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Der Schundfilm meines Lebens
Der Schundfilm meines Lebens
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eBook321 Seiten4 Stunden

Der Schundfilm meines Lebens

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Über dieses E-Book

Wenn das eigene Drehbuch zur Realität wird ...

Schon wieder wird ein intellektuell anspruchsvolles Skript der ambitionierten Drehbuchautorin Hanna Wupper abgelehnt. Andreas Hansen, Creative Producer bei Friedberts Filmfabrik, rät ihr stattdessen, es mit einer leichten Liebeskomödie zu versuchen. Hanna ist entsetzt! Doch aus wirtschaftlichen Gründen bleibt ihr nichts anderes übrig, als einen – wie sie es abfällig nennt – "Schundfilm" zu schreiben.

Hanna entwickelt eine Story um eine Frau namens Sibille, deren intakt geglaubte Beziehung urplötzlich in die Brüche geht, als sie herausfindet, dass ihr Ehemann sie mit ihrer besten Freundin betrügt. Anfangs macht sie sich über die – ihrer Meinung nach – völlig unrealistische Handlung lustig, die sie um die naive Heldin, deren allzu offensichtlich fremdgehenden Gatten sowie die intrigante beste Freundin Sibilles entwickelt. Doch nach und nach muss Hanna erkennen, dass ihr Drehbuch gar nicht so unrealistisch ist, wie sie glaubte, sondern erschreckend genau ihre eigene Realität abbildet!
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum11. Apr. 2018
ISBN9783742742551
Der Schundfilm meines Lebens

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    Buchvorschau

    Der Schundfilm meines Lebens - Emmi Ruprecht

    Kapitel 1

    Ich klicke erwartungsvoll auf die Mail in meinem Postfach, die sich soeben durch ein leises Piepen angekündigt hat. Die Nachricht ist von der Filmproduktionsfirma, der ich mein neuestes Drehbuch zugeschickt habe, und ich bin sicher, dass es eine gute Nachricht ist. Das Skript muss ihnen einfach gefallen!

    Vor fast zwei Wochen habe ich Herrn Hansen, der als Creative Producer unter anderem dafür zuständig ist, neue Stoffe und Konzepte für erfolgversprechende Fernsehfilme ausfindig zu machen, angerufen und mein neuestes Werk angekündigt. In kurzen Worten habe ich ihm die tiefgründige Thematik meines Drehbuchs erläutert und die psychologisch ausgefeilte Handlung anhand einiger Schlüsselszenen skizziert, um ihm einen kleinen Vorgeschmack auf das Skript zu geben.

    Nun, ich muss zugeben, dass Herr Hansen zunächst nicht allzu begeistert zu sein schien. Er äußerte Zweifel an der Vermittelbarkeit des Stoffes an einen TV-Sender. Doch ich denke, da fehlte Herrn Hansen einfach die Fantasie. Ich vermute, dass er aufgrund des anspruchsvollen Themas ein langatmiges, sich in umständlichen Dialogen und düsteren Szenen verlierendes Werk erwartete. So eines, das bestenfalls Hochintellektuelle davon überzeugen könnte, nicht gleich weiterzuzappen, wenn sie versehentlich auf dem Fernsehkanal landeten, der den Film zeigte, weil ihre Lieblingssendung auf einem anderen Kanal von einer Werbepause unterbrochen wurde. Dass mein Drehbuch den zugegebenermaßen nicht ganz alltäglichen Stoff gleich einem Krimi bis zur letzten Szene spannend aufbereiten würde, konnte er bei unserem Telefonat noch nicht wissen. Aber ich wusste es und war entsprechend zuversichtlich, ihn überraschen und seine Begeisterung für das Drehbuch entfachen zu können.

    „Sicher ist Herr Hansen ziemlich beeindruckt, denke ich, auch wenn ich mich gleichzeitig zu mehr Bescheidenheit ermahne. „Dass ein derart tiefenpsychologisch fundiertes Thema so spannend erzählt werden kann, hat er bestimmt nicht erwartet.

    Mein Rechner braucht eine gefühlte Ewigkeit, um die Mail zu öffnen. Fast befürchte ich, dass das Gerät unterwegs abgestürzt ist, doch dann ist es endlich geschafft.

    Liebe Frau Wupper", steht in der elektronisch übermittelten Nachricht, „danke für Ihr Drehbuch, das wir uns gerne angeschaut haben. Es ist tatsächlich – wie Sie bereits in unserem Telefonat ankündigten – in vielerlei Hinsicht neuartig und eine intellektuelle Herausforderung, speziell für ein Publikum mit eher traditionellen Sehgewohnheiten."

    Genau! Ich bin nämlich davon überzeugt, dass das Fernsehpublikum mental gar nicht so bequem ist, wie von vielen Programmschaffenden beklagt wird, sondern Experimente durchaus verkraftet! Auch schwierige Themen kann man Zuschauern zumuten, wenn man versteht, sie unterhaltsam zu gestalten. Das allerdings muss schon sein, denn Tiefsinniges staubtrocken zu verpacken, nur damit es noch tiefsinniger wirkt, kann jeder! Den Spagat zwischen intellektuellem Anspruch und mitreißender Unterhaltung zu schaffen ist die Kunst, die ein gutes Drehbuch ausmacht. Und genau diesen Spagat habe ich mit meinem neuesten Skript hinbekommen und ich bin sicher, dass Herr Hansen das genauso sieht!

    Eilig lese ich weiter: „Die Dialoge bestechen durch eine treffsichere Wortwahl, die Charaktere der handelnden Personen sind präzise konzipiert, ausdrucksstark in Szene gesetzt und wirken dennoch nicht abgedroschen."

    Ich freue mich über das Kompliment – und ich muss ihm recht geben. Besser hätte ich es nicht ausdrücken können! Das zentrale Anliegen meiner Drehbücher ist, Persönlichkeiten in ihrer ganzen Widersprüchlichkeit und Komplexität darzustellen. An dieser Stelle versagt das Fernsehen viel zu oft! Das Publikum wird mit zweidimensionalen Welten gelangweilt, in denen es nur gut und böse gibt sowie stereotype Charaktere, die man auf den ersten Blick vollständig erfasst. Mehr als eine Eigenschaft haben selbst Hauptpersonen selten, die entweder stets gutmütig, grundlos selbstherrlich oder bodenlos schlecht sind. Außerdem scheint es dem Publikum nicht zuzumuten zu sein, wenn die Heldin ausnahmsweise mal unattraktiv ist und es auch im Laufe des Films bleibt, die Karrierefrau kein Monster ist, das ihre wohlmeinende Mutter in ein Heim abschieben will, und der Arzt weder kinder- noch tierlieb daherkommt. Nicht auszudenken wäre, wenn man es den Zuschauern sogar überließe, sich eine eigene Meinung zum Geschehen zu bilden, anstatt ihnen die immer gleichen moralischen Werte und Weltanschauungen zu predigen. Die meisten Menschen – davon bin ich überzeugt! – würden auch beim Fernsehgucken selbstständiges Denken nicht grundsätzlich ablehnen. Das ist jedoch ausschließlich in Quiz-Shows gestattet, und selbst da sind die richtigen Antworten bereits vorgegeben.

    Auch der konsequent am Plot orientierte Aufbau sorgt dafür, dass die einzelnen Szenen beim Lesen des Skriptes in der Vorstellung bereits wie in einem Film ablaufen. Insgesamt überzeugt das Drehbuch durch seine professionelle Ausgestaltung, wie wir es von Ihnen nicht anders gewohnt sind ..."

    Jetzt strahle ich über das ganze Gesicht. Das hört sich doch schon sehr nach einer etablierten Drehbuchautorin an! Dabei muss ich zugeben, dass ich auf diesem Gebiet noch ein Neuling bin. Zwar schreibe ich seit meiner Schulzeit Theaterstücke – erst für die Laienspielgruppe am Gymnasium und dann auch für diverse andere Amateur-Bühnen. Später kamen die ersten Drehbücher für Kurzfilme von Kunststudenten oder sonstige Low-Budget-Produktionen von Hobby-Filmschaffenden hinzu. Doch erst vor fast einem Jahr habe ich eine richtige Filmproduktionsgesellschaft für mein erstes, vollwertiges Drehbuch zu einem abendfüllenden Spielfilm interessieren können!

    Dieses erste Skript handelte von einer Gruppe von Menschen, die in der Abgeschiedenheit einer italienischen Berglandschaft mit bislang verdrängten Anteilen ihrer Persönlichkeit konfrontiert wurden. Es ist eine unter die Haut gehende Darstellung persönlicher Dramen, die sich tief im Inneren ganz normaler Menschen abspielen können. Mutig wurden Themen angesprochen, die gesellschaftlich immer noch tot geschwiegen werden, weil sich niemand traut darüber zu sprechen. Ein großartiger Stoff! Ein eher leiser Film – zugegeben – aber nichtsdestotrotz von großer erzählerischer Kraft!

    Die Creative Producerin Brigitte, die mein Skript damals las, war begeistert und konnte auch ihren Chef, den Produzenten und Inhaber von „Friedberts Filmfabrik, von dem Stoff überzeugen. Gemeinsam haben Brigitte und ich das Exposé dann noch einmal nach seinen Vorgaben überarbeitet und ein Treatment, sozusagen die „Verkaufsunterlage für das Drehbuch, erstellt, die der Produzent nach diversen Abstimmungen akzeptiert hat. Er bot den Stoff mehreren TV-Sendern an und tatsächlich zeigte einer von ihnen Interesse! Nachdem auch dort mit der Redaktion intensiv am Skript gefeilt wurde, war der Auftrag für die Filmproduktion schon fast erteilt. Doch auf dem allerletzten Meter bekam der zuständige Redakteur im Sender kalte Füße, nachdem gerade ein ähnlich „spezieller" – wie die Redaktion es ausdrückte – Fernsehfilm quotenmäßig gescheitert war.

    Damit war mein Debütfilm Geschichte und der Sender hatte seine große Chance vertan, endlich einmal etwas Wegweisendes auf den Schirm zu bringen!

    Natürlich war das sehr bedauerlich, aber wenigstens hatte ich mir mit dem Skript schon mal einen Namen gemacht. Zuversichtlich setzte ich mich deshalb an mein zweites Werk und verfasste ein Drehbuch über eine depressive Frau, die sich nach einem Suizidversuch mühsam ihren Weg zurück ins Leben erkämpft. Was für ein Stoff! Mit schonungsloser Akribie setzte ich die verstörenden Gedankenmuster der Protagonistin in irritierende Szenen um und schuf Dialoge, die in sich widersprüchlich die ganze innere Zerrissenheit der Figur eindringlich schilderten. Die Depression der Protagonistin sollte für den Zu-schauer geradezu fühlbar werden, um ihn mitzunehmen auf eine Reise in die schockierende Erlebniswelt dieser Frau. Er sollte die Welt aus der fatalistischen Perspektive einer Depressiven sehen, im Alltäglichen das Niederschmetternde erkennen und sich mitreißen lassen in die tiefen Abgründe ihres lebensverneinenden Gemüts. Ein ganz großer Ansatz, wie ich fand! Noch nie hatte sich jemand dem Thema Depression so konsequent gestellt!

    Leider war meine Ansprechpartnerin Brigitte zum Zeitpunkt der Fertigstellung des Drehbuchs schon im Mutterschutz und ihr Nachfolger Herr Hansen konnte dieser modernen Herangehensweise an ein sich langsam aus der Tabuzone herauswagendes Thema nicht viel abgewinnen. Seiner Meinung nach zeichnete sich das Drehbuch neben der schwer verdaulichen Thematik durch zu viel Gerede, zu viele Längen und zu wenig Handlung aus und sei mit diesen Zutaten leider nicht vermittelbar. Das waren seine Worte zu meinem zweiten Skript, die mich tief erschütterten! Ich glaube, ihm fehlt einfach der Zugang zu Inhalten, die eine Spur problematischer sind als „Die Waltons oder „Lassie. Anspruchsvolle Fernsehunterhaltung ist einfach nicht sein Ding!

    Nach dieser ebenso bedauerlichen wie unverständlichen Fehleinschätzung zu meinem zweiten Drehbuch hatte es ein wenig gedauert, bis ich mich so weit gefasst hatte, dass ich mein drittes Werk in Angriff nehmen konnte. Doch in diesem Skript, welches jetzt der Filmproduktionsfirma vorliegt, wird nicht nur viel geredet, sondern auch viel gehandelt! Die Heldin des Drehbuchs stößt in ihrer eigenen Familie auf ein perfekt verleugnetes, perfides Beziehungsgeflecht, welches sie nach und nach enttarnt. Es geht um Abhängigkeiten und Verstrickungen, die die einzelnen Personen auf unglückselige Weise aneinander ketten und die sich schließlich in Psychosen und Wahnvorstellungen der Heldin manifestieren. Es ist so faszinierend!

    Ich weiß, dass man sich nicht selbst loben soll, doch ich finde, dass ich hier ein beeindruckendes Werk geschaffen habe. Diesem hochspannenden und gleichzeitig tiefenpsychologisch anspruchsvollen Drama wird sich kaum jemand entziehen können! Es wird beweisen, dass auch intellektuell fordernde, existenzielle Themen ihr Publikum finden können, solange sie kurzweilig aufgearbeitet sind. Selbst wenn Herr Hansen bestimmt nicht die optimale Zielgruppe für derart fundierte Drehbücher ist, so bin ich dennoch überzeugt, ihn mit diesem Stoff packen zu können. Von der ersten Szene an knistert die Spannung, die bis zum Schluss nicht nachlässt. Nervenzerfetzend! Von wegen schwer verdaulich! Hier ist die sukzessive Enthüllung unterschwellig wirkender Motive hinter ganz alltäglichem Handeln dramatisch wie ein Thriller. Da sage nochmal einer, dass anspruchsvolle Filme langweilig sein müssen!

    Mit Vorfreude auf die anerkennenden Äußerungen des Producers sowie seine Botschaft, das Drehbuch dem Produzenten und Inhaber der Filmproduktionsgesellschaft bereits erfolgreich vorgestellt zu haben, der wiederum davon ausgeht, dass ihm die Fernsehsender diesen Stoff buchstäblich aus den Händen reißen werden, lese ich seine Mail weiter.

    „… und bietet damit sicher eine überzeugende Grundlage für einen ambitionierten Film."

    Jaja, schon gut, das wissen wir bereits! Nun sag‘ endlich, dass ihr das Drehbuch großartig findet und sicher seid, es einem TV-Sender verkaufen zu können!

    Wie Sie wissen, ist der Markt der Fernsehunterhaltung hart umkämpft und für uns kommen deshalb nur Stoffe infrage, die sich bei einem größeren Publikum durchsetzen können. Wir haben Ihr Skript diesbezüglich ausführlich diskutiert. Leider müssen wir Ihnen mitteilen, dass wir nicht davon überzeugt sind, …"

    Wie bitte? Was schreibt er da?

    „… dass wir Ihr Werk bei einer der Anstalten, mit denen wir zusammenarbeiten, platzieren können, da es nicht ins übliche Anforderungsprofil passt. Bitte lassen Sie sich nicht entmutigen…"

    Das kann nicht sein Ernst sein!

    Entgeistert prüfe ich die Betreffzeile der Mail: Doch da steht tatsächlich der Titel meines Drehbuchs. Und ich bin der Empfänger – ohne Zweifel! Diese Absage ist an mich gerichtet!

    Ich brauche ein paar Sekunden, um den Inhalt der Nachricht zu erfassen.

    Wie ist das möglich? Dieses Drehbuch, von dem ich hundertprozentig überzeugt bin und das alle Zutaten zu einem Straßenfeger in sich vereint, wird sang- und klanglos abgelehnt? Warum? Selbst wenn sich einem unbedarften Zuschauer die tiefenpsychologischen Momente nicht vollständig erschließen, so ist das Skript doch fast ein Thriller! Spannung pur!

    Wie betäubt lasse ich mich in meinen Schreibtischstuhl zurücksinken. Ach, du Scheiße! Und jetzt?

    Langsam dringt die Bedeutung der Mail in mein Bewusstsein, und was sie bedeutet, ist niederschmetternd! Die Absage konfrontiert mich unbarmherzig mit der Tatsache, dass ich trotz meiner Leidenschaft für Drehbücher und Theaterstücke und meine bisherigen kleinen Erfolge auf diesem Gebiet noch weit davon entfernt bin, aus meinem Hobby einen Beruf machen zu können. Hinzu kommt, dass das Geld, was ich mir zur Finanzierung meines Starts in die professionelle Drehbuchschreiberei zurückgelegt habe, nur noch ein paar Monate lang meine Ausgaben decken wird. Schon bald werde ich mir also eine andere Einkommensquelle suchen müssen, wenn es im Filmgeschäft nicht klappt. Und im Moment sieht es leider ganz danach aus!

    Wie Blei legt sich diese Erkenntnis auf meine Schultern. Was, wenn mein Lebenstraum platzt, noch bevor er richtig angefangen hat? Was, wenn ich das Schicksal so vieler ambitionierter Drehbuchautoren teilen muss, die sich ihre Leidenschaft für Filme mit Aushilfsjobs in der Spülküche, Taxifahren oder schlimmstenfalls mit schlecht bezahlten Nachhilfestunden für frustrierte Schüler finanzieren müssen? Was, wenn ich nun wie sie die Aussicht auf ein auskömmliches Leben mit meiner Kunst begraben muss?

    Entsetzlich!

    Ich muss zugeben, dass ich durch mein langjähriges Angestelltendasein mit geregeltem Einkommen hoffnungslos verwöhnt bin. Bei aller Leidenschaft für Bühne und Leinwand bezweifle ich, dass meine Liebe groß genug ist, um meinen nicht üppigen, aber durchaus komfortablen Lebensstandard zu opfern, um zukünftig in einer engen, feuchten Kellerwohnung zu hausen und bei trocken Brot und ab und zu einem welken Salatblatt Drehbücher zu verfassen, die kein Mensch lesen, geschweige denn verfilmen will. Ja, ich muss zugeben, dass ich nicht einmal schlecht bezahlte Aushilfsjobs als Zukunftsperspektive akzeptabel finde, nur um mich weiter der Illusion hinzugeben, irgendwann ein Drehbuch, welches die Grundlage für einen bedeutenden Filmklassiker schafft, an einen Sender verkaufen zu können. Also was soll ich jetzt tun? Ist es an der Zeit, mich von der Drehbuchschreiberei zu verabschieden und mich wieder einem regulären Broterwerb zuzuwenden, so wie in meinem früheren Leben?

    Meine Gedanken werden davon unterbrochen, dass mein Rücken schmerzt. Kein Wunder, so wie ich auf meinem Schreibtischstuhl zusammengesunken bin! Seufzend strecke ich meine Glieder und stehe auf. Ich muss nachdenken, und das kann ich am besten bei einem Becher Kaffee und einer Zigarette auf dem Balkon.

    Ich gehe in die Küche, wo der braune, bratensaftähnliche Sud schon seit mindestens zwei Stunden auf der Warmhalteplatte vor sich hin brüht, als ich ihn endlich erlöse und in meinen fröhlich gelben Becher gieße. Fröhlich ist mir selbst leider gar nicht zumute! Ich öffne die Balkontür, die von der Küche auf einen kleinen, mit schmiedeeisernem Gitter begrenzten Platz im Freien führt. Kaum mehr als ein winziger Bistro-Tisch und zwei zierliche Stühle passen hierher. Ich setze mich auf den einen von beiden, stecke mir eine Zigarette an und lege meine Beine auf dem Geländer ab, was mein Rücken wieder nicht so toll findet, aber da muss er jetzt durch: Nur eine Zigarettenlänge lang!

    Der Blick in die Ferne, knapp über die Dächer der umgebenden Häuser hinweg, beruhigt mich, sodass ich mich nach einigen Zügen von meiner Zigarette erneut auf meine Situation konzentrieren kann, um eine Lösung zu finden. Was soll ich tun? Soll ich wieder eine Anstellung in der PR- und Öffentlichkeitsarbeit eines Unternehmens suchen, ähnlich dem Job, den ich vor meinem Ausstieg innehatte? Der Gedanke liegt nahe, doch mit Freude erfüllt mich diese Perspektive nicht.

    Vor anderthalb Jahren habe ich noch so eine Stelle bekleidet. Die anfängliche Begeisterung für den Job war nach wenigen Jahren endgültig der Frustration gewichen – oder meiner Ankunft in der Realität, je nachdem, wie man es sehen will. Meine Ideen wurden nur allzu oft ausgebremst und stattdessen standen Intrigen unter Kollegen mehr und mehr auf der Tagesordnung. Spätestens nach der Fusion vor zwei Jahren, die mir einen neuen Chef, mit dem ich nicht warm wurde, neue Kollegen, die mich misstrauisch beäugten, und einen harten Überlebenskampf um die verbliebenen Aufgaben einbrachte, wurde es unerträglich. Eine kleine Erbschaft verschaffte mir gerade rechtzeitig den nötigen Freiraum, um mich von dieser ungemütlichen Situation zu verabschieden. Und was noch viel besser war: Sie verschaffte mir auch die Gelegenheit, einen lang gehegten Lebenstraum zu verwirklichen: endlich ein Drehbuch für einen richtigen Film zu schreiben!

    Damals, also vor anderthalb Jahren, hatte ich gerade meinen vierzigsten Geburtstag gefeiert und fand: Jetzt oder nie war der Zeitpunkt für eine berufliche Neuorientierung gekommen! Ich war noch jung genug, um etwas aufzubauen, ich war flexibel genug, um Neues zu lernen, und idealistisch genug, um mich auf ein Abenteuer einzulassen, von dem meine Eltern und Freunde kopfschüttelnd abrieten. Doch der Erfolg, gleich für das erste Drehbuch schon den Produzenten eines Filmstudios begeistern zu können, gab mir ja sogar recht!

    Zunächst jedenfalls.

    Dann jedoch war der erfolgte Absprung des Senders und damit die Beerdigung meines Films nicht nur für meinen Ehrgeiz eine Riesenenttäuschung, sondern auch für mein Bankkonto. Das Honorar, das ich für die Vorarbeiten, insbesondere die wegen der Änderungswünsche des Produzenten und der Fernsehredaktion notwendigen Überarbeitungen, erhalten hatte, reichte gerade so eben aus, mein finanzielles Polster zur Lebensunterhaltung für zwei zusätzliche Monate zu sichern.

    Doch nun neigen sich meine gesamten Ersparnisse dem Ende zu, und auf das Einkommen meines Lebensgefährten kann und will ich mich bestimmt nicht verlassen. Mich von einem Mann durchfüttern zu lassen, kommt nicht infrage! Schließlich sind wir nicht verheiratet und aus wirtschaftlichen Gründen würde ich ihn auch nicht an mich ketten wollen. Ich möchte meinen Liebsten als Partner und nicht als Versorger!

    Konstantin … ich lächele bei dem Gedanken an ihn. Seit sieben Jahren sind wir nun schon ein Paar und seit fünf wohnen wir sogar zusammen in dieser großen, wenn auch durch die Schrägen sehr ungünstig zu möbilierenden Dachwohnung. Konstantin ist die Liebe meines Lebens! Ein wahr gewordener Traum! Groß, blond, gesegnet mit dem Aussehen eines Unterwäschemodels und immer bestens gelaunt!

    Meistens jedenfalls.

    Na ja, in letzter Zeit eher selten.

    Das liegt jedoch nur an seinem Job, der momentan sehr belastend ist. Wenn sich ein wichtiges Projekt dem Ende neigt, dann steigt seine Anspannung ins Unermessliche, dann werden seine Arbeitstage immer länger und Konstantin immer wortkarger – bis der Auftrag endlich seinen guten Abschluss gefunden hat, der Druck von ihm abfällt und er wieder zum heiteren Sonnenschein wird!

    Doch dieses Mal ist es leider besonders schlimm. Das Projekt und die damit verbundene, nur mit viel Liebe zu ertragende schlechte Laune meines Gefährten scheinen kein Ende nehmen zu wollen. Seit Monaten schon befindet Konstantin sich im Ausnahmezustand, ist oft abwesend, gereizt und wortkarg.

    Seufzend nehme ich einen Zug von meiner Zigarette. So richtig gut läuft es gerade bei uns beiden nicht. Ob es jemals wieder bessere Zeiten geben wird?

    „Hanna, du bist undankbar!"

    Kopfschüttelnd rufe ich mich zur Besinnung. Schließlich habe ich den Mann meines Lebens an meiner Seite. Wir wohnen zusammen, sind gesund und Geld ist auch genügend da. Okay, bei mir wird’s langsam eng, aber dann muss ich mir eben wieder einen normalen Job suchen. Stücke schreiben kann ich schließlich auch weiterhin, wenigstens ein bisschen, soweit es mein zukünftiger Broterwerb zulassen wird.

    Ich seufze noch einmal und nehme einen weiteren tiefen Zug von meiner Zigarette. Tränen steigen mir in die Augen. Ärgerlich darüber, so nah am Wasser gebaut zu haben, zwinkere ich sie weg. Doch dann gesellt sich zur Trauer ein flaues Gefühl im Magen. Die ungewisse Zukunft macht mir zu schaffen. Viel Zeit habe ich nicht mehr bis zum erzwungenen Abbruch meines Experiments. Und kann ich überhaupt davon ausgehen, eine Stelle in meinem angestammten Beruf zu finden? Heutzutage? Mit über vierzig?

    Mir wird noch ein bisschen flauer im Magen. Was, wenn tatsächlich nur das Taxi bleibt? Oder die Nachhilfe?

    Ich schüttele mich. Dann lieber Tellerwäscher in der Spülküche. Da habe ich wenigstens die Chance, den Beruf eines Millionärs von der Pieke auf zu lernen!

    Meine Zigarette ist zu Ende. Ich stecke mir eine neue an und zwinge mich dazu, jetzt sofort eine Lösung für das Problem zu finden, wie ich meine Zukunft sichern kann! Leider führt dieses Ansinnen nur dazu, dass sich erneut angstvolle Visionen vor meinem geistigen Auge auftun, die immer wieder damit enden, dass ich ein kärgliches Lager unter einer zugigen Brücke beziehe ...

    Schluss jetzt!

    Ich ziehe die Notbremse und mein Gedankenkarussell kommt zum Stehen. Unwillkürlich schüttele ich mich, um die deprimierenden Bilder meiner Zukunft loszuwerden. Dabei erwacht mein Widerspruchsgeist. Wer sagt denn bitteschön, dass ich mich von nun an mit Aushilfsjobs herumschlagen und meinen Traum, als Drehbuchschreiberin zu arbeiten, begraben muss? Wer? Und vor allem warum? Schließlich kann ich Drehbücher entwickeln, und das gar nicht mal so schlecht! Hat nicht das sogar der Producer in seiner Absage bestätigt? Sprach er nicht von ausdrucksstarken Charakterbeschreibungen, treffsicheren Dialogen und einem konsequenten Aufbau „… wie wir es von Ihnen nicht anders gewohnt sind…"? Klingt so die Reaktion auf ein Drehbuch, die es nahelegt, nie wieder eines zu schreiben? Und außerdem: Wenn der Stoff von mir professionell umgesetzt wurde – was genau ist dann falsch an dem Skript? Wieso wurde es überhaupt abgelehnt?

    Ich versuche mich daran zu erinnern, ob diesbezüglich etwas in der Mail stand, aber an eine Begründung kann ich mich nicht entsinnen.

    Plötzlich kommt Leben in meinen zusammengesunkenen Körper. Mein Rücken strafft sich, ich nehme meine Beine vom Geländer, stelle meine Füße fest auf den Boden des Balkons und merke, wie meine Verzagtheit weicht. Warum soll ich mich entmutigen lassen von dieser Absage, wenn ich erklärtermaßen gute Drehbücher verfasse, von denen eines sogar fast schon mal zu einem Fernsehfilm wurde? Und was genau passt an einem Drehbuch nicht, wenn es doch angeblich so gut ist, dass der Film bereits beim Lesen vor dem geistigen Auge entsteht?

    Ich habe keine Ahnung. Aber ich werde es herausfinden! Und dazu werde ich wohl mal mit diesem Herrn Hansen von Friedberts Filmfabrik sprechen müssen. Der kann mich doch nicht einfach mit einer Standard-Absage abspeisen. Unmöglich! Die Mühe wird er sich schon machen müssen mir mitzuteilen, warum das Drehbuch nicht „ins Anforderungsprofil" passt!

    Meine Zigarette ist erst zur Hälfte geraucht, doch diese Angelegenheit duldet keinen Aufschub. Energisch drücke ich die Fluppe im Aschenbecher aus, nehme meinen Becher mit in die Küche, schütte den ungenießbaren Rest von dem, was einmal Kaffee war, in die Spüle und schreite zur Tat, beziehungsweise in mein Arbeitszimmer, wo das Telefon auf meinem Schreibtisch darauf wartet, für Klarheit zu sorgen.

    Ich unterbreche den Ruhemodus meines Rechners, indem ich den Bildschirmschoner mit der Maus zur Seite schubse. Dahinter zeigt sich sogleich die niederschmetternde Mail von Herrn Hansen. Noch einmal überfliege ich das vermaledeite Dokument, doch keine andere Nachricht als die bereits vernommene offenbart sich mir: Es ist immer noch eine Ablehnung meines Skripts. Und noch immer finde ich keine Begründung dafür!

    Nach dem dritten Klingeln wird am anderen Ende der Leitung abgehoben.

    „Hansen", ertönt die Stimme des Producers.

    Besonders zugänglich hört er sich nicht an, finde ich. Ich denke mit Sehnsucht an seine Vorgängerin. Vermutlich wäre das alles nicht passiert, wenn ich weiterhin mit Brigitte zu tun gehabt hätte. Vermutlich? Ganz sicher sogar! Brigitte hatte schließlich ein Händchen für Qualität! Und dieser Herr Hansen – wer ist das überhaupt? Wahrscheinlich nur der Praktikant vom Praktikanten, der auch einmal ein Drehbuch anfassen darf!

    Ich fange an, Herrn Hansen nicht zu mögen, doch das muss warten. Schließlich, denke ich, sollte ich jetzt etwas sagen – vermutlich wartet er darauf.

    „Hanna Wupper, flöte ich ins Telefon. „Ich habe gerade Post von Ihnen bekommen.

    Ich meine ein Seufzen durchs Telefon zu hören, aber vielleicht täusche ich mich.

    „Guten Tag, Frau Wupper, höre ich ihn nach einer kurzen Pause sagen. „Es tut mir leid, dass wir Ihnen keine günstigere Antwort geben konnten.

    Sie konnten mir keine günstigere Antwort geben", verbessere ich ihn und betone damit, dass ich ihn und nicht das gesamte Filmproduktionsunternehmen für die Absage verantwortlich mache. Dann fällt mir ein, dass das vermutlich nicht ganz fair ist. Hat seiner Mail nach nicht das ganze Team über das Drehbuch diskutiert?

    „Doch deswegen rufe ich nicht an. Oder eigentlich doch, ich verhaspele mich, „also nicht wegen der Absage an sich, sondern wegen der Begründung. Die fehlt mir nämlich!

    Erneut meine ich ein nur unzureichend unterdrücktes Seufzen zu hören, und ich kann ihn verstehen. Mag sein, dass sogar Herr Hansen manchmal ein ganz netter Mensch ist und lieber Zu- als Absagen verteilt. Aber darauf kann ich jetzt keine Rücksicht nehmen, denn schließlich höre auch ich lieber Zu- als Absagen! Und da ich vorhabe, auch zukünftig Drehbücher zu schreiben, ist mir nun einmal daran gelegen zu verstehen, warum mein neuestes abgelehnt wurde. Wieder einmal!

    „Liebe Frau Wupper, es tut mir wirklich leid, aber wie ich Ihnen bereits mailte, können wir … und ich natürlich

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