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Liebestrank
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eBook376 Seiten5 Stunden

Liebestrank

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Über dieses E-Book

"Vielleicht ist es ein Unrecht, einen Menschen ganz für sich haben zu wollen, ohne Rücksicht auf ihn selber, so wie ich Paul als Freund und Sie ihn als Mann! ... Wenn es ein Unrecht war, dann hat es sich an uns gerächt ..." An ihrem siebenundzwanzigsten Geburtstag zieht die junge Witwe Gabriele Lünhardt nach dreijähriger Trauerzeit zum ersten Mal wieder bunte Kleider an. Ihre Mutter hegt schon Pläne, sie neu zu verkuppeln, doch Gabriele lebt noch immer ganz in der Erinnerung an die große, glückliche Liebe ihres Lebens. Doch noch am gleichen Tag holt sie auch die Vergangenheit ein, in Gestalt des afrikanischen Plantagenbesitzers Werner von Ostönne, bester Freund ihres verstorbenen Mannes Paul und nun ihr erbitterter Feind. Über Ostönne, der ihr die Briefe Pauls an ihn zukommen lässt, erfährt sie, dass ihr Eheglück, zumindest was ihren Mann anging, nur ein scheinbares war, auf dem täglichen Seelenleid und Unglück ihres Mannes aufgebaut, der für seine geliebte Frau das Leben als Afrikaforscher und Plantagenbesitzer in Deutsch-Ostafrika an der Seite seines Freundes Werner aufgegeben hat und mit zerrissener Seele, dem Selbstmord nahe, verstarb ... Als Gabrieles bisheriges Leben unter ihr zusammenbricht, ringt sie verzweifelt nach Neuorientierung, für die schließlich sogar der Feind von Ostönne zur Schlüsselfigur wird. Ein psychologisch durchdrungener und einfühlsam erzählter Roman über den Konflikt zwischen Liebe und Lebensberufung.-
SpracheDeutsch
HerausgeberSAGA Egmont
Erscheinungsdatum20. Jan. 2020
ISBN9788711507162
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    Buchvorschau

    Liebestrank - Rudolf Stratz

    www.egmont.com

    1

    Gabriele Lünhardt hatte eine eigene Empfindung, als sie an diesem Berliner Herbsttag zum erstenmal wieder ein farbiges Kleid anzog. Der dichte Flor vor den Augen, der lange Schleier, dann das Grau und Weiss der Halbtrauer um ihren verstorbenen Mann, die schwarzen Schleifen waren ihr durch die Gewohnheit dreier Jahre etwas Selbstverständliches geworden, was sie von ihrer Persönlichkeit kaum mehr trennen konnte. Nur zu dem dunklen Lila der Witwen hatte sie sich nie entschliessen können. Ihr schien: es machte sie zu alt — sie, die heute ihren siebenundzwanzigsten Geburtstag feierte.

    Sie war schlank gewachsen. Überreiches, aschblondes Haar wuchtete in einem schweren Knoten in ihrem Nacken und überkräuselte das schmalwangige Gesicht mit den klaren, grauen Augen. Sie sah ernst, fast schuldbewusst aus, während sie mit Hilfe ihrer Kammerjungfer sich in das enganliegende Prinzesskleid hüllte — ein Unterkleid von kupferfarbener Seide, darüber in etwas hellerem, zartem Kupferton ein Spitzenstoff, mit Kupfer und Gold in eigenartigem Schlangenmuster überstickt — ein Anblick, der die Jungfer entzückte. Sie war schon im Elternhaus Gabrieles in Westdeutschland bei dem verstorbenen Kommerzienrat Weiferling in Stellung gewesen und hatte die Tochter bei ihrer Heirat vor sechs Jahren nach Berlin begleitet. „Gnädige Frau sehen wunderschön aus!" sagte sie, neben ihr am Boden kniend.

    Die junge Witwe erwiderte nichts. Sie stand in ihrem grossen, hellen, ganz Weiss in Weiss gehaltenen Ankleidezimmer, vor dessen Scheiben das bunte Herbstlaub des Berliner Tiergartens schimmerte. Hier, mitten in der Hauptstadt und doch fast im Walde, nahe der Lichtensteinbrücke, hatten sie und ihr Mann sich ihre reiche Villa gebaut. Nur drei Jahre hatte er sie bewohnt. Dann hatten sie ihn hinausgetragen.

    „Gnädige Frau sind in der Toilette noch jünger! erklärte die Zofe. Sie kauerte noch da unten und zupfte geschäftig die Falten zurecht. „So waren gnädige Frau als Mädchen!

    Und ihre Herrin dachte sich, ohne hinzuhören: ,Ja — da haben sie ihn hinausgetragen. Nicht an einem trüben Oktobermorgen wie heute, sondern an einem klaren, frostigen Wintertag. Er hat sich nur ein paar Tage unwohl gefühlt. Und dann plötzlich . . . Blinddarmentzündung . . . Warum nur, du grosser Gott? Und wir hier unten falten die Hände und weinen . . . weinen . . .‘

    „Was nehmen gnädige Frau für einen Schmuck?"

    „Noch keinen!"

    Sie dachte wieder, was sie tausendmal gedacht: ,Warum musste es sein? Ich habe ihn doch so geliebt . . .‘

    Das Mädchen war aufgestanden. Es bat: „Gnädige Frau sollten sich doch einmal vor dem Spiegel betrachten! . . . Gnädige Frau sind so entzückend! . . . Es wird alles paff sein!"

    Sie tat ihr den Gefallen und erstaunte selbst vor der schönen fremden jungen Frau, die ihr im Glase gegenüberstand und ernst, forschend ihren Blick erwiderte. Diese farbenfrohe Eleganz verwirrte sie. War sie das? Durfte sie das sein? Ein Mensch wie andere? Draussen das Leben? . . . Dabei gefiel sie sich. Sie war schön. Schöner noch als bisher in der trüben Verpuppung des Witwenstandes. Zu ihrer gleichmütigen, blonden, klaren Art passte Trauer nicht so gut wie diese zarten, kühlen Farben, die in leisen Seidenwellen an ihr herniederrieselten. Aber sie schaute gleich wieder weg; seufzte, strich sich ihrer Gewohnheit gemäss mit der schmalen, weissen Hand über den Scheitel und frug: ,,Sind meine Mutter und meine Schwester drüben?"

    „Jawohl, gnädige Frau! . . ."

    Gabriele Lünhardt nickte und ging von ihrem Ankleidezimmer in das anstossende Boudoir und durch die Flucht der Empfangsräume weiter. Sie hatte einen leichten, wiegenden Schritt — ein Gleiten in Hüften und Schultern. Den Kopf trug sie etwas vorgeneigt. Eine sanfte Halslinie wölbte dabei den weissen Nacken, in dem das goldene Flaumhaar schimmerte. Um sie war der schwere, gediegene Reichtum, den der verstorbene Kommerzienrat Weiferling, der Inhaber der grossen Pianofortefabrik Weiferling u. Co., seiner Witwe und seinen beiden Töchtern hinterlassen hatte. Und überall in diesen Prunkgemächern traf Gabrieles Auge auf Andenken von ihrem Mann. Er hatte als Afrikaforscher viel die Öffentlichkeit beschäftigt. Dort das grosse Ölbild von ihm, das seinem Maler seinerzeit auf der Kunstausstellung im Glaspalast den zweiten Preis eingetragen, war oft reproduziert worden. Da wieder hing ein Pastell Dr. Paul Lünhardts noch aus seinen Junggesellenjahren, in der Uniform eines Stabsarztes in der Schutztruppe für Deutsch-Ostafrika. Und hier die Bronzestatuette eines auf einem Sockel ruhenden Löwen war die Nachbildung seines Grabmals draussen vor den Toren Berlins. Nur der kleine runde, mit Oberlicht in Weiss und Gold gehaltene Musiksaal wies keine Erinnerung an ihn auf. Er enthielt nichts als den auserlesenen, fast immer zu Gabrieles Gebrauch aufgeschlagenen kostbaren Flügel aus der Werkstatt ihres Vaters. Er war der Mittelpunkt des Hauses. In seiner strengen Schmucklosigkeit feierlich gleich einer kleinen Kirche.

    Am Eingang zu diesem Allerheiligsten hielt eine alabasterne Herme Gabriele Lünhardts auf hohem Sockel Wacht, von der von oben strömenden Tageshelle durchsonnt und belebt, mit offenen Augen und sprechenden Lippen, gesammelte Ruhe auf den klaren Zügen. Es war ein schöner, jugendlicher Kopf, im Profil herbe und fest, von vorne mehr frauenhaft weich und lächelnd. Er glich ihr wie aus dem Gesicht geschnitten. Gabriele blieb vor ihm stehen und fuhr ihm zerstreut, wie sie es bei sich selber tat, glättend mit der Hand über das Haupt. Es war eine Bewegung, mit der man eine Schwester liebkost. Es lag Wohlwollen darin. Stille Liebe trotz allen Summers. Freude an sich selber . . .

    Zwei Zimmer weiter warteten die verwitwete Kommerzienrätin Weiferling, eine rundliche, etwas zu jugendlich hell gekleidete Matrone, und ihre jüngere, zu Anfang der Zwanzig stehende Tochter auf Gabriele, die Mutter und Schwester nach dem Tode ihres Mannes zu sich nach Berlin in ihr Haus genommen hatte. Der Geburtstagstisch stand leuchtendweiss gedeckt, mit Blumen und Geschenken überladen. Es war das erste Mal seit drei Jahren, dass die junge Witwe die Feier des Festes duldete. Das heute sollte ein Sinnbild sein, das Wiederhinaustreten in das Leben, unter die anderen Menschen statt der Trauer um den Einen . . .

    Sie hatte die Ihren, die ihr glückwünschend bis zur Schwelle entgegenkamen, geküsst und betrachtete nun stumm, mit gefalteten Händen den Gabenbau. Es blühte und duftete ihr von da unten entgegen, Orchideen und Rosen, Kallas und Lilien rankten sich schmeichelnd zu ihr empor, Briefe, Glückwunschtelegramme, Visitenkarten schimmerten weiss in der farbigen Wildnis. Mama hatte sich gewaltig angestrengt mit ihrem Smaragdarmband, auch die Schwester Gisela hatte das Ihre getan . . . Gabriele gab ihnen die Hand und dankte ihnen, aber sie blieb dabei ernst und still. Auf einmal drangen ihr die Tränen unaufhaltsam in die Augen. Sie ging in das Nebengemach, um allein zu sein. Die weichen Perserteppiche dämpften ihren Schritt, die schweren Portieren schlugen hinter ihr zusammen, um sie standen steif, unbenutzt in diesen reichen Räumen, die seit Jahr und Tag keine grössere Gesellschaft mehr gesehen hatten, die geschnörkelten Tische und Stühle, Prachtwerke lagen umher — Musikmappen — Kupferstiche — überall waltete ein kühler, freisinniger und verwöhnter Geschmack, Vergeistigung in den Dingen. Alles Grelle, Schroffe, allzu Wirkliche war vermieden.

    Und dort am Fenster stand ein Rokokorahmen mit Photographien ihres Mannes. Die hatte sie sich, noch als Braut, der Reihe nach gesammelt. Da war er als ganz kleines Kind im Röckchen — als kurzhosiger Sextaner und schon mit dem Zwicker bewaffneter, flaumhaariger Abiturient, als Studio, Stirne und linke Wange zerhauen, als Einjähriger, als Assistenzarzt — erst daheim, dann im Tropenhelm und Kaki der Schutztruppe, endlich, nachdem er drüben den Abschied aus dem Dienst genommen, als der weitbekannte Afrikaforscher — von einem Franziskanermissionar in der Buschsteppe photographiert — die Elefantenbüchse in der Hand, sonnenverbrannt, verwildert, lachend, dass die Zähne unter dem regellos gewachsenen Vollbart blitzten.

    Die letzten Aufnahmen aber waren nach seiner Heirat in einem Berliner Modeatelier entstanden, der Urwaldbart war geschwunden. Ein eleganter, korrekter, schnurrbärtiger Herr schaute scharf aus dem Rahmen und sass, ein Buch in der Hand, in sinnender Haltung am Schreibtisch und trug auf dem Frack eine prunkende Ordensreihe zur Schau. Das war er, so wie sie ihn gekannt und geliebt hatte. So hing auch oben an der Wand in dunkler Eichenfassung seine lebensgrosse Sepiaphotographie — ein getreuer Spiegel der Wirklichkeit — ein schweigsames, mageres Gesicht, in den durchdringend durch die Zwickergläser forschenden Augen noch der Ernst des einstigen Arztes, um die schmalen Lippen ein sonderbarer Zug von stillem Humor . . .

    Kaum siebenunddreissig Jahre war er alt geworden. Er hatte es als Arzt gewusst, dass er sterben musste — schon zwei Tage zuvor. Sie wunderte sich manchmal, dass in jenen Wochen ihr aschblondes Haar nicht aschgrau geworden war. Sie stand und schaute zu dem Bild hinauf wie zu einem Heiligtum. Sie hatte darunter eine Art Tempel zurechtgemacht — einen Tisch mit Palmen und exotischen Blattgewächsen, die wie ein Gruss der fernen afrikanischen Sonne schirmend mit ihrem tiefen Grün den Rahmen umrankten. Vorn war zwischen ihnen ein Raum frei. Da legte Gabriele still eine Handvoll roter und weisser Rosen nieder, die sie von ihrem Gabentisch mitgebracht. Das hier — das war ihre eigentliche Geburtstagsfeier — eine Totenfeier. Sie lehnte sich an die Wand, das Tuch vor den Augen, und schluchzte in sich hinein.

    Sie hörte Schritte. Ihre Mutter war ihr gefolgt. Die junge Witwe drehte sich um und schaute an ihrem Kleid hernieder.

    „Es war ein Unsinn, Mama! sagte sie kurz. „Diese Idee . . . Was soll ich in den bunten Lappen? In mir schreit es dagegen! Von morgen ab trag’ ich wieder Trauer!

    „Man kann nicht sein ganzes Leben lang trauern, Kind! Man bereut es zu spät!"

    „Ich nie!"

    Die Matrone hatte sich gesetzt und gleichmütig ihre kurzen, fleischigen, mit schweren Ringen geschmückten Hände verschränkt. Auf ihrem verschwommenen Gesicht war ausdrucklose Gutmütigkeit. Sie sprach infolge ihrer Körperfülle kurzatmig.

    „Man muss nichts übertreiben, Goldkind! . . . Alles ändert sich im Leben . . . Jeder Schmerz hat seine Zeit . . ."

    „Mama . . . ich kenn’ die Fibersprüche auswendig . . ."

    „Du bist doch nicht die einzige Witwe auf der Welt. Ich hab’ deinen guten Papa doch auch hergeben müssen . . ."

    Die alte Dame seufzte und schnupfte dabei wie ein Mensch, der eine innere Rührung zurückdrängt. Ihre Tochter schüttelte ungeduldig den Kopf.

    ,,Mama . . . ich hab’ dich schon oft gebeten, das beides nicht zu vergleichen . . ."

    ,,Kind . . . spricht man so zu seiner Mutter?"

    „Du hast seinerzeit Papa geheiratet, weil alles gut passte — hier eine Pianofortefabrik, da eine Seidenweberei — ihr habt euch auch schliesslich vertragen — das war ja soweit alles schön . . ."

    Und während sie sprach, dachte sie sich: ,Nein — das nicht einmal! . . .‘ Er war eigentlich gar nicht zum Philisterium veranlagt gewesen, der lustige, kleine dicke Papa — dies grauköpfige joviale Kind — trotz seiner Geschäftschlauheit — von dem sie ihre musikalische Leidenschaft geerbt hatte. Sie fuhr fort: ,,Dagegen ich . . . Nach dem, was Paul und ich uns waren, begehe ich einen Verrat an ihm, wenn ich so tue, als wäre ich wieder wie andere Leute, sei es auch nur durch ein Lachen oder durch eine bunte Schleife am Kleid . . . Ich war so glücklich . . . er hat mich so geliebt . . ."

    ,,Angebetet hat er dich . . ."

    „Und das muss man heilig halten! Das kommt nie wieder . . . nie im Leben . . ."

    Die Kommerzienrätin Weiferling legte ihrer schönen Tochter die Hand auf den Arm. Die zuckte bei der Berührung zusammen. Mama lächelte so vielsagend und mütterlich. Sie hatte dann etwas so Listiges und Molliges an sich — förmlich etwas Kupplerisches. Im Hintergrund ihrer Rede lauerten dann die Männer. Der neue Mann. Der Unbekannte . . .

    „Da dich Paul so geliebt hat, begann die Matrone behutsam, „so würde er, wenn er noch reden könnte, nur das eine wünschen, dass du glücklich bist! Das kann man aber doch nicht, wenn man ewig in Sack und Asche geht. Auf einmal ist Jugend und Schönheit weg und dann sitzt man da und die Bewerber sind über alle Berge!

    „Und jetzt hab’ ich noch an jedem Finger zehn! sagte die junge Witwe melancholisch. „Siehst du, Mama: das ist ja das Grässliche, was du nicht verstehst . . . weswegen ich wie eine Nonne in meinen vier Wänden lebe! Saum tret’ ich hinaus, um nur ein bisschen Mensch unter Menschen zu sein, so sind sie schon hinter mir her! Sie lassen einem keine Ruhe! . . . Aber du hast mich jetzt in die rechte Stimmung gebracht, um reinen Tisch zu machen!

    Sie ging in das Geburtstagszimmer zurück. Ihre Schwester Gisela stand da, hatte ihren zartblonden Kopf, der an sich feingeschnitten war und nur neben der Schönheit der Älteren verblasste, über die Blumen gebeugt und besprengte sie hausmütterlich mit Wasser. Sie fühlte sich am Arm zurückgezogen. „Lass das nur gut sein! sagte Gabriele Lünhardt. „Der Aufbau hat ja nun seine Schuldigkeit getan!

    Damit griff sie in das Blühen und Duften hinein, zog die Sträusse aus ihren Gläsern, trennte die Karten und Briefe von ihnen ab, riss sie durch und warf sie zur Seite. Nur eine Visitenkarte und einen Busch roter und weisser Rosen — dieselben, von denen sie vorhin eine Handvoll unter das Bild ihres Mannes gelegt, liess sie auf ihrem Platz. Sie leuchteten einsam über den fast leeren Tisch, auf dem nur noch die Geschenke ihrer Angehörigen prangten. Dann klingelte sie dem Diener.

    „Johann . . . nehmen Sie die Blumen und tragen Sie sie hinüber in das Elisabethkrankenhaus. Man möchte sie den Kranken auf die Betten legen! Dann find sie doch zu etwas gut!" . . .

    Der Diener ging. Sie atmete auf.

    „So! Nun ist die Luft rein! Sie sollen nicht so plump nach mir greifen! Ich bin keine Ware auf dem Markt . . . Was hast du denn, Gise?"

    Sie schaute ihrer Schwester über die Schultern, die tränenschluckend die beiden Hälften einer eben durchsgerissenen Visitenkarte zusammenpasste, und las:

    „Bankholtz

    Hauptmann in der Kaiserlichen Schutztruppe

    in Südwestafrika."

    „Verzeih! sagte sie. „Deinem Bräutigam wollt’ ich nicht zu nahe treten! . . .

    „Die Orchideen waren von Koschel, Gabriele! Die haben ihm so eine Masse Geld gekostet . . ."

    „Sei mir nicht böse . . ."

    Die beiden Schwestern küssten sich. „Ich wünsche dir doch weiss Gott alles Gute, Gise! versetzte Gabriele Lünhardt, sich freimachend. „Werde du glücklich mit deinem Bankholtz! Liebe ihn nur nicht zu sehr!

    „Meinst du denn, dass man zu sehr lieben kann?"

    „Das weiss ich eben nicht! Man gewinnt so viel und verliert so viel! Hinterher ist man so arm! . . . Man findet sich gar nicht mehr in das gewöhnliche Leben zurecht! Aber es muss ja nicht jedem so gehen . . ."

    Ihre Stimme war immer auffallend hell und stark, durch die Gewohnheit des Singens gestählt. Sie nickte den beiden Damen zu: „Ich gehe jetzt wieder zu mir hinüber, Mama! Ich tauge nicht zum Geburtstagskind! Für mich ist’s immer Allerseelen! . . . Da müssen wir uns schon darein finden und mit mir Geduld haben — nicht wahr?"

    Langsam schritt sie durch die Zimmerflucht zurück. In der wurde jeden Morgen abgestaubt und aufgefegt. Aber trotzdem war ihr, als hingen Spinnweben in den Ecken der hohen Räume — ein Hauch der Vergangenheit und der Vergänglichkeit überall . . .

    Sie blieb stehen und dachte sich: ,Sonst warnt man alte Männer, sich noch Häuser zu bauen, damit das Schicksal nicht gereizt wird und sie belehrt, dass wir nur Gäste auf der Erde sind. Aber er war doch noch jung! Wir hatten doch noch ein Recht auf Glück . . .‘

    Es schien ihr so lang, diese drei Witwenjahre. Und doch: es war nichts in dieser Zeit verblasst. Sie hatte seine Gestalt festgehalten. Sie sah ihn vor sich, an ihrem letzten Geburtstag, den sie zusammen feierten. Da waren nicht so viele Blumen auf dem Tisch wie heute. Keine Fremden drängten sich heran. Aber seine Gaben lagen auf dem weissen Tuch. Er war da und seine Liebe . . .

    Dies Schweigen umher . . . Draussen die tiefe, vornehme Stille dieses letzten Ausläufers des Tiergartenviertels. Sie wollte ja nichts von der Welt da draussen. Sie verschloss sich vor ihr. Aber sie fröstelte doch. Ein Gefühl unendlicher Einsamkeit durchkältete sie. Der Anblick dieser vielen toten, meist von Licht und Lachen erfüllt gewesenen Räume lastete auf ihr. Sie musste sich zu sich flüchten. Dort, am Eingang zu dem kleinen weissen Musiksaal, stand ihr alabasternes Ebenbild und lud sie ein, und sie ging und betrat ihr Reich.

    Ihre Stimme, dieser glockenhelle, machtvolle Sopran, hätte ihr mit Leichtigkeit den Weg in den Konzertsaal geebnet, wenn sie, die Tochter aus reichem Hause, darauf angewiesen gewesen wäre. Das ganze Elternhaus lebte ja von Musik, sie selber auch. Sie setzte sich an das Klavier, träumerisch verschlungen klangen die Weisen. Sie sang halblaut mit, die Augen geschlossen, den Kopf zurückgelegt. Ihr Antlitz sah auch jetzt, bei geöffnetem Munde, schön aus. Die Züge hatten nun etwas Leidendes, Sehnsüchtiges, Weltentrücktes. Sie glichen denen einer jugendlichen Mater dolorosa. Aus ihrer Stimme sprach ein anderer Mensch als sonst im Leben. Leidenschaft statt der Kühle.

    „Was weckst du der Wala Schlaf . . .?"

    Es klang wie eine Klage. Geheimnisvoll. Bang abwehrend . . . Was drang da alles von aussen herein, rüttelte an den Pforten der Seele, begehrte Einlass? Und innen stand doch nur ein Sarg. Begrabene Liebe . . .

    Sie trieb im Meer der Töne wie ein Schwimmer draussen auf den weiten Wellen. Das war dies wunderbare Gefühl der Uferlosigkeit, der Abgrundtiefe unter sich — ein Selbstvergessen. Sie wunderte sich nicht, als sie endlich die Hände von den Tasten sinken liess, dass der halbe Vormittag vergangen war. Sie stand auf. Sie war jetzt ganz gefasst. Aus ihrem Musiksaal kam sie beruhigt, wie aus der Kirche.

    An dem grossen Empfangszimmer vorbeigehend, hörte sie innen die Stimme ihres künftigen Schwagers. Sie kannte dies heitere Lachen. Sie hörte, wie der Hauptmann Bankholtz zu ihrer Schwester sagte: „Ja natürlich, Maus . . . in den nächsten Wochen werde ich ja mit Gottes Hilfe in die preussische Armee zurückversesst . . . ich hab’ die Sandbüchse da unten in Südwest nach vier Jahren nu auch allmählich dicke . . ."

    „Dann wollen wir jedenfalls noch vor Weihnachten heiraten!"

    „Hoffentlich, ich kann mir nur die neue Garnison nicht herzaubern!"

    „. . . wir heiraten doch vor Weihnachten!"

    „Sobald wir ein Heim haben! Du hast hier eines! Ich hab’ es vorläufig noch nicht!"

    „Ich noch weniger! Ich will hier heraus!"

    Das klang heftig und entschlossen, ganz anders, als die heitere blonde Gisela sonst sprach. Ihre Schwester wollte eben aus dem Nebengemach zu ihr hinein, da hörte sie ihren eigenen Namen: „Du weisst nicht, was das heisst, mit Gabriele zusammenleben!"

    „Na — sie beisst doch nicht!"

    „Das nicht! Sie ist in ihrer Art immer gut und nett. Sie meint es nicht so. Aber sie erdrückt einen förmlich. . . ."

    „Wieso denn?"

    „Ja, nicht mit Gewalt! Ganz unmerklich! . . . Du siehst es ihr so nicht an, aber sie ist ein ganz unbeugsamer Mensch — war’s immer. Sie gibt anderen nicht ein Haarbreit nach! Also müssen wir fortwährend Opfer bringen . . ."

    „Zu mir ist sie immer liebenswürdig!"

    „Freilich! Wen sie gern hat . . . Sie hat auch mich gern — Mama — jedermann! Sie ist gar kein böser Charakter. Sie biegt sich die Leute nur eben in aller Sanftmut zurecht, wie sie sie haben will . . ."

    „Komisch!"

    „Sie weiss es immer durchzusetzen, dass sich alles um sie dreht! . . . Ganz lächelnd, ganz selbstverständlich! Ich glaub’, es kommt ihr gar nicht voll zum Bewusstsein. Aber ich hab’ das satt! . . . Ich will jetzt einmal etwas für mich sein . . ."

    Gabriele Lünhardt wandte sich ab, um nicht mehr zu hören. Auf ihrer niederen weissen Stirne standen drei unmutige Querfalten zwischen den dichten, dunkelblonden Augenbrauen. Sie war eigentlich mehr erstaunt als erzürnt. Was war das für ein dummes Gerede? Sie, die keiner Fliege etwas zuleide tat — die jeden Menschen nach seiner Fasson selig werden liess — und nun dies alberne Mädel . . .

    ,Die war eben verliebt! Wer da nicht ewig mit ihr mithimmelte, erschien ihr teilnahmlos.‘ Die junge Witwe war schon wieder versöhnlich gestimmt. Sie war von Natur weitherzig. Sie trug nicht leicht etwas nach, am wenigsten dem blonden Schaf da drüben. Durch die Türe vernahm sie, wie der Hauptmann vergnügt sagte: „Warum seid ihr denn dann zu ihr ins Haus gezogen, du unkluger Schatz?"

    „Weil sie’s so gewollt hat!"

    „Aber du und die Mama hättet es doch gar nicht nötig gehabt!"

    „Wenn Gabriele was will, dann geschieht’s! Sie möchte als Witwe nicht allein sein. Also mussten wir kommen! Das verstehst du eben nicht . . ."

    „Nun — weiss Knöppchen nicht!" lachte der Schustztruppler und sprang bei Gabrieles Eintritt eilig auf. Sein krebsrot gebranntes, lustiges Gesicht mit dem weissblonden Schnurrbärtchen und dem stoppelkurzgeschnittenen Haar war rundlich, die breitschultrige Gestalt beinahe zu voll für die kleidsame graue Felduniform. Er strotzte von Gesundheit und Lebenslust.

    „Guten Tag! Und herzlichen Glückwunsch, liebe Schwägerin!"

    „Guten Tag! sagte die junge Frau kühl. „Schönen Dank für die Blumen! Sie hatte sich noch nicht entschliessen können, den demnächstigen Verwandten ,Du‘ zu nennen. Sie war abwehrend gegen ihn wie gegen alle Männer, obwohl doch gerade dieser am allerwenigsten Absichten auf sie hatte. Immerhin gab sie ihm freundlich die Hand. Das Konventionelle in ihrem Dasein trat jetzt deutlich hervor. Man fühlte, dass sie dieses etwas leere und zerstreute Lächeln für jeden übrig hatte. „Sie wollen schon gehen?" frug sie im Ton oberflächlichen Bedauerns.

    Der Hauptmann Bankholtz hatte seiner breitrandigen Schlapphut ergriffen.

    „. . . Höchste Zeit, dass ich mich beurlaube! Wir zanken uns schon seit einer Stunde, mein künftiges Hauskreuz und ich . . . aber alles in Liebe und Güte, wie der Pastor sagt . . . ich habe nur noch eine dringende Bestellung auszurichten: Herr von Ostönne ist zurzeit im Lande, hier in Berlin . . . Sie kennen ihn . . ."

    „Persönlich nicht!"

    „Freilich: er war ja nun sieben Jahre ununterbrochen drüben in Ostafrika . . . gesegnete Konstitution . . . na . . . seine Plantagen liegen ja auch oberhalb der Fieberzone . . ."

    „Mein seliger Mann hat mir natürlich viel von ihm erzählt!"

    „Ja! Man wird selten zwei so dicke Freunde finden, wie die beiden waren! Na . . . Ostönne ist nun also mit Gottes Hilfe hier . . . hat mich auch aufgesucht . . . als alten Zeltkameraden von Anno Tobak. Und wie er hörte, dass ich Ihr Schwager in spe sei, hat er mich gebeten, bei Ihnen anzufragen, ob er Ihnen seine Aufwartung machen darf . . .?"

    „Wenn er will — gewiss!"

    Es klang zurückhaltend. Sie setzte hinzu: „Es ist übrigens komisch: Ich erinnere mich genau . . . ich habe ihm vor drei Jahren ausführlich alles über den Tod meines Mannes nach Ostafrika geschrieben — ich hielt es für meine Pflicht, da ich wusste, wie befreundet die beiden zusammen waren — aber ich habe nie eine Zeile Antwort bekommen . . ."

    „Wahrscheinlich ist der Brief verloren gegangen. Denn wenn ich ihn recht verstanden habe, wollte er jetzt gerade über Pauls letzte Zeit näheres von Ihnen hören . . . Wann darf er denn antreten?"

    „Irgend einmal des Nachmittags zur Teezeit!"

    „Schön! Ich esse jetzt mit ihm! Da werde ich es ihm gleich bestellen! . . . Empfehle mich gehorsamst! . . . Adieu, Maus!"

    Der Schutztruppler zog sich sporenklirrend zurück, von seiner Braut in die Vorhalle begleitet. Ihre Schwester sah den beiden gedankenvoll nach. Was waren das für sonderbare Reden hinter ihrem Rücken gewesen? Sie, Gabriele Lünhardt, die immer nachgab, die nie heftig wurde, eine Tyrannin? Sie sollte den anderen das Zusammenleben mit ihr so schwer machen, ihnen ihre Persönlichkeit verkümmern? Sie schüttelte den Kopf. Nicht im Traum war ihr je so etwas eingefallen. Sie war sich wirklich keiner Schuld bewusst. Sie sorgte sich doch kaum um andere, und wenn ja, dann doch nur, um ihnen zu helfen. Sie hatte, als sie bald nachher alle drei bei Tisch sassen, eigentlich Lust, die glückliche Braut zur Rede zu stellen, Aber dann liess sie es.

    Es war ihr schliesslich gleichgültig, dies Geschwätz. Es lag zu weit von ihr ab. Am besten, man vergass es.

    Sie hörte mit halbem Ohr auf die eifrigen Ausstattungs- und Hochzeitsreisepläne der blonden Kleinen an ihrer Seite. Schwermut lastete auf ihr, die für ihr Teil das alles längst hinter sich und begraben wusste. Sie dachte sich: ,Nun geht Gisela weg. Ich bin mit Mama allein. Einmal wird auch die abgerufen. Dann habe ich niemanden mehr auf der Welt . . .‘

    Die Vorstellung dieser kommenden Einsamkeit zog ihr das Herz zusammen. Wenn das doch zuviel für sie würde — wenn sie sich in schwachen Stunden nach einer Menschenseele sehnte und es zu spät war? — Dann lieber gleich den Entschluss . . . heute noch . . . und zugleich wusste sie auch wieder: Nein! Es war unmöglich . . .

    Das Frühstück ging zu Ende. Sie erhob sich und sagte zu dem Diener: „Johann . . . ich bin nicht zu Hause! Nur wenn Herr von Wingerow kommen sollte . . ."

    „Herr Major sind eben in den Vorgarten getreten!"

    Draussen brummte der tiefe Klang eines kupfernen Gongs im Flur. Ein Hausmädchen kam und brachte die Karte des Besuchs. Die Züge der jungen Witwe wurden sehr ernst. Sie kümmerte sich nicht darum, dass Mutter und Schwester sie von der Seite gespannt ansahen. Sie sagte kurz: „In den blauen Salon! Ich komme gleich!"

    Die Mitte dieses Raumes nahm eine Staffelei mit einer lebensgrossen Ölskizze Gabrieles ein. Das Werk war von Lenbachs Hand. Darum hatte es diesen Ehrenplatz gefunden. Aber eigentlich liebte sie das Bild nicht. Das war nicht sie, ein seltsamer, fremder Zug um den Mund, ein ihr unbekannter Ausdruck in den Augen. Vor diesem flüchtig und genialisch mit raschen Farbenstrichen hingewischten Profil stand, als sie eintrat, der Major von Wingerow, auf seinen Säbel gestützt, und musterte es mit tiefem Interesse.

    Er war ein schöner Mann, in altpreussischer Art, den dunkelbraunen Vollbart zu beiden Seiten des Kinns ausrasiert, wie es einst Kaiser Wilhelm der Erste getragen und es jetzt in der Armee wenig mehr üblich war. Das war ein Anklang an Potsdam — an die Garde, in der er einst seine Dienstzeit begonnen. Der Johanniterstern funkelte an seinem Hals. Er war jung für seine Charge, erst zu Ende der Dreissig. In Blick und Sprache hatte er etwas Bestimmtes, in sich Zusammengefasstes, dessen Härte durch die Ritterlichkeit seiner Formen gemildert wurde. Er zog Gabrieles Hand, sich tief verbeugend, an die Lippen. „Nochmals herzlichsten Glückwunsch, meine verehrte gnädige Frau!" sagte er lebhaft und überreichte ihr ein paar Blumen. Es war ein kleines Veilchensträusschen, wie man es an den Strassenecken in Berlin kaufte, ein alltägliches Ding. Er wollte bloss nicht ganz mit leeren Händen kommen. Er lachte selbst dazu. Das war bei ihm selten. Er war verwitwet wie Gabriele. Vor fünf Jahren hatte er seine Frau begraben. Sie schüttelte ihm stumm die Rechte und tat den Strauss in das Glas mit den roten und weissen Rosen, die drüben in der Fensterecke dufteten.

    Sein Auge folgte ihr. „Ist denn das Ihr ganzer Geburtstagstisch, gnädige Frau? frug er. „So wenig Blumen?

    „Es waren eine Masse da. Ich hab’ sie weggetan!"

    „Und meine armseligen paar Rosen von vorhin?"

    „Die hab’ ich gelassen! Um die wäre es mịr schade gewesen!"

    Eine jähe Röte überflog das männliche, nervöser als bei Frontoffizieren durchgearbeitete Antlitz ihres Besuchers. Er trat auf Gabriele zu. Es schwebte ihm etwas auf den Lippen, es war, als wollte er den Augenblick benutzen. Aber sie liess ihn nicht dazu kommen. Sie setzte sich, bat ihn mit einer flüchtigen Handbewegung, ihr gegenüber Platz zu nehmen, und meinte, so freundlich-höflich, wie sie es gegen jeden anderen auch gewesen wäre: ,,Bitte — machen Sie es sich doch bequem, Herr von Wingerow!"

    Er stellte seinen Helm auf ein Taburett, warf die weissen Handschuhe daneben, presste unwillkürlich die Hände auf den Knien ineinander, um seine Aufregung niederzukämpfen, und begann: „Gnädige Frau . . . ist die Frage zu unbescheiden . . . aber ich habe jetzt den Mut dazu . . . darf ich hoffen, dass wir in der nächsten Viertelstunde nicht gestört werden . . .?"

    „Es wird niemand kommen! Ich habe ausdrücklich Befehl gegeben!"

    Er nickte hastig, beistimmend. Er wurde abwechselnd rot und blass. Es machte sich seltsam bei dem grossen, stattlichen Mann, dem Energie und Selbstbewusstsein aus dem Gesicht sprachen. Die junge Witwe vor ihm blieb ruhig. Ihre schönen grauen Augen musterten ihn gelassen. Sie hatte noch Zeit, sich dabei zu denken: ,Wie er es nur fertig bringt, immer noch tadelloser angezogen zu sein, als andere Offiziere, vom Scheitel bis zu den Lacktiefelspitzen . . .‘

    ,,Gnädige Frau . . . sagte der Major von Wingerow entschlossen. „Heute ist kein Tag wie andere . . . ich meine, für Sie . . . Sie feiern Ihr Wiegenfest . . . Sie haben sich, wie ich mit Freuden sehe, dazu überwunden, endlich die Trauer abzulegen . . .

    „Ich weiss nicht, auf wie lange!" sagte sie düster.

    „Immerhin . . . ich darf in dieser Äusserlichkeit doch wohl nicht nur einen Zufall sehen — sondern ein Zeichen — ein Sinnbild gewissermassen, dass nun manches hinter Ihnen liegt . . ."

    Sie hob kühl den Kopf. Ihre Haltung verwirrte ihn. Er sammelte sich.

    „Verstehen Sie mich nicht falsch, meine liebe, verehrte gnädige Frau! . . . Es gibt unvergessliche Dinge . . . heilige Schmerzen . . . Das weiss niemand besser als ich . . . ich hab’ es ja selber durchgemacht! Ihnen brauch’ ich nichts zu sagen . . . Uns beiden hat Gott seinen Finger gezeigt . . ."

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