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Seifengold: Roman
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eBook281 Seiten3 Stunden

Seifengold: Roman

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Über dieses E-Book

Es geht um Millionen. Gold wird unterschlagen, aus dem Land geschmuggelt, gewaschen, eine Schweizer Bank bietet ihre Dienste an. Ein paar wenige scheffeln ein Vermögen. Die Hände schmutzig macht sich kein Reicher, den Dreck erledigen andere.

Der kenyanische Kriminalbeamte Tetu, in die Wüste strafversetzt, untersucht die Ermordung eines Geheimagenten. Die Spur führt in die Hauptstadt, im Dickicht der Stadt ermittelt er gegen eine Bande korrupter Politiker und deren weiße Beraterclique. Trotz Erfolgen scheitert er am Ende doch.

Der ehemalige Privatdetektiv Mettler, der seit ein paar Jahren in Lamu ein Hotel besitzt, steckt in privaten Schwierigkeiten. Sein Sohn Ali heiratet in der Schweiz, ein Kind ist auch schon da. Mettlers Freundin Alice reist in die Schweiz, sie will ihren Enkel sehen. Daß Ali und Alice sich vor einen Karren spannen lassen, der ihnen zum Verhängnis wird, kann Mettler nicht verhindern.

Eine Geschichte von zwei Enden angepackt, die wohl einen glücklicheren Ausgang nähme, fänden ihre Helden zusammen.
SpracheDeutsch
HerausgeberLimmat Verlag
Erscheinungsdatum30. Aug. 2017
ISBN9783038551140
Seifengold: Roman

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    Buchvorschau

    Seifengold - Peter Höner

    Über dieses Buch

    Es geht um Millionen. Gold wird unterschlagen, aus dem Land geschmuggelt, gewaschen, eine Schweizer Bank bietet ihre Dienste an. Ein paar wenige scheffeln ein Vermögen. Die Hände schmutzig macht sich kein Reicher, den Dreck erledigen andere.

    Der kenyanische Kriminalbeamte Tetu, in die Wüste strafversetzt, untersucht die Ermordung eines Geheimagenten. Die Spur führt in die Hauptstadt, im Dickicht der Stadt ermittelt er gegen eine Bande korrupter Politiker und deren weiße Beraterclique. Trotz Erfolgen scheitert er am Ende doch.

    Der ehemalige Privatdetektiv Mettler, der seit ein paar Jahren in Lamu ein Hotel besitzt, steckt in privaten Schwierigkeiten. Sein Sohn Ali heiratet in der Schweiz, ein Kind ist auch schon da. Mettlers Freundin Alice reist in die Schweiz, sie will ihren Enkel sehen. Daß Ali und Alice sich vor einen Karren spannen lassen, der ihnen zum Verhängnis wird, kann Mettler nicht verhindern.

    Eine Geschichte von zwei Enden angepackt, die wohl einen glücklicheren Ausgang nähme, fänden ihre Helden zusammen.

    Peter Höner

    Foto Anne Buergisser

    Peter Höner, geboren 1947 in Eupen, -aufgewachsen in Belgien und der Schweiz, Schauspielstudium in Hamburg und Schauspieler u. a. in Basel, Bremen und -Berlin. Seit 1981 freischaffender Schriftsteller, Schauspieler und Regisseur, 1986–1990 -Afrikaaufenthalt. Autor von Theaterstücken, Hörspielen und Büchern.

    Peter Höner

    Seifengold

    Limmat Verlag

    Zürich

    Seifengold. Goldseifen sind in Flußbetten, im Sand oder Kies zu finden. Das Gold kommt in Form von Staub, kleinen Körnern oder Klumpen (Nuggets) vor.

    Aus dem ABC der Schweizerischen Bankgesellschaft: Begriffe rund um das Gold

    Die Handlung des Romans ist frei erfunden, Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen und Firmennamen sind zufällig. Vor allem soll sich niemand dazu verleitenlassen, in Kenya nach Gold zu suchen.

    1

    Kurz vor Mitternacht entlädt sich das Gewitter. Der Regen trommelt auf die Blechdächer und schlägt den Staub zu Boden, den Windböen soeben noch um die Baracken fegten. Schon nach wenigen Minuten wird der Wüstensand in den Gassen und auf dem Markt zu Schlamm. Ein schmutziger Brei aus Abfällen und Dreck rutscht auf der Straße ins ausgetrocknete Flußbett.

    Seit Tagen flackerten die schäbigen Häuserzeilen Lodwars Nacht für Nacht im Widerschein der Blitze, zuckte das dürre Schattengeäst der Baumriesen über den leeren Marktplatz. Doch die Wolken jagten über die Oase und stauten sich jenseits der Wüste vor einem Gebirge, dessen Flüsse im salzigen Sand versiegten.

    Der Polizeichef von Lodwar, Robinson Njoroge Tetu, steht nackt am Fenster seiner Kammer und träumt in die Nacht hinaus. Der Regen hat ihn aus dem Bett gelockt.

    Das Gewitter erinnert ihn an Lamu, wo der erste Sturm jeweils eine wahre Erlösung bedeutete. Nicht nur von der Hitze des Aprils. Die Hotels wurden geschlossen, und die Insel gehörte wieder den Einheimischen. Die wenigen Weißen, die in Lamu eigene Häuser besaßen, störten ihn nicht.

    Ein Blitz schlägt in einen der Eukalyptusriesen unterhalb des Busbahnhofs. Das grelle Licht gespenstert mit den Fassaden der Hütten. Im Turm der Presbyterianer auf der gegenüberliegenden Straßenseite schlägt die Glocke an.

    Im kaltblauen Geflacker entdeckt Tetu eine Gestalt, die rasch näherkommt. Ihr Mantel flattert im Wind. Eine Hand über dem Kopf, den Oberkörper seltsam schief und nach vorne geduckt, hetzt ein Mann die Straße hoch. Er stolpert, strauchelt. Seine Hand fährt zum Rücken, greift in die Luft, verkrampft sich zur Faust. Er fällt, stürzt auf die Knie und kippt in den weichen Schlamm. 

    «Saufkopf, blöder!» brummt Tetu.

    Der Mann rappelt sich wieder auf, stützt sich auf seine Ellenbogen und kriecht durch den Schlamm auf die nächsten Häuser zu.

    «Gut, so ist es gut. Und nun mach, daß du weiterkommst.»

    «Njoroge? – Was ist denn? Was brummst du? Warum stehst du am Fenster?» fragt leise und beunruhigt eine Frauenstimme.

    «Nichts, es ist nichts. Ich schau' dem Regen zu.»

    Die Frau schlüpft aus dem Bett und tastet sich durch die Dunkelheit. Der Polizist streckt die Hand nach seiner Wirtin aus und zieht sie an sich.

    Der Regen rauscht auf die Oase nieder, eine Wassermusik, die alle übrigen Laute übertönt. Selbst im Zimmer riecht es angenehm nach feuchter Erde, nach nassem Holz, Rost und Staub.

    Plötzlich und mit einem Schlag springt die Hüttentüre auf. Tetu und seine Freundin fahren auseinander.

    «Was war das?»

    «Der Saufkopf», murmelt Tetu. «Ich sah ihn vorhin durch die Straße torkeln.»

    «Soll ich Licht machen?»

    «Warte. Erst zieh' ich mich an.»

    Tetu schlüpft in seine Hosen, angelt nach seinem Uniformhemd. Die Frau verknotet ein Tuch über der Brust. Dann sucht sie nach Streichhölzern und macht Licht. Tetu öffnet die Kammertüre.

    Auf der Schwelle zwischen Veranda und Küche kauert eine Gestalt. Aus ihrem Rücken ragt der Griff eines Messers, eines Dolches, wie ihn die Nomaden der Wüste unter ihren Gewändern tragen. Das Gesicht liegt flach auf dem nackten Boden, Ziegendreck hängt in seinen Haaren, der durchnäßte Mantel, vom Schaft des Messers festgehalten, ist bis zum Kragen mit Fasern, Strohstückchen und winzigen Schmutzsplittern übersät, die sich im Gewebe des Stoffes verhaken.

    Die Frau schreit und flüchtet ins Zimmer zurück. Tetu fährt dem Mann mit beiden Händen unter die Arme, reißt ihn hoch und zieht ihn ins Haus. Mit dem Fuß schlägt er die Türe zu und schleppt den Verletzten durch die dunkle Küche in die Kammer, wo er ihn, so wie er ihn unter der Türe gefunden hat, vorsichtig auf sein Bett legt.

    Der Fremde stößt einen gurgelnden Laut aus. Blut stürzt ihm aus Nase und Mund. Von einem Hustenanfall geschüttelt, würgt er einen Klumpen hervor, endlos, ein zähflüssiges Band aus dunklem Schleim.

    «Er braucht einen Arzt! Fatuma, schnell! Nein. Er erstickt. Wir müssen ihn umdrehen. – Los, so hilf mir doch.»

    Tetu kippt den Verletzten zur Seite und stopft ein Kissen unter seinen Kopf. Blut und Schleim besudeln das Laken. Dann, jäh und ungestüm, bäumt sich der Mann auf. Ein Blutschwall schießt über Kissen und Bett. Er schreit:

    «Lomazzi! Salvatore Lomazzi.»

    Einen Augenblick später ist er tot.

    Der Regen hat nachgelassen. Manchmal schüttelt ein Windstoß aus den Palmwipfeln eine letzte Tropfenkaskade und läßt sie auf die Dächer prasseln. Das Gewitter hat die Wolkendecke aufgerissen, und aus dem hellen Sturmfenster fällt ein schwaches Licht, gerade stark genug, um die Straße zu erkennen. Zwischen Pfützen und Schlammlachen hasten der Polizeichef von Lodwar und seine Freundin durch den Ort zum Krankenhaus. Sie holen Hilfe, einen Arzt, die Polizei. Damit man den Toten aus ihrem Hause schafft.

    Seit der Gewitternacht hofft Robinson Njoroge Tetu auf einen neuen Fall. Eine Aufgabe. Doch heute, eine Woche nach dem häßlichen Tod des Mannes, weiß er kaum mehr als den ominösen Namen.

    Er hockt in seinem Büro hinter Lodwars einziger Tankstelle gleich neben der Hauptstraße und spitzt seine Bleistifte.

    Aus dem grauen Kraushaar des Polizisten lecken feine Schweißbahnen, kleine Bäche, die den Speckfalten seines Halses entlang fließen und im Kragen der Uniform versickern. Die Augen sind verquollen, die Lider gerötet. Selbst auf der Nase perlt der Schweiß.

    Tetu ist nicht freiwillig hier. Weiß Gott nicht. Seine Beförderung zum Polizeichef von Lodwar war die Strafe für einen Erfolg, den niemand gewollt hatte. Zugegeben, er hatte sich schuldig gemacht. Zusammen mit Jürg Mettler. Eine Kompetenzüberschreitung. Er wurde vom Dienst beurlaubt und erwartete eine Geldstrafe. Aber Nairobi hat ihn in die Wüste geschickt. Buchstäblich.

    Sein Freund Mettler hatte sich für ihn eingesetzt. Vergeblich. Auch Hemed S. Lali, der mittlerweile zum stellvertretenden Minister im Innenministerium aufgestiegen war, wollte seinen Einfluß geltend machen. Zu Mettler soll er allerdings gesagt haben, daß er Tetus Trotz nicht verstehe. Der Entscheid entspreche der gesetzlichen Praxis. Der Staat berufe seine Beamten und entscheide, wo sie gebraucht würden. Abgesehen davon sei Lamu doch nicht der Nabel der Welt.

    Aber was zum Teufel soll er als Kriminalbeamter in Lodwar? In der Wüste. Was hat ein Polizist in einem Nomadenkaff zu tun?

    Die Einheimischen haben ihr eigenes Recht. Von einem Polizisten aus der Hauptstadt halten sie nichts. Sie verstehen weder seine Sprache noch seine Gesetze. Wenn sie irgendwelche Händel haben, um Vieh oder Frauen, fragen sie ihre Chiefs.

    Auch die Goldgräber und Lastwagenfahrer, die sich um Lodwars Huren streiten, brauchen die Hilfe des Kriminalbeamten nicht. Schlägereien, Raub, Betrug, ja selbst einen Mord regeln die Banden unter sich.

    Alle sind froh, wenn er in seinem Büro am zerschlissenen Plastiküberzug seines Stuhles klebt, den Telefonapparat poliert und die Bleistifte spitzt.

    Eine erste Untersuchung des Toten noch in der Mordnacht erbrachte wenig. Selbstverständlich war von Tetus Kollegen niemand bereit, die Ermittlungen zu übernehmen. Obwohl die Leiche auf seinem Bett lag, im Haus seiner Wirtin, und er nicht nur als Zeuge, sondern auch als Täter hätte in Frage kommen können. Doch das kümmerte in Lodwar niemanden. Selbst der Arzt der Krankenstation begleitete ihn nur widerwillig.

    Auffällig war die Kleidung des Mannes. Mantel und Hose, obschon verdreckt und durchnäßt, waren von guter Qualität, die Schuhe kaum getragen. Tetu durchsuchte die Taschen des Mantels, der Hose. Alle Taschen waren leer. Er fand weder einen Ausweis noch sonst ein Papier, kein Geld, gar nichts. Dann fiel ihm der Ledergürtel des Mannes auf. Ein Uniformgürtel. Ein Gürtel, wie er seit Jahren an Polizisten und Soldaten abgegeben wird. Er öffnete die Schnalle des Gürtels und zog das Leder aus den Hosenschlaufen. Sollte der Gürtel einem Beamten gehören, so müßten auf seine Innenseite eine Nummer und die Initialen des Empfängers eingestanzt worden sein.

    005 89-B / S.L. Sein Verdacht bestätigte sich. 005. Die Abkürzung für ihren Geheimdienst.

    Tetu verfaßte ein Protokoll, das er sich vom begleitenden Arzt unterschreiben ließ. Danach wurde die Leiche weggebracht.

    Auch die anschließende Befragung seiner Freundin Fatuma verlief so gut wie ergebnislos. Die Frau saß verstört in der Küche und starrte auf das besudelte Bett, in dem sie und Tetu vor kurzem gelegen hatten. Der Polizist fragte seine Wirtin, ob sie den Ermordeten kenne? Fatuma schüttelte entsetzt den Kopf und sagte:

    «Ja, es heißt, daß er im ‹Eiffeltower› wohnt. Er kaufte Bananen bei mir.»

    «Wann war das?»

    «Vor … Vor drei Tagen. Er ging von Kiosk zu Kiosk und fragte nach den Goldgräbern. Den Lastwagenfahrern. Die Goldgräber würden die Einnehmer in Sigowa betrügen, weil sie ihr Gold an die Lastwagenfahrer verkaufen.»

    «Ein Kontrolleur aus Sigowa?»

    «Ja. Aus Sigowa. Er kommt aus Sigowa.»

    «Und Lomazzi? Kennst du einen Lomazzi?»

    Fatuma schwieg und wollte nichts mehr sagen.

    Später hat sie das Haus verlassen und ist zu einer Bekannten gegangen. Bei dem Polizisten konnte sie nicht länger bleiben.

    Es ist kurz nach zehn, und das Thermometer in der Polizeibaracke zeigt schon wieder über vierzig Grad. Mit zusammengekniffenen Augen, sich immer wieder den Schweiß aus dem Gesicht reibend, kämpft Tetu gegen die lähmende Glut, die ihm das Gehirn verstopft.

    Zornig stemmt er sich aus seinem Sessel und stapft zum Fensterbrett.

    Vor Wochen hat er im Kampf gegen die Langeweile eine Sammlung von Kakteen angelegt. Winzige Pflänzchen in sandige Erde gedrückt. Töpfchen, die er auf der Fensterbank hin und her und in die Sonne rückt. Eine Mühe, die ihm die stacheligen Dinger nicht lohnen. – Nie hätte er gedacht, daß Müßiggang ihn einmal derart drangsalieren könnte.

    Selbstverständlich hat er den Tod des Geheimagenten der zuständigen Amtsstelle in Nairobi gemeldet.

    Glücklicherweise hatte der Sturm weder die Telefon- noch die Telexleitung in die Hauptstadt unterbrochen. Die Bürodame, mit der er schließlich verbunden wurde, behauptete, ihr Vorgesetzter sei nicht da, und sonst gebe es niemanden, der für Todesfälle während des Dienstes zuständig sei. Überdies müsse ja auch erst einmal abgeklärt werden, ob der Mann wirklich ihr Mann sei.

    «Lomazzi? Und wo soll der gewesen sein?» Und bestimmt zum dritten Mal erkundigte sie sich nach dem Namen der Oase, den sie sich nicht merken konnte. «… Selbstverständlich sind mir die verschiedenen Aufgaben der einzelnen Detektive nicht bekannt, ich bin nur die Sekretärin des Chefs. Aber daß einer unserer Leute in den Norden geschickt worden ist, kann ich mir nicht vorstellen. Was soll er dort?» Und geradezu entwaffnend fügte sie hinzu: «Wir können Ihnen erst sagen, wer der Tote ist, wenn Sie uns sagen, was da oben los ist.»

    Tetu ärgerte sich. Die Sekretärin schien seine Meldung nicht ganz ernst zu nehmen. Ungehalten wiederholte er die Nummer des ermordeten Agenten und sagte:

    «Vielleicht gibt es ja bei euch einen S.L. 89-B. Auch wenn ich nicht annehme, daß unser S.L. Salvatore Lomazzi heißt. Warum sollte mir der Mann seinen Namen sagen? Aber wenigstens das könnten Sie ja einmal feststellen.»

    Die Frau, vorsichtiger geworden, vielleicht auch beleidigt, nahm, ohne weitere Ausflüchte zu machen, Tetus Personalien auf und versprach, die Angelegenheit ihrem Chef zu melden.

    Das war vor einer Woche.

    Gut, 24 Stunden nach seinem Gespräch wurde die Telefonleitung unterbrochen, kurz darauf brach auch die Telexverbindung zusammen. Trotzdem. Ein Wagen nach Lodwar braucht zwei Tage. Ein Einsatz, den er eigentlich erwartet hätte.

    Unmittelbar nach seinem Gespräch mit Nairobi stürzte sich Tetu in die Arbeit. Woher kam der Mann? Was wollte er? Wie lebte er? Wo hatte er sein letztes Bier getrunken? Routine. In Nairobi vielleicht, in Lamu. Aber nicht in Lodwar.

    Wo immer Tetu auftauchte, verschwanden alle Erwachsenen. Schlagartig. Frauen und Männer. Man machte sich aus dem Staub, verdrückte sich zwischen den Lattenzäunen der Hinterhöfe, versteckte sich in Rumpelkammern oder lief in die Wüste hinaus. Tetu fand immer wieder nur ein plärrendes Kind oder stand einem zahnlosen Greis gegenüber.

    Das Hotel ‹Eiffeltower›, in dem der Fremde abgestiegen war, besaß einen guten Ruf. Das erste Hotel am Ort. Es war kein Bordell wie die meisten Herbergen der Oase, deren Räume an Dirnen und ihre Kinder vermietet wurden, und in deren Kneipen sich die Lastwagenfahrer mit den Goldgräbern rauften. Die bevorzugten Gäste des Wirtes waren die Ingenieure und Besucher des Balesa-Staudammprojektes. Auch Ärzte, Entwicklungshelfer und Journalisten, die sich von den Eindrücken des Bürgerkriegs im nahen Südsudan erholen wollten, bezahlten für ihre Ruhe. Und so fiel es dem Wirt des ‹Eiffeltowers› leicht, auf den zweifelhaften Kundenkreis der Lastwagenfahrer und Goldgräber zu verzichten.

    Als Tetu das Lokal am Morgen nach der Ermordung des Geheimagenten besuchte, war niemand da. Er machte sich mehrmals mit ‹Hallo!› und ‹Ist hier jemand?› bemerkbar und entschloß sich dann, weil er keine Antwort bekam, das Hotel auch ohne Erlaubnis der Besitzer zu durchsuchen. 

    Die Hotelzimmer waren um einen schmalen Innenhof hinter der Gaststube gebaut. Zehn einfache Zimmer, fünf auf jeder Seite, die hinten durch Toiletten und Duschräume begrenzt wurden. Die Dächer ragten in den Hof hinein und wurden von mehreren Säulen abgestützt, so daß eine Art Klostergarten mit Kreuzgang entstand. Die Zimmertüren standen offen. Vor einem Teil der Räume lagen zerknüllte Bettlaken und Handtücher. In der Nähe der Dusche stand ein Karren mit einem Abfalleimer und ein paar Putzutensilien. Die Zimmer waren kleine, unbehagliche Räume ohne Fenster. Den Wänden entlang waren mehrere Holzpritschen aufgestellt, dazwischen standen wacklige Holzschemel mit Aschenbecher und einem Kerzenstummel. In fast allen Zimmern war von den vielen Betten nur eines benutzt worden. In keinem der Zimmer ließen sich irgendwelche Spuren ihrer Mieter finden. Die Räume waren bereits gereinigt, wenn auch mit jener Lässigkeit, die weder in Zimmerecken fährt noch die Betten anhebt.

    Eine Untersuchung des Putzkarrens erwies sich ebenfalls als unergiebig. Ein paar leere Bierflaschen standen neben einem Plastikeimer. Zigarettenkippen und zerknüllte Belege bezahlter Rechnungen schwammen auf der trüben Brühe des Spülwassers. In einem Tontopf lagen ein zerbrochener Kamm, eine ausgepreßte Tube Zahnpasta, mehrere Seifenstückchen, ein Büschel verklebter Haare – wahrscheinlich aus einem Abfluß gefischt – und die aufgeschlitzte Verpackung eines Kondoms. Neben dem Eimer war ein Stoß Zeitungen aufgeschichtet, von denen die meisten bereits mehrere Tage alt waren. Hotelexemplare, die die Gäste mit aufs Zimmer nahmen und die fern der Hauptstadt auch Tage nach ihrem Erscheinen noch mit Interesse gelesen wurden.

    Tetu entschloß sich, auf die Wirtsleute zu warten, ging in die Gaststube zurück und setzte sich an einen Tisch. Das Restaurant war winzig, ein düsterer Raum mit zwei kleinen Fenstern. Ein paar Tische und Bänke. In einer Ecke des Raumes eine Theke. An der Wand hinter dem Schanktisch eine Bierreklame: ‹Tusker Premium›. Darüber ein Jugendbild seiner Exzellenz des Präsidenten.

    Nach etwa einer Stunde schaute ein kleiner Junge vorsichtig um den Türpfosten. Er spähte lange in den Raum, ohne sich hineinzuwagen. Tetu hockte regungslos hinter seinem Tisch. Er hoffte, der Kleine würde ihn nicht sehen und seinen Eltern melden, der dicke Mann sei nicht mehr da. Vergeblich. Der Knirps entdeckte ihn. Er drehte sich blitzschnell um und rannte davon.

    Rund um das ‹Eiffeltower› hatte sich der Alltag längst wieder eingependelt. Aus den Kneipen und Läden der Hauptstraße schmetterten die Kassettenrekorder die immer gleichen Lingala-Schlager. Ziegen meckerten, Kinder plärrten, Besen wischten über die Vorplätze, Matten wurden ausgeklopft, und auf dem Marktplatz lärmten die Hupen der Taxis und Kleinbusse. Nur in Tetus allernächstem Umkreis blieb es still. Im Auge des Zyklons.

    Kurz vor Mittag, Tetu wartete mittlerweile über drei Stunden, schlenderte ein junger Bursche vor den Fenstern vorbei. Er drehte sich plötzlich um, stemmte sich gegen den Türrahmen und grinste ins Restaurant. Zwei weitere Männer traten auf, von links kam eine Schar Halbwüchsiger, die am Türsteher vorbei in die Gaststube schlüpften. Dann näherte sich die Familie des Wirts. Seine Frauen. Und sein Vater, ein Chief. Ein schlanker, hochgewachsener Greis. Nur mit einer Toga und einem Lendenschurz bekleidet, die um die hageren Glieder schlotterten. Auf dem Kopf eine Kappe aus Lehm, Federn und Kaurimuscheln. Ein Häuptling der Turkana.

    Von überallher drängelten nun Leute in den Raum und scharten sich um den Tisch des Polizeichefs. Sie starrten ihn an, als sei er ein katholischer Pater. Tetu blieb auf seiner Bank hocken und glotzte zurück.

    Noch nie hatte er eine solch tiefe Abneigung gegen diesen Ort empfunden. Er sah lauter häßliche Menschen.

    Zur Hälfte geschorene Frauenköpfe mit Zöpfchen und Federn im Haar. Männer mit Lehmhauben. Dreiste Gesichter mit schmalen, vom Wüstensand geröteten Augen. Die Ohren von Dornen

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