Es ist
Von Axel Hartleib
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Über dieses E-Book
Stell dir vor, du bist 150 Jahre alt. Du lebst als Ältester einer elitären Gruppe von Spezialisten verborgen in den Bergen. Im Rest der Welt herrschen nur Chaos und Vernichtung. Und dann erhältst du das Angebot dein Ich, deine Persönlichkeit, als Erster künstlich reproduzieren zu lassen. Das zweite Ich sorgt für Unruhe und neue, alte Erkenntnisse.
Wer ist Ich und wer wird es in Zukunft sein?
Sprenge die Konventionen!
Denke ohne Netz!
Erkenne, dass dein zweites Ich mächtiger ist als du selbst.
Kommt es zu einer neuen Kraft der Gedanken?
Erkenne den Sinn: "Es ist!"
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Buchvorschau
Es ist - Axel Hartleib
Nachwort
Impressum
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie.
Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.
Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fernsehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.
© 2013 novum publishing gmbh
ISBN Printausgabe: 978-3-99038-154-0
ISBN e-book: 978-3-99038-155-7
Lektorat: Angelika Glock
Umschlagfotos: Expozer, Tilltibet, Isselee| Dreamstime.com
www.novumverlag.com
I
Vor 2 Wochen war ich fast tot und jetzt das.
Duftende Blumenwiesen, Vogelgezwitscher, ein rauschender Bach.
Das weiche moosige Gras unter meinen Fußsohlen.
Ich gehe schneller. Laufe. Laufe schneller. Breite meine Arme aus und hebe ab.
Ohne große Anstrengung gewinne ich an Höhe und segle über die Berge.
Das Gefühl der Freiheit ist berauschend.
In einem Tal mit einem großen See segle ich hinunter, tauche ein ins warme Wasser und gleite in die Tiefe.
Nach ca. 2 Stunden unbeschwerten Glücks wird es langsam dunkel. Meine übernatürlichen Fähigkeiten nehmen stetig ab. Gemütlich auf einer Wiese liegend dämmere ich dahin und wache auf meiner Liege wieder auf.
Das Zimmer ist hell und freundlich. Die Fenster sind mit einer ähnlichen Landschaft animiert, wie ich sie gerade durchflogen habe. Es riecht nach Blumen und leicht zitronig. Nichts was mich irgendwie negativ stimmen könnte. Früher hörten die Wahrnehmungsdrogen manchmal abrupt auf und die kalte Realität zog einen dann genauso weit runter, wie man eben noch über den Dingen schwebte.
Aber mittlerweile hatte man die therapeutische Wirkung optimiert. Somit ging es mir sehr gut und ich genoss den Moment. Die tägliche Lebensfreude-Ration, die ich seit 2 Wochen bekam, war eine nette Abwechslung. Sie drang aber nicht in mein Innerstes vor.
Mein Zusammenbruch war nicht allein auf körperliche Gebrechen zurückzuführen, sondern das Ergebnis einer langen Reise auf vielen Wegen, die sich immer mehr verengten und auf eine dunkle, kalte Sackgasse zuliefen. Ich war jetzt 150 Jahre alt und hatte den menschlichen Absturz in allen Schattierungen miterlebt.
Ich hatte es kommen sehen und ergab mich in mein Schicksal. Der Lebenswille war verflogen. Es war Zeit. Aber irgendwie ist da noch eine Grenze, bei der einem die Urinstinkte in die Suppe spucken. So bäumte sich mein Körper auf und hielt mich so lange am Leben, bis ich zufällig gefunden wurde und mich auf der Intensivstation wiederfand. Die körperliche Erholung erfolgte erstaunlich rasch. Mental stand ich allerdings lange neben mir. So als würde man dem Geschehen als außenstehender Beobachter zuschauen. Den Raum um mich nahm ich wahr wie eine Kamera, die eine visuelle Bestandsaufnahme macht.
Keine Gedanken oder zumindest keine Wesentlichen. Nichts denken konnte ich nämlich noch nie.
Die Zeit spielte für mich gar keine Rolle mehr.
Ich vegetierte vor mich hin.
„Na wie geht’s? War das Programm ansprechend?"
Die fröhliche Stimme des Therapeuten passte so gar nicht zu meiner erstarrten Stimmung.
„Ja, das Filmchen war ganz nett."
Bei dem Wort „Filmchen" grinste er immer breit. Ich war der Letzte, der noch Filme im Kino gesehen hatte. Den ersten mit meiner Oma. Pat und Patachon. Schwarz-Weiß. Aber lustig.
Dass so viele Kinder auf einem Haufen laut und herzlich lachen, gibt es schon lange nicht mehr. Damals wussten wir nicht, was für ein Geschenk das eigentlich ist. Hier in unserem Adlerhorst gibt es nur wenige Kinder und die Verbliebenen draußen haben nichts zu lachen. Aber auch vor dem Tag, der alles veränderte, waren die Kinder meist physisch allein. Natürlich über die diversesten Medien mit der ganzen Welt verbunden, aber doch irgendwie allein.
Eigentlich war es ein Wunder, dass sich diese Filmchen in das Jetzt gerettet hatten. Sie waren ein wesentliches Puzzlesteinchen zum Anfang vom Ende gewesen. Schon die Virtual-Reality-Programme nach festem Drehbuch waren so realistisch, dass bestimmte Genres, wie man sich leicht denken kann, hohes Suchtpotenzial hatten. Aber ein Dauerorgasmus über mehrere Stunden ging trotz virtueller Ekstase mächtig an die Substanz. Als es jedoch gelang, die Handlung selbst bestimmen zu lassen, war alles vorbei. Die Realität war nicht einmal mehr eine Option. Die Vernünftigsten machten zumindest noch Essenspausen.
Verbote kamen viel zu spät. Die Frage war: Wer sollte sie noch exekutieren, wenn alle irgendwie abhängig waren.
Mit dem Zusammenbruch hörte das natürlich alles langsam auf, weil es nach einiger Zeit einfach keine funktionierende Hardware mehr gab. Wieso wir uns hier im Adlerhorst damit weiter beschäftigten, war wohl mehr der Tatsache zuzuschreiben, dass wir uns diesem Monster nicht beugen wollten. Wir zähmten die „Brain Kicks", wie sie anfangs noch recht harmlos genannt wurden, und sperrten die gefährlichen Gedanken schon in der Entstehung.
Ich hatte heute keine Lust auf die Fragen des Therapeuten zu antworten. Es war alles so berechenbar, mühsam und langweilig. Die Muntermacher, die sie mir ins Essen mischten, bewirkten zwar, dass ich mich grundsätzlich gut fühlte. Die objektive Einschätzung der Lage hatte sich allerdings nicht geändert. Ich ließ das Ganze noch ein wenig über mich ergehen und entschuldigte mich dann. Ich sei noch geschwächt und müde, log ich glaubhaft. Mit 150 Jahren auch keine schwere Übung.
Wieder in meiner Zelle legte ich mich hin. Dem Kommunikator gönnte ich eine weitere Pause. Mir war nicht nach Berieselung. Schreiben war zu anstrengend. Außerdem was sollte ich noch zu Papier bringen. In diesem Fall stimmte die Redewendung sogar wieder. Da wir unsere beschränkten technischen Ressourcen für die wichtigen Dinge brauchten, hatte jemand vor Jahren wieder begonnen Papier herzustellen und gerade die Jungen hatten Spaß daran, wieder richtig zu schreiben. Ich verspürte einen starken Reiz, meine Gedanken akribisch auf einem leicht unregelmäßigen, gelb-braunen Möchtegern-Papier zu verewigen. Die Blätter wurden dann strukturiert, geordnet, gebündelt. Die Bilanz war zwiespältig. Auf der einen Seite war es ein schönes Gefühl, die Vergangenheit greifen zu können. Die gesammelten Erkenntnisse vieler Generationen. Auf der anderen Seite blieb nur ein Schluss übrig: Möglichst schnell und sanft entschlummern.
Und jetzt lag ich hier und zählte die Sekunden bis ….
… bis zu dem Zeitpunkt, den wir alle nicht wirklich wissen wollen.
Am meisten litt ich unter dem Wechselspiel zwischen lebensmüde und Todesangst, zwischen Vernunft und Instinkt, zwischen Kontrolle und Hilflosigkeit. Denn obwohl ich schon lange mit allem abgeschlossen hatte, durchfuhr mich eine totale Panik, als ich vor 2 Monaten erfuhr, dass ich an einer lebensbedrohenden Krankheit leide. Wenn ich wieder einigermaßen bei Kräften bin, müsste ich operiert werden. Mit einem nicht unbeträchtlichen Restrisiko. Warum mir das Angst macht, obwohl ich eh nicht mehr will, ist schwer zu begreifen. Aber die Dinge selbst in die Hand zu nehmen hat wahrscheinlich eine ganz andere Qualität, als hilflos ins Nichts gestoßen zu werden. Was soll’s. Warte einfach auf den Schlaf und genieße es, dass es hier warm und weich ist im Bett.
Die Konzentration auf das Wohlgefühl des Ausspannens war lange Zeit ein gutes Rezept von mir, um mich wieder zu erden. Um die negativen Gedanken zu verscheuchen. Um zur Ruhe zu kommen. Wenn man sich ablenkt, holt einen irgendwann alles wieder ein. Aber das Gefühl der Ruhe, des Geborgenseins mildert einiges ab. Seit meiner Erkrankung klappt das aber auch nur bedingt, da der Druck im Bauch doch größer geworden ist, als mir lieb ist. Glücklicherweise schlafe ich doch schnell ein und beschließe vorher noch, morgen zum Arzt zu gehen.
Ein neuer Tag.
Ich wache auf.
Es ist noch früh. Die Schmerzen haben mich wieder nicht durchschlafen lassen.
Aber egal. Ich gehe automatisch meine morgendliche Zeremonie durch. Die „bösen Schmerzen ignorieren. Die „guten
oder schon fast lieb gewordenen Gliederschmerzen durch Dehnen und Strecken in die Schranken weisen. Tief durchatmen. Die Wärme des Bettes noch mal bewusst genießen. Die aktuellen Nachrichten anhören. Und dann versuchen mit positiven Gedanken dem Tag eine Chance lassen.
Der lässt sich aber wieder einmal nicht übertölpeln.
Es ist alles so sinnlos.
Komischerweise habe ich mir in dieser Frage schon von Kind an keine Illusionen gemacht. Ich habe nie wirklich nach dem tieferen Sinn gefragt und die zurückliegenden 150 Jahre haben mich in meiner Einstellung auch nur bestätigt.
Wie viele Generationen haben sich mit dem Sinn des Lebens beschäftigt und haufenweise Theorien entwickelt.
Dabei ist die Antwort doch ganz einfach.
Unser Handicap ist leider die nicht ausgereifte Technik unseres Dachstüberls. Das Gehirn hat noch einige Evolutionsstufen zu besteigen, um vor Trugschlüssen sicher zu sein. Dass wir denken können, ist ein Versuch der Natur die Erhaltung der Art zu sichern. Dass dieser Versuch eher nach hinten losging, hätte sich die Natur wahrscheinlich nicht träumen lassen. Ursprünglich ginge es ja nur um eine Optimierung der Nahrungsbeschaffung. Die weitere Erfassung und Verarbeitung von logischen Zusammenhängen erwies sich in der Folge als recht hilfreich. Erst viel später kam die logische Entwicklung dieses neuen Tools. Das Fragen. Warum? Grundsätzlich war das noch nichts Böses. Wären da nicht einige Fragen, die schwere Folgen nach sich zogen.
Warum lebe ich überhaupt?
Was kommt nach dem Tod?
Wo ist das Ende der Welt?
Und so weiter.
An der letzten Frage konnte man schnell den Evolutionsstand des Denkens ablesen. Da sich die Entwicklung des Menschen in einem sehr begrenzten lokalen Rahmen vollzog, war es klar, dass der Begriff „Unendlichkeit" von den Bioprogrammierern noch nicht mal im Planungsstadium vorgesehen war. Wer je mit IT-Projekten zu tun hatte, weiß, was das heißt.
So hangelte man sich von „hinter dem Hügel über „Wo ist das große Wasser zu Ende
mit der schönen Scheibentheorie zur heutigen Ratlosigkeit über Raum und Zeit hin, die immer noch Platz für genügend abstruse Fantasien lässt. Dabei müssen wir doch nur noch ca. 20.000 bis 30.000 Jahre warten, und jedes Kleinkind wird mit dem Begriff „Unendlichkeit" ein