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AugenblickeWortlos
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eBook359 Seiten3 Stunden

AugenblickeWortlos

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Über dieses E-Book

Es ist unmöglich, das Leben und die Persönlichkeit eines Menschen in ihren unendlich vielen Facetten in einer Niederschrift festzuhalten. Warum ich es dennoch versuche? Weil mich meine Frau sehr beeindruckt hat und ich ihr damit vielleicht ein kleines, bescheidenes Denkmal setzen kann. Weil ich nicht will, dass sie vergessen wird. Ich habe es ihr versprochen. Es ist ein Stück Erinnerung für mich…

Dieses Buch handelt von einer Reise in den Tod, und wieder zurück in das Leben. Es ist ein Stück vom Himmel, ein Tagebuch, ein Erfahrungsbericht über unseren Weg mit der Diagnose Darmkrebs, und eine Biografie, aber auch eine Liebeserklärung an einen Menschen der mir alles auf der Welt bedeutet.
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum30. Juni 2020
ISBN9783752969832
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    Buchvorschau

    AugenblickeWortlos - Carsten Nichte

    Teil I

    Deine Geschichte

    1

    Rückblende

    Unsere Reise beginnt mit einer kurzen Rückblende. Am 12. Februar 2005 ist Claudia mit einer Nierenbeckenentzündung krank. In der Nacht von Samstag dem 19. auf den 20. Februar feierten wir im Gemeindehaus Voiswinkel im Kirchweg 5 ausgelassen mit über 50 Gästen den vierzigsten Zwillingsgeburtstag von Claudia und Ella. Am Donnerstag, dem 31. März, ist ein Termin bei Dr. Anand im Kalender notiert.

    Alle anderen Termine an diesem Tag sind abgesagt. Ein weiterer Termin steht am Dienstag, dem 19. April. Claudia klagte seit geraumer Zeit über Durchfall, der nicht in den Griff zu bekommen war. Zunächst waren die üblichen Verdächtigen im Visier: Darmgrippe, Magenverstimmung, irgendeine Infektion, und so weiter. Die Symptome verschwanden aber nicht, sondern wurden trotz verschiedener Medikamente unerträglicher. Wenn man wochenlang Durchfall hat, zehrt das an der Substanz. Irgendwann sollte eine Darmspiegelung durchgeführt werden. Es war nicht so einfach, schnell einen Termin für eine solche Untersuchung zu bekommen. Im evangelischen Krankenhaus klappte es aber dann doch kurzfristig.

    Donnerstag, 21. April 2005

    Unsere Stunde null beginnt am 21. April 2005 mit dem Tag der Darmspiegelung im EVK in Bergisch Gladbach, und der Diagnose durch Dr. Kaminski. FAP nennt sich der Hammer, der auf den Amboss haut, auf dem dein Leben liegt. Genauer gesagt: familiäre adenomatöse Polyposis, oder schlicht Darmkrebs im Stadium vier. »Bereiten sie sich darauf vor, sie werden sterben. Ohne Chemotherapie schon in ein paar Monaten«, sagt der Arzt ohne Umschweife. Das ist nicht, was wir erwartet haben. Es ist wie ein unvermittelter Schlag ins Gesicht, macht uns sprachlos, und fühlt sich an, als ob wir vor eine Wand laufen. Taubheit beginnt uns zu füllen. Erste Risse bilden sich in unserer Welt.

    FAP ist eine vererbte Krankheit. Es beginnt mit einem Polypenrasen im Darm, der im Laufe des Lebens irgendwann, langsam aber unaufhaltsam zu Krebs mutiert. Bei Claudia nennt sich das »heterozygote Detetion von 2 Nukleotiden in Codon 1250 des APC-Gens«. Die Bezeichnung der Mutation lautet c.3749_3750delAA in Codon 1250. Sie führt zu einer Verschiebung des Leserasters. Nach 4 falschen Aminosäuren kommt es zu einem vorzeitigen Stop-Codon und somit zur Bildung eines verkürzten, nicht funktionsfähigen APC-Proteins. Eine kühle Beschreibung für einen todbringenden Zustand.

    Die Polypen, und der irgendwann daraus resultierende Krebs, entwickeln sich extrem langsam, aber unaufhaltsam. Die einzige Rettung besteht derzeit in der frühzeitigen Entfernung des Dickdarms, was das Krebsrisiko nicht ausschließt, aber auf rund 50 % reduziert. Für Claudia kommt diese Erkenntnis zu spät, viel zu spät. Bei ist er irgendwann im Frühjahr/Sommer 2004 unbemerkt ausgebrochen.

    Ein Foto von Claudia an der Haustüre vom 26. Mai 2005

    Nach der Diagnose Darmkrebs wurden zusätzlich Lebermetastasen festgestellt. Kurze Zeit später kamen die Ärzte zu dem Schluss, es handelt sich doch nur um harmlose Blutschwämmchen. Tage später wurden die Lebermetastasen dann doch bestätigt. Das war eine Achterbahn der Gefühle. Am 11. Mai 2005 erfolgte eine Operation, in welcher der Dickdarm entfernt wurde. Es hieß »dauert die Operation nur kurz, ist das ein schlechtes Zeichen. Dauert sie lange, dann wird übergangsweise ein künstlicher Darmausgang gelegt, und das ist ein gutes Zeichen«.

    Ich saß den ganzen Vormittag während der Operation im Warteraum, und zählte die Stunden. Nach rund sieben Stunden war das Warten vorbei: »Lange Operationsdauer, alles wird gut« dachte ich. Aber meine – unsere – Hoffnung wurde enttäuscht. Trotz der langen OP-Dauer hatte sie keinen künstlichen Darmausgang bekommen. Während der Operation wurde die Leber nochmals abgetastet und die Tumore bestätigt. Außerdem entfernten die Ärzte Krebsbefall im Lymphsystem des Bauchraums. Die Entlassung aus dem Krankenhaus erfolgte am Dienstag, den 24. Mai 2005, 33 Tage nach der Diagnose.

    Die Lebenserwartung schätzen die Ärzte auf 12 bis 15 Monate, maximal drei Jahre, wobei sie sich mit solchen Festlegungen berechtigterweise schwertun. So ist das halt bei Metastasen. »Sag mir nix über meine Chancen!« – Wir ahnen beide, dass die Diagnose letztlich einem Todesurteil gleichkommt, sind aber fest entschlossen, uns nicht in Statistiken pressen zu lassen. Ich notiere in das Tagebuch: »Unsere Zukunft steht nicht geschrieben. Unsere Zukunft ist das, was wir daraus machen«. Jetzt lebe mal damit. Der Krebs frisst stetig an Claudias Leben, die Zellteilung stoppt nie.

    Die Anzahl der Metastasen in der Leber schwankt, jeder erzählt etwas anderes. Fest steht, sie sind sauber über die ganze Leber verteilt. Dr. Kaminski schwärmt ausschweifend von einer fantastischen Leberschneidemaschine in der Uniklinik Bonn Venusberg. »Leber: kein Problem!« Wir bekommen eine Überweisung in Richtung Bonn. Claudia gibt sich kämpferisch. Sie will Philipps Einschulung noch erleben.

    Donnerstag, 26. Mai 2005

    Ich vermerke im Tagebuch: »Ich habe keine Angst vor dem Tod. Ich habe Angst vor einem Leben ohne dich«.

    Freitag, 3. Juni 2005

    An diesem Tag bekommt Claudia im EVK an der rechten Schulter einen Port implantiert. Seitdem erhält sie jeden Mittwoch Chemotherapie in Bonn Venusberg. Das bedeutet drei Tage mies fühlen, Übelkeit, Bauchweh, Darmkrämpfe, schlafen, kotzen. Bekämpft wird das mit Vomex, Sofran, Buscopan und Morphin. Freitag dreht sie schon wieder voll auf, obwohl es gerade so »lala« geht. Samstag bis Dienstag genießt sie das Leben. Immer wieder heißt es »Durchfall bekämpfen«, der Dickdarm fehlt. So geht das jetzt Woche für Woche.

    Freitag, 10. Juni 2005

    Tag 50: Die Haare werden dünner und weniger. Keine Perücke, sondern Kurzhaarschnitt und Selbstbewusstsein sind angesagt! Die Haare wachsen auch wieder.

    Montag, 13. Juni 2005

    Erster Termin in der Uniklinik Bonn Venusberg. Immer wieder Röntgen, die Dosis reicht mittlerweile für drei Leben. CTs werden gemacht. Die Kontrastmittel verursachen allergische Reaktionen.

    Samstag, 18 Juni 2005

    Claudia liegt auf dem Sofa und schläft. Sie hat Magenkrämpfe und Durchfall. Zum Frühstück gibt es Zwieback. Horst kommt, wir trainieren etwas Wing Tsun. Zunächst sitzt Claudia auf der Terrasse, dann liegt sie wieder auf dem Sofa. Gegen halb eins geht Horst. Zum Mittag gibt es Spagetti. Nach dem Mittagessen liegt Claudia wieder. Gegen drei fahre ich mit den Kindern in die Stadt. Max kauft Lego, Philipp zwei Autos vom Taschengeld. Gegen vier sind wir wieder zu Hause. Claudia sieht elend aus. Oma und Opa kommen. Ich fahre mit Claudia ins Krankenhaus. Infusionen. Erklärungen, was, wann, wo. Immer dasselbe. Habe Routine. Chemo-Begleiterscheinungen. Claudia bleibt, bekommt chemoverträgliche Mittel gegen Magenkrämpfe und Übelkeit. Gegen 19:00 Uhr bin ich zu Hause. 21:00 Uhr, die Kinder sind etwas enttäuscht. Sie erreichen Mami nicht. Später, über die Zentrale, geht Claudia dran. Ihre Stimme klingt dünn und sie wirkt müde. Sie meldet sich morgen, ob und wann sie angerufen werden will.

    Sonntag, 19. Juni 2005

    Tag 59. Vormittags bekommt Claudia Infusionen. Sie will nach Hause. Der Arzt hat sich was in den Bart gemurmelt. Wir warten ab. Zum Mittagessen bin ich mit den Kindern bei Oma und Opa. Claudia ruft an. Sie ist noch nicht so weit, also erst fahren wir erstmal nach Hause und warten. Nachmittags so zwischen 15:00 Uhr und 16:00 Uhr holen wir sie ab. Große Freude. Abends schauen wir den Anfang des Films Steamboy. Danach stöbern wir in Fotoalben und tauschen Erinnerungen.

    Montag, 20. Juni 2005

    Heute sind wir auf dem Venusberg zum CT. Wir warten auf die Blutabnahme. Es gibt zu wenig Stühle, also stehen wir ziemlich lange. Die Zeit dehnt sich wie Kaugummi. Dann geht es endlich zum CT. Im Wartezimmer soll sie das Kontrastmittel trinken, aber sie bekommt es nicht runter. Wir dürfen uns drinnen hinlegen, und im Liegen beruhigt sich der Magen langsam. Im Sitzen versuchen wir dann nochmal, das Zeug zu trinken. Claudia muss immer wieder würgen. Nach fast der halben Flasche geben wir auf. Jetzt erfahren wir: »Es kann auch intravenös zugeführt werden«. Gott sei Dank hat sie die Nadel von gestern im Arm, was zweimal piksen erspart. Irgendwann um 10:00 Uhr werden dann die Bilder gemacht. Ich muss solange im Vorraum warten. Dann geht es zurück zur onkologischen Ambulanz, und wieder heißt es »Bitte im Wartezimmer warten«. Irgendwann kommt Dr. May. Heute gibt es keine Chemo, aber neue Medikamente. Vielleicht geht es damit besser. Er blättert im Bericht vom Marien-Krankenhaus und sagt etwas von 10 auffälligen Leberobjekten.

    Abends klingelt permanent das Telefon. Ella, Kathi, Geli, meine Eltern. Ich reagiere etwas genervt. Kaum liegt der Hörer auf der Gabel, klingelt es schon wieder, und jedes Mal muss Claudia denselben Mist erzählen.

    Freitag, 24. Juni 2005

    Die Ergebnisse vom CT haben wir auch letzte Woche erhalten: Ein Objekt 1,8 cm groß, ein anderes 3 cm, verteilt in der Leber.

    Mittwoch, 6. Juli 2005

    Tag 75. Gegen 14:00 Uhr ruft mich Claudia auf der Arbeit an. Sie hat schlimme Krämpfe, muss sich Erbrechen. Ich fahre nachhause und dann mit Claudia ins Krankenhaus. Ihre Temperatur ist 37,5 °C.

    Donnerstag, 7. Juli 2005

    Tag 76. Bin früh bei ihr. Es geht ihr schlecht. Sie erbricht grüne Galle, hat Durchfall wie Wasser, Übelkeit. Ich rufe in Bonn an und sage den Termin für die nächste Chemo ab.

    Freitag, 8. Juli 2005

    Tag 77. Es wird nicht besser. Schmerztherapie mit Vomex, Buscopan, Morphin, Sofran gegen Durchfall.

    Samstag, 9. Juli 2005

    Über Nacht bekommt Claudia Fieber. Die Suche nach einem Erreger dauert mehrere Tage. Zwei Röntgenbilder, CT, und ein Ultraschall werden gemacht. Claudias Blase ist voll. Sie kann kein Wasser lassen. Ein Katheter bringt ein wenig Entlastung. Der Verdacht auf Darmverschluss/-verschlingung bestätigt sich nicht. Die Diagnose nach einer kleiner Darmspiegelung lautet: Der Dünndarm ist entzündet. Der Arzt sagt nichts, wir denken, dass der Darm durch die ganzen Verstopfungsmittel steht, und daraus Entzündung und Darmkrämpfe folgen. Die Schmerzen werden durch eine Spinaltherapie (Pipeline im Rückenmark) bekämpft. Nach 11 Tagen, am 20. Juli, wird sie endlich entlassen.

    Nach Dr. Anand bestand erheblich mehr Gefahr, als gedacht. Die Nierenwerte waren extrem. Es drohte Nierenversagen. Es bestand das Risiko, dass sich der Dünndarm verknotet. Er kann in Folge dessen platzen, wenn er sich stark verkrampft. Die weiteren Chemotherapien gleichen einem Eiertanz, der Darm ist vermutlich innen wund.

    Freitag, 15. Juli 2005

    Claudia ruft mich früh an. Trotz einer schlechten Nacht, das Infusionsgerät piepste, klingt sie frisch und lebenslustig wie eh und je. Sie will ihr Parfum.

    Claudia lacht mit den Kindern am 24. August 2005

    Donnerstag, 20. Oktober 2005

    Das Ergebnis des Gentests ist da. Der Tumormarker geht merklich runter von ca. 400 auf 250 … 25 … 12. Die Zielmarke ist 0. Das sind frohe Botschaften.

    Freitag, 4. November 2005

    Claudia geht es echt mies. Sie behält kein Essen bei sich. Am Samstag habe ich die Faxen dick. Ich fahre sie kurzentschlossen ins Krankenhaus, obwohl sie nicht recht begeistert ist. In der Notaufnahme bekommt sie Schüttelfrost und Fieber. Es sieht nach einer Infektion aus. Das Fieber kommt ständig wieder, zusätzlich hat sie Durchfall und Erbrechen. Am 14. November wird sie trotzdem entlassen. Sie hat keine Lust mehr, hier zu liegen. Kaum ist sie raus, hat sie ihren alten Elan wieder. Trägt immer öfter das blaue Käppchen, weil ihre Haare dünn geworden sind.

    Freitag, 2. Dezember 2005

    Der Tumormarker ist von 12 auf 2 runter, trotz der Unterbrechung durch den Krankenhausaufenthalt. Das lässt hoffen. Wir sind auf das CT im Januar gespannt. Claudia ist heute super drauf, es ist Chemo-Pause.

    Donnerstag, 26. Januar 2006

    Es werden neue CT-Aufnahmen gemacht.

    Sonntag, 26. Februar 2006

    Ab heute sind vier Wochen Chemo-Pause. Danach werden Bilder und Tumormarker verglichen. Bleibt der Marker, wo er ist, und es ergeben sich keine Veränderungen in den Bildern, dann ist das evtl. ein positives Signal. Wenn nicht ...

    Donnerstag, 30. März 2006

    Es werden neue CT-Aufnahmen gemacht. Abends schicke ich Claudia um 20:00 Uhr ins Bett. Sie ist total fertig.

    Dienstag, 11. April 2006

    Ernüchterndes Ergebnis: Das es keine neuen Metastasen in anderen Organen gibt, wird uns als Erfolg verkauft. Die Lebermetastasen haben sich vergrößert. Eine hat sich von 2 cm auf 4 cm verdoppelt. Der Tumormarker ist auf 36 gestiegen. Beklemmende Gefühle, Niedergeschlagenheit. Wir unterhalten uns im Restaurant des Krankenhauses bei einem Brötchen über die Bedeutung der Ergebnisse.

    Es ist ein elendes Sterben auf Raten, ein langer Abschied. Gut, das ist das normale Leben im Grunde genommen auch, aber der Zeithorizont ist größer. Mit Anfang 40 ist das Ende zu weit weg, um sich darüber Gedanken zu machen. Wir retten uns von Chemo zu Chemo in der Hoffnung auf neue, wirkungsvollere Medikamente, und dass die Krankenkasse diese bezahlt. Wir können nicht einmal aus unserem Korsett ausbrechen und die Dinge tun, die wir „schon immer mal" tun wollten. Wir neigen dazu, Dinge zu verschieben. Die Normalität hatte uns schon wieder eingeholt. Ich würde es akzeptieren und unterstützen, wenn Claudia uns verlässt, um sich einen letzten Traum zu erfüllen.

    Claudia will nicht, dass wir sie vergessen, falls es soweit ist. Das wäre das Schlimmste für sie. Ihr Vater ist für sie eine leere Hülle. Über ihn wurden in der Familie nie viele Worte verloren. Claudia möchte nicht, dass ihr dasselbe passiert. Ich soll glücklich sein, in Zukunft. Ich will nicht, dass sie mich, bzw. uns verlässt. Egoistisch, nicht? Die nächste psychologische Verwerfung. Ich weine im Auto. Wir verlassen Bonn Venusberg mit einem Empfehlungsschreiben von Dr. May an Dr. med. Farroch in Leverkusen.

    04. Oktober 2005

    Mittwoch, 31. Mai 2006

    Mittlerweile erhält sie in Leverkusen die 5. Chemotherapie. Abends messen wir 36,9 °C Fieber. Um 22:00 Uhr ist es wieder etwas runter. Morgen muss sie damit zum Arzt. Ihr Arm ist außerdem dick, und schmerzt. Gibts Probleme mit dem Port? Ein Spezialist für Venen führt eine Ultraschall-Untersuchung durch. Claudia hat stetig steigende Nebenwirkungen in Form von Durchfall.

    Dienstag, 27. Juni 2006

    Claudia schenkt mir diese mit einem Glitzerstift geschriebene Karte und ihrem Kussmund drauf. Ich bin hin und weg.

    Ich habe diese Karte von meinem Schatz bekommen am 27. Juni 2006

    27. Juni 2006

    Samstag, 1. - 8. Juli 2006

    Wir reisen noch einmal alle zusammen nach Dänemark. Das war unser letzter Urlaub.

    Dienstag, 25. Juli 2006

    Der Tumormarker ist von 60 wieder auf 4 heruntergegangen. Unsere Freude hält sich in Grenzen nach den letzten Erfahrungen. Die momentane Hitze macht allen zu schaffen. Für Claudia ist es an den Chemo-Tagen besonders ätzend. Sie hält sich wie immer tapfer.

    Montag, 9 - 16. Oktober 2006

    Ihr letzter Urlaub mit Ella und Geli auf den Balearen. Claudias allererster Flug in ihrem Leben. Er hat die Nummer 9649. Ich kann nachempfinden, wie sie sich gefühlt hat, als sich die Maschine vom Köln Bonner Flugplatz mit einer engen Kurve steil in die Luft schraubte. Claudia hat den Fensterplatz und schaut ausgiebig hinaus. Sie war hellauf begeistert, und möchte unbedingt auch mal mit uns zusammen fliegen. Auf Mallorca verbringt sie eine tolle, ausgelassene Woche mit ihren Schwestern. Die Drei sind im 'Blau Mediterraner Club', Ses Savines s/n, 07680 Sa Coma einquartiert. Claudia wirkt entspannt und lebenslustig. Es wird gefilmt und fotografiert. Am Montag, den 16. Oktober gegen 16:35 Uhr hole ich sie wieder auf dem Flugplatz Köln Bonn ab. Ich schneide später das Video. Ich war ja leider nicht mit, aber Geli hat ihre Erinnerungen an diese Tage aufgeschrieben, und ich hab es in den Lebensspuren zum Nachlesen festgehalten.

    Januar 2007

    Nebenwirkungen wie aufquellende, rissig werdende, schmerzende Hände und Füße. Die Haut ist wie Horn, sodass die Finger bei jeder Bewegung schmerzen. Claudia ignoriert das, so weit es geht. Sie reibt die Hände und Füße mit Melkfett ein. Stoische Ruhe, es geht schon.

    Dienstag, 30. Januar 2007

    Claudia hat Probleme beim atmen. Im Liegen geht es gar nicht. Sie hat starke Schmerzen in Brusthöhe, von der Wirbelsäule her rechts um den Brustkorb herum. Wir tippen auf muskuläre Verspannung, eine Blockade. Nach 22:00 Uhr fahre ich sie ins Marien-Krankenhaus. Opa passt auf die Kids auf. In der Ambulanz erfolgt eine Blutabnahme über den Port, und nach einigen missglückten Versuchen, über den Arm. Ein Röntgenbild wird angefertigt. Sie erhält eine Schmerztherapie, und schläft sitzend im Bett. Am 20. Februar 2007 feiern wir Claudias zweiundvierzigsten Geburtstag. Wir besuchen den Karnevalszug in Bergisch Gladbach.

    Claudia mit Max auf dem Flohmarkt am 19. August 2014

    Dienstag, 3. April 2007

    Wir wollen heute wegen der Rita-Therapie in die Uniklinik nach Essen. Claudia hat Montagabend Fieber bekommen, deshalb sagen wir für heute alle Termine ab. Der neue Termin ist am 19. April.

    Donnerstag, 19. April 2007

    Das Fieber kommt und geht. Gestern Abend hat sie wieder Fieber bekommen. Wir fahren trotzdem mit ihrem gerade neu gekauften Auto nach Essen. Dort dürfen wir erst mal wieder ewig lange warten.

    Das Gespräch fällt dagegen recht kurz aus. Fakt ist: Die Rita-Therapie kann nicht helfen. Sie spricht generell nicht gut auf Metastasen an. Außerdem sind die Tumore zu groß. Prof. Dr. Niebel will den Krankheitsverlauf und aktuelle Fotos auf CD. Die mitgebrachten Fotos waren nicht gut genug. Eventuell kann man die Leber operieren. Er würde den großen Leberlappen heraus operieren. Die Leber wächst in bestimmtem Umfang nach. Über die Risiken sagt er nichts. Wir sollen wiederkommen.

    Donnerstag, 26. April 2007

    Claudia ist bei Dr. Anand. Das Fieber ist nicht weg. Nachmittags sind wir zum Röntgen im Marien-Krankenhaus. Ich bringe Claudia mit den Kindern hin und fahre danach wieder nachhause. Claudia ruft an, sie klingt besorgt, ich soll sie abholen. Als ich Fragen stellen will, reagiert sie ungehalten, verzweifelt. »Komm einfach!« Ich ahne Schlimmes, rase zum Krankenhaus. Sie hat keine Lungen- oder Rippenfellentzündung, sondern Metastasen in der Lunge.

    Dr. Quack hat ein CT ohne Kontrastmittel gemacht – das verträgt Claudia nicht. Ihm ist im Röntgenbild ein winziger, unscheinbarer Schatten aufgefallen ist, den ein weniger sorgfältiger Kollege bestimmt übersehen hätte. Auf dem CT wurden 8 Metastasen mit einer Größe von circa 0,5 mm sichtbar. Sehr klein, aber da. Wir sind geschockt. Mit der Leberoperation wird es wohl nichts mehr. Jetzt muss schnellstens das Fieber weg. Morgen entscheiden Dr. Anand und Dr. Farroch, wie es weitergeht. Vermutlich mit Krankenhaus und Antibiotika.

    Das Leben ist scheiße. Warum werden wir so bestraft? Claudia ist deprimiert aber kampfeswillig. Nur das Fieber zermürbt sie. Sie sagt, das sei schlimmer als die Nebenwirkungen der Chemotherapien. Sie hat noch nie in ihrem Leben hohes Fieber gehabt.

    Verzweiflung! Claudia, du bist der beste Beweis, dass es Gott nicht geben kann, oder dass er sich einen Dreck für uns interessiert. Das Universum ist leidenschaftslos. Das Leben ist ihm egal.

    Freitag, 27. April 2007

    Ich rase zur Apotheke, und danach zu Dr. Anand. Claudia bekommt dort über den Port Antibiotika verabreicht, und reagiert allergisch. Ich habe über 20 € umsonst ausgegeben. Sie nimmt stattdessen die breitbandigste Tablette mit dem Namen Clacid Uno 500 zu sich. Oma und Opa passen derweil auf die Kinder auf.

    Nachtrag

    Claudia und mir als Techniker ist

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