Sterne und Straßen: Feuilletons
Von Franz Dobler
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Über dieses E-Book
Die Stoffe, die der Autor auf seinen Straßen findet, haben oft mit Literatur und Musik zu tun, falls sie nicht sogar mit ihm persönlich zu tun haben. Dabei ist er oft auf den Nebenstraßen unterwegs, die noch nie einen Stauberater gesehen haben. Dann schreibt er über die beste Blaskapelle vom Oktoberfest, eine Phantasie über Jörg Fauser, Dr. Beckstein seinen Alptraum, das Lieblingslokal in seinem Haus, Kunstfälscher, die Frau, die auf Andy Warhol geschossen hat, einen Nachruf auf den großen vergessenen Autor Hans Frick, über Johnny Cash und June Carter, Guz und Merle Haggard, das Lokalderby Sechzig gegen Bayern oder ein paar Gestalten, die doch endlich mal die Klappe halten sollten.
Der Autor bleibt dabei ungern sklavisch an seinem Ausgangspunkt hängen und nicht immer denkt er daran, dass sein Spruch "Ich bin der letzte gottverdammte Punkrocker meiner Generation in dieser wunderbaren deutschen Literaturszene" so gern zitiert wird. Warum und von wem auch immer.
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Buchvorschau
Sterne und Straßen - Franz Dobler
Franz Dobler
Sterne und Straßen
Feuilletons
FUEGO
– Über dieses Buch –
Sterne und Straßen versammelt literarische und journalistische Arbeiten von 1983-2003. Einige sperrten sich gegen eine Veröffentlichung, die meisten erschienen in Süddeutsche Zeitung, junge Welt, die tageszeitung, GQ, Südwestfunk u.a. und wurden für die Buchausgabe verbessert und verlängert.
Die Stoffe, die der Autor auf seinen Straßen findet, haben oft mit Literatur und Musik zu tun, falls sie nicht sogar mit ihm persönlich zu tun haben. Dabei ist er oft auf den Nebenstraßen unterwegs, die noch nie einen Stauberater gesehen haben. Dann schreibt er über die beste Blaskapelle vom Oktoberfest, eine Phantasie über Jörg Fauser, Dr. Beckstein seinen Alptraum, das Lieblingslokal in seinem Haus, Kunstfälscher, die Frau, die auf Andy Warhol geschossen hat, einen Nachruf auf den großen vergessenen Autor Hans Frick, über Johnny Cash und June Carter, Guz und Merle Haggard, das Lokalderby Sechzig gegen Bayern oder ein paar Gestalten, die doch endlich mal die Klappe halten sollten.
Der Autor bleibt dabei ungern sklavisch an seinem Ausgangspunkt hängen und nicht immer denkt er daran, dass sein Spruch Ich bin der letzte gottverdammte Punkrocker meiner Generation in dieser wunderbaren deutschen Literaturszene
so gern zitiert wird. Warum und von wem auch immer.
Inhalt
Coverbild
Über dieses Buch
Ein Mann bei der Arbeit
Gefährliches Lokal
In meiner Stadt
Die letzte Flucht
Der Alptraum des Innenministers
Mehr Arbeit für den Staatsanwalt
Frauen
Eine Frau, die geschossen hat
Am letzten Fluss
Versuch über die Konfirmation
Ferngesteuerte Spielzeugautos
Alte Frau am Arbeitsamt
Erstmal einen schönen heißen Grog
Benefizkonzert für einen Copkiller
Ein sehr effektiver Abnutzungskrieg
Action auch in Texas
Danke! Danke! Glückwunsch! Danke!
Nutzung für den neuen Planet
Denn sie wissen schon, was sie tun
Der Name des Flughafens
Der Mann, der mit Sharon Stone getanzt hat (II)
Um sein Leben schreiben
Die junge Frau und der Ausgebrannte
In der letzten Bar mit Harry Gelb
Weiter! Bitte weiter!
Im Irrenhaus
Im Notfall mehr Rauschgift
Warum sich Guy Debord erschossen hat
Der schöne Vulkan
Auf Sushi ohne Bambi
Gut Nacht und Good-Bye
Das Herz von der Wiese
Es war der Hammer!
Der Dumme hält den Kopf hin
Vom Leben und Sterben an der Platte
Mit dem Tod unterwegs in der Arschfalte
– Anhang –
Ein Blick nach Backstage
Über den Autor
Werkverzeichnis
Über Fuego
Impressum
Legt mein Hirn in Formalin
und reicht es herum, bis der eine
oder die eine
den gläsernen Behälter fallen lässt.
Heiner Link (1960-2002)
Ein Mann bei der Arbeit
Draußen scheint die Sonne und in meinem Fenster sehe ich klares Blau und freundliches Grün. Ich möchte so gern draußen sein. Leider lässt sich meine Arbeit nicht draußen erledigen. Ich muss putzen. Meine Tastatur muss geputzt werden. Ich habe die Geräte seit vier Jahren, und ich habe zwar mehrmals den Bildschirm, aber noch nie die Tastatur geputzt.
In letzter Zeit ist mir aufgefallen, dass manche Symbole auf der Tastatur kaum noch zu erkennen sind, die 1 und die 2 zum Beispiel. Weil ich beim Tippen nicht auf die Tastatur sehen muss, machte mir das keine Sorgen. Es stört die Funktion nicht, wenn die Tastatur mit einer Schmutzschicht überzogen ist. Kein Text ist schmutzig deswegen. Nur das Nachdenken war jetzt wie immer störend. Man tippt nicht, sondern denkt etwas nach und sieht dabei auf die Tastatur – und schon hatte ich, ohne es unter Kontrolle zu haben, ein Papiertaschentuch in der Hand, steckte den rechten Zeigefinger in den Mund, benässte dann mit ihm das Feld auf der Tastatur, das es nötig hatte, und rieb dann mit dem Taschentuch, bis es die Schmutzschicht aufgesogen hatte. Auch bei dieser Arbeit blieb ich spontan; ich bearbeitete die Fläche nicht beispielsweise reihenweise, sondern suchte mir die dreckigsten, also dunkelsten Felder der Tastatur, unabhängig von ihrer Lage. Ich konnte nicht bemerken, dass mich die Arbeit glücklicher machte, aber ich erinnerte mich, dass es den meisten so geht. Nicht die Arbeit, sondern das Resultat gefällt einem dann.
Schon bald spürte ich die Merkmale meiner Krankheit. Das war normal, ich habe mich längst daran gewöhnt, war jedoch schon etwas erstaunt, dass sie sich sogar bei dieser unwichtigen Tätigkeit meldete. Eine schmutzige Tastatur säubern ist schließlich was anderes als eine verdreckte Wohnung zu reinigen oder das Bett frisch zu beziehen oder sich zu duschen nach zwei schlimmen Tag- und Nachtschichten ohne Pause. Obwohl? Meine Konzentration lief vollständig über zum Putzen der Tastatur und ich erkannte darin auch eine gewisse Komik, die mich sogar aufheiterte, ehe sie dann doch überraschend schnell die Richtung änderte, angetrieben von meiner Krankheit. Während ich mit nassem Zeigefinger und Taschentuch weiter machte, tauchten langsam, ohne eine Struktur zu bilden, Textbausteine im Kopf auf. Vermutlich wurden sie angelockt, weil ich dieses Terrain noch nie bearbeitet hatte, sie kamen, weil sie die Wildnis reizte, Worte, Sätze, Fragen – Einzelgänger, die wussten, dass sie nur gemeinsam überleben würden. Ich begrüßte sie mit keinem Wort. Ich hatte sie nicht gerufen. Ihnen zu helfen bedeutete, mit dem Putzen aufzuhören und das Gerät einzuschalten und das wollte ich nicht.
Ich bin auch nur ein Mann, der sich nicht gern bei der Arbeit stören lässt.
Ich wusste nicht, ob es ein gutes oder schlechtes Zeichen war, dass ich nach vier Jahren, ohne einen Plan gehabt zu haben, die Säuberung in Angriff nahm; aber es jetzt zu unterbrechen, das erschien mir riskant, denn Vergleichbares wartete schon länger und war eigentlich wichtiger. Der Schreibtisch war beladen mit Sachen, die längst vernichtet oder in eine andere Ordnung hätten überführt werden müssen, im Arbeitszimmer insgesamt sah es noch schlimmer aus. Nein: jetzt war die Stunde der Säuberung der Tastatur. Ein Später würde es dafür so bald vermutlich nicht geben. Ich ließ mich von dem Gedanken nicht stören, dass es eine unwichtige, lächerliche und folgenlose Arbeit war, denn ich hatte genug Lebenserfahrung, um zu wissen, dass das schon morgen anders aussehen konnte. Wenn morgen mein Zimmer durchsucht wird, weil sie im Appartement eines Selbstmordattentäters ein Buch von mir gefunden haben, in dem sehr viele Stellen angestrichen sind, dann werden sie, wenn auch vielleicht nur unbewusst, registrieren: die Tastatur dieses Mannes ist sauber.
Ich kann mich nicht erinnern, mich jemals mit anderen Textarbeiterinnen und -arbeitern darüber unterhalten zu haben. Aber was heißt das schon.
Einmal im Monat brauche ich das, ich wische den Bildschirm, ich reinige die Tastatur, räume den Schreibtisch auf und danach fühle ich mich besser.
Bei mir ist das typisch Sonntag Nachmittag, ich höre mir die Jazzplatten an, die ich sonst nie höre, ein Glas Wein, das ist richtig schön, aber nur wenn es regnet.
Ich mach das, ach Scheiße, einmal im Jahr vielleicht und dann geht’s mir aber ziemlich dreckig, dann hört aber der Arsch unter mir meine Zähne klappern.
Wenn die Tastatur nicht sauber ist, das macht mich wahnsinnig, ich weiß, das ist total bescheuert, trotzdem, ich muss das auch gar nicht groß diskutieren, es ist mir egal, wie das die anderen machen, bei mir ist das einmal die Woche, inklusive Stifte spitzen und alles, was irgendwie damit zu tun hat, jawohl.
Ich kratz da immer mit den Fingernägeln, wenn mir das richtige Wort nicht einfällt, und dann hast du plötzlich tierisch viele ooooooooooo auf dem Schirm, Attacke vom Mars, Hilfe, Hilfe, jetzt sauf ich aber wirklich mal weniger.
Ich seh’s einmal anders herum, morgen Nacht nehm ich einen Typen mit heim und der schaut sich dann meine Tastatur an, also ich weiß nicht, aber wenn der meint, er muss sich da einmischen, dann kann er aber schon gleich wieder gehen.
Du wirst es nicht glauben, aber es gibt eine spezielle Reinigungslösung dafür, es gibt sogar so was wie diese Erfrischungstücher, wo sind eigentlich die Erfrischungstücher geblieben, waren das die Sechziger eigentlich, oder doch Siebziger und Achtziger, ich glaube in den Neunzigern nicht mehr so, das war sicher auch so ein spezielles Ostding, ich muss mir das im Netz jetzt mal genauer ansehen, Erfrischungstücher, Raststätten, Reiseschreibmaschinen und der Knirps, pass mal auf, Pulswärmer sind auch wieder da.
So könnte man sich wohl stundenlang darüber unterhalten.
Bei meinen alten Schreibmaschinen habe ich die Typen öfter geputzt. Dazu benutzte ich Stecknadel, Stofftaschentuch und Feuerzeugbenzin. Mir gefiel die Tätigkeit, und auf dem Papier konnte man dann sehen, dass sie einen Sinn hatte. Ich vermisse meine alten Maschinen, genauer gesagt die Geräusche, die sie bei der Arbeit machen. Es ist kein gutes Gefühl zu wissen, dass ich sie wohl nur noch selten aus der Ecke holen werde, um einen Text in die Maschine zu hämmern. Vor einigen Monaten war ich, aus einer diffusen Stimmung heraus, bereit, immerhin meine elektrische Schreibmaschine nach langer Zeit wieder zu benutzen. Und dann war das Farbband nach wenigen Zeilen verbraucht und schon war aus einer angenehm verträumten eine schlechte Stimmung geworden. Es war die schmutzige Tastatur eines Keyboards, die mich bald milder stimmte.
Die Sonne spendet nun kein Licht mehr, in meinem Fenster ist kein Blau mehr, kein Grün. Doch verstummt sind endlich die Schreie.
Die Textbausteine, die Worte, Sätze und Fragen hatten dann in der Wildnis der ihnen fremden Sprachfelder so lange gebrüllt, bis ich nicht mehr anders konnte, als ihnen zu helfen. Ich habe die hoffnungslosen, ängstlichen Einzelgänger zu einer Gruppe verbunden, die nun überlebensfähig zu sein scheint. Zuletzt erklärte ich ihnen, warum ich glaubte, dass es nichts Gutes bedeutete, dass ich mit dem Putzen aufgehört hatte und sie nicht allein und ihrem Schicksal überlassen, sondern sie zu einer immerhin 7542 Zeichen starken Einheit formiert hatte. Obwohl ich da schon wusste, die verstanden nichts von dem, was ich ihnen sagen wollte.
Ich bin nur ein Mann, der seine Arbeit tun will, aber ich habe ein Herz, das mir sagt, wann ich helfen muss. Dann habe ich das Gerät ausgeschaltet und gehofft, morgen wäre auch noch ein Tag.
Gefährliches Lokal
Manchmal frage ich mich, wie viel Zeit meines Lebens ich in Lokalen verbracht habe. Und wie es aussehen würde, wenn man alle Gläser, die ich hatte, in Reihe stellt. Nur so. Und wie viel Moos ich wohl dort gelassen habe? Das weiß ich ziemlich genau. Wenn man alle Münzen und Scheine in einen Sack füllen würde, der mir von der Decke auf den Kopf fällt, dann wäre ich tot. Aber wenn ich’s nicht getan hätte, wäre ich sicher schon lange tot.
Seit fünf Jahren lebe ich in einer außergewöhnlichen Situation, und fast alle Leute, die uns zum ersten Mal besuchen, sind begeistert. Ihr habt ja eine Kneipe gleich im Haus! Als hätte man das Ziel gehabt und es damit endlich, endlich erreicht, nie wieder raus zu müssen. Und so einen schönen kleinen Biergarten! Dann die entscheidende Frage, ist es denn gut da?
Das ist es ja, dass es gut da ist, täglich von zehn bis ein Uhr im Hektor, und deshalb ist es ein nicht ungefährlicher Ort, an dem ich lebe. Du hast eines der angenehmsten Lokale der Stadt im Haus. Das fördert den Hang zur Faulheit und den Amüsiertrieb und ist ein gutes Fressen für den Pleitegeier. Du hast den ganzen Tag Buchstaben aus dem Alphabet geschlagen oder sonst was, die Sonne ist untergegangen, und diese gewisse innere Stimme sagt, du willst noch unter Menschen sein, aber weiter als bis ins Erdgeschoß würdest du jetzt auf keinen Fall gehen, nein, heute nicht, du bleibst zu Hause. Eine andere Standardsituation ist der abends leere oder völlig falsch gefüllte Kühlschrank. Eine unaufgeregte Stimme sagt, gehn wir runter? Und