AKIRAS KLEIDER - GEHEIMNISVOLLE BRIEFE AUS WIEN
Von Dodo Kresse
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Über dieses E-Book
Akira, eine japanische Schneiderin, näht für die Ehefrauen der Geschäftsfreunde ihres Mannes kostspielige Kleider. Es ist nicht nur der exorbitante Preis, der die Frauen in Erstaunen versetzt, sondern noch vielmehr die seltsame Wirkung, die diese textilen Schönheiten auf die Trägerinnen und ihre Umgebung zu haben scheinen. Um ihren Kundinnen eindringlich klar zu machen, dass erst die richtige Haltung ein Kleid zu dem macht, was es sein kann, legt sie den fertigen Kleidern einen Brief bei. Eines Tages erhält sie eine postalische Antwort, aus der sich ein tiefes Freundschaftsband entwickelt. Ganz in den Bann der seltsamen Japanerin gezogen, beschließt Akiras Kundin, eine toughe Anwältin, sich deren Ratschlägen zu beugen und entdeckt schließlich eine aufregende Parallelwelt voller Mystik und Sinnlichkeit. Als Phantasie und Wirklichkeit bedrohlich ineinander zu fließen beginnen und sie beinahe ihre sichere Existenz verliert, zieht Akira jedoch wieder an den richtigen Fäden und kreiert ein kostbares Daunenkissen für das neue "Nest" der geliebten Freundin.
Briefe, die Poesie, Gefühle, Verwirrungen, Überraschungen und Aufregungen für die Leser bereit halten!
"Eine Hommage an die Eleganz der Weiblichkeit und die Kunst des Briefeschreibens."
(Sera Julier)
Dodo Kresse
DODO KRESSE, geb. 1961 in Wien, arbeitete als freie Journalistin für prominente Österreichische Medien wie Der Standard und Wirtschaftswoche. Sie veröffentlichte zahlreiche Kurzkrimis und Essays in Literatur- und Wirtschaftsmagazinen sowie in Krimi-Anthologien. Es erschienen in der Folge Nur ein Komödiant (Edition S) Handbuch der Gesten (Verlag Deuticke), Wenn Frauen boshaft lachen (Verlag Deuticke), Der Petzonaut (NP-Verlag) und Essay-Bücher über Wien (Stürtz-Verlag) sowie zuletzt 2014 Mona Lisas dunkles Lächeln (Verlag Styria Premium). Ihre schriftstellerische Tätigkeit wurde mit dem Theodor-Körner-Preis für Literatur und dem ÖGUT-Essaypreis ausgezeichnet.
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Buchvorschau
AKIRAS KLEIDER - GEHEIMNISVOLLE BRIEFE AUS WIEN - Dodo Kresse
Impressum
Brief N°1 - Im Schatten des Ginkgobaums
Sehr geehrte Frau Shimawa,
letzten Dienstag ist Ihr Paket eingetroffen. Ich schreibe Ihnen nicht, weil das Kleid nicht passen würde - im Gegenteil. Als ich das Seidenpapier auseinanderfaltete und es aus der Schachtel hob, sah es noch recht unscheinbar aus, ein blaues, tailliertes Kleid, perfekt genäht. Ich streifte es auf einen Bügel und hakte ihn auf die Kastentür. Dann läutete das Telefon und ein Termin jagte den nächsten - und so hing Ihre Kreation dort als harmloser Schatten bis zum Abend. Ihrem Ratschlag folgend, wollte ich es mit Muße anprobieren. Das tat ich dann auch an diesem Abend. Es passte tadellos - wie angegossen. Und tatsächlich verflüchtigte sich, wie von Ihnen vorhergesagt, die anfängliche Rauheit des Stoffes sofort und wich einer seltsamen Geschmeidigkeit, die mir bis dahin unbekannt war. Immer wieder ließ ich meine Hände über den Stoff gleiten, was gar nicht so einfach war, denn ich hatte einen wichtigen geschäftlichen Termin und wollte nicht aussehen wie eine jener Damen mit nervösem Tick, die sich dauernd über den Rock streichen. Dieser Stoff erfüllte mich mit einer Ruhe, die mich verblüffte. Kein Relaxans hat mir jemals so eine umfassende Beruhigung verschafft. Haben Sie vielleicht noch etwas von diesem Stoff auf Lager? Könnten Sie mir daraus eine Tasche nähen, eventuell mit Leder kombiniert? Sie darf nicht labbrig aussehen, sondern müsste eine gewisse Steifigkeit aufweisen. Ein A4-Format wäre perfekt, da ich als Anwältin immer einige Akten mit mir herumtragen muss. Die Vorstellung, sie in einer Tasche zu transportieren, deren Handhabung mich beruhigt, beflügelt mich.
Die letzten Tage waren, wie immer, sehr stressig. Sie erkundigten sich während meiner letzten Anprobe in Ihrer Döblinger Villa nach meinem Beruf und sahen mich nach meiner Antwort so nachdenklich an, als würde Ihnen irgendetwas daran nicht gefallen. Irre ich mich? Ich liebe meinen Beruf, auch wenn er mich manchmal an meine Grenzen bringt. Und ich finde, er passt zu mir - strukturiert und gerechtigkeitsliebend, wie ich bin.
Ich habe vergeblich versucht, eine Mailadresse von Ihnen zu finden. Handynummer konnte ich trotz heftigen Googelns auch keine entdecken, sodass ich Ihnen nun ebenfalls in altmodischer Weise per Brief antworte. Vor drei Wochen, als mich mein Mann bat, ihn zu einer Einladung zu begleiten, wusste ich noch nicht, dass ich Sie kennenlernen werde. Ich sagte ungern zu, da in der Kanzlei dringende Akten auf mich warteten. Als Sie mir vorgestellt wurden, war ich von Ihrer Erscheinung überrascht. Ich wusste zwar von meinem Mann, dass Sie Japanerin sind, aber dass Sie dermaßen außergewöhnlich attraktiv sind, hat er mir verschwiegen. Schade, ich hätte mich entschieden mehr auf diesen Abend gefreut. Unser Gespräch über Ihre Arbeit als Modedesignerin hat mich noch lange beschäftigt. Ich fand Ihre Ansichten erfrischend anders und ich würde gerne mehr über Ihre Pläne hören.
Während ich diesen Brief schreibe, trage ich Ihr Kleid. Das tue ich jetzt seit vier Tagen am Stück. Es scheint, dass ich mich kaum davon trennen möchte. Fast habe ich den Eindruck, es würde mich aufrichten. Wie eine unsichtbare Hand, die mir den Rücken stärkt.
Ihre Inspiration in dem beigepackten Brief, das Kleid angemessen zu empfangen, fiel auf fruchtbaren Boden und so ging ich am nächsten Tag zur Einweihung des neuen Kleides ins Hotel Ritz frühstücken. Anfangs fand ich Ihre Idee, das Kleid so bewusst zu zelebrieren, etwas exaltiert, aber als ich in dieser ruhigen Umgebung meinen Kaffee trank, begann ich zu spüren, warum Sie mir dazu geraten haben. Meine Gedanken begannen sich zu ordnen, als stünden sie im Sog eines unsichtbaren Schlichtsystems. Ich tat einen langen, tiefen Atemzug und nahm einen Schluck Wasser. Wie klar und rein das schmeckte, eigentlich viel besser als der Kaffee. Ich legte die Tageszeitung beiseite und konzentrierte mich auf den Geschmack des Wassers. Gut fühlte sich das an. Die Farben des Frühstücksraums im Ritz schmiegten sich elegant in mein Gemüt. Als ich bezahlt und das Ritz verlassen hatte, fiel mein Blick auf die Auslage neben mir: meine Figur ist immer noch, trotz einiger Wechselbeschwerden, schlank und athletisch, trotzdem fiel mir auf, dass ich deutlich gebückt ging. Das ist wohl den Rückenschmerzen zu schulden, die mich seit Jahren fest im Griff haben. Ich ließ das Auto gegenüber dem Hoteleingang in der Seitenfahrbahn stehen und machte einen ausgedehnten Spaziergang im nahe gelegenen Stadtpark. Das kitschig vergoldete Johann-Strauß-Denkmal ließ ich links liegen und steuerte geradewegs auf „meinen" Ginkgobaum zu. Wann immer es mich in diesen Park verschlägt, statte ich ihm einen Besuch ab. Seine ungewöhnlichen, fächerförmigen Blätter und die Tatsache, dass sich diese Art seit 250 Millionen Jahren wacker durchschlägt und sogar die Eiszeit überdauert hat, faszinieren mich. Und obwohl er so robust ist, verliert er im Herbst seine Blätter in einer einzigen Nacht. Eigentlich praktisch für Gartenbesitzer, man muss somit nur einmal Laub kehren. Wenn ich mehr Zeit hätte, würde ich mir auch einen Ginkgo in unseren Garten pflanzen. Vielleicht in der Pension. Aber, wenn ich ehrlich zu mir selbst bin, werde ich dann wahrscheinlich auch keine Zeit für so etwas haben. Mindestens eine halbe Stunde saß ich so auf einer Bank unter den Zweigen des Ginkgo und genoss die Sonne. Ein herrliches Gefühl! Und das hatte ich Ihnen zu verdanken! Glauben Sie mir, hätte ich keinen Termin im Gericht gehabt, ich wäre glatt den ganzen Vormittag geblieben. Auf dem Rasen stolzierten Pfaue, deren Gefieder im Sonnenlicht glänzte. Fremd erschien mir das alles und doch seltsam vertraut.
Gestern besorgte ich in meiner Hochstimmung sogar neue Sportschuhe und wollte endlich mal wieder, zum ersten Mal nach vier Jahren, laufen gehen. Allerdings musste ich mich anfangs schonen, wegen meines Rückens, auch die Gelenke schmerzten mich ein wenig, aber ich hoffe, step by step, wieder etwas gelenkiger zu werden.
Abends waren wir auf einer Soiree eingeladen. Der Botschafter von Marokko gab ein Dinner mit einem Kammerkonzert. Es waren auch ein paar Bekannte da, drei (!) Damen beglückwünschten mich zu meinem Kleid - ich hatte es mit einem goldgelben Seidenschal und einer Perlenkette etwas festlicher gemacht. Alle waren ganz begeistert und fragten begierig nach Ihrem Namen. Da Sie, liebe Frau Shimawa, mich darum gebeten haben, hielt ich mich aber dahingehend bedeckt. Als mein Mann und ich im Auto saßen, hatte er nur den Kopf geschüttelt und gemeint, er würde nicht verstehen, warum eine Modedesignerin wie Sie anonym bleiben möchte und nicht froh über jede neue Kundschaft wäre. Bei der eiskalten Konkurrenz von Zara und all den anderen internationalen Modeketten, hatte er gemeint, müsste man für jede Anfrage dankbar sein. Ich grinste - was für ein Vergleich! Manchmal hatte Tom einfach keine Ahnung! Ich widerstand der Versuchung, ihm zu erklären, worin der Unterschied zwischen Ihnen und Zara liegen würde und bin jetzt froh darüber. Es hätte nur zu langwierigen Debatten ohne Ergebnis geführt. Wie immer eben.
Ich weiß nicht, warum ich Ihnen all das schreibe, wir kennen einander kaum und dennoch ist mir, als würde ein Band zwischen uns bestehen. Jedenfalls danke ich Ihnen so sehr für Ihre Mühe und das wunderbare Kleid, das ich jetzt schon liebgewonnen habe. Und bitte schreiben Sie mir wegen der Tasche, ja? Oder rufen Sie mich an unter der Handynummer, die auf meiner Visitenkarte steht. Ich gab Sie Ihnen letztens bei der Anprobe. Ich freue mich auf Ihr Feedback.
Ihre Lynett Calldeway
Brief N°2 - Ein Quantum Kraft
Sehr geehrte Frau Calldeway,
ich verwende das Telefon grundsätzlich nur in hochbrisanten Fällen. Briefe sind bleibender und nicht so vereinnahmend. Sie sind zwar nicht die erste, die auf einen Beipackbrief, wie ich ihn allen meinen textilen Kreationen beilege, antwortet, aber die erste, der ich zurückschreibe. Ja, Sie haben recht mit dem Band zwischen uns beiden - ich verspüre Ähnliches. Nicht jede Kundin versteht es, mit einem Kleid von mir in Resonanz zu treten. Bei Ihnen entdecke ich deutliche Anzeichen dafür. Erst nach langer, intuitiver Suche fand ich die richtige Mischung aus Wolle und Seide, die Ihrer Intelligenz und Empfindsamkeit entsprechen würde. Das Vermessen des Körpers ist zwar die Basis des Schnitts, jedoch höchstens ein Drittel des Erfolgs. Das zweite Drittel liegt in der Qualität des Tuchs. Über das dritte Drittel schreibe ich eventuell später mehr. Bedenken Sie, dass Ihr neues Kleid zu mehr imstande sein wird, als einfach Ihre Nacktheit zu verbergen und hübsch auszusehen. In jedem einzelnen Faden wird nicht nur die Freude erwachen, sondern auch ein unerwartetes Quantum an Kraft. Meine Anfertigungen sind nicht nur Kleider, die auf einen Körper warten, sondern sorgsam verpackte Möglichkeiten.
Mit Freude habe ich gelesen, dass Sie für die Erstanprobe einen Tag gewählt haben, an dem kein unangenehmer Termin anstand. Und die Wahl des Hotel Ritz-Carlton war sicher die beste, um entspannt in den Tag zu gleiten.
Famos fand ich Ihr Verweilen unter dem Ginkgobaum, gratuliere! Ein deutliches Anzeichen dafür, dass ab nun etwas mehr Gelassenheit in Ihren hektischen Alltag dringen wird.
Je öfter Sie unter dem Ginkgo sitzen, desto besser. So werden Sie kräftiger von Tag zu Tag. Ergänzen Sie diese Wirkung durch einen Teller Haferbrei jeden Morgen. Schütteln Sie nicht den Kopf, sondern versprechen Sie mir, dass Sie es versuchen. Wollen Sie das tun, ja? Es ist wichtig, um sich gegenwärtiger zu fühlen. Und Sie brauchen entschieden mehr „Jetzt" in Ihrem Leben.
Verbrennen Sie also das Gestern und formen Sie daraus ein hervorragendes Morgen. Ich weiß, dass Sie das beherrschen wie keine Zweite. Sehen Sie sich Ihre Gedanken an wie Kiesel, die der Fluss glänzend wäscht und geben Sie Ihnen nicht mehr Gewicht.
Und vor allem: Beschränken Sie das Tragen allzu solider Anzüge auf den Job. Im dunkelgrauen Flanell schlafen Ihre Träume und entbehren ganz den Taumel der Helligkeiten. Ihre Schultern verspannen sich unmerklich und mit dem Schließen der Knöpfe beenden Sie das Fließen des Lebens. Schauen Sie Ihnen ins Gesicht, Ihren Vorstandskollegen, mit steilen Falten zwischen den Brauen. Wie leer ihre Blicke sind. Graue Haut, grau gewordene Träume. Brechen Sie das Schweigen, bevor die Mauern zufrieren. Das Leben lässt sich nicht feiern in Gesellschaft fahler Paragraphenreiter. Und darum geht es doch, nicht wahr?
Verzeihen Sie mir, wenn ich