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Time Dwarfs Inn: Düstere Diskrepanzen
Time Dwarfs Inn: Düstere Diskrepanzen
Time Dwarfs Inn: Düstere Diskrepanzen
eBook376 Seiten4 Stunden

Time Dwarfs Inn: Düstere Diskrepanzen

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Über dieses E-Book

Aus der Reihe epischer Machwerke ...
Die fantastische Fortsetzung des nicht minder reizvollen ersten Teils.

Vladan Dragomir III. soll aus seinem Schloss vertrieben werden. Doch der Vampir ist ganz und gar nicht damit einverstanden, sein ehrwürdiges Domizil gegen eine modrige, alte Gruft einzutauschen. Unterdessen jagen Scarlette Moone und ihre Crew den größten Piratenschatz aller Zeiten, während sich Schattenkrieger Kazuo auf die Suche nach seiner kleinen Schwester begibt, deren Übereifer droht, selbst die Götter zu entzweien. Der aufstrebende Staatsdiener Hieronymus wähnt sich indes am Ziel seiner Träume, bis irgendwo ein grausames Ungeheuer aus seinem jahrhundertelangen Schlaf erwacht.
Und an all dem soll der kleine Troll Knorpel schuld sein?
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum19. Jan. 2022
ISBN9783755722199
Time Dwarfs Inn: Düstere Diskrepanzen
Autor

Mario Hammer

Mario Hammer wurde am 18.10.1978 in Bochum geboren. Er ist verheiratet und seiner Geburtsstadt bis heute treu geblieben.

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    Buchvorschau

    Time Dwarfs Inn - Mario Hammer

    Für Tanja

    Dinge sind geschehen. 1

    Ende des Prologs


    ¹ Nachzulesen in: Time Dwarf’s Inn ‒ Der Preis der Magie

    Wir tappen hier ziemlich im Dunkeln, oder wie sehen Sie das?« Die Worte des Mannes durchbrachen die Stille der vorherrschenden Finsternis.

    »›Sehen‹ sagen Sie? Ich sehe rein gar nichts«, entgegnete der zweite Mann. Seine Stimme klang rau und ließ darauf schließen, dass er seinem Vorredner um ein paar Lebensjahre voraus war.

    »Darum geht es mir ja, werter Kollege.« Der jüngere der beiden wirkte besorgt. »Hier stimmt doch irgendwas nicht.«

    »Ach, meinen Sie wirklich? Das ist Ihnen aber früh aufgefallen«, entgegnete der Ältere.

    »Sie müssen nicht gleich schnippischwerden.«

    »Muss ich nicht?«

    »Nein, müssen Sie nicht. Nur, weil ich das Offensichtliche ausspreche …«

    »Hier ist nichts offensichtlich.«

    »Sie wissen ganz genau, wie ich das meine«, erwiderte der junge Mann trotzig. Seine Stimme wurde weinerlich. »Das ist so ganz anders als im letzten Jahr. Oder in all den Jahren davor.«

    »Außerordentlich gut beobachtet, Herr Kollege.«

    »Da! Sie sind schon wieder schnippisch!«

    »Na ja, wie soll ich mich denn auch sonst verhalten?« Der ältere Mann zuckte wahrscheinlich mit den Schultern, doch tiefschwarze Dunkelheit ließ jegliche Bewegung nur erahnen. »Ich sehe meine eigene Hand vor Augen nicht, ich habe keine Ahnung, wo wir uns befinden, und ich weiß nicht, wo die anderen abgeblieben sind.«

    »Richtig, die anderen.« Ein dumpfes Geräusch ließ den Schluss zu, dass sich der jüngere Mann mit der flachen Hand gegen die Stirn schlug, gerade so, als wolle er einem lästigen Insekt das Leben verkürzen.

    »Hallo? Halloho? Ist irgendjemand hier? Haaallo!«

    »Das ist jetzt nicht Ihr Ernst.«

    »Was denn?«

    »Denken Sie nicht, dass man sich eventuell unter Umständen vielleicht schon gemeldet hätte, wenn man uns hören könnte?«

    »Stimmt ja. Sie haben vollkommen recht.« Erneut schien sich der Jüngere gegen die Stirn zu schlagen. »Wir wurden also augenscheinlich von den anderen getrennt.«

    »Na, Ihre Kombinationsgabe möchte ich haben.«

    »Was haben wir denn vorhin über das Schnippisch werden gesagt?«

    »Sie haben was gesagt. Ich habe nichts gesagt.«

    »Hallo? Hallo? Ist da jemand?« Eine dritte, weibliche Stimme unterbrach die beiden. »Kann mich irgendjemand hören?«

    * * *

    Das Time Dwarf’s Inn. Wirtshaus im Mittelpunkt allen Seins und Treffpunkt vieler skurriler Gestalten. Normalerweise. An diesem Abend jedoch war die Schenke von nur wenigen Gästen besucht.

    »Vampire …«, sprach die hagere, am Tresen sitzende Gestalt. »Sie laben sich am Blut der Lebenden, weil der Tod durch ihre Adern fließt.« Verruchte Anmut durchtränkte die Stimme der dunkel gekleideten Person.

    »Der … der Toht fliessurch ihre Ahdann?«

    Die lallende Erwiderung des kurzen, leicht untersetztenMannes in zerlumpten Kleidern ließ jeglichen Hauch von Ästhetik schmerzlich vermissen. Überhaupt erweckte die traurige Erscheinung nicht gerade den Eindruck, in ihrem bisherigen Leben jemals Würde und Eleganz besessen zu haben. Ganz im Gegensatz zu ihrem Sitznachbarn. Vladan Dragomir III. war ein sehr alter Vampir. Er wusste nicht, ob es je eine Zeit gegeben hatte, in der er keine verfluchte Kreatur, kein Kind der Nacht gewesen war. Sollte es sie gegeben haben, so konnte er sich nicht mehr daran erinnern.

    »Ganz recht«, entgegnete er und würdigte den Mann zu seiner Linken nur eines flüchtigen Blickes. »Der Tod ist unser ständiger Begleiter. Unser Freund. Unser … Spielkamerad.«

    »Spielkammeraht? Dassissja puzzich.« Der kleine Mann formte Gurgeln und Röcheln zu einem heiseren Lachen.

    »Ich kann nichts Erheiterndes daran finden.« Vladan verzog keine Miene. Behutsam und schier unendlich langsam nahm er seinen nachtschwarzen Zylinder ab und drapierte ihn neben sich auf einem Barhocker. Sein zum Vorschein gekommenes, graumeliertes Haar war zu einem langen Zopf zusammengebunden. Es wirkte, als habe jemand versucht, Stacheldraht mit einem Dampfbügeleisen zu glätten. Das Ergebnis war Sauerkraut.

    »Ich finnas puzzich«, fuhr das Männlein fort, nicht, ohne seinem hinter einem Strauß von Bartstoppeln verborgenem Mund einen weiteren Schluck Whisky zuzuführen. »Freunde sinn wichtich imm Lehm.« Er rülpste unschön. »Lehms du einglich? Neee, odda?«

    Der Vampir konnte sich selbst nicht erklären, wieso er darauf antwortete. Er hatte sich irgendwie mehr von diesem Gespräch erhofft. Wie so oft besuchte er diese Gaststätte in der Hoffnung, eines Tages auf jemanden zu treffen, der ihm mehr über seinen Ursprung sagen konnte. Mehr, als er bereits wusste. Doch seine Ahnenforschung hatte ihn bislang nicht weit geführt. Obwohl er bereits seit mehr als dreihundert Jahren auf Erden wandelte, überkam ihn zugleich das ungute Gefühl, ihm würde hier, direkt neben jenem bedauernswerten Individuum, welches sich nicht einmal die Mühe gab, ein gutes Beispiel für einen noch lebenden Menschen abzugeben, nur wertvolle Zeit gestohlen werden.

    »Nein, ich lebe nicht«, sprach er eisig. »Ich bin … untot.«

    »Unntoht?«, gluckste sein Sitznachbar.

    »Das ist korrekt.« Vladan nickte gemächlich.

    »Wassn unntoht?«

    »Ich bin ein Wiedergänger«, entgegnete Vladan. »Ein Nachlebender. Ich befinde mich zwischen Leben und Tod.«

    »Kannsich nich entscheidn, wassu willz, was?« Der Mann wackelte mit seinem wulstigen Zeigefinger vor Vladans Nase herum. Abermals entfloh ein verzweifeltes Lachen dem schalen Gestank seines Mundwerkes.

    »Da deine ungelüftete Denkstube derzeit offenbar zu großen Teilen damit beschäftigt ist, wenig intelligente Fragen zu ersinnen und diese in halbwegs verständliche Worte zu fassen, wiederhole ich mich gern noch einmal: Ich kann nichts Erheiterndes daran finden.«

    »Abba ich. Dassiss lussich.« Ein erneutes Eruktierenunterstrich die Antwort und versah sie mit mehreren Ausrufezeichen.

    Vladan atmete langsam ein und entließ ein ausgedehntes, gleichmäßiges Seufzen. Eine steife, durch undichte Fenster schleichende Brise hätte nicht kälter sein können. Er drehte sich allmählich dem noch immer glucksenden Mann zu. In das fahle Antlitz des Vampirs waren blutrote Augen eingelassen, die die Intensität zweier glühender Kohlen aufwiesen, welche, wenn man sie nur lange genug anschaute, auf einen selbst zurückblickten.

    Obschon der lallende Mann bereits vor etlichen Gläsern die Fähigkeit verloren hatte, halbwegs geradeaus zu schauen, schaffte er es dennoch irgendwie, von Vladans Blicken in ihren Bann gezogen zu werden.

    »Ichmöchte, dass du dich erhebst«, sprach der Untote psalmenhaft. »Erhebe dich, nimm deine sieben Sachen und verlasse die Taverne.«

    Seine leuchtenden Augen schienen die Schädeldecke seines Gegenübers zu durchdringen und ihr Innerstes akribisch zu begutachten.

    »Wie … Ihr… beffehlt«, entgegnete der Mann, sich in einem noch größeren Dämmerzustand befindlich, als der Whisky es je ermöglicht hätte.

    »Geh nach Hause und schlaf dich aus. Ich übernehme deine Rechnung.«

    »Dassiss … höchsannstendich … vonn … Euch.«

    »Gern geschehen. Und nun geh.«

    Der kleine Mann tat, wie ihm geheißen, griff nach Hut und Mantel und stolperte Richtung Ausgang.

    »Vertreibst du wieder meine Gäste?« Knorpel schloss die Küchentür hinter sich. Der kleine Troll ging, in eine viel zu große Schürze gewickelt und einen Teller vorsichtig vor sich her tragend, auf Vladan zu.

    »Er war äußerst … schwierig, dein Gast«, antwortete der Vampir leise.

    »Ach, der gute Cascar. Cascar Dallax. Er hat nur wieder zu tief ins Glas geschaut. Er wird dann meist sehr anhänglich. Nimm’s ihm bitte nicht übel.« Knorpel grinste halbseitig. »Hier, deine Suppe.«

    Der Troll war es gewohnt, tagein tagaus die unterschiedlichsten Gerichte zu servieren, doch einige seiner Gäste hatten Vorlieben, die er selbst nicht uneingeschränkt teilte. Warmes Rinderblut mit einem Schuss Tabasco und etwas Honigmilch abgeschmeckt zählte definitiv dazu.

    Der herrlich-liebliche Duft der warmen Speise vermochte Vladan jedoch jedesmal ein kurzes Lächeln abzuringen.

    »Ich danke dir vielmals.« Der Untote nickte sanft und begann zu löffeln.

    Der gemeine Blutsauger an sich nahm seine doch recht einseitige Mahlzeit‒ vom klassischen Biss in die Halsschlagader einmal abgesehen ‒ in der Regel gern in einem Glas, einem Krug oder einem ähnlich gearteten Behältnis zu sich, doch Vladan versuchte, zumindest ein klein wenig Abwechslung in seine nächtliche Nahrungsaufnahme zu bringen; er trank sein Blut aus einem güldenen Krug oder aß es aus einem Suppenteller. Das Resultat war freilich dasselbe, doch Vladan überlistete sich in diesem Fall gern selbst.

    »Dieser Dallax«, fragte er schlürfend. »Was ist das für ein ›Mann‹?«

    »Oh«, antwortete Knorpel, während er behände auf sein Treppchen hinter dem Tresen hüpfte und sich ein paar schmutzige Biergläser schnappte, »er kommt öfter hierher. Er ist, beziehungsweise er war, Schiffsmechaniker. Er diente auf der Phazar VII, einem Raumjäger der Naij-Jar-Brigade.« Der Troll stopfte einen alten Lappen in eines der Gläser und pfriemele eifrig darin herum.

    Vladan hob seine Augenbrauen. Er besuchte den kleinen Troll regelmäßig und war somit bestens daran gewöhnt, die unterschiedlichsten Wesen und Kreaturen im Time Dwarf’s Inn anzutreffen. Doch ein Schiff, dass durch die Lüfte flog und sogar von einem Planeten zum anderen reisen konnte, erstaunte ihn stets aufs Neue.

    »Cascars Frau verstarb vor etwas mehr als einem Jahr ganz plötzlich, und das kann er nur schwer verdauen. Daraufhin begann er zu trinken.« Knorpel seufzte leicht. »Anfangs suchte er lediglich etwas Trost, etwas Aufmunterung im Whisky, doch hin und wieder übertreibt er es damit. Aber im Grunde ist er ein herzensguter Mensch, der es liebt, Geschichten zu hören. Das Übliche halt.«

    »Das ist … üblich?«

    »Na ja, nicht üblich üblich. Aber man kennt es eben.« Knorpel griff nach einem weiteren Glas. »Ein typischer Kneipengänger.«

    Vladan schluckte.

    »Vielleicht war ich … zu hart zu ihm?«

    »Nein, nein, ist schon in Ordnung. Er wird es dir sicher nicht übel nehmen. Er schläft seinen Rausch aus und weiß von all dem bestimmt schon bald nichts mehr.«

    »Das ist beruhigend. Manchmal geht es mit mir durch. Derartige Gespräche verlaufen meist sehr … einseitig

    »Was meinst du?« Der Troll ließ von seiner Arbeit ab und widmete seine volle Aufmerksamkeit seinem schlanken Gegenüber.

    »Nun…«Vladan legte den Löffel beiseite und tupfte sich den Mund ab. »Gespräche über Vampire, über mich. Sie verlaufen immer gleich. Man fragt, wie lange ich schon Vampir bin. Wie viel Blut ich trinke. Ob ich in Gruften schlafe. Ob mich das Sonnenlicht umbringt. Dabei möchte ich doch nur einmal jemandem begegnen, der auch mir etwas über uns zu berichten hat.«

    »Und?«

    »Was ›und‹?«

    »Das Sonnenlicht? Bringt es dich um?« Knorpel stütze die Ellenbogen auf den Tresen und legte seinen runzeligen Kopf in die Hände.

    »Das weiß ich nicht«, entgegnete Vladan. »Ich nehme es stark an. Ich möchte es allerdings auch tunlichst vermeiden, es jemals auszuprobieren.«

    »Woher weißt du dann, dass du es nicht verträgst?«

    »Manche Dinge nimmt man einfach hin. Man versucht sie erst gar nicht. Das ist wie Karussell fahren.«

    »Du bist noch nie Karussell gefahren?«

    »Nein.«

    »Warum nicht?«

    »Würdest du mich bitte weiterreden lassen?«

    »Tu dir keinen Zwang an.« Knorpel schloss die Augen und machte eine Geste, die aussah, als wolle er einen unsichtbaren Vorhang beiseite schieben.

    »Danke.« Vladan täuschte ein Grinsen vor. »Nun, das ist genau das, was ich meine. Woher soll ich mit Bestimmtheit wissen, ob ich das Sonnenlicht vertrage oder nicht? Es wird überliefert, dass dem nicht so ist, ja. Und viele meiner Artgenossen haben bereits mehr oder weniger freiwillig bewiesen, dass uns das Sonnenlicht umbringt. Aber warum? Wo kommt das alles her? Das ist es, was ich wissen möchte.«

    »Nun ja«, entgegnete Knorpel, »ich fürchte, da kann ich dir auch nicht helfen.«

    »Siehst du.« Der Vampir verzog seinen Mund. »Und du warst schließlich mal ein Gott. Wenn du es nicht weißt, wer dann?«

    »Das ergibt erschreckend viel Sinn.« Der Troll ergriff ein weiteres Glas und begann, es zu säubern. »Aber da siehst du doch schon: jemand wie Cascar Dallax ist zwar in seinem Leben viel herumgekommen, aber er wird dir bestimmt nichts über die Herkunft von Vampiren erzählen können. Daher lauscht er viel lieber den Geschichten, die du ihm zu erzählen hast. Ob du in Gruften schläfst oder dich das Sonnenlicht umbringt. Worüber hätte Dallax denn zum Beispiel auch erzählen sollen? Über seine Stärken? Und Schwächen?«

    »Nun …« Vladan kniff die Augen zusammen. »Ich habe keine Ahnung. Vielleicht …« Er kratzte sich am Kopf. »Er war doch Mechaniker, sagst du. Also ist die Technik seine Stärke. Physik vielleicht? Mathematik? Und vielleicht hasst er Sport? Oder Pflaumenkuchen?«

    »Jetzt wirst du albern.«

    »Ein wenig vielleicht.« Die beiden lachten.

    »Aber du musst zugeben«, erwiderte der Troll, »dass die Geschichten eines Vampirs doch ein klein wenig spannender sind, nicht? Ich meine, ihr könnt euch in Fledermäuse, Wölfe und Nebelschwaden verwandeln.«

    »Und?«

    »Nun ja, das kann nicht jeder.«

    »Rechnen auch nicht.«

    »Ja, schon. Aber … Holzpflöcke!« Der grünhäutige Gastwirt schrie auf. »Holzpflöcke! Die sind tödlich für euch.« Er war froh, sich aus seiner selbst geschaffenen, verbalen Sackgasse herausmanövriert zu haben.

    »Für wen mag ein Pflock ins Herz denn bitte nicht tödlich sein?«

    »Auch wieder wahr.«

    »Siehst du«, sagte Vladan. »Wir sind immer diejenigen, die ausgefragt werden.«

    »In Ordnung, in Ordnung. Du hast wohl recht.« Der kleine Troll gab sich geschlagen. Der Untote nickte zufrieden.

    »Nun ja. Ich an deiner Stelle wäre froh, so im Mittelpunkt zu stehen.«

    »Kreaturen der Nacht stehen nicht gern im Mittelpunkt. Sie werden auch nicht gern gesehen. Daher sind sie ja im Dunkeln unterwegs.«

    »Und weil das Sonnenlicht ›höchstwahrscheinlich‹ tödlich für sie ist … So wie Karussells.« Knorpel kicherte, und noch bevor sein Gegenüber einen Einwand einbringen konnte, fuhr er fort. »Jetzt iss deine Suppe, bevor sie gerinnt.«

    Er griff nach einem weiteren Bierglas, der Vampir nach seinem Löffel. Nach einer kurzen Weile, Vladan Dragomir III. war gesättigt und bereit, den Heimweg anzutreten, bemerkte er eine kurze, für das menschliche Auge kaum auszumachende Bewegung in den Schatten über sich. Jemand, oder etwas, schien dort auf den Dachbalken zu sitzen. Er erhob sich langsam, tat einen Schritt zur Seite und blickte nach oben.

    »Du dort, in den Schatten! Zeig dich!»

    Knorpel ließ erschrocken seinen Putzlappen fallen und kniff die Augen zusammen.

    »Was siehst du? Da ist doch niem… «

    »Psst«, fuhr ihm der Vampir über den Mund.

    »Zeig dich«, wiederholte er, »es hat keinen Sinn, sich zu verstecken. Die Dunkelheit ist meine Geliebte. Niemand kann sich in ihr vor mir verbergen.«

    »Das klang jetzt irgendwie seltsam«, gaben die Schatten zur Antwort.

    * * *

    Ikari begann ihren Aufstieg zum heiligen Tempel des Großen Oni. Eisiger Wind geißelte ihre zarte, samtweiche Haut, als sie die uralten, steinernen Treppen erklomm, die sie zur Spitze des Berges führen sollten. Ihre langen, dunklen Haare wehten ihr ins Gesicht. Schneebedeckte Statuen, deren schäbige Fratzen sie hämisch auszulachen schienen, säumten ihren Weg.

    Der Schöpfer dieser monströsen Machwerke mussteeine schwere Kindheit gehabt haben. Oder er war einfach nur ein miesepetriger Mensch mit einem äußerst fragwürdigen Sinn für Humor. Anders konnte sich die junge Frau die skurrilen Skulpturen, die die steile Treppe links und rechts flankierten, nicht erklären. Sie wusste nicht, was schlimmer war: der bodenlose Abgrund, der sich noch vor wenigen Minuten unter ihr aufgetan hatte, die alte Hängebrücke, auf der sie besagten Abgrund überqueren musste, oder diese Statuen. Im Grunde genommen hätte die Kriegerin auf alles liebend gern verzichtet.

    Im Gegensatz zu ihrem Bruder hatte Ikari den Tempel der Shinohara bislang nie besucht. Nur den wenigsten wurde diese Ehre zuteil. Während er, Kazuo, den Weg, der vor ihr lag, schon einige Mal beschritten hatte, war es für sie Neuland; im wahrsten Sinne des Wortes.

    Während sie sich Wind und Wetter trotzend allmählich ihrem Ziel zu nähern schien, überkam die jüngste Kriegerin des Halbmond-Clans ein eisiger Schauer. Dieser Umstand war nicht etwa darauf zurückzuführen, dass Ikari unter einer dunkelroten, traditionellen Rüstung der Samurai lediglich mit knapper Baumwollkleidung bedeckt war und zudem außer einem Paar aus Reisstroh gefertigten Sandalen ihre zierlichen Füße nichts vor dem eisigen Boden zu schützen vermochte. Nein, bei weitem nicht. Denn das war sie gewohnt. Das hatte sie sich ausgesucht. Auch, wenn Kazuo ihre Meinung darüber bei weitem nicht teilte, sie mochte ihre Kleidung. Ein Ninja ist ein Schattenkrieger. Ein Verborgener. Und als solcher sollte man, nun, verborgen sein. Nicht auffallen wie ein bunter Hund. Dies sagte er stets zu ihr, und sie konnte sich den Gesichtsausdruck, welchen er dabei aufsetzte, nur allzu gut vorstellen. Sie aber mochte es, gesehen zu werden. Ihre Gegner sollten sie kommen sehen. Wo bliebe denn ansonsten der Spaß?

    Nein, Ikari fror nicht aufgrund ihres Textilmangels. Vielmehr lag der kalte Hauch, der nun langsam, aber stetig, begann, ihren Nacken hinabzukriechen, darin begründet, dass die junge Kriegerin nicht wusste, was sie erwarten würde. Weder Kazuo noch sonst irgendjemand, der schon einmal das zweifelhafte Vergnügen besaß, sich in ihrer jetzigen Situation befunden zu haben, verlor je ein Wort darüber. Nicht ein einziges Wort. Niemals. Und obwohl Ikari Furcht nicht fremd war, hatte sie in den vielen Jahren ihrer Ausbildung gelernt, wie man sich dieser stellte. Dennoch drohte sich ihr Magen hier und jetzt, nahe des Berggipfels, mit jedem weiteren Schritt, den sie tat, umzudrehen. Mehr als das. Das ungute Gefühl in ihrem Bauch drangsalierte sie regelrecht. Es krabbelte langsam ihre Brust herauf, umarmte sie einer gierigen Würgeschlange gleich, nur um ihr daraufhin den Hals zuzuschnüren und ihr vollends den Atem zu rauben. Je weiter sie die Treppen emporstieg, desto lauter pochte ihr Herz.

    Was passiert hier, fragte sich die junge Frau. Gedanken schossen durch ihren Kopf. Ich … habe keine Angst. Ich … ich kenne keine Angst! Nicht mehr. Sie konnte es nicht fassen. Die Furcht, die sie früher so beherrscht hatte, war schon lange tief verborgen in ihr eingeschlossen. Und dennoch …

    Ein unwirkliches Heulen erstickte ihre Gedanken im Keim. Milchige Nebelschwaden zogen auf. Der vormals peitschende Wind zog sich ehrfürchtig zurück und machte Platz für ein weiteres unheilvolles Jaulen, welches, einem Wolfsgesang gleich, immer lauter und lauter wurde. Ikari spannte instinktiv ihre Muskeln an. Sie nahm einen festen Stand ein, unterdrückte ihr Unbehagen so gut es nur ging und zog langsam ihre Waffe. Ihre antrainierte Konzentration übernahm allmählich die Oberhand. Der Nebel wurde dichter, das Heulen um sie herum verzerrter. Und es begann, einzelne Laute in ihrem Kopf zu formen. Ein Flüstern, das zu Worten wurde. Ein Flüstern, das zu einem Wort wurde: Kunoichi! Die Kriegerin umfasste den Griff ihres Langschwertes so fest, dass ihre Finger drohten, daran zu zerbrechen.

    Kunoichi! Immer wieder flüsterten, immer wieder hauchten die Nebelschwaden in Ikaris Angesicht dieses eine Wort. Kunoichi! Ja, das war sie. Eine Kunoichi. Eine Schattenkriegerin. Das hatte die wabernde Brühe vor ihrer Nase schon ganz richtig erkannt. Doch was sollte all dies?

    »Wer ist da?«, rief sie fragend, ihre Waffe zum Angriff erhoben. »Zeig dich!«

    Kunoichi! lautete die ‒ wenig überraschende ‒ Antwort.

    »Genugmit den Spielchen!» Die Kriegerin ließ mit einer Hand von ihrer Waffe ab, griff in ihren Gürtel und warf mit einer einzigen fließenden Bewegung drei kleine Dolche direkt ins Zentrum des mittlerweile zu einer Kugel geformten Nebelschleiers.

    »Hey, hey! Pass auf damit!« Der wabernde Schwadenball rollte zur Seite, gerade schnell genug, um nicht an die gigantische, hölzerne Eingangstür des Tempels genagelt zu werden. Ikari hatte nicht mitbekommen, dass sie ihr Ziel mittlerweile erreicht hatte. Erst jetzt, da sich die diesigen Wolken langsam verzogen, sah sie, dass sie direkt vor der heiligen Stätte stand, zu welcher man sie so unerwartet herzitiert hatte.

    »Was soll das alles?«, rief sie mit einer Stimme, die jedem Zuhörer unmissverständlich klar machte, dass mit Ikari beileibe nicht zu scherzen war.

    »Ist ja gut, ist ja gut», entgegnete ihr Gegenüber einsichtig. Der Nebelschleier verschwand und ein kleiner, kahlköpfiger Mann rundlicher Statur kam zum Vorschein. Er trug eine schwarze Robe inklusive passendem Beinkleid sowie eine weiß-rot gefärbte, aus Holz gefertigte Bärenmaske.

    »Du kannst dein Schwert jetzt wegstecken, Mädchen.« Seine hohe Stimme klang beschwichtigend.

    »Wer bist du? Und was soll das alles hier?« Ikari war nicht recht gewillt, auf den Vorschlag des Mannes einzugehen.

    »Ich bin Boru. Ja, Boru ist mein Name. Und ich bewache den heiligen Tempel. Hat man das nicht gemerkt?« Der Schwarzgekleidete zuckte etwas verständnislos mit den Schultern.

    »Du warst das?« Langsam senkte die Kriegerin ihre Waffe. Ein gigantisches Fragezeichen schien über ihrem Kopf zu schweben. »Du hast diesen Budenzauber veranstaltet?«

    »Budenzauber? Oh, das trifft mich jetzt aber hart. Hat’s dir etwa nicht gefallen?«

    Die Frau rang sichtlich bemüht nach Worten.

    »Komm schon!« Der kleine Mann wirkte enttäuscht. »Sag schon was! Es hat dir gefallen, ja?« Er zog ungeduldig mit seinen Füßen kleine Muster in den Schnee.

    »Ein … ein wenig übertrieben war es schon, findest du nicht?«

    »Naalso, geht doch.« Boru hüpfte freudig. »Nun ja, das Geheule war vielleicht ein wenig theatralisch, aber du musst zugeben, es hat dich erschreckt, oder? Hat es doch?« Er ließ voller Stolz seine verschränkten Arme auf seinem Bauch ruhen.

    »Ja, das schon.« Ikari nickte. Sie fragte sich, wie das wenig Furcht einflößende Männlein vor ihr es geschafft hatte, dass ihr der Angstschweiß auf die Stirn getreten war. Ihr, einer der besten und gefährlichsten Schattenkriegerinnen des Halbmond-Clans.

    »Und was sollte dieses ›Kunoichi-Getue‹?«

    »Na, irgendwie musste ich dich doch ansprechen, oder?« Borus Stimme machte einen irritierenden Kiekser. »Zudem finde ich den Klang des Wortes einfach toll. Ku…no … ichi! Ein weiblicher Ninja. Ich mag das. Es eignet sich prima, um es in Nebelgestalt von den Bergwänden widerhallen zu lassen, findest du nicht? Und außerdem … Ich kenne ja schließlich deinen Namen nicht.«

    »Ich … bin Ikari«, antwortete Selbige zögerlich.

    »Ah! Die kleine Schwester des berühmten Kazuo.«

    »Du kennst ihn?« Noch während sie ihre Frage stellte, wurde der jungen Frau klar, wie überflüssig sie war. Sie schlug sich gedanklich gegen die Stirn.

    »Selbstverständlich kenne ich ihn«, gab Boru zur Antwort. »Ichmeine, einander vorgestellt wurden wir zwar nicht, aber wir haben hier im Tempel nicht allzu viele Besucher, wie du sicher weißt. Da merkt man sich die wenigen, die uns die Ehre erweisen, schon. Und ich verrate dir noch etwas: auch der große Kazuo hatte beim ersten Mal zitternde Knie.« Der kleine Mann lachte. »Nun, Ikari. Dann folge mir mal. Der Große Oni erwartet dich bereits.«

    Boru öffnete eine kleine, in die enorme Eingangspforte eingelassene Tür und winkte die Kriegerin hinter sich her.

    »Warte mal. Ich werde erwartet, aber man kennt meinen Namen nicht?«

    »Oh, der Große Oni wird ihn sicher kennen. Er weiß alles. Aber so viel er auch weiß, so wenig sagt er mir. Er tut gern geheimnisvoll, weißt du?« Boru betrat den Tempel.

    »Und nun komm bitte. Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit.«

    Die Kunoichi folgte dem kleinen Mann ins Innere des heiligen Tempels der Shinohara und traute ihren Augen nicht: Inmitten der prunkvoll verzierten, steinernen Mauern, hoch auf dem Gipfel zwischen Eis und Schnee, erwarteten sie grüne Wiesen, blühende Pflanzen, Singvögel und Schmetterlinge.

    Was ist das für ein Ort, fragte sie sich. Welche Art Magie ist hier im Spiel?

    »Komm schon, Mädchen! Nicht bummeln!« Boru führte seinen Gast vorbei an mit Efeuranken bewachsenen Säulen und uralten, meterhohen Eichen, bis sie schließlich an einer weiteren, mit Gold besetzten, alten Holztür ankamen. »Wir sind am Ziel. Der Große Oni erwartet dich bereits.« Das Männlein verbeugte sich artig. »Es war schön, dich kennengelernt zu haben.«

    Die Kunoichi zuckte verwundert zusammen.

    »Oh! Nein, nein! So meinte ich das nicht!« Boru lachte. »Welch unglückliche Wortwahl. Entschuldige bitte.« Er räusperte sich. »Es hat mich wirklich gefreut, deine Bekanntschaft gemacht zu haben. Keine Sorge, dir wird nichts geschehen.«

    Ikari atmete erleichtert auf und zwang sich zu einem Lächeln.

    »Oh, und … Das mag jetzt vielleicht etwas abgedroschen klingen«, fügte der Tempelwächter hinzu, »aber was immer du auch tust, versuch, ihm nicht in die Augen zu sehen!«

    »Soll ich versuchen, ihm nicht in die Augen zu sehen, oder soll ich nicht versuchen, ihm in die Augen zu sehen?« Die junge Frau hob eine Augenbraue.

    »Äh … wie?« Boru sah so irritiert aus, wie ein von Kopf bis Fuß verhüllter Wicht nur irritiert aussehen konnte.

    »Das ist ein Unterschied«, fügte sein Gegenüber grinsend hinzu.

    »Äh …« Der kleine Mann kratzte sich am Kopf. »Verängstigt hast du mir besser gefallen.« Er räusperte sich. »Halt einfach nur deinen Kopf gesenkt. Schau auf den Boden, ja?«

    »Die ganze Zeit über?« Ihr Lächeln hatte etwas Aufforderndes.

    »Würdest du jetzt bitte gehen?« Boru zappelte nervös, deutete auf die Holztür und verschwand. Wenn Nebelschwaden die Fähigkeit besitzen würden, Geräusche von sich zu geben, hätte diese hier wohl ›Puff‹ gemacht.

    Zaghaft öffnete Ikari die Tür.

    * * *

    Das Geschoss schlug nur wenige Meter neben dem Beiboot ein. Eine rauschende Fontäne erhob sich und ließ es wanken wie einen volltrunkenen Albatros. Nur mit größter Mühe konnte sich Will Skuttle an Bord halten. Er konnte nicht fas sen, was dort gerade geschah. Hatte sie es also wieder geschafft. Wieso nur wunderte ihn das nicht? Es war doch immer wieder dasselbe mit ihr.

    Der Junge sollte nicht in der Lage sein, seine Gedanken weiter auszuführen, wurden sie doch jäh unterbrochenvon einem ohrenbetäubenden Knall in der Ferne, gefolgt von schrillem Pfeifen, welches die unvermeidbare Ankunft einer weiteren Kanonenkugel ankündigte.

    Will ging in Deckung. Er fasste sich an den Kopf und drückte sich selbst zu Boden. Der schlaksige Blondschopf kniff die Augen zusammen und erwartete den Einschlag, doch er hatte Glück: die zweite Kugel klatschte so weit von seinem kleinen Ruderboot entfernt ins Meer, dass er dieses Mal trocken bleiben sollte. Sehr zur Freude des Beschossenen hatte jemand offenbar sein Zielwasser nicht getrunken. Er rückte sein rot-weiß gestreiftes Kopftuch zurecht, das er an jenem Tag von Captain Moone überreicht bekam, an welchem er in ihre Dienste trat. Seitdem trug der Junge es unentwegt und voller Stolz. Nun bist du ein echter Pirat, hatte sie zu ihm gesagt. Nun bist du ein Mann.

    Wie ein

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