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Die Prophezeiung der Träger - Das erste Buch der Magi
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Die Prophezeiung der Träger - Das erste Buch der Magi
eBook364 Seiten5 Stunden

Die Prophezeiung der Träger - Das erste Buch der Magi

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Über dieses E-Book

So hatte Lu sich ihre happy-seventeen Geburtstagsparty nicht vorgestellt. Anstatt zu feiern, muss sie allein von Zuhause fliehen. Portale, Golems, Beschützer und Hüter. Auf einmal ist nichts mehr, wie es scheint. Als dann auch noch zwei Typen auftauchen, um sie zu einer unbekannten Universität zu bringen, ist sie fest davon überzeugt, dass hier irgendetwas gewaltig schiefläuft. Alles was sie bisher zu wissen glaubte, scheint mit einem Mal nicht mehr richtig zu sein, denn man erklärt ihr, sie sei gar kein Mensch. Doch warum sie angegriffen wird und wer sie bedroht kann ihr niemand sagen.
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum30. März 2020
ISBN9783750299634
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    Buchvorschau

    Die Prophezeiung der Träger - Das erste Buch der Magi - Fanni Mehlhorn

    Kapitel 1

    Leicht tropfend stand ich vor meinem Kleiderschrank und überlegte stirnrunzelnd, was ich anziehen sollte. Dabei blickte ich abwechselnd zwischen dem Standspiegel und dem geöffneten Schrank hin und her.

    Heute war es so heiß gewesen, dass ich nach der Schule erst einmal geduscht hatte. Am späten Nachmittag würden ein paar Freunde und ich uns deswegen an der Promenade, nicht weit von hier entfernt treffen. Durch den Wind, der vom Meer her kam, war der Strand der einzige Ort, an dem es sich bei diesem Wetter aushalten ließ.

    Jetzt aber schielte ich erneut in den großen Standspiegel rechts von mir, um danach, durch zusammengekniffene Augen meine Sommergarderobe zu mustern. Ratlos hob ich die Schultern. Was sollte ich anziehen? Ich stöhnte frustriert auf. Die Auswahl gestaltete sich im Moment etwas schwierig, was nicht nur an der Hitze lag. Meine Haare, eigentlich mein ganzer Stolz, weil sie leicht gewellt waren und mir inzwischen bis zur Mitte des Rückens reichten, waren seit ein paar Tagen rosa. Diese Tatsache ließ mich zu einer schwarzen Short und einem ebenso schwarzen Shirt mit dem Aufdruck einer meiner Lieblingsbands greifen. Nicht das ich sonst viel ausgefallener unterwegs war. Ich mochte es schlicht und eine Modeikone würde ich in diesem Leben nicht mehr werden, das hatte ich schon vor ein paar Jahren akzeptiert. Was meine Kleidung anging, war ich eher der zurückhaltende Typ. Gedeckte Farben und nicht zu viele Experimente. Außerdem war mir Kleidung einfach nie wichtig gewesen.

    Wie gesagt, schlicht galt für meine Klamotten, aber auf keinen Fall für meine Haare. Ich probierte gern mal etwas Neues aus, vor allem Farben. Natur waren meine Haare sehr blond, Mondscheinblond war wohl die korrekte Bezeichnung. Da ich die Haut von Schneewittchen geerbt hatte, sah ich auf den meisten Fotos meiner Kindheit wie eines dieser Albino Mädchen aus. Und genau das war der Grund gewesen, warum ich vor ein paar Jahren angefangen hatte, mir die Haare in den schillerndsten Farben zu tönen. Mein ganz persönliches Holi-Festival. Ungewöhnlich an meinem Haar war jedoch, dass ich machen konnte, was ich wollte, nach vier bis sechs Wochen war die Farbe wieder ausgewaschen. Eine Freundin meiner Granny versicherte mir, dass sie das bei dieser Naturhaarfarbe schon oft gesehen hätte und sie musste es ja wissen, betonte sie mit gewichtiger Miene, denn ihr gehörte früher der örtliche Schönheitssalon. Jedoch war mir noch nie jemand anderes mit solch hellen Haaren begegnet.

    Wie auch immer. Es bedeutete für mich, ich konnte ständig neue Experimente starten, was total cool war. Leider hieß das für das Experiment Pink der letzten Woche, dass ich jetzt schweinchenrosa Haare hatte. Miss Piggy wäre grün vor Neid geworden, hätte sie mich so sehen können. Deswegen war alles außer Schwarz momentan, kleidungstechnisch nicht drin. Ein letzter Blick in den Spiegel und ich verließ mein Zimmer.

    Ich ging runter in unsere geräumige Küche und las noch einmal den Zettel, den meine Granny mir auf den runden Esstisch gelegt hatte. Seit ich mich erinnern konnte, hatten wir diese kleine Tradition. Manchmal war es ein kurzes Gedicht, ein Rätsel oder einfach nur die Antwort auf die drängende Frage, was für mich zum Essen im Kühlschrank war. Heute sagte mir der Zettel nur, wo Granny hingegangen war und das sie am Abend wieder zurück sein würde. Ich überlegte kurz, ob ich ein Stück meines Geburtstagskuchens von gestern essen sollte, bevor ich zum Strand ging, entschied mich dann aber um. Kurzentschlossen packte ich zwei riesige Stücke des Kuchens ein, schnappte mir meine Tasche und die Kopfhörer und spazierte langsam Richtung Promenade.

    Ich mochte die Gegend, in der wir wohnten. Die Nähe zum Strand, das angenehme Klima und gleich um die Ecke war eine angesagte Mall, in der sich alles shoppen ließ, was man mit nun endlich 17 Jahren so brauchte. Und hatte ich schon den Strand und das Meer erwähnt?! Ich liebte das Meer und verbrachte noch immer jede freie Minute dort. Da es hier viele Touristen gab, lag über allem eine gelöste Urlaubsstimmung. Und es schien irgendwie farbenfroher zu sein. Aber das lag sicher auch an den Touristen. Die trugen nämlich gern diese verrückten Blumenmuster auf all ihren Sachen. Scheußlich. Und am besten noch Tennissocken in ihren Sandalen und Badelatschen.

    Ich war hier aufgewachsen und hatte diese Leichtigkeit immer genossen. Das Wetter war, bis auf wenige Tage im Jahr immer super und die Leute meist freundlich.

    Ich lief betont langsam, damit ich nicht gleich wieder ins schwitzen kam, und genoss es, die Leute zu beobachten. Dabei hörte ich meine aktuellste Sommerplaylist und freute mich schon auf den kommenden Samstag, also morgen und meine anstehende happy-seventeen Geburtstagsparty. Die Feier würde, wie auch schon die letzten Jahre wieder am Strand stattfinden.

    Ich näherte mich einem unauffälligen, fast unscheinbaren Laden am Ende der Promenaden-Einkaufsstraße und musste kurz auflachen, als ich die neue Schaufensterdekoration meines Großvaters sah. Es machte ihm Spaß, die große Buchhandlung in der Mall zu imitieren, denn in seinem Schaufenster hing ein riesiges Schild, auf dem stand:

    „Ich weiß den Titel nicht mehr, aber das Buch war blau." Dazu hatte er einige Bücher mit blauem Einband gelegt, auf die diese Beschreibung somit zutraf. Der Witz an der Sache war nur, dass man bei Großvater keine aktuellen Bestseller bekam, sondern fast ausschließlich antiquarische Bücher. Manchmal orderte er auch neu publizierte Werke für seinen Laden, jedoch war mir immer noch nicht klar, nach welchen Kriterien er diese auswählte. Ein System hatte ich bisher noch nicht erkennen können, da jedes beliebige Genre mal dabei gewesen war. Ich hatte ihn vor einiger Zeit danach gefragt und mein Großvater hatte mir, mit einem Zwinkern geantwortet er würde würfeln. Dieser Mann hatte einen eher speziellen Sinn für Humor. Und damals hielt ich es für einen gelungenen Witz. Heute fragte ich mich jedoch, ob er nicht tatsächlich würfelte. Das würde ebenfalls zu seinem Sinn von Humor passen. Aber genau dieser war einer der Gründe dafür, warum ich meinen Großvater so liebte.

    Ich lebte schon immer bei Granny und Grandpa. Meine Eltern waren gestorben, als ich noch kein Jahr alt war und so kam ich zu den Eltern meiner Mom. Natürlich hatte ich, obwohl ich mich null an meine Eltern erinnern konnte, manchmal Momente in denen ich mir gewünscht hätte, dass die beiden bei mir wären. Aber meine Großeltern gaben mir immer das Gefühl, dass sie für mich da waren und das sie mich sehr liebten. Ich glaube, dass Wichtigste war, dass sie mich, wenn ich traurig war, nie krampfhaft versucht hatten aufzumuntern. Meine Trauer hatte ihre Daseinsberechtigung bekommen. Sie hatten mich darin begleitet, mir Halt gegeben und manchmal mit mir mit getrauert. Klar war es anders, wenn man bei seinen Großeltern aufwuchs, aber alles in allem konnte ich mich nicht beschweren.

    Manchmal hatte ich das Gefühl, es war sogar ganz gut, dass ich mich nicht erinnern konnte. Dass ich die beiden so früh verloren hatte. Vor allem dann, wenn ich den Schmerz in Granny´s Augen sah. Wann immer ich sie darum gebeten hatte, erzählte sie mir von meinen Eltern. Mir gefiel das. Aber vor allem in den letzten Jahren wurden meine Fragen immer seltener. Denn irgendwann, als ich älter wurde, hatte ich festgestellt, dass das was mir half, für Granny immer äußerst schmerzhaft sein musste. Sie vermisste ihre Tochter sehr, auch nach all diesen Jahren, das konnte man ihr ansehen. Dabei versuchte sie, den Schmerz vor mir zu verbergen, wusste aber, dass ich es besser wusste.

    Ich betrat den kleinen, schummrigen Laden meines Großvaters und freute mich, wie jedes mal über den Klang des Windspiels, welches er über die Tür gehängt hatte. Es war filigran gearbeitet und leuchtete, wenn die Sonne darauf schien in allen Farben des Regenbogens. Aber das Beste daran waren die Klänge, die es erzeugte. In keinem anderen Geschäft hatte ich so etwas bisher gesehen und Grandpa hatte mir einmal erzählt, mein Dad hatte es ihm geschenkt. Dieser hatte es von einer Reise aus einem weit entfernten Land mitgebracht. Mom und er waren viel gereist und manchmal spürte ich, dass ein Teil dieses Fernwehs sich an mich vererbt haben musste. Ich liebte den Ort, an dem ich groß geworden war, aber manchmal wünschte ich mir, dass da noch mehr kommen würde.

    Außer Großvater war nur noch Ed im Inneren des Buchladens. Ich sog gierig die Luft ein, da Grandpas Laden diesen typischen Alte-Bücher-Geruch verströmte, und beobachtete wie der Staub, den ich beim Eintreten aufgewirbelt hatte, in der Sonne tanzte. Es herrschte wie immer eine angenehme Stille, die sich mit jedem Schritt, den ich in den spärlich beleuchtete Raum tat, mehr und mehr in mir auszubreiten schien. Fast wirkte es so, als würden die Jahrzehnte alten Bücher alle Geräusche in sich aufsaugen, um sie zu dämpfen. Als wäre ihre Ruhe ein Geschenk, wenn man es nur zuließ. Ed war ein unauffälliger Typ mittleren Alters, der nicht täglich, aber sehr regelmäßig im Laden meines Grandpas rumhing. Er wirkte so, als konnte er sich die wenigsten Bücher, die mein Großvater hier verkaufte leisten. Aber er liebte Bücher und weil mein Großvater diese Leidenschaft verstehen konnte, erlaubte er Ed, jedes Buch zu lesen. Über diese gemeinsame Liebe zu Büchern wurden sie wohl so etwas wie Freunde. Folglich saß Ed wie so oft auf einem der kleinen Sessel in der Ecke und schaute nicht einmal hoch, als ich den Buchladen betrat. Mein Großvater jedoch lächelte mich an.

    „Lu, was machst du hier?" Er umarmte mich, als hätten wir uns Jahre nicht gesehen. Das tat er immer, selbst wenn ich nur kurz einkaufen war. Ich zog die zwei Stück Kuchen aus meiner Tasche und strahlte ihn an.

    „Geteilter Kuchen schmeckt einfach besser." Das Lächeln meines Großvaters wurde noch breiter. Dabei bildeten sich unendlich viele, kleine Fältchen, um seine Augen und seinen Mund herum und doch schien er gleich viele Jahre jünger. Er liebte Kuchen und noch mehr liebte er die Kuchen meiner Großmutter. Und ihr Geburtstagskuchen war einfach göttlich. Geschäftig eilte er ins Hinterzimmer und holte zwei Teller und drei Tassen Kaffee. Eine davon stellte er vor Ed, der sich, ohne aufzublicken, wortlos bedankte.

    „Ed, möchtest du ein Stück Kuchen?", fragte ich der Höflichkeit wegen.

    „Ich hasse Kuchen.", war die einzige Antwort, die ich je auf diese Frage bekommen hatte, und auch heute wieder zu hören bekam. Wie jemand so etwas ernsthaft behaupten konnte und man ihm dann noch vertrauen sollte, war mir ein Rätsel. Aber Großvater und ich waren insgeheim froh, dass wir unsere Stücke nicht teilen mussten.

    Ich setzte mich neben meinen Grandpa hinter die kleine Theke und genoss gedankenverloren den ersten Bissen. Jedes Jahr bekam ich einen Kuchen, aber dieser schmeckt mit Abstand am besten. Aber ich glaubte, dass ich diesen Gedanken jedes Jahr hatte. Was mich unwillkürlich zum Schmunzeln brachte.

    Gestern war endlich mein siebzehnter Geburtstag gewesen und in ein paar Monaten würde ich meinen Abschluss machen. Alles lief nach Plan. Ich hatte zwei Klassen übersprungen, deswegen war ich die Jüngste in meinem Jahrgang, aber die Meisten störte das nicht. Gut, ich hatte jetzt keine beste Freundin oder einen besten Freund in diesem Sinne, aber mir reichten die entspannten Bekanntschaften, die ich hatte absolut aus. Was ich nach meinem Abschluss machen sollte, wusste ich nicht genau. Ich hatte bereits die Zusagen von drei oder vier Universitäten, aber meine Granny meinte, da ich zwei Jahre gutgemacht hatte, könnte ich doch mal ein Jahr gar nichts tun. Mir ein paar neue Hobbys suchen oder vielleicht mal einen Freund. Leisten konnte ich es mir. Einen Job müsste ich mir nicht suchen und das hatte vor allem mit dem Erbe zu tun. Die Gegend in der wir wohnten, war bekannt dafür, dass hier keiner wirklich arm war und meine Großeltern waren es ebenfalls nicht. Aber schon letztes Jahr, zum 16. Geburtstag hatte ich das Erbe meiner Eltern erhalten. Und das war eine Menge. Die Familie meines Vaters musste stinkreich gewesen sein und da seine Eltern verstorben waren und er der einzige Erbe war, fiel mir nach seinem Tod das gesamte Vermögen der Familie Collins zu. Wir hatten es niemandem erzählt, denn zu viel Geld brachte oft noch mehr Ärger mit sich, so dass mein Vermögen weitestgehend unberührt vor sich hin lagerte.

    Ich überlegte, ob ich nicht eine Weile auf Reisen gehen sollte, und nahm mir vor, nach dem Kuchen in Grandpas Reiseabteilung nach Zielen für einen möglichen Trip zu suchen. Viel kannte ich nicht von der Welt. Meine Großeltern waren nicht oft gereist. Das lag vor allem daran, dass Großvater sich ungern länger von seinem Laden trennte und Granny ungern länger von ihrem Mann. Deswegen waren wir meist hiergeblieben. Aber das konnte ich ja bald ändern. Ich brauchte nur etwas Inspiration.

    Ich griff nach meinem Kaffee, als sich die Tür des Buchladens öffnete und ein Mann mittleren Alters hereintrat. Das Klingeln des Windspiels ließ mich erschrocken zusammen zucken, da es plötzlich absolut verändert klang. Es hatte nichts mehr mit den lieblichen Tönen zu tun, denen ich so gern lauschte. Durch den plötzlichen Schreck zuckte ich zusammen und verschüttet einiges von meinem Kaffee. Mit vorwurfsvollem Blick musterte mich mein Großvater und betrachtete dabei die Kaffeetropfen, die langsam über meine Hand nach unten liefen.

    „Du willst doch nicht die Bücher bekleckern oder? Schnell geh und bring das in Ordnung.", sagte er schon etwas milder. Ich wusste, dass seine Bücher ihm heilig waren und er diese vor allen schädlichen Einflüssen zu schützen versuchte, deswegen verschwand ich schnell und ohne Widerworte im Hinterzimmer. Während ich mir die Hände wusch, und einige verirrte Tropfen, auf meinem Bein wegwischte, wurde mir bewusst, dass Ed und Großvater keine Reaktion gezeigt hatten, als das Windspiel so schaurige Töne von sich gegeben hatte. Der eintretende Mann schien sich ebenfalls nicht gewundert zu haben. Okay, der kannte unsere Türglocke nicht. Er konnte ja angenommen haben, dass die immer so klang. Würde auch irgendwie zum morbiden Charme des kleinen Antiquariats passen. Bei diesem Gedanken lachte ich kurz auf, aber eine leise Stimme in mir fragte sich noch immer, warum Großvater keine Regung gezeigt hatte.

    Als ich wieder in den Verkaufsraum trat, war der Kunde bereits gegangen. Wahrscheinlich hatte er schnell festgestellt, dass das hier eher ein Laden für Kenner und Liebhaber war. Und der Mann hatte wie keines von beidem gewirkt.

    Verwundert blieb ich im Türrahmen stehen, denn mir bot sich ein anderes, ungewöhnliches Bild. Ed stand bei Großvater an der Verkaufstheke und die beiden schienen hitzig miteinander zu diskutieren. Angestrengt versuchte ich, mich zu erinnern, wann ich je so viel Regung und Emotionen bei Ed gesehen hatte. Der stille Mann erhob sich so selten aus seinem Sessel, dass ich manchmal befürchtete, er würde mit ihm verwachsen. Und das er sprach, kam noch seltener vor. Doch als ich näher trat, verstummten sie und Ed setzte sich wortlos wieder auf seinen angestammten Platz. Großvater widmete sich dem Stück Kuchen und tat, als wäre nichts gewesen.

    „Alles in Ordnung?", fragte ich vorsichtig und blickte zwischen den beiden hin und her. Großvater strahlte nur.

    „Der Kuchen deiner Granny wird von Jahr zu Jahr besser. Ich wusste schon immer, dass ich die richtige Frau geheiratet habe." Er zwinkerte mir zu und ein jungenhafter Zug legte sich auf sein Gesicht. Ich musste ebenfalls lachen und aß weiter meinen Kuchen, war aber nicht auf seinen billigen Versuch, mich abzulenken reingefallen. Aber anscheinend war es eine Sache zwischen den beiden und ging mich nichts an. Das akzeptierte ich schulterzuckend. Am Ende ging es eh nur um eines dieser hornalten Bücher. Doch als ich einen Schluck meines Kaffees nahm, fiel mir der Mann wieder ein.

    „Kann es sein, dass deine Türglocke kaputt gegangen ist?", wandte ich mich an Grandpa.

    „Wie kommst du denn darauf?" Er besah sie sich, während er seelenruhig weiter aß.

    „Na, wegen der schiefen Töne, die sie gerade gemacht hat. Das klang doch nicht wie immer." Er zuckte nur mit den Schultern und tat als wüsste er nicht, wovon ich redete. Aber ich sah, wie er und Ed einen flüchtigen Blick wechselten. Diesen sonderbaren Klang hatte ich mir doch nicht eingebildet. Hier stimmte etwas nicht. Ich konnte nur noch nicht sagen, was es war. Aber gut, wenn es für die Beiden keinen Grund gab, sich darüber Gedanken zu machen, dann würde ich das ebenfalls nicht tun.

    Ich schielte auf meine Uhr, während ich mir die letzte Gabel Kuchen in den Mund schob. Ich hatte noch ein bisschen mehr als eine Stunde Zeit, bis meine Freunde am Strand sein würden. Also bewaffnete ich mich mit drei großen Büchern und begann mir zuerst mal die Bilder der einzelnen Regionen und Länder Südamerikas anzusehen. Warum nicht gleich dort mit meiner Reise starten.

    Die Tür des Antiquariats wurde so schwungvoll geöffnet, dass die Seiten meiner offenen Bücher raschelten. Granny stand, etwas blasser als sonst und atemlos in der Tür. Ich richtete mich sofort alarmiert auf und ging auf sie zu.

    „Ist was passiert?", wollte ich von ihr wissen, als sie sich hektisch in dem kleinen Verkaufsraum umsah. Energisch schloss sie mich in ihre Arme und ich konnte hören, wie sie mehrmals tief Luft holte. Dabei fühlte ich mich, wie in einen Schraubstock geklemmt und zappelte ungeduldig, damit sie ihren Griff etwas lockern würde. Als sich mich wieder los lies, wirkte sie gefasst, und schien sich etwas beruhigt zu haben.

    „Lu, mein Schatz alles gut. Was sollte nicht stimmen?" War das ihr Ernst? Sie kam hier atemlos, wie eine Dampflok angebraust und nun tat sie meine Frage einfach ab. Okay, jetzt wusste ich mit hundertprozentiger Sicherheit, dass hier etwas nicht in Ordnung war. Ich kannte Granny und mir war klar, dass sie auf diese Art versuchte, Dinge vor mir geheim zu halten.

    Mein Großvater kam hinter der Theke hervor und gab ihr einen Kuss, wandte sich danach aber an mich.

    „Kleines, wäre es okay, wenn du mir heute etwas hilfst? Ich muss noch die Inventur zur Vorbereitung für die Steuer machen." Granny schob gleich, etwas schuldbewusst hinterher.

    „Und ich brauche heute Abend deine Hilfe, zu Hause." Fassungslos und mit offenem Mund starrte ich sie an. Die beiden wussten doch, dass ich mich mit meinen Freunden am Strand treffen wollte. Aber Grandma sah wirklich zerknirscht aus und ich wusste, dass sie mich nie ohne Grund von meinen Freunden fernhalten würden. Wenn es, vor allem nach Granny ging, hätte ich in diesem Alter ständig unterwegs sein müssen.

    „Na klar., sagte ich gedehnt, immer noch etwas zweifelnd zwischen den beiden hin und her blickend. „Aber morgen Abend wollte ich mit meinen Freunden am Strand eine kleine Geburtstagsfeier machen. Das kann ich nicht verschieben. Das habt ihr nicht vergessen, oder? Meine Granny strahlte erleichtert.

    „Nein mein Schatz. Das habe ich nicht vergessen. Ich habe auch schon ein paar Kleinigkeiten eingekauft für morgen Abend. Und dein Großvater wird dich und alles, was ihr morgen braucht zum Strand fahren. Mach dir darüber keine Sorgen. Man wird ja schließlich nur einmal 17 und das musst du natürlich noch ordentlich feiern. Kommt eigentlich auch dieser süße Surfertyp aus deinem Abschlussjahrgang?" Ich verdrehte genervt die Augen. Das war so typisch Grandma, sie lenkte einfach ab. Aber ich wollte jetzt nicht streiten, denn morgen Abend könnte ich mit meinen Freunden feiern und das war doch alles, worauf es ankam.

    „Meinst du Sebastian? Sie nickte übereifrig und ich hatte schon etwas Sorge, dass sie sich vor Enthusiasmus den Nacken zerren würde. „Der ist mit Abstand der dümmste Mensch, der mir je begegnet ist, und außerdem war er bereits mit so gut wie jedem Bikini dieser Gegend aus. Granny nickte wissend und verzog bedauernd den Mund.

    ***

    Der alte Bus ruckelte, als er sich durch die bereits sonnigen Straßen unserer Stadt mühte. Heute Morgen war noch nicht so viel Verkehr, die meisten Leute saßen wohl erst beim Frühstück. Ich war, nach dem recht eintönigen Abend gestern extra früh aufgestanden, um einen der besten Kaffees der Stadt in meiner Lieblings Mall zu trinken. Granny hatte mich am Abend tatsächlich 5 Stunden lang Marmelade machen lassen. Ich verstand nicht, warum die Früchte gerade an diesem Freitagabend verarbeitet werden mussten, hatte es aber dann aufgegeben mit ihr darüber zu diskutieren. So stand ich irgendwann, gegen Mitternacht in meiner Dusche und war mit dem Vorsatz ins Bett gegangen, sehr lang keine Marmelade essen zu wollen und, dass der nächste Tag nur mir gehören würde.

    Nach meinem Kaffee wollte ich ausgiebig die Schaufenster inspizieren. Vielleicht würde ich etwas Schönes für heut Abend finden. Und ich würde meine Buchbestellungen abholen. Und genau so machte ich es auch. Der Kaffee war wie immer köstlich und die kleine, quirlige Kellnerin des angesagten Coffeeshops plauderte ein paar Minuten mit mir, bevor die nächsten verirrten Frühaufsteher kamen. Ich schlenderte gemütlich vorbei an den Auslagen. Kaufte mir mein Parfum, dass es jetzt als Deospray gab und probierte einige katastrophale Minikleider an, bevor ich vor einer der edleren Boutiquen innehielt.

    Ich war noch nie in diesem Laden gewesen, hatte aber schon öfter die atemberaubenden Sachen im Schaufenster bewundert. Kurzerhand entschied ich, dass es Zeit wurde, mir selbst ein Geburtstagsgeschenk zu machen. Ich betrat den Laden, sah mich kurz um und wurde dann, wie magisch von einem dunkelgrünen Kleid angezogen. Es war wie eines dieser griechischen Kostüme geschnitten und fiel in schweren Falten nach unten. Dabei wirkte es nicht übermäßig chic, nichts für einen Ball. Sicher konnte ich es mit meiner Jeansjacke und ein paar Flipflops auch am Strand tragen. Ich bat die kleine Frau, die nach meinem Eintreten bereits geschäftig hinter mir hergetrippelt war es mir in der passenden Größe zum Anprobieren raus zu suchen und verschwand damit in der Umkleide. Das Kleid passte erstaunlich gut. Nur der Saum war etwas zu lang, aber die Verkäuferin erklärte mir, dass dies innerhalb der nächsten zwei Stunden geändert werden könne. Ich strahlte. Glücklicherweise hatte sich das Schweinchenrosa durch das intensive Haarewaschen gestern Abend etwas abgeschwächt, so dass meine Haare mit dem Kleid gut harmonierten. Ich war erstaunt darüber, dass der Stoff so leicht war. Auf der Puppe hatte es ausgesehen, als würden die vielen Lagen eine Tonne wiegen. Aber es schien einfach raffiniert geschnitten zu sein. Ich bezahlte ein kleines Vermögen für dieses Kleid und ging beschwingten Schrittes wieder in Richtung meines Lieblingskaffees, zurück durch die Mall.

    Auf dem Weg stoppte ich kurz an der Buchhandlung und holte meine Bestellungen ab. Da die Änderungen an dem Kleid noch eine Weile dauerten, konnte ich in Ruhe einen weiteren Kaffee trinken und vielleicht gleich etwas zu mittagessen. Ich sah auf meine Uhr, als ich eine Bewegung hinter mir wahrnahm. Ich blickte über die Schulter und erkannte überrascht den Mann, der gestern in der Buchhandlung meines Großvaters gewesen war. Wahrscheinlich wollte er sich hier das blaue Buch besorgen, dass es bei meinem Grandpa im Antiquariat nicht gegeben hatte. Ich musste schmunzeln über den Gedanken, dass Grandpa damit tatsächlich Leute in die Irre führen konnte, und setzte mich an einen der freien Bistrotische im Kaffee. Als ich den Mann verstohlen beobachtete, fiel mir auf, dass es gar nicht derselbe wie gestern war. Er sah ihm nur zum Verwechseln ähnlich. Mir lief ein Schauer über den Rücken, als ich erkannte, dass es nicht einmal etwas mit seiner unscheinbaren, blassen Kleidung zu tun hatte. Dieser Mann hatte die gleichen dunkelbraunen Haare, ungefähr dieselbe Größe und Statur und es war seine ganze Körperhaltung, leicht gebeugt und die Art, wie er sich bewegte. Er hatte etwas Wesenhaftes, Zuckendes an sich. Ähnliches hatte ich noch nie gesehen. Vielleicht waren die beiden irgendwie verwandt? Was für ein Zufall, dass sie mir dann gleich an zwei aufeinanderfolgenden Tagen über den Weg liefen. Unsere Stadt konnte man mit über fünfhunderttausend Einwohner nicht gerade als klein bezeichnen. Der Mann verschwand aus meinem Sichtfeld und ich widmete mich den Büchern, doch ein unangenehmes Kribbeln blieb zurück.

    Zwei Kaffees und einen Frappuccino später holte ich mein neues Kleid in der Boutique ab und gönnte mir ein Eis, dass ich auf dem Nachhauseweg essen wollte.

    Ich sah sie erst, als es schon zu spät war. Kurz vor dem Ausgang, auf den ich zusteuerte, traten mir zwei Männer, drei Meter von mir entfernt in den Weg. Ich blieb wie angewurzelt stehen, als ich bemerkte, dass es der gruselige Mann von vorhin und sein, nicht weniger gruseliger Verwandter von gestern waren. Die anderen Leute schienen nichts an den beiden oder ihrem Verhalten zu finden und ich konnte selbst nicht genau sagen, woher ich es wusste, aber in mir schrie alles danach, dass ich weglaufen sollte. Ich hatte Angst. Hastig drehte ich mich um und versuchte so beherrscht, aber auch so schnell wie möglich zu einem anderen Ausgang zu gelangen. Nach den ersten Schritten blickte ich panisch über meine Schulter. Die beiden folgten mir, quer durch die Mall. Ich entsorgte kurzerhand mein Eis, beschleunigte meine Schritte und rannte auf den nächstbesten Aufgang zu. Dabei stieß ich versehentlich mit ein paar Passanten zusammen, doch darauf konnte ich jetzt keine Rücksicht nehmen. Ich stürmte durch die Türen ins Freie und hetzte auf eines der parkenden Taxis zu. Der Fahrer blickte verdutzt von seiner Zeitung auf, als ich schwungvoll in sein Auto plumpste. Hektisch rang ich nach Atem.

    „Wo solls denn so eilig hingehen?", fragte er mit einem misstrauischen Blick auf meine Tüten. Der dachte doch tatsächlich, ich hätte etwas geklaut. Frechheit. Schnell beeilte ich mich, ihm zu antworten, nicht das der noch auf die Idee kam die Polizei zu rufen oder mich einfach aus seinem Taxi warf.

    „Ich werde verfolgt. Bitte fahren sie los." Ich nannte ihm die Adresse von Großvaters Antiquariat und das Taxi setzte sich in Bewegung. Erleichtert atmete ich auf und blickte mich durch die Rückscheibe des Autos suchend um. Ich konnte die gruseligen Männer nirgends entdecken und so oft ich mich auch während der Fahrt umdrehte, ich registrierte nichts Auffälliges mehr. Der Fahrer musterte mich immer wieder skeptisch durch den Rückspiegel, kommentierte mein Verhalten aber nicht weiter. Jedoch sah ich ihm an, dass er mich für absolut sonderbar und durchgeknallt hielt.

    Als ich vor Grandpas Laden aus dem Taxi stieg, zweifelte ich genauso an mir. Was war da bloß in mich gefahren? Ich hatte total überreagiert. Warum war ich davon gelaufen? Dieser Männer hatten mir nichts getan. Und woher dieses plötzliche Gefühl der Angst gekommen war, konnte ich nun beim besten Willen nicht mehr sagen. Und sicher waren sie nur zufällig in die gleiche Richtung gelaufen, wie ich gerannt. Außerdem hatten die Anderen sie überhaupt nicht beachtet. Da waren wohl in letzter Zeit zu viele Krimis auf meiner Leseliste gewesen.

    In Grandpas Buchladen war es angenehm kühl und ruhig. Ed schien heute unterwegs zu sein, denn von ihm war nichts zu sehen. Großvater hatte einige überdimensionierte Bücher vor sich auf der Theke liegen und blickte erstaunt auf, als ich eintrat. Sicher sah ich immer noch etwas gehetzt aus.

    „Lu Liebes, schön das du mich besuchen kommst. Deine Granny hast du leider gerade verpasst. Sie wollte noch ein paar Kleinigkeiten für heut Abend besorgen." Bei seinen Worten hob ich fragend die Augenbrauen.

    „Noch mehr Kleinigkeiten? Jede freie Fläche unserer Küche war doch heut morgen bereits mit irgendwelchen Kleinigkeiten vollgestellt. Ich finde, sie übertreibt es ein wenig." Bei meinen Worten ließ ich erschöpft meine Tüten auf den Boden sinken und ging zu ihm hinter die Theke.

    „Lass deiner Großmutter die Freude. Sie liebt es nun mal sich um dich und andere zu kümmern." Er umarmte mich, wie immer fest und vertiefte sich darauf wieder in eines der dicken Bücher vor ihm. Ich kannte das und nahm es ihm nicht übel. Obwohl ich das dringende Bedürfnis hatte, jemandem von dem sonderbaren Ereignis in der Mall zu erzählen. Aber was hätte ich ihm sagen sollen? Ich bin vor mir absolut Fremden davon gelaufen, die

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