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Über die Eiserne Hand hinüber: ortekrimi
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Über die Eiserne Hand hinüber: ortekrimi
eBook207 Seiten2 Stunden

Über die Eiserne Hand hinüber: ortekrimi

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Über dieses E-Book

Im Jahre 1942 wird die Grenze zwischen dem Deutschen Reich und der Schweiz nördlich von Basel hermetisch abgeriegelt. Lediglich ein fingerartiges Landstück, das knapp zwei Kilometer ins Reich hineinragt, bleibt ohne Absperrung: die Eiserne Hand. In einem Dorf unweit dieses Zaunes lebt die Familie Heimer. Als Sohn Paul an der Grenze umkommt, braucht Vater Heimer lange, bis er begreift, dass Nazis für den Tod Pauls verantwortlich sind. Er entschliesst sich, auf seine Art mit dem Mörder fertig zu werden und überschreitet die Grenze ein letztes Mal. Viele Jahre später findet ein Einwohner dieses Dorfes immer wieder weggeworfene Kindersocken. Da er sich deren Herkunft nicht erklären kann, nimmt er sich vor, der Sache auf den Grund zu gehen.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum25. Sept. 2015
ISBN9783858301918
Über die Eiserne Hand hinüber: ortekrimi

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    Buchvorschau

    Über die Eiserne Hand hinüber - Armin Zwerger

    Vielleicht weil es keine Geschichte darüber gibt, denkt man nach, wie es hätte sein können oder sogar, wie es wirklich war.

    An der Eisernen Hand, mit der heute kaum mehr einer aus Basel etwas anzufangen weiss.

    Ganz zu schweigen von denen aus Stetten oder Lörrach oder Weil oder auch Grenzach.

    Dabei sollte es gerade die interessieren, sollte man meinen.

    Aber wahrscheinlich hätten die Basler wieder mehr Zeit.

    Für solche Reflexionen.

    Wenn sie sich die Zeit nähmen.

    Den Grenzsteinen entlangzugehen und sich zurückzuversetzen in eine Zeit, in der nicht einmal so ein Stein ohne Schuld war.

    Wie denn ein Mensch ohne Schuld hätte sein können.

    Es gibt Geschichten, aber nicht wirklich eine Geschichte.

    Die Gegend meiden? Warum? Wegen der Erinnerung?

    Es gibt eine Gedenkstätte. Gut zu erreichen mit der Tram.

    Linie 6.

    Von der Innenstadt her.

    Dann kann man auf Busse umsteigen.

    Zu einem Gedächtnisort.

    Und die Grenzsteine, die gibt es noch.

    Dort wo Vergangenheit und Gegenwart ineinander übergehen.

    Erinnert man sich vielleicht an etwas, was man weder erlebt noch gesehen hat.

    Aber hätte ja sein können.

    Jetzt sind es schon zehn Minuten. Das kann doch nicht so schwer sein, diesen 1700-er zu finden! Und dann soll sie nach rechts. Die findet den Stein nicht, die blöde Kuh!

    Das Wasser im Mundwinkel fing an zu gefrieren. Einmal mit der Zunge drüber, dann war es wieder aufgetaut. Mehr Bewegung war im Augenblick nicht möglich. Die Kälte wurde immer unerträglicher. Aber seit die beiden Grenzsoldaten dort oben auf dem Ansitz neben dem Zaun hockten, verbot sich jede weitere Bewegung. Noch hatten sie ihn nicht gesehen, und das sollte auch so bleiben. Denn wenn sie ihn noch einmal an der Grenze erwischen würden … Der Ortsgruppenführer hatte sich da ganz klar ausgedrückt. Das hatte auch er mit seinen knapp dreizehn Jahren kapiert.

    Was sie mit der Frau machen würden, wenn die plötzlich aus dem Wald auftaucht? Er hatte keine Ahnung. Jedenfalls hatten sie dann jemanden, um den sie sich kümmern konnten. Und er bekam eine Chance abzuhauen.

    Aber jetzt schlotterte er in diesem Gebüsch. Wagte es nicht, sich zu rühren. Fluchte auf seinen Alten, der ihn in diese Situation gebracht hatte. «Lass dich ja nicht erwischen,» war seine gängige Redensart. Er wollte sich nicht erwischen lassen, nie wollte er sich erwischen lassen. Dennoch erwischten sie ihn immer wieder. Und jetzt blutete auch noch die Hand. Er hatte sich schon wieder an diesem ekelhaften Stacheldraht verletzt. Oder war es doch das Dornengestrüpp?

    «Kein Problem.» Wenn man den Alten hörte, gab es nie ein Problem. «Du zeigst ihr den Weg durch den Zaun. Und dann wartest du genau eine Stunde. Keine Minute länger! Hier die Uhr. He, das ist eine teure Uhr aus der Schweiz. Wenn du sie verlierst, zieh ich dir die Hammelbeine lang.»

    Jetzt hielt er die Uhr in der Hand, die immer noch blutete.

    «Wenn sie nach einer Stunde nicht kommt, gehst du. Runter ins Dorf und von dort nach Hause. Wenn sie kommt, lass sie voraus laufen. Sie soll in den ‹Kranz›. Sie weiss schon. Dann geh ihr nach bis dort hin, und schau, dass du nach Hause kommst. Je weniger ihr gesehen werdet desto besser.»

    Für den Alten war das eine lange Rede. Aber die Anweisungen waren klar.

    Was er nicht gesagt hatte war, dass die Frau wohl nur eine vage Vorstellung vom Weg hinter dem Zaun hatte. Deshalb hatte sie ihn auch immer wieder nach dem alten Grenzstein gefragt. Er fand, dass der auch nicht viel anders aussah als die anderen. Das behauptete nur der Dorflehrer. Bei dem hatte jeder dieser Steine eine Seele, über die er sich stundenlang auslassen konnte. Es war halt ein Grenzstein! Was hätte er sonst sagen sollen?

    Vielleicht war diese Frau noch nie in der Schweiz gewesen. Gesehen hatte er sie vorher genauso wenig wie andere auch, die der Alte anschleppte, damit er sie durch das Loch im Zaun schleuste. Wahrscheinlich dachte sie auch, dass da auf dem Land am Ende der Welt die Zeit ohnehin keine Rolle spielt. «Eine Stunde, zwei … war doch egal. Soll der Kleine doch ein bisschen frieren.» Aber seit die Hakenkreuzler auch im Rathaus sassen, spielte die Zeit eine Rolle. Und eine Weile war das schon her.

    Immer wieder schaute er auf die Schweizer Uhr. Die Zeit war längst abgelaufen. Die Frau hätte längst zurück sein müssen. Schweizer Uhren gehen perfekt. Und er musste in diesem Gestrüpp sitzen bleiben. Auf keinen Fall sollten ihn die beiden Grenzsoldaten zu Gesicht bekommen. Also musste er warten. Irgendwann würden die beiden wieder verschwinden.

    Aber die Uhr war die Sache wert, dachte er. Wie kommt der Alte nur immer wieder an solche Sachen? Nichts Ordentliches zu essen daheim, aber eine Schweizer Uhr. Typisch für den Alten.

    Verkaufen konnte er sie nicht, auch nicht für ganz wenig Geld. Er hätte sie auch nicht für irgendetwas einhandeln können, etwas worüber die Mutter sich freuen würde. Weil das herauskommen würde, und dann ginge das Theater wieder los. Schlitten fahren würden sie mit ihm. Er hatte schon genug auf dem Kerbholz. Das jedenfalls behauptete er immer, wenn er seinen Jungen wieder für eine Sache einspannte.

    Deshalb war er es auch, der hier schlotterte und nicht der Alte. Der sass jetzt wahrscheinlich in der warmen Wirtsstube hinter einem Glas Wein oder zwei. Ich bin es, der sich hier den Arsch abfriert, dachte er. Dass die Uhr schön war, fand er auch, schwer mit einer Menge Gold überall. Wie gleichmässig sie läuft und tickt, dachte er auch noch, und als er aufschaute, standen die beiden vor ihm.

    *

    Es waren zwei Soldaten. Nicht die Grenzsoldaten. Die standen immer noch oben. Er konnte sie aus den Augenwinkeln sehen, obwohl sie offensichtlich versuchten, möglichst unbemerkt zu bleiben und fast ganz hinter einer Tanne verschwunden waren. Das waren auch keine Zöllner, von denen er einige kannte und die anders gekleidet waren.

    Uniformen hatten die beiden an, aber die waren unter den weiten Mänteln kaum zu erkennen. Sie wirkten irgendwie gehetzt, hatten es offensichtlich sehr eilig. Sie schienen nicht weniger erschrocken zu sein, als sie so plötzlich vor ihm standen. Erst im letzten Augenblick hatten sie ihn in den Büschen entdeckt.

    «Was machst du da?» Die Frage war scharf gestellt und gleichzeitig unsicher.

    «Nüüt», sagte er und dehnte das Wort, so dass man ihn für einen Jungen aus der Schweiz hätte halten können, der sich an der Grenze herumtrieb. Denen war das natürlich auch verboten, aber auch für einige Kinder von der anderen Seite des Zauns aus Riehen und aus Bettingen bestand gerade darin der Reiz der Grenze.

    Diese beiden Soldaten waren offensichtlich Fremde. Er hatte sie noch nie gesehen, und zumindest in diesem Grenzabschnitt kannte er jedes Gesicht. Ausserdem hatten die wenigen Worte, die sie gesagt hatten, verraten, dass sie aus einer ganz anderen Gegend kamen. Was sollten die sich um Schweizer Kinder kümmern? Grenze hin und Zaun her.

    Er schien Glück zu haben. Sie hielten sich nicht lange mit ihm auf, schoben sich an ihm vorbei und verschwanden jenseits des Stacheldrahtverhaus im Wald.

    Die Grenzsoldaten auf dem Ansitz mussten das gesehen haben, das wurde ihm schnell klar. Dass diese Männer vor ihm stehen geblieben waren, mit ihm gesprochen hatten und dann durch den Zaun gegangen waren. Da konnte er jetzt aus seinem Versteck genau so gut heraus. Jetzt war es keines mehr.

    Warum rührten die da oben sich nicht, wieso hatten sie die beiden einfach durchgelassen? Das ging ihm durch den Kopf, als sein Blick auf seine Hand fiel, in der gerade noch das beruhigende Ticken der Uhr zu hören gewesen war.

    Sie blutete nicht mehr … und die Uhr war weg. Sie lag auch nirgendwo. Einer der beiden musste sie ihm im Vorbeigehen aus der Hand genommen haben. Und er hatte so Schiss gehabt, dass er nichts davon gemerkt hatte.

    Jetzt war sowieso alles egal. Sollten die Scheisskerle doch schiessen. Er kroch aus seinem Versteck, schüttelte sich Schneereste vom ganzen Körper ab und ging langsam und gleichgültig über die Grenze durch das Loch im Zaun zurück Richtung Dorfstrasse. Als dann wirklich geschossen wurde, erschrak er doch und rannte los.

    Die Schüsse galten nicht ihm, er hörte Holz splittern, dumpfe Schläge gegen einen Baum. Das mussten die beiden auf dem Ansitz gewesen sein, die da in den Wald hineingezielt hatten. Getroffen dürften sie allerdings kaum haben, dazu hatten sie viel zu lange gewartet, und danach war es wieder still wie zuvor. Als er schon fast unten am Bach war, hörte er noch einmal Schüsse. Weiter weg diesmal. Er zählte die Schüsse mit.

    Geschossen wurde hier immer einmal wieder, auch früher, als die Grenze noch nicht mit Stacheldrahtzaun verbarrikadiert war. In der Schweiz hatten sie dort einen Schiessstand, nicht weit von der Grenze entfernt, auf der anderen Seite des Tals, und je nach Windrichtung konnte man hier schon mitbekommen, wann eidgenössische Übungen angesagt waren.

    Diese Schüsse aber kamen unweit vom Gipfel des Berges nicht aus dem Tal dahinter.

    Unweigerlich duckte er sich und rannte dann, so schnell Beine, Stock und Stein es zuliessen, hinunter zum Bach.

    Von da bog er in Richtung des oberen Dorfes ab. Das hatte der Alte zwar nicht gesagt, aber er verspürte kein Bedürfnis jetzt schon den Heimweg anzutreten.

    Er lief ein ganzes Stück den Bach entlang und versteckte sich dann hinter der Muggenthaler-Scheune und blinzelte von dort in Richtung Eingang des alten Wirtshauses. Von hier konnte er jeden sehen, der in den «Kranz» hineinging oder herauskam. Er wartete auf seinen Alten.

    *

    Die beiden Grenzsoldaten auf dem Ansitz hatten ihren Auftrag erfüllt. «Beobachten», hatte es geheissen, «und dann ein bisschen hinterherschiessen.» Aktionen von der Gestapo oder dem Sicherheitsdienst waren grundsätzlich gut organisiert, und dank der Hilfe des örtlichen Schleusers war mit Schwierigkeiten eigentlich nicht zu rechnen. Der Zoll wusste nichts von der Aktion; es wirkte immer glaubhafter, wenn nicht zu viel Wind von einer Sache gemacht wurde.

    Was die beiden zu sehen bekamen, waren aber nicht nur die zwei erwarteten Agenten, da tauchte plötzlich ein Junge auf, der hier eigentlich nichts zu suchen hatte. Entweder einer dieser Rotzlöffel aus dem Dorf, der sich verbotenerweise viel zu nah an der Grenze herumtrieb. Möglicherweise aber auch einer dieser Schweizer Knaben, der Abenteuer suchte. Dort hatte man die Kinder halt nicht so im Griff.

    Dass der Junge sie gesehen hatte, mussten sie in Kauf nehmen. Man würde Meldung machen.

    Als die Agenten wie geplant hinter der Grenze verschwunden waren, schoss man pflichtbewusst ein wenig hinterher, worunter einige Buchen etwas zu leiden hatten. Schliesslich konnte man nicht einfach zwei Deserteure, schwere Jungs auch noch, wie man später den Schweizer Grenzern stecken würde, ungestraft abhauen lassen, ohne wenigstens den Versuch gemacht zu haben, sie zur Strecke zu bringen.

    Erst als einige Zeit später, die Soldaten waren gerade dabei aufzubrechen, noch einmal Schüsse zu hören waren, wurden die beiden stutzig.

    Da wurde auf der Schweizer Seite geschossen. Das konnte nichts Gutes bedeuten. Man würde Meldung erstatten müssen, nicht nur in Lörrach.

    Unten fährt eines der grünen Zollautos vorbei. Seit man in der Schweiz Schengen unterzeichnet hat, stehen die beiden Zollhäuschen an der Grenze leer. Das auf Schweizer Seite eigenartigerweise ohnehin schon seit Jahren. Jetzt auch das auf deutscher Seite.

    Ab sofort wird nur noch sporadisch kontrolliert, ein paar Meter hinter der Grenze, dort wo das alte Zollhaus steht. Ein günstiger Platz, unübersichtlich für den Heranfahrenden, geschickt für die Zöllner. Im Bedarfsfall wird flink die kleine Kelle herausgezogen und an die Seite gebeten.

    Oder sie stehen am Ausgang des Dorfes irgendwo in der Landschaft. Unberechenbar eben, so wie es sein muss. Fragt man nach, heisst es, dass es um Devisenschmuggel gehe, vielleicht ist es auch Steuerhinterziehung oder doch nur ein paar Stangen Zigaretten.

    Kann mir egal sein. Ich wohne in Deutschland, arbeite in der Schweiz, verdiene gut dort und meine durchaus komplizierten Steuerangelegenheiten überlasse ich einem Steuerberater.

    Meine Ferien verbringe ich in Frankreich oder sonst wo, wohin die günstigen Flieger des Euro-Airports von Basel aus mich hintragen.

    Über ein Vermögen, das für Zoll oder Steuerfahndung interessant wäre, verfüge ich nicht.

    Mich beschäftigen wesentlichere Fragen, seit ich in diesem malerischen Dorf wohne: Vor allem die Frage nach den Socken!

    Oben, an der zum Grenzzoll gelegenen Seite der Strasse ins Oberdorf, genau am Ende der Strasse, da liegen sie. Vor einem der schmucken Häuschen, die unserem Dorf diesen Charakter einer Puppenstube geben, dort in der Einfahrt.

    Die meisten gehen achtlos daran vorbei.

    Dabei liegen sie schon seit einiger Zeit da. Seit wir uns hier niedergelassen haben, zieren sie den Eingangsbereich dieses Puppenhäuschens.

    Natürlich sind es immer wieder andere. Der Hausbesitzer räumt sie weg, aber ein paar Tage später liegen wieder welche da. Sommer wie Winter, dünne an heissen Tagen, dicke wollene, besonders dicke sogar an kalten Wintertagen.

    Der Hausbesitzer ist ein Basler, denke ich, weil das Haus oft einen unbewohnten, aber nie vernachlässigten Eindruck macht und weil auch immer einmal ein Auto mit Baselstädter Nummer davor steht. Irgendwann hat er ein Schild aufgestellt, handgeschrieben auf einem Karton: «Wir brauchen keine Socken!», stand darauf.

    Aber das hat nicht geholfen. Jedes Mal, wenn er sie entsorgte, lagen, oft nur wenig später, wieder Socken vor seinem Eingang. Manchmal nur einer, aber meistens tauchten sie doch paarweise auf. Kindergrösse. Und bunte waren auch dabei. Da das Haus nicht dauerhaft bewohnt ist, ich vermute, der Eigentümer nützt es als Ferien- und Wochenendhaus, gelang es offensichtlich nicht, der Herkunft dieser Socken auf die Spur zu kommen.

    Irgendwann hat der Basler sie einfach nur noch auf die Strasse befördert. Von wo aus sie dann regelmässig wieder in den Eingangsbereich zurückgelegt wurden.

    Wer schmeisst Socken vor den Eingang eines

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