Ein Blick über den Tellerrand: Nachhaltiges Essen & Trinken in der Kita
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Buchvorschau
Ein Blick über den Tellerrand - Karin Wirnsberger
1.Die Zukunft auf dem Teller
1.1Zu viel und zu wenig
Viele Lebensmittel, die wir konsumieren, hinterlassen einen deutlich messbaren und sichtbaren Fußabdruck auf unserem Planeten. Unsere Ernährung wirkt sich auf das Klima, auf den Flächenverbrauch, auf die Qualität der Böden, Gewässer und Meere, auf das Trinkwasser, auf die biologische Vielfalt, auf die globale Gerechtigkeit und nicht zuletzt auf unsere Gesundheit aus.
Auf unserem Teller liegt also die Zukunft unseres Planeten. Nicht nur die Zukunft in weiter Ferne, sondern unsere eigene und vor allem die unserer Kinder. Es geht deshalb um aktuelle, ganz konkrete Herausforderungen, mit denen unsere Gesellschaft konfrontiert ist. Mit jeder Mahlzeit können wir Klimaschutz, die Bewahrung der Artenvielfalt, einen achtsamen Umgang mit natürlichen Ressourcen und nicht zuletzt globale Gerechtigkeit fördern – oder ihnen entgegenwirken.
Auch gesunde Gerichte gehören zu einer nachhaltigen und zukunftsgerichteten Ernährung. Wirft man jedoch einen kritischen Blick auf die Teller der Kinder, tut sich eine große Kluft auf zwischen dem, was wir in der Theorie über ausgewogene und gesunde Ernährung wissen, und dem, was in der Praxis in vielen Kitas und den Familien zu Hause auf dem Esstisch landet. Dort finden sich nämlich immer noch zu viele Fertiggerichte und zu wenig unverfälschte, vitaminreiche Lebensmittel (s. Kap. 3). Das bedeutet:
•zu viel Fleisch und zu wenig Gemüse und Hülsenfrüchte
•zu viel Zucker und zu wenig Obst und Nüsse
•zu viel Einheitsbrei und zu wenig Vielfalt
•zu viel Fertiggerichte und zu wenig Selbstgekochtes
•zu viel Verpackung und zu wenig Kreativität
•zu viel Zeitdruck und zu wenig Liebe
1.2Natürliche Lebensmittel wertschätzen
Ob Obst, Gemüse, Fleisch oder Fertigpizza: Den Großteil unserer Lebensmittel kaufen wir im Supermarkt ein. Bei vielen Produkten wissen wir darum gar nicht mehr, woher sie kommen, welche Zutaten, wie viel Arbeit und Ressourcen in ihnen stecken. Jeder und jede Deutsche wirft pro Jahr durchschnittlich etwa 84 kg Lebensmittel weg (vgl. WWF Deutschland 2015).
Kinder lernen durch ihr Tun. Deshalb ist es wichtig, dass sie mit allen Sinnen erfahren, was hinter dem Begriff „Lebensmittel und „Nahrungsmittel
steckt: Nahrungs- und lassen uns leben und nähren uns. Bein Ziehen von Kräutern und Gemüse im Hochbeet beispielsweise erfor- schen Kinder den Kreislauf der Natur. Sie erfahren, wie viel Zeit und Pflege eine Zucchini braucht, bis wir sie essen können. Auf dem Weg vom Getreidekorn bis zum Brotlaib (s. Kap. 7.5) können die Kinder beim Besuch auf dem Feld, in der Mühle oder Bäckerei miterleben, wie viel Arbeit in ihrem Käsebrötchen steckt. Und auf den Spuren von Nüssen (s. Kap. 7.3) oder Hülsenfrüchten (s. Kap. 7.4), Kochwerkzeugen und Co. entdecken die Kinder vielfältige Länder und Kulturen. Dabei erfahren sie nicht nur etwas über die Lebenssituation der Menschen in anderen Ländern, sondern auch konkret, wie sich unser Konsum auf deren situation auswirkt.
Mit dieser Einsicht und dem praktischen Erleben vgm Wach. sen und Ernten der Nahrungsmittel steigt bei Kindern die Wert. schätzung für die natürlichen Lebensmittel. Sie begreifen, warum wir achtsam mit Essen umgehen müssen und dass Essen zu wertvoll ist, um es einfach wegzuwerfen. Auch die Erfahrung, dass saisonale und regionale Lebensmittel lecker schmecken und gesund sind und dass kochen Spaß macht, gehört zur Ernährungsbildung dazu. Dieses Bewusstsein tragen die Kinder überzeugt und stolz mit nach Hause.
1.3Gemeinsam die Lust am nachhaltigen Essen entdecken
Was und wie wir in unserer Kindheit Essen „lernen", prägt unser Ernährungsverhalten ein Leben lang. Darum ist die Ernährungsbildung in der Kita und am Familientisch die beste Chance, um die nächste Generation von Entscheidungstragenden, Konsumenten und Konsumentinnen für eine gesunde und nachhaltige Ernährung zu begeistern. Entscheiden sich die Kinder als Erwachsene mit ihrem Konsumverhalten und in der Küche für Nachhaltigkeit, haben wir alle eine Chance auf mehr Gesundheit für uns Menschen und für den Planeten.
Damit der Blick über den Tellerrand in der Kita gelingt, braucht es eine gute Zusammenarbeit zwischen allen Beteiligten: den Verantwortlichen für die Verpflegung (Kita-Träger, Fachberatung, Küchenpersonal oder Cateringfi rma etc.), den pädagogischen Fachkräften inklusive Leitung, den Eltern und den Kindern. Der gemeinsame Weg hin zu einer nachhaltigen und gesunden Ernährung in der Kita führt erfolgreich zum Ziel, wenn Fachkräfte:
Surftipp
Mit dem überarbeiteten DGE-Qualitätsstandard für die Verpflegung in Kitas unterstützt die Deutsche für Ernährung mit vielfältigen Informationen und für eine ausgewogene, nachhaltige Verpflegung.
www.fitkid-aktion.de
•im Team, bei den Kindern und den Familien die Lust auf Essen wecken, sie neugierig machen und gemeinsam genießen. So können Lebensmittel und Ernährung im Alltag wieder die (lebenswichtige) Bedeutung erhalten, die ihnen zusteht.
•sich selbst über die Vielfalt der Lebensmittel, über ihre Herkunft, Entstehung, Produktion und Verarbeitung informieren und den Kindern und Familien dieses Wissen vermitteln.
•den Kindern und Familien das Kochen nahebringen. Wenn Kinder und Erwachsene befähigt werden, aus ursprünglichen und natürlichen Zutaten ein gesundes und schmackhaftes Gericht zuzubereiten, können sie Freude und vielleicht sogar Liebe zum Kochen entwickeln.
In der Aus- und Fortbildung von pädagogischen Fachkräften sind die Angebote im Bereich Ernährung und Ernährungsbildung, Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) und Globales Lernen noch sehr rar. Hier braucht es dringend einen Wandel, damit das Kita-Team die erforderlichen Kompetenzen für eine ganzheitliche, weltbewusste und zukunftstaugliche Ernährungsbildung entwickeln und später in der Praxis umsetzen kann.
Planet Erde zu Tisch
Laden Sie den Planeten Erde zum gemeinsamen Essen ein. Reservieren Sie ganz bewusst einen schön eingedeck- ten Platz für diesen besonderen Gast. Dann ist es so weit: Die Erde setzt sich, z. B. in Form eines Globus, zu den Kindern an den Tisch. Beim Essen kann eine Fachkraft oder auch eine Handpuppe für sie sprechen. Warum ist die Erde wohl heute zu Gast? Was hat sie mit unserem Essen zu tun? Was mag sie und was mag sie nicht?
Auch beim Elternabend oder bei einem Gespräch mit Entscheidungsträgern und -trägerinnen kann eine Fachperson auf die Perspektive. unseres Planeten hinweisen, der immer – sichtbar oder unsichtbar – mit uns am Esstisch sitzt.
1.4Bildung für nachhaltige Entwicklung und Globales Lernen
Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) und Globales Lernen vermitteln Kindern bereits im Kita-Alter Grundwerte und Fähigkeiten wie zukunftsfähiges Denken und Handeln. Die Kinder erleben, dass ihr Handeln Auswirkungen auf andere Menschen und ihre Umgebung hat. Indem sie über den Tellerrand blicken, entwickeln sie ein Bewusstsein für die Welt und ihren Platz darin. Sie lernen, die Welt mitzugestalten. BNE und Globales Lernen haben zwar unterschiedliche Wurzeln, aber das gleiche Ziel: Beide Bildungskonzepte wollen „enkeltaugliches" Denken und Handeln fördern und ergänzen einander.
Wenn pädagogische Fachkräfte den Lernprozess der Kinder, aber auch den eigenen Lernprozess im Blick haben, gehen sie den Weg zu nachhaltigem Handeln miteinander. Eltern und pädagogische Fachkräfte legen als Vorbilder die Grundlagen für ein gerechtes, zukunftsfähiges und friedliches Zusammenleben der nächsten Generationen. Kinder dabei zu unterstützen, globale Zusammenhänge wahrzunehmen, ihre eigenen Schlüsse daraus zu ziehen und eigene Standpunkte zu entwickeln, gelingt durch folgende Bausteine (vgl. Stiftung Haus der kleinen Forscher 2018 – s. auch Surftipp S. 16):
•Wertebildung
•Erkennen und Verstehen
•Reflektieren und Bewerten
•Handeln
•Motivation
1.4.1 Werte in globalen Zusammenhängen
Weltbewusstes, nachhaltiges Handeln und globale Verantwortung als Wertehaltung entwickelt sich nicht durch das Lesen von Büchern oder die theoretische Auseinandersetzung. Werte bilden sich