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SECRET: Die Geschichte vom Einhandsegler, Katzen und Schmetterlingen ...
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eBook294 Seiten4 Stunden

SECRET: Die Geschichte vom Einhandsegler, Katzen und Schmetterlingen ...

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Über dieses E-Book

Josephine ist eine obdachlose Porträtzeichnerin und entpuppt sich als blinde Passagierin auf Peters Jacht, als dieser sich von Split aus auf den Weg ins Ionische Meer macht. Peter akzeptiert Josephines Anwesenheit und gemeinsam befahren sie das östliche Mittelmeer, besuchen Inseln wie Kreta, Rhodos und Zypern. Im Laufe der Zeit öffnen sie sich einander und erzählen sich ihre Lebensgeschichten, die große Ähnlichkeiten aufweisen und doch völlig unterschiedlich zu erzählen sind. Und am Ende der Reise landen sie auf Malta …
Die Geschichte vom Verlust geliebter Menschen, von Obdachlosigkeit und dem Kontrast zwischen arm und reich ist schließlich auch die Geschichte einer Liebe zwischen zwei Menschen – und zum Meer.
SpracheDeutsch
Herausgeberp.machinery
Erscheinungsdatum27. März 2022
ISBN9783957658265
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    Buchvorschau

    SECRET - Anke Jablinski

    Erster Teil: Adria

    Josephine

    Die Jacke war ihr viel zu groß. Sie gefiel ihr auch nicht und stank nach Nikotin und Hund. Aber alles war besser, als weiter zu frieren, wie in der letzten Nacht, die sie am Ende auf der Parkbank verbracht hatte. Sie krempelte die Ärmel ein wenig hoch, fluchte in griechischer Sprache über den defekten Reißverschluss, durch den die Lederjacke keinen Schutz vor dem Dauerregen bot, spuckte einen Kaugummi aus und überlegte, was zu tun war.

    Josephines letztes Quartier war abgerissen worden, wahrscheinlich rechtzeitig, bevor die Touristen in Strömen kamen und diese verfallenen und uralten Baracken zu Gesicht bekamen, die am Stadtrand von Split lagen. Wie geleckt sollten die Straßen aussehen, und reich das Land, in dem die Bevölkerung doch so arm war, und die Arbeitslosigkeit höher als in fast allen anderen europäischen Ländern.

    Bald wird hier dasselbe passieren, wie in Griechenland, dachte sie, aber für Politik interessierte sie sich schon lange nicht mehr.

    Es gab Wichtigeres. Ein neuer Schlafplatz musste her, ein Platz, wo sie keiner finden würde, vielleicht sogar einer, der Wärme spendete oder zumindest vor dem Regen schützte, der nun schon drei Wochen lang anhielt. Sie spuckte auf den Asphalt, blickte zum Hafen hinüber und lief zu einem Café, um sich dort wie gewohnt drei Flaschen Bier zu kaufen.

    Der Kellner kannte sie seit vielen Wochen, suchte nach einer Plastiktüte, in die er die beiden anderen Flaschen steckte, die erste Flasche öffnete, und sie Josephine mit teils mitleidvollem, teils angewidertem Blick reichte, wie jedes Mal.

    »Sechzig Kuna, wie immer«, sagte der junge Kellner, und Josephine murmelte »hvala«, bevor sie es sich unter einer Palme der schrecklich hübschen Promenade gemütlich machte, sich die Plastiktüte über den Kopf stülpte und das erste Bier hastig hinunterkippte.

    Ihr Magen knurrte laut und erinnerte sie daran, dass sie heute noch gar nichts gegessen hatte. Sie war von den Abrissbaggern geweckt worden, mitten in der Nacht, wie es ihr vorgekommen war. Sie hatten ihre schöne, alte Bruchbude niedergewalzt, einfach so, ohne sie darauf vorzubereiten. »Scheiße«, nuschelte sie, »alles Scheiße!«

    Die alte Lederjacke hatte einem Kollegen gehört, der sie in dem verfallenen Steinhaus ein- oder zweimal zum Trinken besucht hatte, und der diese zuletzt in einer Ecke des Zimmers hatte liegen lassen, nachdem er in Windeseile eine ganze Flasche Wodka getrunken hatte. Wenn sie sich begegnen würden, würde er die Jacke erkennen und zurückhaben wollen, das war ihr klar.

    Schon wieder von vorne anfangen, dachte sie, wieder neue Klamotten besorgen, neue Möbel, neue Bilder malen, irgendwo einen schönen Platz finden, den keiner kennt oder leicht entdecken kann. Sie hatte sich in der alten Baracke liebevoll eingerichtet, es hatte mehrere bunte Klappstühle, einen Metalltisch, ein Regal aus sechs Holzbrettern und viele Kerzen gegeben, diverse Decken und natürlich eine Matratze und die Staffelei, die beiden wichtigsten Gegenstände in ihrem Leben. Als die Männer kamen, machten sie alles dem Boden gleich, ohne Rücksicht auf ihre Bilder aus Bleistift und Kohle, die lebenswichtig für sie waren, zu nehmen. Sie hatten sich lustig über sie gemacht, und so hatte sie lieber nur rasch die Jacke und die Flucht ergriffen, bevor Schlimmeres passierte.

    Der Regen ließ ein wenig nach, und einmal blinzelte sogar die Sonne zwischen den Wolken hervor. Das Bier war ausgetrunken, und der Bauch, der immer dicker wurde, blähte sich auf und sah von oben aus wie der Bauch einer Hochschwangeren. Sie zog die Bluse provokant nach oben, zeigte ihren Bauch und lachte laut.

    Schwerfällig stand sie auf, warf die leeren Flaschen in den Mülleimer, an dessen Kante sie die zwei anderen Flaschen geöffnet hatte, und zählte ihr verbliebenes Geld, das sie immer in einer Gürteltasche bei sich trug. Na, wenigstens etwas, murmelte sie in sich hinein, fast dreihundertfünfzig Kuna befanden sich zerknittert in den Ecken des kleinen, schwarzen Ledertäschchens.

    Sie taumelte hinüber zu den Restaurants an der Promenade, von denen einige schon geöffnet hatten, obwohl die Saison noch nicht begonnen hatte. Lediglich zwei kroatische Paare saßen tapfer am Mittagstisch unter einem Schirm und trotzten der kühlen Aprilluft. Sie ging zur Toilette, schaute in den Spiegel und sah eine verwahrloste Gestalt. Ihre Haare waren längst zu Dreadlocks geworden, heute aber standen sie wüst in alle Richtungen; vom einst schönen kastanienbraunen Haar war nichts mehr zu sehen. Fast schon durch und durch grau sah das Haar aus, und das mit Anfang vierzig!

    Sie wusch sich die Achseln, den Hals und das Gesicht. Ihre Hände blieben schwarz, vor allem Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand wurden nicht mehr sauber. »Scheiße«, sagte sie wieder, »alles Scheiße, und du bist alt und hässlich geworden, meine Liebe«, verließ die Toilette und bestellte sich eine Pizza mit Meeresfrüchten zum Frühstück.

    Seit einigen Monaten aß sie mit Ausnahme von Soßen und Suppen alles mit den Fingern und hatte sich den Umgang mit Messer und Gabel gänzlich abgewöhnt. Sie zog die Blicke auf sich, wenn sie mit ihren kohlschwarzen Fingern die Pizza in Stücke riss wie ein Tier, aber es kümmerte sie nicht. Auch, dass der Kellner ihr den Platz zugewiesen hatte, wo man sie kaum sehen konnte, nahm sie gleichgültig zur Kenntnis. Ihr war alles egal, alles, was zählte, war eine neue Unterkunft zu finden, die sie vor der Nässe schützte. So lief sie nach dem Frühstück von der Altstadt zum Busbahnhof, um sich in der Peripherie von Split auf die Suche zu machen.

    »Josephine, Josephine, hola, qué tal?«, rief ihr ein alter Mann zu, den hier am Bahnhof alle nur den Spanier nannten. Er war einer der Gestrandeten von Split, die sich gegenseitig alle kannten, mit oder ohne Namen. Der Spanier saß bei Regen oft hier, um sich auf einer Bank der Haltestelle gegen die Nässe zu schützen. Josephine sah eine Frau neben ihm aufstehen und nahm deren Platz ein. Sie unterhielten sich in spanischer Sprache, der Josephine mächtig war.

    »Reichlich feucht heute. Die blöde Jacke lässt sich nicht schließen, und ich brauche eine neue Unterkunft.«

    Der Spanier lachte dreckig und hustete.

    »Die brauchen wir alle, Schätzchen. Aber wo? Wo nur? Die alten Häuser werden alle abgerissen. Du weißt ja, wo ich zurzeit wohne«, sagte er, zeigte hinüber zum Berg Marjan und grapschte nach Josephines weicher, fülliger Brust.

    »Ja, ja, weiß ich, Spanier, aber ich ziehe nicht bei dir ein, sonst vergewaltigst du mich jede Nacht.«

    Der Spanier krümmte sich vor Lachen, trank einen Schluck Rotwein aus einer Flasche und reichte sie Josephine, die dankend ablehnte. Scheiß Billigfusel, dachte sie. Die Frau, die vorher auf ihrem Platz gesessen hatte, stieg in einen Bus und vergaß ihren Schirm, der neben der Bank stand. Josephine nahm ihn an sich, verabschiedete sich vom Spanier, stieg in den Bus Nummer 60 ein, und fuhr in eine Gegend, in der sie erst kürzlich leer stehende Häuser gesichtet hatte.

    Sie hatte kein Glück gehabt, keins der Häuser hatte sich als bewohnbar herausgestellt. Die meisten waren bereits abgerissen worden, bei einigen war kein Dach mehr vorhanden, und bei wieder anderen störte sie die Nähe zu Menschen, die zur Miete wohnten. Sie war daraufhin in die Stadt zurückgekehrt, um sich in dem einzigen guten Geschäft für Künstlerbedarf neues Handwerksgerät zu kaufen, das sie dringend benötigte, um Geld zu verdienen. Sie war sehr wählerisch und pingelig und brachte die Verkäuferin fast zum Wahnsinn, die vor sich nichts als eine Irre sah. Von ihrem letzten Geld kaufte sie schließlich einen DIN-A3-Block, Radiergummi und Anspitzer, Kohlestifte und Bleistifte in vier unterschiedlichen Härten, für mehr reichte das Geld nicht, was sie verärgerte.

    »Ja, ja, ich brauche unbedingt eine Tüte, Sie sehen ja, ich habe keine Tasche, geben Sie mir bitte drei Tüten, oder vier«, befahl sie der arroganten Verkäuferin genervt, die ihr schließlich mit herablassenden Augenaufschlag und zusammengepressten Lippen drei Plastiktüten mit auf den Weg gab.

    »Koza«, stöhnte sie, blöde Ziege, womit die junge, arrogante Verkäuferin gemeint war. Josephine lief durch ihren neuen Regenschirm gut geschützt an der Kathedrale vorbei und fand in der Altstadt einen schönen Platz unter einem Torbogen, der sie vor dem Regen schützte und an dem sie ein wenig versteckt sitzen und zeichnen konnte. Bei Besichtigung der Baracken hatte sie sich an einem Kiosk eine Flasche Wasser und ein Boulevardmagazin gekauft, in dem die Promis von heute abgebildet waren, die sie keine Spur interessierten, die sie aber als Reklamebilder brauchte, wenn sie Touristen oder Kroaten porträtieren und Geld verdienen wollte. Miley Cyrus sah sie beim Durchblättern und Mario Mandzukic, den kroatischen Fußballhelden, der jetzt für Bayern kickte, oder auch Cate Blanchett kam infrage. Drei Bilder sollten für das Erste reichen, die blöde Cyrus mit herausgestreckter Zunge in Bleistift, die anderen beiden Promis in Kohle. Mit dem Rücken zu den Passanten begann sie mit den unterkühlten Augen von Miley und stellte mit Schrecken fest, dass bei ihren eigenen Augen die Sehschärfe nachließ. Auch das noch, dachte sie, erst der Rücken, dann der Dauerhusten und das penetrante Sodbrennen, die Zähne und jetzt auch noch die Augen, mein Kapital!

    Sie hatte wegen des trockenen Hustens bereits das Rauchen aufgegeben. Einen Arzt konnte sie nicht aufsuchen, da sie nirgends gemeldet und somit auch nicht versichert war.

    Als sie mit den drei Porträts fertig war, fand sie diese zwar gelungen, hatte aber nicht bedacht, dass die Bilder eine Fixierung benötigten. Verärgert darüber, keinen Firnis kaufen zu können, legte sie so vorsichtig, wie es irgend ging, jeweils ein Blankotrennblatt zwischen die Motive, war sich aber im Klaren darüber, dass die Bilder so ungeschützt nicht lange halten würden. Sie würde bereits morgen neue Bilder anfertigen müssen.

    Es wehte ein leichter Wind, und später würde es womöglich wieder Regen geben. Normalerweise mussten die Ausstellungsstücke am Hafen auch durch eine große Dokumentenhülle geschützt oder einlaminiert werden. Sie brauchte ihre Staffelei zum Zeichnen und zwei Klappstühle, einen für sich, und einen für das Modell.

    Genervt klappte sie den Block zu, steckte ihn in eine Tüte, und verstaute die Zeichenutensilien, die inzwischen fast leere Flasche Wasser und die Zeitschrift in die andere. Ein wenig linkisch versuchte sie, trotz der Tüten den Hosenbund festzuhalten, denn sonst würde die zu große Hose rutschen, deren Saum ausgeleiert war. Steif und ungelenk lief sie zu der Stelle am Hafen, an dem sich die Porträtzeichner trafen.

    Es war bereits dunkel, und jeder hatte seine eigene Lampe aufgestellt. Fast alle hier besaßen eine Genehmigung für ihr Gewerbe, und ein Restaurantbesitzer versorgte die Zeichner mit dem nötigen Strom. Diese dankten es ihm, in dem sie nachts ausnahmslos hier zusammen aßen und tranken, denn viele von ihnen lebten wie Josephine von der Hand in den Mund, und gaben das eben verdiente Geld sofort wieder beim Essen und Trinken aus.

    »Sieh an, sieh an«, wurde sie vom Serben Zlatibor begrüßt, der torkelnd mit einer Flasche Wodka in der Hand auf sie zu kam, noch bevor sie sich einen Platz gesucht hatte, »da kommt ja meine Lederjacke.«

    »Halt’s Maul, geh weg, ich habe viele Probleme«, sagte sie und schubste den betrunkenen Kollegen beiseite. Die anderen begrüßten sie herzlich.

    »Hat jemand einen Klappstuhl für mich? Ich brauche Hilfe, habe kein Geld und keine Bleibe mehr, nur drei neue Bilder, nicht mal einen Plastikschutz und nichts!«

    »Gib mir meine Lederjacke«, schrie Zlatibor, »dann bekommst du meinen Stuhl, ich mache Feierabend!« Er rülpste laut.

    »Du trägst doch eine Jacke, und ich brauche irgendeinen Schutz, sonst friere ich total durch!«

    Zlatibor wechselte vom Serbischen in die englische Sprache und brüllte: »Dann hole ich die kroatischen Bullen und erzähle ihnen, dass du keine Genehmigung hast, du fette, geile Schlampe!«

    Die anderen versuchten zu schlichten, und schließlich ließ sich Zlati darauf ein, Josephine die andere Jacke zu geben, die nicht stank und die ihr auch wesentlich besser passte und gefiel. Sie kicherte in sich hinein, freute sich darüber, nun weniger zu stinken, um im selben Zug einen scheußlichen Geruch vom Hafen zu vernehmen, den sie von hier genau kannte, und den sie nicht zuordnen konnte. Weiter hinten, wo es nicht stank und die ordentlichen Porträtzeichner, wie man sagte, ihre Plätze hatten, konnte Josephine die Chinesin und den Russen erkennen. Sie hatten eine feste Bleibe, wurden als Künstler gesehen und anerkannt, waren besser gekleidet, und zeichneten in einer Technik, die den anderen voraus war. Kitsch-Technik, nannte sie Josephine, die Kunden wollen belogen werden, besser aussehen als in Wirklichkeit, und je weiter östlich man kommt, umso kitschiger müssen die Porträts aussehen.

    »Josie, du kannst auch noch einen Stuhl für die Kunden von mir haben«, rief Andrea, ein Italiener, mit dem sie ab und zu Sex hatte. Vor seiner Alkoholsucht musste er einmal sehr hübsch ausgesehen haben, nun aber hinterließ der Wodka seine Spuren, und seine Hände zitterten so stark, dass seine Bilder immer schlechter wurden. Seine Dogge sprang an Josephine hoch, sie küsste den Hund auf die Stirn und schickte ihn dann wieder zu seinem Besitzer. Sie versuchte, ihre drei Reklamebilder mit Flaschen der Kollegen zu beschweren, sodass sie nicht wegfliegen konnten und doch einigermaßen gut zu sehen waren.

    Sie hatte Glück. Eine junge Kundin sah sogleich das Bild von der Cyrus und wollte sich derart zeichnen lassen, dass auch sie ihre Zunge zeigte.

    »Klar mach ich das, aber du kannst nicht zwanzig Minuten lang die Zunge rausstrecken, oder?«, lachte Josephine, und tat, was die Kleine wollte. Beim Verwischen der Kohle mit den Fingern brannte sich die Kohle weiter in die tiefen Hautschichten hinein und hatte die Farbe der Finger beinahe unwiderruflich verfärbt.

    Oft zog Josephine den Neid der anderen Zeichner auf sich, da sie immer schnell Kunden fand, egal, wie sie selbst ausschaute und roch. Heute aber hatten alle Zeichenkünstler etwas zu tun, obwohl die Saison erst in zwei Wochen beginnen würde. Es war Wochenende, und viele kroatische Familien unternahmen einen Ausflug nach Split.

    Die fertige Kohlezeichnung, die ausschaute wie eine Mischung aus dem Mädchen und Miley, wurde von deren Mutter bestaunt, und das Mädchen rollte es begeistert ein, nachdem Josephines Kollegen es mit Haarspray fixiert hatten. Josephine hatte jetzt zweihundertfünfzig Kuna in der Tasche und ging zum Restaurant von Dado, um sich eine gute Flasche Rotwein zu kaufen, die sie für die Nacht zum Zeichnen brauchte. Ein oder zwei Liter trank sie jeden Abend, je weniger sie zu tun hatte, umso leichter floss der Alkohol. Ihre männlichen Kollegen tranken meist Wodka und Bier, aber auf Bier hatte sie nachts keinen Appetit, und Schnäpse mochte sie nicht mehr, seit die Speiseröhre schmerzte.

    Sie waren heute zu viert hier, Andrea, der Serbe Zlati und zwei Kroaten aus dem Umland. Der Serbe verließ bald betrunken den Platz, dafür gesellten sich einige Gestrandete zu ihnen, die sich dadurch aufgewertet fühlten, bei den Künstlern zu sitzen und zusammen mit ihnen zu trinken. So auch der alte Spanier.

    Der hat mir jetzt noch gefehlt, dachte Josephine, aber vielleicht spendiert er mir Wein oder Wasser.

    Als sie mit dem zweiten Bild fertig war, griff ihr der Spanier wie so oft an die Brüste, und da sie den BH in ihrem alten Haus hatte liegen lassen müssen, kullerten die Brüste aus der Bluse, als der Spanier nach ihr grapschte.

    »Para!«, rief sie und gab ihm eine Backpfeife, hör auf, aber er lachte und lachte, so wie die anderen auch, mit Ausnahme von Andrea. Auch die gut gekleideten Passanten verfolgten die Szene der verrückten Künstler, sie bekamen ganz umsonst immer ein kleines Theaterstück zu sehen, wenn sie hierher kamen, abends zum Hafen von Split.

    Peter

    »Cheers!«, sagte Peter mit kräftiger, männlicher Stimme, die zu seinem auf den ersten Blick scheuen Wesen und seiner sportlichen und dennoch zarten Gestalt eigentlich gar nicht so recht passte. Die anderen erwiderten den Trinkspruch, hoben ihre Gläser und setzen zum Genuss des hochwertigen Champagners an. Als Freunde konnte er die elf anderen, die er um sich versammelt hatte, nicht bezeichnen, aber es war nett, nach langer Zeit wieder einmal in Gesellschaft zu sein, und so hatte er spontan einige Leute im Restaurant am Jachthafen zu einem Gläschen der Marke Moët & Chandon eingeladen.

    »Bringen Sie uns bitte auch verschiedene Platten Antipasti«, rief er dem Kellner zu.

    »Gerne, was soll es sein?«

    »Alles, was Sie anzubieten haben. Meeresfrüchte auf jeden Fall, Garnelen sind wichtig, dazu bitte diverse Salatplatten. Sie können auch gerne drei Platten gemischten Fisch und ein paar Platten Käse bringen. Stellen Sie bitte einfach etwas für zwölf Personen zusammen, Sie machen das schon«, sagte Peter und zwinkerte dem Kellner zu.

    Der Kellner wusste, was zu tun war. Er arbeitete lange genug in der Marina und wusste, dass Geld hier keine Rolle spielte. Zwar gab es geizige Reiche, aber es gab auch solche wie Peter, denen es eine Freude war, ihr vieles Geld zum Fenster hinauszuwerfen oder einfach mit Fremden zu teilen. Mittlerweile erkannte er an der Nasenspitze, um welche Sorte Millionär es sich handelte, sobald der Gast den Raum betrat. Der schlanke, weißblonde Mann mittleren Alters, der fließend Englisch sprach und einen deutschen Akzent hatte, war einer von diesen sympathischen Reichen, die viel Trinkgeld gaben, und denen es darauf ankam, zu genießen und vom Essen nicht enttäuscht zu werden. Er ging in die Küche, wo der Chef kochte, und flüsterte ihm zu: »Platten vom Feinsten, bitte, für zwölf Leute, mit allem, was wir zu bieten haben.«

    »Okay, hvala. Dann können wir endlich unseren besten Tintenfisch servieren, und die Riesengarnelen. Die Leute haben Glück, besser als heute geht es nicht!«

    »Es hat endlich aufgehört zu regnen«, rief ein Ire aus der bunt gemischten Runde, »wollen wir draußen sitzen? Die Sonne lacht, es ist warm, was meint ihr?«

    Sofort eilte ein anderer Kellner herbei, rückte drei Tische zusammen, legte rote Tischdecken auf und deckte den Tisch mit Oliven, Pistazien, Besteck, Gläsern und Servietten in den kroatischen Farben Blau, Weiss und Rot.

    »Bevorzugen die Herrschaften, die Mahlzeit unter der Markise einzunehmen?«, fragte er in die Runde, schaute Peter zielgenau dabei an, der antwortete: »Nein, nein, danke, ich glaube, wir alle freuen uns in diesen Tagen über ein wenig Sonne, oder?«

    Man war sich einig und nahm Platz, es wurde laut, alle lachten, tranken und nannten ihre Namen und das Land, aus dem sie kamen. Peter mochte eine solch bunte Gesellschaft und mehr noch liebte er es, derjenige zu sein, der alle einlud. Nach langer selbst gewählter Einsamkeit endlich wieder unter Menschen zu sein, tat ihm so gut, dass er sich mitunter dabei ertappte, alle Menschen zu mögen, denen er begegnete. Zwar war er der einzige Single in der Runde, denn die meisten Skipper waren in Begleitung unterwegs, aber auch das störte ihn wenig. Er lauschte den Geschichten der Paare, die fast alle der englischen Sprache mächtig waren, genoss den Champagner und den fantastischen Wein, den er nun servieren ließ, und sonnte sich anschließend ein wenig, indem er die Beine ausstreckte und den Kopf nach hinten fallen ließ. Das Leben war schön!

    Nach dem ausgiebigen Mittagessen verabschiedete man sich herzlich, tauschte Visitenkarten aus, um sich vielleicht irgendwann einmal woanders auf der Welt wieder zu begegnen.

    Es war längst noch nicht so heiß, dass man einen Sonnenschutz benötigte, Peter aber kramte einen Hut aus seiner Tennistasche und setzte ihn auf, denn er bekam jetzt eine Glatze, und seine Kopfhaut war empfindlich. Zu seinem hellblonden Haar gehörte diese helle Haut, die ihm oft schon das Leben ein wenig schwerer gemacht hatte, aber das alles war nicht der Rede wert.

    Er schlenderte am Meer entlang und kam zu einem der wenigen Hotels, die es in der Umgebung von Split gab. Sein Herz schien zu hüpfen, oh ja, dachte er, ich werde mir mal wieder ein Hotelzimmer nehmen.

    Vom Strand aus musste er eine hohe, alte Treppe emporsteigen, um zum Eingang zu gelangen, und schaute auf das Schild. Hotel Split. Vier Sterne. Peter machte sich nichts aus den Sternen eines Hotels. Zwei, drei, vier oder fünf, das waren nur Zahlen, die niemals die Atmosphäre der jeweiligen Unterkunft widerspiegelten, und daher keine Rolle spielten. Freundlich sollte es sein, er wollte mit fremden Menschen reden und abends in geselliger Runde an der Bar sitzen. Dinge wie Ausstattung oder Sauberkeit interessierten ihn wenig. Umso größer war die Freude über die Wände, die in Violett gehalten waren. Zufälle gab es bekanntlich nicht, und ein Zimmer in Weiß und Violett war ihm mehr als nur vertraut. Auf dem Bett lagen Handtücher in den Farben Pink und Violett. Besonders hier in Kroatien konnte die Wahl für ihn nicht besser sein. Volltreffer! Die Freude nahm noch zu, als er bemerkte, dass die Balustrade durchsichtig war, und man nichts anderes als das Meer sah. »Memories, memories, …, wo ich bin, ist das Meer, das Meer, das Meer, das schöne Meer«, sang er, öffnete alle Türen, legte sich auf das große Bett und schlief durch die Wirkung des Weins sofort ein.

    Als er erwachte, dämmerte es, und Peter schaute zu den kroatischen Inseln hinüber, sah den roten Himmel über ihnen liegen, und war einfach nur glücklich. Dieses Land gefiel ihm, er würde sich einige der Inseln anschauen, vielleicht sogar die eine oder andere Stadt, obwohl er Städte nur in Ausnahmefällen besichtigte. Sie mussten klein sein, und die Straßen leer, nur so mochte er sie.

    Er ging duschen, begutachtete seinen weißlich gelben Dreitagebart, zog sich an und ging in die Bar, um anderen Menschen zu begegnen. Die Bar aber war noch leer, und zu Peters Bedauern hörte er vom Rezeptionsmitarbeiter, dass es außer ihm hier zurzeit nur vier Gäste gab. Er hatte nicht an die Vorsaison gedacht. Er schaute sich den Fitnessraum im Keller an, denn er wollte gerne eine Hantelbank und einige Geräte für die Arme benutzen, aber die Geräte waren in keinem guten Zustand. Einen Tennisplatz gab es nicht, und so ging er erneut auf sein Zimmer, machte einige Yogaübungen, kramte Sportkleidung hervor und ging die lange Promenade entlangjoggen, drei

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