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Kandenberg-Alt Schmiede
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eBook258 Seiten3 Stunden

Kandenberg-Alt Schmiede

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Über dieses E-Book

Der Terrier möchte nur mit seinen studentischen Freunden Lion und Astra feiern. Dabei kann er aber kaum die Augen von Elif lösen. Zu viert schweben die Freunde durch die magische Altstadt von Kandenberg. Bis die tolle Partynacht ein überraschendes Ende findet.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum14. Nov. 2021
ISBN9783754175903
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    Buchvorschau

    Kandenberg-Alt Schmiede - Johannes Irmscher

    Inhalt

    Das Treffen

    Januar, Studentenwohnheim. Das kleine Zimmer wurde von einer Deckenlampe ausgeleuchtet. Die Jalousie war vor das Fenster gezogen. Das Bett, der Schrank, der Schreibtisch und die Wände waren weiß und an einigen Stellen befleckt. Das grelle Licht schien die Unreinheiten noch zu betonen. Auf dem Boden lagen ein paar Chipstüten, mehrere Stifte und Blätter. Auf dem Fernseher neben dem Bett versuchte Gabriel Jesus seine Freundin anzurufen, niemand ging ran.

    „Scheiß auf WL!"

    Terrier hätte seinen Controller gerne durch den Raum geworfen. Doch er hatte nur noch den Einen, da konnte er nichts riskieren, außerdem war die Wahrscheinlichkeit, in diesem kleinen Zimmer den Bildschirm zu treffen, ziemlich hoch. Und für einen neuen Fernseher reichte sein Bafög erst recht nicht aus. Er begnügte sich damit, seinen Gegner mit grenzwertigen Beleidigungen zu überhäufen. Sein Team trug das Wappen von ADO Den Haag. Vier Minuten Nachspielzeit wurden angezeigt und Butland fing gerade zum achten Mal einen Kopfball seines Verteidigers auf. Der Schiedsrichter pfiff ab.

    „Ja der dumme Spasti, ey!"

    Terrier schaltete die PlayStation aus. Er schaute auf die Uhr und merkte, dass er spät dran war. Terrier hatte eine unwahrscheinlich große Armbanduhr mit einem schwarzen Lederarmband. Wenn es bei einem Gespräch um Uhren ging, war er nie zu spät. Er konnte Stunden über das Ticken reden. Irgendwann verkrümelte er sich immer mit Astra in eine Ecke und redete über Uhren.

    Er nahm sich noch eine Gabel Nudeln und stellte den Teller dann neben den Fernseher. Der grüne Pesto klebte am Rand. Dort wurde er fest. Auch wenn das Fifaspiel etwas anderes vermuten ließ, war kulturelle Sensibilität für den Terrier ein Thema. Aus dem Nutellastreit hielt er sich trotzdem heraus. Er mochte Schokolade ohnehin nur aus dem Kühlschrank.

    Um in das Bad zu gelangen, musste er aufpassen nicht zu stolpern. Er tat einen großen Schritt und lehnte sich dabei schon beinahe an die Flurtür. An der Badtür hing eine angeklebte Leiste mit zwei Jacken. Er legte sein Portmonee und eine Kaugummipackung in die Außentaschen, dann ging er in das Bad. Ganz im Gegensatz zu seiner Bude, waren die weißen Fliesen, die ebene Dusche und der Spiegel blitzblank geputzt. Er hatte sich schon umgezogen, aber merkte, dass auf seinem T-Shirt ein grüner Fleck war. Er zog es aus, beugte sich nach hinten und warf es auf das Bett. Die Runde Fifa hatte ihn ein bisschen schwitzen lassen und so sprühte er sich Deo unter die Achseln. Er bekreuzigte sich mit Parfüm.

    Terrier nahm ein anderes T-Shirt aus seinem Schrank, es war dem Trikot eines Basketballteams nachempfunden. Bevor er es anzog, stellte er sich noch einmal vor den Spiegel und ließ beim Zähneputzen die Brustmuskeln wackeln.

    Seine Haare musste er nicht richten. Vor drei Tagen war er beim Barbier gewesen und hatte sich zum ersten Mal die Haare ganz kurz schneiden lassen. Bart und Haupthaar hatten jetzt fast die gleiche Länge. Nur unter der Nase ließ er die Haare ein bisschen stärker sprießen. Terrier war auf seinen Bart besonders stolz. Bis auf ein paar Stellen unter dem Kinn, war er lückenlos. Er holte gerade die Jacke vom Haken und wollte in den Flur hinaustreten, als er jedoch Stimmen hörte, verharrte er mit der Türklinge in der Hand in seinem Zimmer. Das Studentenwohnheim war natürlich ein Ort für zufällige Begegnungen, aber die Leute aus seiner Etage mochte der Terrier nicht. Die Stimmen verstummten und er trat hinaus in den Flur. Sein Schlüsselbund klapperte fast gar nicht, da an dem Ring nur ein einziger Schlüssel befestigt war.

    Terrier wohnte in der ersten Etage des Studentenwohnheims. Das Treppenhaus befand sich in der Mitte und wurde von einer gläsernen Decke begrenzt, an ihr hingen Kunstobjekte. Große, glitzernde Lampen und Bälle. Die Treppen waren breit. Auf der Stufe zwischen dem Erdgeschoss und der ersten Etage lag der Partyraum. An der hölzernen Tür klebte ein Zettel: „Ab 20:00 Uhr reserviert für Geburtstagsparty."

    Es war gerade 19:00 Uhr. Aus dem verschlossenen Aufenthaltsraum drangen bereits ein paar Stimmen, leise Musik und Gläsergeklapper. Der Terrier war nicht zu der Feier eingeladen. Er ging die zweite Treppe hinunter und schaute in seinem Briefkasten nach Post. Auf dem Boden lagen Werbeprospekte für ein Möbelhaus und viele Pizzagutscheine. Dann öffnete er die große Eingangstür und trat in den warmen Winterabend. Der Eingang des Studentenwohnheims war höher gelegen und auf einem Podest neben der Tür saßen zwei rauchende Studenten. Terrier wäre fast an ihnen vorbeigelaufen, wurde dann aber bei seinem Namen gerufen.

    „Hey Curry, hab dich gar nicht erkannt", entschuldigte er sich.

    Er kannte Curry nur bei dessen Spitznamen. Den hatte er durch seine legendären Bierpongauftritte verdient. „Curry the sniper". Für diesen Mann waren perfekte Runden keine Seltenheit. Der Terrier sah Curry selten außerhalb des Partyraumes. Er kannte nicht nur seinen richtigen Namen nicht, sondern wusste auch nicht, was Curry studierte.

    Currys Kumpel stellte sich vor, aber der Terrier vergaß seinen Namen in dem Moment, in dem er ausgesprochen wurde.

    „Was geht heute Abend bei dir?", fragte Curry.

    „Ich geh jetzt in die Stadt zum Vorglühen und danach gehen wir ins Sägewerk feiern."

    „Nice. Wir haben auch überlegt, ob wir nachher noch hingehen."

    „Seid ihr beim Geburtstag?"

    „Jo."

    „Na dann viel Spaß, man sieht sich."

    Der Terrier ging nickend das Podest hinunter. Ein kleiner Pfad führte zum Gehweg. Diesen Winter hatte es wieder nicht geschneit. Doch dafür sehr viel geregnet. Der Weg war gesäumt von Pfützen und der Terrier musste aufpassen, seine weißen Schuhe nicht zu beschmutzen. Der Gehweg führte entlang einer großen Straße, die man auch am Abend nur an der Ampelkreuzung sicher überqueren konnte. Außerdem war am Ende der Straße die Polizeistation von Kandenberg. Die wachsamen Augen des Staates schauten auch auf diese Kreuzung. Der Terrier beobachtete einen unauffälligen Opel Astra, der über die gelbe Ampel fuhr. Sein Blick wanderte ihm nach und er sah, wie das Auto in die Einfahrt des blau angestrichenen Gebäudes fuhr. Terrier erinnerte sich, dass er einmal in der Polizeistation gewesen war. Als Zeuge für eine Schlägerei. Die Vorladung hatte ihm einen freien Tag beschert.

    Mit Elif war er vor die Tür des „Sägewerks gegangen, sie wollte eine Zigarette rauchen. Der Raucherraum im Club hatte ihr den Atem geraubt. Das „Sägewerk war einer von drei Clubs in Kandenberg und lag sehr zentral in der Altstadt, unweit vom Bahnhof. Der Terrier hatte damals gehofft eine Kusschance zu bekommen. Stattdessen küsste ein junger Partygast den Boden. Die Rollsplittsteinchen klebten an seiner aufgeplatzten Lippe. Dann wurde viel geschrien. Der Türsteher war klein. Ohne die Tätowierungen hätte er harmlos ausgesehen. Er wollte den blutenden Partygast nicht so derb schubsen, aber nun war es passiert und er konnte keinen Rückzieher mehr machen. Dafür schauten zu viele zu. Terrier wäre normalerweise nicht zwischen die beiden Streithähne gegangen. Das tat er nur, weil Elif da war und er sie beeindrucken wollte. Mit dem rechten Arm drückte er den kleinen Türsteher weg und mit dem Linken den Partygast. Er spürte wie eine Faust sein Ohr traf. Es tat nicht besonders weh. Das hätte es auch im nüchternen Zustand nicht. Aber Betrunkene mit viel Adrenalin sind quasi unverwundbar. Und wenn die Kraft eines Balzversuches die Muskeln stärkt, lächelt man so eine Faust locker weg.

    Der Terrier hatte an diesem Abend zwar seine Uhr dabei, aber das Zeitgefühl verloren. In seiner Erinnerung kamen die Polizisten allerdings ziemlich schnell. Auch ein Krankenwagen fuhr vor das „Sägewerk". Die blauen Lichter blendeten ihn und er suchte nach Elif. Die war bereits wieder die Treppe des Clubs hinunter gegangen. Der Terrier stand alleine neben Polizisten vom doppelten Türsteherformat. Er wurde befragt und sollte seine Personalien angegeben. Der blutende, junge Mann wurde mit dem Krankenwagen in das Krankenhaus gefahren. Dann löste sich der Menschenpulk vorm Club auf und die aufgehende Sonne stahl den Blaulichtern die Show. Der Terrier schaute auf seine Uhr. Er stellte fest, dass es an der Zeit war ins Bett zu gehen.

    „Du bumst heute nicht mehr", sagte er sich.

    Wenn man heimkommt und es schon wieder hell wird, kann das auch ganz schön scheiße sein. Der Tag hat schon begonnen und man selber muss jetzt schlafen gehen. Die zwitschernden Vögel lachen einen aus, weil man allein in Richtung Studentenwohnheim geht.

    Heute würde der Terrier nicht alleine nachhause gehen, das schwor er sich, obwohl er sein Zimmer nicht aufgeräumt hatte.

    Der Terrier ging über die Straße und das Polizeigebäude verschwand aus seinem Blickfeld.

    Die Straße, auf der er jetzt lief, führte lange gerade aus, hinein in die Stadt. Doch zunächst über zwei Brücken. Unter einer der Brücken war ein Flüsschen und unter der anderen der ausgetrocknete Stadtgraben. Die Stadtmauer war nicht mehr erhalten. Die moderneren Häuser wichen Umgebinde- und Fachwerkhäusern. Von, mit schwarzen Fensterläden umrahmten, Glasscheiben reflektierte das Licht der Straßenlaternen und blendete in den Augen des Terriers. Der junge Mann benötigte eigentlich eine Brille. Vorhin beim Zocken hatte er diese auch noch aufgehabt, doch damit feiern gehen wollte er nicht. Den Weg kannte er gut genug, um ihn blind ablaufen zu können. Er war nur zwanzig Kilometer von Kandenberg entfernt aufgewachsen. Mit seinen Eltern war er nicht oft hier gewesen, aber doch schon ab und zu. Kandenberg war auf jeden Fall eine Reise wert. Aber nach einem Wochenende hatte man alles Sehenswerte gesehen. Doch selbst wenn Terrier die Strecke nicht schon auf einem Dreirad abgefahren wäre, hätte er den Weg gefunden. Denn schließlich war das der schnellste Weg in die Altstadt und da es nur dort Möglichkeiten gab auszugehen, war es die Pilgerstrecke durstiger Studenten.

    Der Terrier sah die Umrisse eines Kinderwagens. Er blieb stehen und ließ die Frau passieren. Der Weg war so schon eng und wurde dazu noch von einem E-Roller versperrt. Die Frau lächelte ihn an. Wenn die Gesichter nah waren, erkannte er sie. Probleme hatte er nur bei Sachen auf langer Sicht. Er wollte nicht wissen, wie oft ihn schon der Ruf eines arroganten Sacks angehängt wurde. Terrier, der Nichtzurückgrüßende. Aber was sollte er denn auch machen, wenn er sie einfach nicht sah? Nicht für jeden Menschen haben Bäume Blätter.

    Die hölzernen Stämme am Rand der Straße waren noch überraschend dick angezogen. Der Terrier kniff die Augen zu und meinte sogar einzelne Blüten an den Bäumen zu erkennen. Bunt und Grün waren verschieden. Er machte sich Sorgen, um die Pflanzen. Ein plötzlicher Kälteeinbruch und sie würden hart getroffen werden.

    Die Sonne war schon lange unter gegangen, aber es war immer noch warm. Viel zu warm. Bestimmt um die elf Grad Celsius und das in einer Januarnacht. Der Terrier musste den Reißverschluss seiner Jacke aufmachen. Er versuchte nun das Tempo seiner Schritte zu drosseln, um nicht ins Schwitzen zu geraten.

    Eine Runde Fifa, ein zehnminütiger Spaziergang oder ein Gespräch mit Elif; der Terrier kam immer schnell ins Schwitzen und das, obwohl er sportlich war.

    Auch wenn er nicht wusste, dass Blätter am Baum schön aussahen, war ihm die Natur sehr lieb. Trotzdem konnte er nicht mit dem Rad zur Uni fahren. Denn egal, ob es fünf oder fünfzig Minuten wären; der Terrier würde schwitzen.

    Manchmal wünschte er sich ein Raucher zu sein. Dann hätte er nicht nur einen Grund mit Elif vor die Tür zu gehen, dort, wo bekannterweise die besten Gespräche stattfanden, sondern auch einen Grund, um mal eine Pause einzulegen. Sich mal hinzusetzen. In Kandenberg gab es zwar kaum Rentner, dafür aber viele Sitzmöglichkeiten. Dabei gab es in Deutschland eigentlich immer viel zu wenig Sitzmöglichkeiten gab. Sitzmöglichkeiten und öffentliche Frauentoiletten, daran mangelte es in Deutschland am meisten. Doch das war den Terrier egal, denn er rauchte ja nicht und musste an den Betonblöcken nicht stehen bleiben. Gewürfelte Privilegien aus gezinkten Bechern.

    Hinter den zwei Blöcken, auf deren Kopf jeweils drei Holzleisten eingelassen waren, erhob sich das Kandenberger Stadtmuseum. 2014 wurde es erneuert und dementsprechend hässlich sah es aus.

    Eine überdimensionale Glasfensterwand zog sich quer über zwei Altbauhäuser. Stärkere Disharmonien als beim Kurzhanteltraining des Terriers.

    Die Straße machte dann eine leichte Linkskurve, vorbei an einer Grundschule. Die Rollläden waren natürlich schon nach unten gezogen. Schließlich war der Sandmann schon in den Wohnzimmern gewesen und am Wochenende gehörten die Kinder noch mehr als sonst auf die Spielplätze und nicht auf die Schulbänke. Die Straße kreuzte und Terrier musste an der nächsten roten Ampel warten. Er hielt Abstand zu seinen Vordermännern, die ihm mit der lauten Musik und den Bierflaschen in der Hand etwas suspekt vorkamen. Nur deshalb ließ er seinen Blick wandern und entdeckte, dass im zweiten Stock der Schule noch ein Licht brannte. Der Terrier kniff wieder die Augen zusammen, versuchte etwas zu erkennen. Schemenhaft meinte er eine Person durch den Raum flitzen zu sehen. Ob es sich dabei um einen Mann oder um eine Frau handelte, konnte er nicht erkennen. Dass es eine Rolle spielen würde, glaubte er nicht. Abgelenkt von dem Schattenspiel verpasste er die Grünphase. Die leiser werdende Musik war ihm nicht aufgefallen. Ein Opel hupte, da war es aber schon wieder Rot.

    „Na, hätte er sich auch sparen können", dachte sich Terrier.

    Er stand jetzt immer noch an der Ampel, diesmal weiter vorne und wartete auf die zweite Grünphase, weil er ein Trottel war. Er schaute sich in der Sorge um, dass auch andere das mitbekommen hatten. Nun ließ er den Blick nicht wandern. Konzentriert wie ein Pferdemädchen in der Grundschule auf der anderen Straßenseite, schaute er auf die Ampel. Es wurde Grün. Der Lichtkegel harmonisierte mit den Weihnachtskränzen, welche ab hier, an jeder Straßenlaterne angebracht waren.

    Hinter der Kreuzung begann die Einkaufsstraße von Kandenberg. Überraschend viele Läden hatten sich gehalten und dem Internetbestellmarkt getrotzt. Darunter waren nach der Meinung des Terriers auch richtig unnötige Ramschläden, die sich auf Sachen wie Regenschirme, Socken oder Einlegesohlen aus kubanischen Zwergwachtelfell spezialisiert hatten.

    Der Terrier wusste nicht einmal, wo Kuba lag. Zwergwachteln mochte er jedoch, besonders die viereckigen. Bei denen musste man nie Angst haben, dass sie zur Seite fielen.

    Über den Läden waren Wohnungen mit winzigen Balkonen. Der Straßenzug war sehr eng und schien auch bei diesem unzauberhaften Wetter etwas Märchenhaftes zu haben. Die Mülleimer waren alle halbvoll und nichts lag auf der Straße. Die Jungs von der Ampel hatten ihre Bierflaschen in die Metallkörbe um den Korb gestellt, denn Pfand gehörte daneben. Der Terrier nahm sich einen Kaugummi aus seiner Jackentasche und blieb in der Mitte der Einkaufspassage stehen. Dann zog er sich die Kopfhörer aus dem Ohr und dachte, in einem kurzen Schockmoment, er hätte die mobilen Daten nicht ausgemacht, denn seine heruntergeladenen Lieblingssongs unterschieden sich von der Playlist „Deutschrap Royal", im Wesentlichen nur in einmal Phil Collins.

    Auf der rechten Seite war das Haus, zu dem er wollte. Er steckte sich den Kaugummi in den Mund und streckte den linken Arm zum Klingeln aus. Dabei bemerkte er, dass seine Uhr zwei Stunden nachging.

    Um 17:20 Uhr stand Elif noch unter der Dusche. Obwohl das Bad recht groß war, bot es einige Tücken. Selbst wenn das Fenster geöffnet war, staute sich die warme Luft in dem Raum. Gerade wenn man so lange und so heiß wie Elif duschte, verwandelte sich das Bad in eine kleine Sauna und dementsprechend rutschig wurden die weiß-schwarzen Fliesen. Elif hob das Bein. Sie stieg mit ihrem Fuß auf das Handtuch am Boden. Da die Dusche nicht eben war und einen sehr hohen Einstieg hatte, war der zweite Schritt der gefährlichste. Doch gekonnt und geübt hob sie auch das rechte Bein. Mit einem Handtuch aus ihrem Riminiurlaub trocknete sich Elif ab. Darin eingewickelt öffnete sie vorsichtig die Badtür. Davor saß Theodor Tatze, der Kater ihrer Mitbewohnerin. Er wedelte mit dem Schwanz und schob sich miauend um die Beine von Elif. Die vergewisserte sich, dass Hanna mit ihrem Freund auf ihrem Zimmer war, bevor sie den Flur runter flitzte.

    Elifs Zimmer war dreimal so groß, wie die ganze Bude des Terriers. Nun bildeten achtundvierzig Quadratmeter keine Luxuswohnung im eigentlichen Sinne, in Kandenberg war das aber trotzdem kaum zu bezahlen. Deshalb war Elif froh, spendierfreudige Eltern zu haben.

    Ihr Fenster zeigte hinaus zur Einkaufspassage. An den Straßenlaternen hingen Weihnachtskränze. Ein paar Nadeln fielen bereits ab. Sie wurden nicht mehr vom Kleber gehalten. Vor dem Fenster stand ihr Schreibtisch. Einen Stuhl hatte und brauchte sie nicht. Sie stand gerne beim Lernen und Arbeiten. „Das sei gut für den Rücken", sagte sie immer. Sie nahm das Handtuch ab und legte es über den Sessel vor ihrem Fernseher. Hanna und sie hatten auch eine Couch, aber die stand vor dem großen Fernseher im Wohnzimmer.

    Sie schaute noch einmal auf ihren Schreibtisch. In der Mitte lag ihr MacBook, rechts daneben stand ein Drucker und links waren in Fächern Ordner verstaut. Stifte hatte sie auf ihren Schreibtisch keine. Sie strich sich mit der Hand über ihren unteren Rücken und spürte wie die Muskelstränge ein Tal bildeten. Die Verstellmechanismen des Schreibtischs funktionierten bestimmt gar nicht mehr.

    Elif wollte sich gerade eincremen, da miaute es wieder hinter ihr. Für sie blöderweise, hatte ihre Zimmertür Milchglas in der Mitte. Stand man im Flur, konnte man ihre Umrisse schemenhaft erkennen. Stand man wie sie, in ihrem Zimmer, konnte man erkennen, wie Theodor Tatze vor der Tür wartete. Elif öffnete die seitlich angebrachte Katzenklappe. Der Kater sprang auf das Bett.

    Elif machte mit ihrem Handy Musik an, um die Kratzgeräusche von Hanna zu übertönen. „Deutschrap Klassik" hörte sie da viel lieber. Theodor schien es da ähnlich zu gehen, er kringelte sich auf dem Kopfkissen ein, machte die Augen zu. Elif konnte sich nun ungestört umziehen. Dann setzte sie sich noch kurz zu dem schlafenden Tier.

    „Theodor, kann ich so gehen?", fragte Elif.

    Theodor antwortete nicht, da er vom Ausgehen keine Ahnung hatte und ihm der rote Pullover nicht gefiel. Seine Freiheit endete auf dem großen Balkon an der Küche.

    Die Küche war ein länglicher Raum, ohne Sitzmöglichkeiten. Elif, Hanna und deren Freund Mark aßen bei schönem Wetter auf dem Balkon. Ansonsten vor dem großen Fernseher im Wohnzimmer. Elif kramte etwas aus ihrer Jackentasche. In ihrem Zimmer hatte sie einen Hutständer zu einer Jackengarderobe umfunktioniert. Hanna und sie gingen an den Wochenenden gerne auf Flohmärkte. Hinter der Polizeistation gab es eine große Halle. Früher gehörte sie der Schuhfabrik von Kandenberg, doch die war schon vor der Jahrtausendwende pleite gegangen. Dann stand die Halle lange leer und wurde erst 2013 restauriert. Nun fanden dort verschiedene Veranstaltungen statt, unter anderem auch Flohmärkte. Hanna und Elif waren schon ein paar Mal dort gewesen und wussten nicht, dass es eine ehemalige Schuhfabrik war. Der Schriftzug aus Eisenlettern über dem mächtigen Torbogen war entfernt wurden. Da sie beide nicht aus Kandenberg kamen, kannten sie die alten Geschichten nicht und deuteten die ungesagten Worte um. Erst ein Instagrampost der Stadt hatte sie darauf aufmerksam gemacht. An dem Tag, an dem Elif den Hutständer gekauft hatte, wurden sie das erste Mal von Mark begleitet. Der bekam dann auch gleich die Aufgabe, den schweren Gegenstand in die Wohnung zu tragen. Einwände hatte er keine. Die Felljacke, aus der Elif gerade ihre Zigarettenschachtel zog, hatte sie auch dort gekauft. Das war allerdings ein spezieller Flohmarkttag gewesen. Auf den Tischen waren nur Frauenkleider ausgelegt. Elif konnte sich noch erinnern, dass Mark, als Begleitung von Hanna, der so ziemlich einzige

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