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Als sie Licht ins Dunkel brachte
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eBook215 Seiten3 Stunden

Als sie Licht ins Dunkel brachte

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Über dieses E-Book

Betti ist mit Leib und Seele Konditorin und führt erfolgreich ein kleines Café. Philip arbeitet als Koch in einem Restaurant. Bei einem Abendessen mit Freunden treffen sie aufeinander und kommen sich schnell näher.
Betti hat sich geschworen, ihr Herz nie wieder für jemanden zu öffnen. Zu viel ist in ihrer Vergangenheit schon passiert. Philip würde gerne mehr über sie erfahren. Schon einmal hat er eine böse Überraschung erlebt. Wie soll er sich da auf eine Frau einlassen, die er kaum kennt?
Gemeinsam engagieren beide sich für Flüchtlinge, doch das wird nicht von jedem gerne gesehen...
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum29. Aug. 2021
ISBN9783754367537
Als sie Licht ins Dunkel brachte
Autor

Sandra Halbe

Sandra Halbe, Jahrgang 1985, wurde im Sauerland geboren. Nach ihrem Studium in Köln, Aix-en-Provence und Newcastle arbeitete sie zunächst in Wiesbaden. Heute lebt sie mit ihrem Mann in Bad Laasphe in Siegen-Wittgenstein. Dort ermittelt auch Kommissarin Caroline König. Bislang erhältlich: Wittgensteiner Schatten (Neuauflage 2024) Lahn Sieg Tod (2022) Ein dritter Teil ist für Ende 2024 geplant. Alle Krimis können unabhängig voneinander gelesen werden. Weitere Bücher der Autorin: Als ich zu seinem Schatten wurde Als sie Licht ins Dunkel brachte

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    Buchvorschau

    Als sie Licht ins Dunkel brachte - Sandra Halbe

    KAPITEL 1

    Philip

    »Guten Abend!«, wurde ich freudig von meinem Besuch begrüßt, als ich die Tür öffnete.

    »Hallo, Rotschopf«, lächelte ich, als Franzi hereinkam.

    »Hey!« Scheinbar entrüstet knuffte sie mir in die Seite, bevor sie an mir vorbei in die Küche stürmte, um dort ganz ungeniert in die Töpfe und Pfannen zu spähen. In der Zwischenzeit begrüßte ich Jan, der genauso wie ich ungläubig im Flur zurückgeblieben war, während Franzi mit einem genüsslichen »Hmmmm« einen Löffel aus der Besteckschublade fischte, um die Soße zu probieren.

    »Wer bist du und was hast du mit Franzi gemacht?«, fragte ich. Ich weiß nicht genau, ob ich damit sie selbst oder Jan meinte.

    Auch er schüttelte ungläubig den Kopf, als wäre Franzi, die nun ganz freimütig den Küchentisch für uns drei eindeckte, eine Wildfremde für ihn.

    »Wie geht es ihr?«, schob ich leiser hinterher.

    Seit damals hatten wir uns alle angewöhnt, bei Jan nachzuhaken, ob alles in Ordnung war, wann immer Franzi sich kurz außer Hörweite befand. Damals. Als Franzi ihren langjährigen Freund Tobias erstach, nachdem dieser ihr zahlreiche Misshandlungen hinzugefügt hatte. Als sie nach dem Messer griff, um sich zu verteidigen, damit er sie nicht umbringen würde. Damals, als sie ein nervliches Wrack war und nach der Tat nicht einmal mehr sprechen konnte. Als ein Richter sie für unschuldig befand und sie nur langsam, ganz langsam ins Leben zurückfand. Als ein Frankreich-Aufenthalt und vor allem Jan ihr wieder auf die Beine halfen. Das Ganze war nun fast drei Jahre her. Und eigentlich sahen wir alle, dass es Franzi gut ging und wie glücklich sie mit Jan war.

    Anfangs waren wir noch auf Zehenspitzen um sie herumgeschlichen, als könnte jedes laute Geräusch oder ein falsches Wort sie in eine neue Krise stürzen. Sobald in den Nachrichten von Mord oder häuslicher Gewalt die Rede war, hatten wir den Fernseher leiser gestellt oder ausgeschaltet. Wir hatten es vermieden, über unsere eigenen Probleme zu sprechen, um sie nicht zu sehr zu belasten.

    Erst nach und nach hatten wir begriffen, dass diese übertriebene Vorsicht nicht nötig war. Im Gegenteil: Unser Verhalten hielt Franzi davon ab, wieder völlig auf die Beine zu kommen. Und so griff sie irgendwann selbst nach der Fernbedienung und stellte den Ton lauter. Oder sie merkte, wenn uns etwas beschäftigte, das wir vor ihr verstecken wollten. Dann fragte sie mit diesen für sie typisch weit aufgerissenen Augen, ob alles in Ordnung sei und ließ nicht locker, bis wir uns schließlich ein Herz fassten und erzählten, was gerade in uns vorging. Sie versuchte, uns immer wieder zu zeigen, dass die Schonfrist für sie vorbei war, bis wir es irgendwann begriffen. Diese übertriebene Vorsicht hatten wir uns also nach und nach abgewöhnt und taten jetzt in der Regel so, als sei all das nicht passiert.

    Aber die Frage, wie es Franzi ging, stellten wir alle. Immer.

    Wir alle, damit meine ich zum Beispiel Michi, Franzis ehemalige Mitbewohnerin. Sie war angehende Ärztin in einem der umliegenden Krankenhäuser und versorgte ihre Freundin, wenn Tobias es mal wieder übertrieben hatte mit seinen Prügeleien.

    Dann gab es noch Mark, der mit Jan zusammen ein kleines Unternehmen mit Importen aus dem europäischen Ausland führte, zu dem in der Innenstadt auch ein Laden gehörte. Franzi war nach ihrem Studium im Geschäft der beiden eingestiegen. Sie und Jan hatten sich damals in einem kleinen Café kennengelernt, wo sie so manchen Nachmittag miteinander verbrachten und sich schließlich näherkamen. Die Inhaberin des Cafés, Betti, war mittlerweile zu einer guten Freundin der beiden geworden.

    Und dann gab es da noch mich, Philip. Franzi und ich waren zusammen in unserem kleinen Heimatdorf aufgewachsen. Sie hatte damals Jan und mich einander vorgestellt, als ich zufällig in derselben Stadt landete und Jan ein freies Zimmer zur Verfügung hatte. Wir beide hatten uns daraufhin eine ganze Weile lang eine Wohnung geteilt. Auch jetzt, nachdem er mit Franzi zusammengezogen war, hielten wir regelmäßigen Kontakt.

    So hatten wir uns heute zum gemeinsamen Abendessen in Jans alter Wohnung verabredet, die ich immer noch bewohnte.

    Wenn Jan meine Nachfrage nach Franzis Zustand störte, so zeigte er es nicht. »Hin und wieder hat sie Albträume.«, sagte er leise. »Aber es geht aufwärts, immer ein Bisschen.«

    Ich drückte kurz seinen Arm. Ich würde für ihn da sein, wenn er mal jemandem zum Reden brauchte.

    Er nickte zum Zeichen, dass er verstanden hatte, drehte sich dann aber um und steuerte auf die Küche zu.

    »Komm, Phil. Ich habe einen Bärenhunger. Und wenn du Franzi weiter hier allein lässt, ist gleich nichts mehr übrig für uns!«

    »Warum wolltest du eigentlich Koch werden?«, fragte Jan mich unvermittelt, nachdem wir alle gegessen hatten.

    Ich überlegte einen Moment. »Ich weiß es gar nicht so genau«, gab ich schließlich zu. »Als ich meine Ausbildung begann, liefen im Fernsehen noch gar nicht so viele Kochsendungen, die mich beeinflusst haben könnten. Kochen war lange nicht so in Mode, wie es das heute ist. Aber ich fand schon immer, dass ein schöner Abend im Kreise von Freunden oder der Familie durch nichts zu übertreffen ist. Und mit einem guten Essen wird so ein Abend erst perfekt. Tja, und dann wollte ich eben lernen, wie ich so ein gutes Essen selbst hinbekomme.«

    »Und das mit Erfolg«, sagte Franzi und deutete auf die leeren Schüsseln und Teller. »Ich finde, das sollten wir öfter machen. Vielleicht laden wir noch Mark und Michi ein. So eine Art Perfektes Dinner für Freunde. Was meint ihr?«

    »Aber ohne Punktevergabe, oder?«, fragte Jan.

    »Und ohne durch die Wohnungen der anderen zu rennen und in jede Schublade zu glotzen!«, schob ich schnell hinterher. Bei dem Gedanken daran, gerade heute jemanden in mein Schlafzimmer zu lassen, stellten sich in meinem Nacken sämtliche Haare auf.

    Sie zuckte mit den Schultern. »Es muss ja kein Wettbewerb werden. Aber wir sehen einander kaum noch. Wann haben wir denn zuletzt alle zusammen an einem Tisch gesessen? Die Arbeit vereinnahmt uns so stark, dass wir am Ende des Tages nur noch auf die Couch fallen. So ein gemütlicher Abend mit einem netten Essen wäre da doch ein tolles Gegenprogramm.«

    »Und würde uns zwingen, mal wieder die Pizza vom Lieferservice nebenan liegen zu lassen«, grinste Jan. Er und ich waren begeistert. Nun mussten wir nur noch Michi und Mark mit ins Boot holen.

    Wie wichtig diese Abende werden, ja, dass sie mein Leben grundlegend verändern würden, konnte ich zu diesem Zeitpunkt nicht ahnen.

    Betti

    Meine Mutter Maria war eine junge Frau, als meine Großeltern damals beschlossen, nach Deutschland einzuwandern. Freunde von ihnen waren bereits im Land und hatten sich ein neues Leben aufgebaut. Viel hatte man ihnen versprochen von »Bella Germania«. Hier sollte es ihnen bessergehen als zu Hause im fernen Italien.

    Doch dass man ihnen in dem kleinen Dorf, wo sie landen würden, zunächst mit Argwohn begegnen sollte, dass man sie »Spaghettifresser« nennen würde, das hatte man ihnen nicht gesagt. Die Leute warfen ihnen hinter vorgehaltener Hand vor, dass sie den Deutschen nur das Geld aus der Tasche ziehen und damit wieder in ihre Heimat verschwinden würden. Dass der Staat für sie viel mehr tue als fürs eigene Volk. Mit dem Knüpfen von Kontakten taten sie sich dementsprechend schwer, sprachen sie doch keinen Brocken deutsch. Die Einheimischen ignorierten sie weitgehend, im Dorf wurde die Familie geschnitten. Meine Großeltern ließen sich trotzdem nicht unterkriegen. Ein kleines leerstehendes Gebäude in der Nähe des Marktplatzes war schnell gefunden. Mit jeder Menge Arbeit, Schweiß und der Hilfe der wenigen anderen Italiener, die es in unsere Gegend verschlagen hatte, bauten sie es nach und nach zu einem gemütlichen Lokal um. Einen kleinen Kredit hatte mein Großvater bei der Bank herausholen können - keine Ahnung, wie er das angestellt hat. Die Renovierungskosten und die Miete für die ersten Monate konnten sie damit vorerst bezahlen, und so feierte es bald Eröffnung, ihr eigenes kleines Restaurant »da Giovanni«.

    Auch wenn die Leute in unserem Dorf über die Italiener schimpften, genossen sie das Essen, das meine Nonna ihnen servierte. Schnell sprach sich herum, dass es bei Giovanni die besten hausgemachten Nudeln im Umkreis gab. Das herzliche Auftreten meiner Großeltern tat sein Übriges. Mit einem Mal war das Lokal ständig gut gefüllt und der Andrang ließ nicht nach. Abends kamen die Arbeiter auf ein schnelles Bier an der Theke herein, um den Feierabend einzuläuten. Am Wochenende war unser Restaurant ein beliebtes Ziel für Familien: Ja, meine Großeltern waren in Deutschland angekommen.

    Spätestens seit die beiden in einen Steinofen für hausgemachte Pizza investiert hatten, konnten sie die Arbeit nicht mehr allein stemmen. Mein Opa hatte von Geburt an ein Herzleiden und die Tätigkeiten in der heißen Küche fielen ihm vor allem in den Sommermonaten immer schwerer. Meine Großmutter sprang zwischen Theke und Küche hin und her, um ihn zu entlasten, während meine Mutter im Gastraum kellnerte. Doch Nonna wurde nicht jünger, und so kam auch sie an die Grenze der Belastbarkeit. Schließlich wurde der junge Oliver als Küchenhilfe angestellt, um die Situation zu entschärfen. Er und Maria verbrachten von da an sehr viel Zeit miteinander. Speziell unter der Woche, an ruhigeren Tagen, zogen meine Großeltern sich gern einmal zurück und ließen Maria und Oliver allein, wenn sich der Gastraum langsam leerte. Schon nach kurzer Zeit waren die beiden jungen Leute so gut aufeinander eingespielt, dass meine Großeltern keine Bedenken hatten, ihnen an manchen Tagen das Ruder gänzlich zu überlassen. Es kam, wie es kommen musste: Irgendwann verliebten Oliver und Maria sich ineinander. Schon bald klingelten die Hochzeitsglocken. Meine Großeltern waren sehr konservativ, weißt du. Und wenn das junge Paar noch länger mit der Hochzeit gewartet hätte, wäre der Babybauch meiner Mutter nur allzu deutlich unter dem weißen Brautkleid zu sehen gewesen.

    Die Hochzeitsfeier war eine kleine Veranstaltung. Auch wenn das Geschäft gut lief, musste man vorsichtig mit dem Ersparten umgehen. Der Pizzaofen war meinen Großeltern heilig. Nicht auszudenken, wenn eine Reparatur daran oder an ihrem kleinen Häuschen fällig werden würde! Für diesen Fall musste Geld da sein. Von den finanziellen Möglichkeiten abgesehen, hielten sich auch die sozialen Kontakte meiner Eltern in Grenzen. Zwar gab es die italienische Gemeinschaft und den ein oder anderen Stammgast, den sie hätten einladen können - in unserem Restaurant hatten sie bereits zusammen mit einigen Gästen auf die Trauung angestoßen. Doch viele enge Freunde hatten die beiden nicht. Und so kehrten sie nach der Zeremonie lediglich mit der Familie in ein kleines Lokal ein, aßen gemeinsam zu Mittag, und ließen die Veranstaltung nach dem Kaffee ausklingen. Meine Mutter sprach immer davon, die richtig große Feier mit den Familienmitgliedern, die in Italien zurückgeblieben waren, nachzuholen. Meine Großeltern zogen dann nur die Augenbrauen hoch, ersparten sich aber jeglichen Kommentar. Und ein paar Monate später hatten sich die Reisepläne sowieso vorerst erledigt, als ich auf die Welt kam.

    Eine der ersten bewussten Erinnerungen, die ich habe, ist die, wie mein Vater von meiner Geburt berichtet. Stundenlang hatte meine Mutter in den Wehen gelegen. Einen Kaiserschnitt hatte sie abgelehnt und wollte ihre Meinung nur ändern, wenn ihr oder mein Leben in Gefahr gewesen wäre.

    »So eine sture Frau«, zischte eine der Schwestern meinem Vater zu, als sie ihm auf dem Flur über den Weg lief. »Es könnte alles so einfach sein, aber die Dame will ja um jeden Preis eine natürliche Geburt!«

    Mein Vater kannte meine Mutter gut genug. Deswegen wusste er, dass jeder Widerstand zwecklos war, wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hatte. Also sparte er sich seinen Atem und erwiderte nichts auf die bissigen Kommentare der Schwester. Er lief weiter den Flur auf und ab und schaute aus dem Fenster, bis er endlich meine Schreie im Geburtszimmer hörte.

    »Als ich dich zum ersten Mal sah«, erzählte er mir immer, »war ich, gelinde gesagt, ein wenig überrascht. Immerhin war deine Mutter eine Italienerin, so wie man sich eine Südländerin eben vorstellt: rabenschwarzes Haar, olivenfarbene Haut und rehbraune Augen. Also hatten wir beide ein Baby mit dunklen Augen und Haaren erwartet, so wie sie sie hatte. Wir dachten einfach, dass ihre Gene sich durchsetzen würden. Das Mädchen, das deine Mutter im Arm hielt, als ich das Zimmer betrat, war jedoch blond, fast weißhaarig. Und die Augen waren himmelblau, so wie meine. Weißt du, wenn es umgekehrt gewesen wäre, also deine Mutter die Deutsche und ich, dein Vater der Italiener, könnte ich mir eine wunderschöne Eifersuchtsszene vorstellen.«

    Mit diesen Worten baute er sich vor mir auf, begann wie verrückt mit den Händen zu gestikulieren und nahm einen italienischen Akzent an, als er sagte: »Maria, was haste du getan, meine Kind ist eine Bastardo! Musse sein dunkel wie eine waschechte Italiano!«

    Ich musste immer wahnsinnig lachen, wenn mein Vater, der eigentlich eher ruhig und zurückhaltend war, versuchte, sich aufzuführen wie ein cholerischer Italiener. Er musste nur aufpassen, dass meine Mutter ihn dabei nicht erwischte. Einmal kam sie zur Tür herein, als er gerade seine »Vorstellung« gab. »Bastardo«, sagte sie verächtlich. »Bastardo. Bastardo!«, Sie schüttelte angewidert den Kopf. »Weißt du, Oliver, Betti ist der Beweis dafür, dass die Dunkelheit nicht immer siegt, sondern auch das Helle manchmal die Oberhand hat. Manchmal bringt jemand Licht ins Dunkel. Merk dir das!«

    Welche Dunkelheit meine Mutter damit meinte, sollten wir erst später erfahren.

    Philip

    Das nächste Abendessen fand bei Jan und Franzi statt. Mark und Michi konnten leider nicht kommen. Ich weiß nicht genau, wessen Idee es war, deswegen Betti an diesem Abend einzuladen. Natürlich waren wir einander schon einmal über den Weg gelaufen. Zwar war das Café weiterhin Jan und Franzis Stammlokal. Aber hin und wieder kam auch ich dort vorbei. Mal war ich auf dem Weg zur Arbeit und der Hunger nach einem Stück Kuchen, den wir nicht selbst auf der Speisekarte hatten, überfiel mich. Mal brauchte ich einen Ort zum Durchatmen. Wenn am Vortag auf der Arbeit die Hölle los gewesen war oder wenn das Getümmel der vielen Menschen auf der Straße mir zu viel wurde, war das Café einfach perfekt, um einen Moment lang den Stress hinter mir zu lassen. Jan hatte den Ort einmal als »Yoga-Kurs für Feinschmecker« bezeichnet. Und ich musste ihm zustimmen: Bei einem Stück hausgemachtem Kuchen auf den gemütlichen Sofas sitzend, konnte ich in der Tat alles vergessen, was mich gerade beschäftigte.

    Das Café lag etwas abseits der großen Einkaufsstraßen, sodass hier nicht der gleiche Betrieb herrschte wie in den Café-Ketten der Stadt. Ich konnte mir gut vorstellen, wie Franzi oder Jan hier sogar im hinteren Teil die Ruhe fanden, sich in ein Buch zu vertiefen.

    Wenn ich dort war, unterhielten Betti und ich uns miteinander. Aber ich konnte nicht behaupten, dass ich sie wirklich gut kannte. Genau genommen war eigentlich immer ich derjenige, der redete, während sie aufmerksam zuhörte. Vielleicht hatte ich deswegen sogar selbst vorgeschlagen, sie einzuladen, um endlich einmal mehr über sie zu erfahren. Wahrscheinlicher war jedoch, dass Jan oder Franzi sie an einem ihrer Lesenachmittage im Café aufgefordert hatten, abends zum Essen vorbeizuschauen.

    Als es an der Tür klingelte, war Jan in der Küche beschäftigt, die Nudeln abzugießen, sodass ich schnell in den Flur lief, um zu öffnen.

    »Wow!«, entfuhr es mir, als ich Betti vor mir stehen sah: Die blonden Haare, die im Café immer zusammengebunden waren, fielen ihr heute lockig über die Schultern. Das blaue Sommerkleid, das ihr bis zu den Knien reichte, hatte dieselbe Farbe wie ihre Augen.

    »Selber Wow«, gab sie grinsend zurück, auch wenn ich nicht wusste, was an meiner Jeans und dem kurzärmligen Hemd, das mein Bäuchlein ein wenig kaschierte, bitte »Wow« sein sollte. Einen Moment lang

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