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Gespalten: Zwischen Intoleranz und Akzeptanz
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Gespalten: Zwischen Intoleranz und Akzeptanz
eBook144 Seiten2 Stunden

Gespalten: Zwischen Intoleranz und Akzeptanz

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Über dieses E-Book

Wenn ich wüsste, was ich nur tun muss, damit sich ein Mädel wie du in mich verliebt dann würde ich es tun. Diese verzweifelten Worte richtet Nils Tauber an Marie, die er von Kindesbeinen an liebt. Sie entscheidet sich gegen ihn, wie so viele in seinem jahrelangen Kampf um Liebe und Anerkennung. 1982 kommt Nils mit einer Lippen-Kiefer-Gaumenspalte zur Welt. Mit einem halben Jahr hat er zwei Operationen hinter sich. Die Spalte ist geschlossen, sein Leidensweg beginnt.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum1. Feb. 2021
ISBN9783969877159
Gespalten: Zwischen Intoleranz und Akzeptanz

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    Buchvorschau

    Gespalten - Nils Tauber

    Gespalten

    Vorwort

    Ich bin Nils und mit einer Lippen-Kiefer-Gaumenspalte zur Welt gekommen. Ich werde in diesem Buch meine Erfahrungen, überwiegend im zwischenmenschlichen Bereich, schildern. Meine Aufzeichnungen sollen dazu dienen, die für mich prägenden Erlebnisse besser verarbeiten und mich und mein Umfeld klarer sehen zu können sowie Menschen in ähnlichen Situationen aufzuzeigen, dass das Leben zwar grausam sein kann, aber auch für jeden ein Fenster offen hält.

    Ich bin 1982 per Kaiserschnitt zur Welt gekommen. Meiner Mutter hat es sicherlich einen gehörigen Schreck eingejagt, als sie mich das erste Mal in die Arme geschlossen hat.

    Wie der Name der Behinderung schon sagt, hatte ich eine Spalte durch Oberlippe, Kiefer und Gaumen. Im früheren Sprachgebrauch nannte man diesen Geburtsfehler Hasenscharte, wegen der Ähnlichkeit mit der Y-förmigen Spalte von Oberlippe zu Nasenlöchern bei Hasen. Ebenso hieß es, die Mutter habe sich während der Schwangerschaft sehr heftig erschrocken, was zu diesem Fehler geführt hätte. Das ist natürlich Unsinn. Damals meinten die Ärzte, ein Vitaminmangel oder auch Vitaminüberschuss könnte der Grund für die Fehlbildung sein.

    Leider gab es fast so viele unterschiedliche Meinungen, wie die Zahl der Ärzte, die meine Eltern mit mir konsultierten.

    Dass meine Eltern Zahntechniker waren, war ein großer Vorteil. So fertigte mein Vater eine Schnabeltasse für mich an, da ich nicht an der Brust meiner Mutter trinken konnte. Außerdem studierte er jede zur damaligen Zeit vorhandene Literatur, die mein Problem behandelte. Ich bin meinen Eltern sehr dankbar, dass sie vom ersten Tag an nur das Bestmögliche für mich wollten.

    Frühe Kindheit

    Meine Eltern erzählten mir, ich sei stets ein fröhliches Kind gewesen und habe alle Operationen willig über mich ergehen lassen. Auf die Frage, wie ich auf andere Leute gewirkt habe, meinte mein Vater, dass es für einige nicht ganz einfach gewesen sei. Verständlich, wenn sich bei einem lachenden Kind plötzlich die Oberlippe spreizt.

    Für meinen älteren Bruder wurde meine Behinderung rasch zur Normalität.

    Für die ersten Operationen entschieden sich meine Eltern für einen Operateur, der gebürtig aus der ehemaligen DDR kam. Er hatte auf diesem Gebiet eine neue Operationstechnik entwickelt, die meinen Eltern am vernünftigsten erschien.

    Mit einem halben Jahr hatte ich die ersten beiden Eingriffe hinter mir. Die Lippe war geschlossen, scheinbare Normalität kehrte ein.

    Ich kann mich noch gut an einige Krankenhausaufenthalte erinnern. Insgesamt mögen es ungefähr fünfzehn gewesen sein. Als ich wieder einmal an der Nase operiert wurde, war mein Vater dabei. Er hatte mich danach gefragt, ob ich den Verband im Spiegel anschauen möchte. Dies habe ich natürlich bejaht. Als er mich dann auf einen Stuhl gestellt hatte und ich den riesigen Verband auf meiner Nase im Spiegel entdeckte, wurde mir ganz schwindlig. Ich hatte das Gefühl, als hätte ich eine riesige weiße Knollennase im Gesicht.

    Bei einer weiteren Operation wurden zum ersten Mal Knochen aus meinem Beckenkamm entnommen und im Oberkiefer eingesetzt. Der Verband mit dem vielen Draht im Gaumen war äußerst unangenehm und meine Mutter musste mich im Krankenzimmer regelrecht einfangen, bevor sie mich in das kleine Untersuchungszimmer bringen konnte. Ich mochte den Arzt nicht, der den Verband prüfte und schmerzhaft in meinem Mund herumfuhrwerkte. Der Narkosearzt hingegen war sehr nett. Er besuchte mich öfter und spielte mit mir Tischkicker. Später erfuhr ich, dass das Personal gedacht hatte, ich wäre Privatpatient.

    Allerdings war ich kein Privatpatient, somit mussten meine Eltern einen Teil der Kosten decken, da die Krankenkasse nicht für alle Behandlungen aufkam.

    Meine Kindergartenzeit verlief recht entspannt. Die Erzieherin hieß Elli und war meine erste große Liebe. Sie war eine ausgesprochen liebenswerte Person. Besonders liebte ich ihre langen dunkelblonden Haare und ihr freundliches Lächeln, mit dem sie mich jeden Morgen empfangen hat. Dass ich kein großer Maler werden würde, hat sich schon damals abgezeichnet. Meine Stärken lagen in anderen Bereichen. Ich war gerne in Bewegung, hatte Freude beim Fangen spielen oder anderen Action-Spielen.

    Erste Schuljahre

    1988 wurde ich eingeschult. Bereits nach einigen Tagen hatte ich ein negatives Erlebnis mit dem Hausmeister. Kann sein, dass ich gerannt bin. Ich weiß es nicht mehr so genau. Auf jeden Fall bin ich mit meiner Jacke an einem Blumenstrauß im Flur hängen geblieben. Eh ich mich versah, lag die bunte Pracht samt zersplitterter Vase auf dem Boden, Herr Weimer, der Hausmeister, hat getobt. Am nächsten Tag habe mich nicht mehr in die Schule getraut. Schließlich habe ich meiner Mutter von meinem Missgeschick erzählt. Sie hat sich furchtbar darüber aufgeregt, wie man gegenüber einem Sechsjährigen derart überreagieren konnte. Kurz entschlossen brachte sie mich zur Schule. Dort gab es wohl ein klärendes Gespräch zwischen ihr und Herrn Weimer. Von da an hat er mich erst mal in Ruhe gelassen.

    Die Grundschule stellte sich im Großen und Ganzen als sehr angenehm dar. In meiner Straße wohnten meine besten Freunde, Markus und Jan, mit denen ich jeden Morgen den Schulweg antrat.

    Bei drei Jungs war es natürlich oftmals auch der Fall, dass beim Spielen einer von uns das fünfte Rad am Wagen war. Markus war immer der Dreiste von uns dreien, egal wo wir waren, er hat sich immer auf die Couch geschmissen und sich wie zu Hause gefühlt. Jan war immer etwas zurückhaltender und ruhiger. Ich war eher der Clown in unserer Truppe.

    Oft sind wir mit unseren großen Brüdern zum Fußball spielen gegangen. Ich kann mich noch gut an den löchrigen Bolzplatz am Friedhof erinnern.

    Manchmal haben wir mit unseren Kettcars kleine Crashtests durchgeführt. Ich fuhr von unserem Grundstück auf den Gehweg, Jan fuhr bei sich Zuhause los und kam mir frontal entgegen. Bei einem dieser Frontal-Crashs hat mein Modell leider einen Achsbruch erlitten.

    Später bin ich noch mal negativ mit Herrn Weimer in Kontakt gekommen, es stand die Fahrradprüfung an. Diese wurde immer mit den Kindern der dritten Schulklasse durchgeführt. Auf jeden Fall hatte ich das Pech, dass ich als Letzter auf die Strecke gehen musste. Laut Hausmeister musste der Letzte der Gruppe immer ein orangefarbenes Cappy aufsetzen, damit alle wussten, dass der letzte Fahrer kam. Aufgrund meines blumigen Erlebnisses mit Herrn Weimer, war ich ihm so gut es ging aus dem Weg gegangen. Aus meinem Verhalten schloss er wohl, dass ich nicht gern im Mittelpunkt stand. Er hat das mit dem Cappy vor allen anderen zelebriert, als wäre ich der Prinz of Wales, dem die Krone verliehen wird. Ich hätte im Boden versinken können.

    Eigentlich war ich ein fröhliches Kind, oft habe ich meine Familie durch meine Art aufgeheitert. An ein Weihnachtsfest bei meinen Großeltern kann ich mich noch gut erinnern, damals gab es einen Hit namens Hier kommt Kurt.

    Mit der Sonnenbrille meines Onkels und dem Hut von meinem Opa habe ich das Lied zum Besten gegeben. Mit einem Kamm als Mikrofon und einer Decke als Mantel bewaffnet, bin ich durchs Wohnzimmer gewirbelt, habe getanzt und gesungen. Meine Großeltern, Onkel und Tanten waren von meinem Auftritt begeistert und haben herzhaft gelacht.

    Es war eine schöne Zeit damals in der ich nie wirklich mit meiner Behinderung konfrontiert wurde. Nur Timo, ein Bekannter meines Cousins, äußerte sich ab und zu abfällig und nannte mich „Elefant", wenn er mich sah. Natürlich war mir das unangenehm, dennoch kam ich im Prinzip gut mit ihm zurecht.

    Außerdem war ja meine Nase tatsächlich nicht so wie die anderer Kinder, was mir dadurch immer wieder verdeutlicht wurde.

    Durch die Spalte auf der rechten Seite fehlte dort der Knorpel in der Nase, was im Verlauf meines Wachstums immer deutlicher wurde. Obwohl Timo mich öfter „Elefant" nannte, gehörte er nie zu den Menschen, über die ich eine negative Meinung hatte.

    Mit ungefähr acht Jahren musste ich zum ersten Mal zum Kieferorthopäden. Die Orthopädin meinte, dass sie diesen schweren Fall nicht übernehmen könne, und empfahl meiner Mutter die Uniklinik in Münster.

    So kam es, dass meine Mutter und ich einmal im Monat nach Münster in die Universitätsklinik fuhren. Sie hat sich nie über diese zusätzliche Belastung neben Haushalt und Beruf beklagt.

    Dort machte Dr. Rehmer zum ersten Mal einen Abdruck von meinem Kiefer. Leider ist es so, dass es dort viele junge Ärzte gibt, die sich über kurz oder lang selbstständig machen. So kam es, dass sich viele unterschiedliche Ärzte um mich bemühten.

    Eines Tages kam uns in einem der schmalen Gänge, die die einzelnen Gebäudekomplexe miteinander verbanden, ein Kind mit einem Wasserkopf entgegen. Ich spürte, dass meine Mutter genauso erschrak wie ich. Ich wollte ihn nicht anstarren, konnte aber den Blick nicht abwenden. Gleichzeitig empfand ich ein tiefes Mitleid mit dem Jungen. Dieses Mitleid sollte mir in meinem Leben, beim Umgang mit Menschen mit Behinderung, noch oft begegnen. Im Laufe der Jahre entwickelte ich ein ganz besonderes Einfühlungsvermögen für benachteiligte Menschen.

    Eines Tages war ich zum 9. Geburtstag von meinem Klassenkameraden Pierre eingeladen. Dessen Vater lag zu diesem Zeitpunkt nach vielen Krankenhausaufenthalten querschnittsgelähmt zu Hause im Bett.

    Ich saß mit den anderen Jungs auf der Terrasse und ließ mir die Pommes schmecken, als ein Bruder von Pierre zu mir kam und meinte, dass sein Vater mich kurz sprechen wolle. Erstaunt folgte ich ihm ins Zimmer des Vaters, der fern sah. Als wir eintraten, schaute er mich an und meinte, dass er mich durchs Fenster gesehen habe und ich wie Mike Krüger aussehen würde. Dann lachte er herzhaft und wandte sich wieder dem Fernseher zu.

    Ich habe damals nicht wirklich verstanden, was er mir damit sagen wollte. Heute denke ich, wenn es ihm was gebracht hat und er in dieser schlechten letzten Zeit seines Lebens noch ein wenig Spaß gehabt hat, warum nicht.

    Ich habe nie mit jemandem über diese Begegnung gesprochen, wie ich all meine Negativ-Erlebnisse gegenüber meinen Eltern verschwiegen habe. Heute weiß ich, dass das falsch war.

    Eines Tages hat es an der Tür geklingelt, als ich in meinem Zimmer spielte. Meine Mutter öffnete und sah sich jemandem gegenüber, der Geld für Menschen mit Behinderung sammelte. Meine Mutter erklärte dem Mann, dass sie selbst ein Kind mit Behinderung hätten und dadurch finanziell stark belastet seien. Diese Worte haben sich bis heute tief in mein Bewusstsein eingegraben. Auch darüber habe ich nie gesprochen.

    Mit zehn, die Grundschulzeit neigte sich ihrem Ende zu, begannen meine ersten Erfahrungen mit dem anderen Geschlecht. Markus, Jan und ich spielten immer mit drei

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