohol gab es nur in wenigen Bars hier oben.

    Manchmal sah man auch ein paar Chinesen, die sich des Abends in unserer Nachbarschaft betranken. Dies aber waren keine Touristen. Die Chinesen wohnten hier und arbeiteten im Hafen. Nach der Dämmerung saßen sie zusammen und verprassten ihr Taschengeld mit dem dünnem marokkanischen Bier. Meist nicht weniger als zehn gleichzeitig steckten über einem runden Tisch die Köpfe zusammen und redeten drauflos, als ginge es darum ein Wettrennen aus zu tragen. Die beiden marokkanischen Kellner, Mohammed und Aziz, die auf der Terrasse meines Lieblingscafes arbeiteten, machten sich gerne einen Spaß mit ihnen. Die Hafenarbeiter bestanden darauf, dass die getrunkenen Flaschen auf dem Tisch verblieben, um sich an dem Anblick der geleisteten Tat zu weiden. Die Meisten von ihnen brauchten selten mehr als zwei Flaschen, um sturzbetrunken zu sein. Wenn also wieder einer von ihnen nach einer neuen Runde schrie, stellte Aziz acht volle sowie zwei leere Flaschen auf den Tisch und kassierte die gesamte Bestellung ab. In dem ganzen Durcheinander merkte das niemand und ich saß häufig am Tisch unter dem Fenster und beobachtete das Treiben.

    „Sieh zu, das nächste Mal stelle ich nur sieben volle Flaschen hin sagte Mohammed zu mir, nachdem Aziz den Tisch ohne Beanstandung verlassen hatte.

    „Wenn sie dich erwischen, reißen sie dir den Kopf ab", entgegnete ich.

    Aber er lachte nur.Die erwischen Mohammed nie. Dann drehte er sich um und sprintete los.

    Während ich durch das Kif rauchen eher träge wurde, war es für Mohammed wie ein Erfrischungsgetränk. Mit zehn Jahren hatte er angefangen, für seine älteren Brüder die kleinen Zigaretten mit den harzigen Brocken zu drehen, aber erst mit vierzehn durfte er es auch rauchen. Mit vierzehn war man ja schon ein Mann!

    Ich wohnte im Hotel Canaria im Herzen von Talborjt. Das Hotelgebäude lag am Kopfende eines Platzes, der auf der Nordseite von einer Reihe kleiner Restaurants gesäumt wurde. Es gab noch zwei weitere Hotels, ein paar Geschäfte mit Zigaretten, Lebensmitteln und dem täglichen Bedarf sowie die Apotheke des Stadtteils. Eine Stück die Straße hoch war das Postamt und hinter dem Hotel lag direkt der große Busbahnhof, von dem man selbst so ferne Ziele wie London erreichen konnte.

    Das Hotel war nicht sonderlich groß und verfügte über zwei Dutzend Zimmer, die zwischen zwei und vier Betten hatten. Die Räume waren nur mit dem Nötigsten möbliert, aber gemütlich und sauber. Es war ein Hotel das Stadtfremde auf der Durchreise nutzten oder Verwandte, die keinen Platz im Haus des Besuchten fanden. Auf dem Dach gab es eine kleine Terrasse, die ich häufig nutzte, da sich nach hier oben, nur selten jemand verirrte. Von dort aus konnte man das gesamte Areal und die zuführenden Straßen gut übersehen. Besonders am Morgen stand ich gerne dort und trank einen Tee.

    Auf dem Platz waren ein paar Arbeiter seit einiger Zeit damit beschäftigt diverses Grünzeug in den Boden zu pflanzen. Man sah sie schon früh am Morgen auf ihren Schaufeln lehnen und in die Sonnen blinzeln. Eigentlich habe ich nie gesehen, dass sie etwas anderes taten. Sie unterhielten sich, tranken Tee, lehnten auf ihren Arbeitsgeräten und sahen dem Lauf der Sonne zu. Ich beobachtete dies nun schon seit mehr als zwei Wochen und musste unverhohlen anerkennen und bewundern, dass Zeit hier etwas ist, das dem Leben untergeordnet ist. Es war nicht wichtig und was machte es auch schon, ob der Baum nun heute oder morgen dort stehen und ob die Sträucher sich jetzt oder erst nächste Woche in einer nahezu exakten Reihe an den Rand des Gehwegs schmiegen würden. Die Arbeiter gehörten mittlerweile zum Tagesgeschehen. Sie waren wie der gute Geist des Platzes. Sie brachten verirrte Kinder nach Hause, trockneten Tränen, schlichteten Streit und blinzelten in die Sonne. Es war schön, dass sie da waren. Es war etwas Verlässliches. Sie brachten ein wenig Ruhe an diesen Ort der Geschäftigkeit. Denn der Platz von Talborjt war auch das Zentrum, der Treffpunkt und die Seele des Stadtteils.

    Eines Tages musste ich mir neue Schuhe kaufen und brauchte dafür etwas mehr als eine Woche. Auf dem Weg zum Strand lag in einer schäbigen Einkaufspassage ein kleiner Laden für Lederwaren. Normalerweise befanden sich solche Läden in der Medina der Städte, aber in Agadir war das alles etwas anders. Im Februar 1960 hatte es hier ein furchtbares Erdbeben gegeben, das große Teile des Stadtgebiets in Schutt und Asche gelegt und viele Menschenleben gefordert hatte. Nun war es aber umso schlimmer, dass der König, dessen Land seit wenigen Jahren die Unabhängigkeit von Frankreich erlangt hatte, die größte Stadt im Süden mit dem Charme und in dem Baustil Pariser Vororte wieder aufgebaut hat.

    Dieser kleine Laden war bis unter die Decke vollgestopft mit Waren und wenn man sich im Innern befand, konnte man zum Glück leicht vergessen, wie es draußen aussah. Überall hingen verschiedene Taschen, Säcke, Beutel und Gewänder herab. Der Boden war über und über mit Decken und Teppichen belegt. Es roch nach frischem Tee und Gebäck und der Besitzer, ließ immer sofort alles stehen und liegen, sobald er mich sah. Abderrahmane war sehr klein, vielleicht 1 Meter 60, schlank wie ein Knabe, hatte ein kluges Gesicht und akkurat geschnittenes schwarzes Haar. Nach einer herzlichen Begrüßung setzten wir uns hin und mein Gastgeber begann dann meist mit einer ausgiebigen Tee-Zeremonie.

    Der Tee wurde in reichlich verzierten silbernen Kannen hergestellt, indem man ein großes Bündel Minze und einen Klumpen groben Zucker mit der ausreichenden Menge kochenden Wassers vereinte. Nachdem der Tee dann eine Weile gezogen hatte, wurde das Getränk durch mehrmaliges Ausgießen und Wiedereinfüllen gerührt und auf Trinktemperatur gebracht. Abderrahmane konnte einen bemerkenswert hohen Bogen mit seiner Kanne gießen, ohne dass ein einziger Tropfen Tee daneben ging. Mit stillem Vergnügen an dieser herrlich zeitraubenden Angelegenheit betrachtete ich versonnen die Schuhe, wegen derer ich vor knapp einer Woche dieses Geschäft zum ersten Mal betreten hatte. Die Schuhe waren nichts Besonderes. Solche, wie sie fast jeder hier in Marokko trug, aus Ziegenleder mit einer langen Lasche hinten an der Ferse, die die Meisten jedoch nach innen schlugen und die Schuhe so nach hinten offen waren, wie Hausschuhe. Geklebt war das alles auf ein zurecht geschnittenes Stück Autoreifen. Bei meinem Paar konnte man noch den Firmennamen des Reifenherstellers lesen. Ich hatte mich für die Schuhe interessiert und Abderrahmane hatte mir zur Eröffnung einen völlig überzogenen Preis vorgeschlagen. Ich weiß es nicht mehr genau, aber ich glaube, ich bin mit den Worten gegangen, dass ich für diesen Preis bei jedem anderen Händler zwei Paare bekäme.

    Am nächsten Tag war ich wieder da und Abderrahmane lud mich zum Tee ein. Wir klärten einige Geschehnisse des Tages, beklagten den Mangel an Wind, handelten etwas an dem Preis fr die Schuhe herum und rauchten etliche importierte Zigaretten, die ich meinem Gastgeber gerne offerierte. Den folgenden Tag war ich krank. Ich hatte mir den Magen verdorben. Ich nehme an, dass es etwas zu viel fettes Lammfleisch gewesen war. Nachdem ich meine Essensrationen aus Geldmangel gekürzt hatte, war ich es einfach nicht mehr gewohnt. Am Tag darauf war ich wieder bei Abderrahmane, der sich mit sorgenvoller Miene nach meinem Befinden erkundigte und sofort etwas Tee und Brot anbot. An diesem Tag redeten wir gar nicht über die Schuhe, sondern beschäftigten uns damit, welcher Tajine jeder von uns den Vorzug gab. In Anbetracht der jüngsten Ereignisse favorisierte ich die Vegetarische mit vielen Auberginen. Abderrahmane lächelte wissend, sagte aber nichts und goss noch etwas Tee nach. Er selbst liebte auch die Tajine mit Lammfleisch sehr.

    So kam ich jeden Tag zu Abderrahmane, blieb selten weniger als eine

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