Miß Gwen und der Kapitän
Von Axel Rudolph
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Buchvorschau
Miß Gwen und der Kapitän - Axel Rudolph
Axel Rudolph
Miß Gwen und der Kapitän
Saga
Miß Gwen und der Kapitän
Copyright © 2019 Axel Rudolph und SAGA Egmont
All rights reserved
ISBN: 9788711445174
1. Ebook-Auflage, 2019
Format: EPUB 2.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach
Absprache mit SAGA Egmont gestattet.
SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk – a part of Egmont www.egmont.com
Der wackere Jep Boysen sass breit und massig hinter dem verscheuerten, bierfleckigen Holztisch wie ein klobiger Holzstamm, der an Land getrieben ist und sich festgekeilt hat: so! Hier bin ich und da bleib ich! Es war, nach den Strichen zu urteilen, die der Kellner auf den Bierfilz gemalt hatte, der dritte Grog, der den Weg durch die durstige Kehle Jep Boysens nahm. Der dritte hier, im „Grossen Fass", vorher hatte er bestimmt schon in verschiedenen anderen Kneipen vor Anker gelegen. Von drei steifen Grogs pflegten Jep Boysens Augen nicht so selig verschwommen auszusehen, wie sie es jetzt taten. Nebenbei bemerkt: es war 11 Uhr vormittags.
„Schön ist jeder Tag, den du mir schenkst, Marie Luise", schnarrte in einer Ecke die Konservenmusik eines alten Grammophons. Dazwischen klapperten die Bierseidel und Groggläser auf dem Schenktisch. Ein paar Bitchcombers in dicken, dunkelblauen Sweaters droschen geräuschvoll ihren Skat. In einer Ecke schlief ein älterer Heizer seinen frühen Rausch aus.
„Morjen, Herr Inspektor! Der Stiernacken mit der weissen Kellnerschürze schloss dienstbeflissen die Tür hinter dem untersetzten, breitschultrigen Mann, der eben, einen Finger an die Mütze legend, eingetreten war. „N’ lütten Grog, Herr Inspektor?
„Man tau, Krischan. Een in de Morningtime ist besser, als den ganzen Tag gor kein." Inspektor Brink von der Hafenpolizei nickte dem Wirt hinter dem Schenktisch zu und sah sich flüchtig im Lokal um. Seine Augen blieben an Boysen hängen. Er nickte ihm zu und setzte sich ohne weitere Begrüssung auf einen Stuhl an seinen Tisch und sah ihn kopfschüttelnd an.
„Schon wieder duhn, Jep? Hat dir der Alkohol noch nicht genug die Suppe versalzen?"
„Hol’t Mul, Brink. Er verdrehte empört die Augen. „Die paar kleenen Nordlichter moken Jep Boysen nich duhn!
„Wohlsein, Herr Inspektor! Der Kellner Krischan stellte den dampfenden Grog vor Brink hin und schob die neueste Nummer der „Schiffahrts-Nachrichten
auf den Tisch. Er wunderte sich nicht über den vertraulichen Ton zwischen dem Beamten und dem seligen Biest, wie Boysen aus naheliegenden Gründen in seinem Stammlokal genannt wurde. Inspektor Brink war alter Hamburger und stand auf du und du mit allen Kneipwirten, Steuermännern und Fahrensleuten im Hafen. Er kannte auch alle und jeden, der im Hamburger Hafen auftauchte, selbst diesen Jep Boysen, der sich doch schon, wie er selbst sagte, zehn Jahre lang als Steuermann irgendwo an der Ostküste herumgetrieben hatte, und auf den man sich hier im Hafenviertel kaum noch besinnen konnte.
„Was willst du eigentlich jetzt machen, Jep? Inspektor Brink nahm einen zünftigen Schluck. „Dem Alkohol abschwören und um gut Wetter bitten bei deinem Vorgesetzten? Wäre entschieden das Vernünftigste für dich.
Boysen schüttelte brummig den Kopf. „Nee, Brink, ick hebb de Näs’ voll vun Hamburg. Ick goh to See. Ick werd anmustern. Und wenn einer auf ner Pardune angeritten kommt und dich fragt, auf wat for’n Eimer Jep Boysen fährt, denn grüss ihn man von mir und segg: Jep Boysen fährt auf der ,Eleanor‘."
„Auf der ,Eleanor‘? Der Inspektor, machte grosse Augen. „Meinst du die Luxusjacht von dem Amerikaner, die seit einem halben Jahr hier an der Kette liegt und jetzt gerade verkauft ist?
„Das soll wohl sein."
„Hm! Hast du denn schon Heuer, Jep?"
„Nee, noch nich. Aber ick geh jetzt zum Heuerbas und melde mich. In vier Stunden bin ich auf der ,Eleanor‘ installiert, verlass dich man drauf, Brink. För oder achtern Mast, dat ’s mi egol."
„So, so! Brinks Augen glitten etwas ungläubig über das Gesicht des Steuermannes. „Wenn du auf so ’nem noblen Schiff anmustern willst, Jep, wär’s dann nicht besser, wenn du dich erst mal ’n bisschen feinmachen würdest?
„Hähä! Boysen lachte vergnügt und kniff die Augen zusammen. „Wenn ich ashore bin, trink ich, Brink. Dat ’s Seemannsregel. Mit meiner Arbeit an Bord hat das nichts zu tun.
Er klopfte sich wohlgefällig mit der Hand gegen die Brusttasche. „Steuermannspatent für grosse und kleine Fahrt, Brink. Ick wett ’n Buddel Köhm, dat ick die Heuer kriege."
„Wär nicht schlecht, Jep. Der ,Boss‘ ist verdammt schlecht zu sprechen auf dich. Ich weiss, fuhr er beruhigend fort, als Jep aufbegehren wollte, „im allgemeinen bist du ’n prachtvoller Kerl und trinkst auch nicht im Dienst. War ein Pech, dass der ,Alte‘ gerade gestern dich erwischen musste, als du mit ’ner soliden Schlagseite aus der Kneipe segeltest.
Jep Boysen sah besinnlich in sein Glas. „Tja, Brink, dat soll wohl sein. Aber damit du mich nicht auch für ’nen total verkommenen Säufer hältst, wie mein hoher Chef, will ich’s dir sagen: Ich hatt’ da gestern morgen ’ne lütte Entdeckung gemacht und war darüber so gut gelaunt, dass ich einen ordentlichen Frühtrunk heben musste. Er kratzte sich den Kopf. „Na ja, hat sich dann ’n bissken in die Länge gezogen, der Frühschoppen. Aber, zum Donnerwetter, ich war doch nicht im Dienst!
„Eine Entdeckung hast du gemacht, Jep? Inspektor Brink bekam plötzlich interessierte Augen. „Inwiefern denn, Jep?
„Lass gut sein, Brink. Jep schüttelte abwehrend den Kopf. „Ich mustre jetzt auf der ,Eleanor‘ an, und dann adje Hamburg!
„Die ,Eleanor‘ ist ein Leckerbissen. Sehr gut von der Mastspitze bis zum Kiel. Brink schlug die vor ihm liegende Nummer der „Schiffahrts-Nachrichten
auf und überflog sie mit der Sicherheit des täglichen Lesers. „Aha, hier steht’s ja: Die für den Multimillionär G. B. Miller, Neuyork, erbaute Dampfjacht ,Eleanor‘, die seit längerer Zeit im Hafen liegt, ist, wie wir bereits berichteten, vom Eigentümer an Mrs. Gwendolyn Torrel verkauft worden. Kaufpreis unbekannt. Inspektor Brink nickte achtungsvoll. „Wird ’n schönes Stück Geld sein. Ich möcht’ das Kapital mal auf einem Tisch sehen!
Er schlug das Blatt um und fuhr laut vorlesend fort:
„Die neue Eigentümerin beabsichtigt, bereits in den nächsten Tagen mit der ,Eleanor‘ in See zu gehen, zunächst nach Kuba. Als Gäste der Eigentümerin nehmen an der ersten Fahrt der. ,Eleanor‘ teil: Mr. Fred Williams; Mr. Charles Brooks, Neuyork; Graf Zech; die bekannte Operettensängerin Ilona Jabornik aus Budapest sowie Konsul Peter Fahrendorf, Hamburg."
„Lauter feine Leute, meinte Boysen. „Da fahr ich mit! Und wenn ich als Trimmer anmustern muss!
Er winkte dem Kellner ab, der das leere Glas zum Füllen fortnehmen wollte, stemmte sich hoch und bot dem Inspektor die breite Schaufelhand zum Abschied. „Lass dir noch ’nen Steifen auf meine Rechnung geben, Brink. Ick goh tom Hürbas."
Inspektor Brink sah ihm kopfschüttelnd nach. Der Wirt schmunzelte. Der Kellner Krischan lachte halblaut dem leicht angetrunkenen Steuermann nach, der ausgerechnet auf einer Millionärsjacht anmustern wollte.
„Mach Platz, Korl! Die Hautevolee kommt!" Die Bitchcombers und Hafenbummler an den Sankt-Pauli-Landungsbrücken bildeten einen Halbkreis um das stoppende Auto. Donnerschlag, das war ein Wagen! Zwölfzylinder! Kein Tinnef! Und auch der andere Wagen, der fast geräuschlos hinter dem ersten aufschloss, war allererste Klasse.
Eine hochgewachsene schlanke Dame in knappem marineblauem Bordjäckchen begrüsste die Herren und Damen, die sich aus ihren Mänteln schälten und dann ausstiegen.
„Welcome, Mr. Williams! — Freue mich, Sie wiederzusehen, Fräulein Jabornik! — Guten Tag, Freddy!"
Der lange, etwas verlebt aussehende junge Mann, dem die letzten Worte galten, legte salutierend die Hand an seine Sportmütze. „Guten Tag, Gwen! Alles in Ordnung! Nichts vergessen! Tante und Miss Jabornik hast du ja schon begrüsst. Hier Mr. Brooks und Graf Zech! Hier Mr. Fahrendorf! Und das hier ist Mr. Philips, erster Sekretär und Vertrauensmann bei Tante Elizabeth."
Gwendolyn Torrel reichte allen mit liebenswürdigem Lächeln die Hand: dem gedrungenen, massiv gebauten Fabrikanten aus Neuyork, dem hageren Grafen, dem ruhigwürdevollen Hamburger Kaufherrn und zuletzt — mit einer ganz kleinen Spur damenhafter Herablassung — auch dem scharfäugigen, verkniffenen Sekretär Mr. Philips.
„Thank you, Fred. Sie sind wirklich ein ausgezeichneter Reisemarschall."
„Und was bekomme ich dafür? Einen Kuss?"
„Eins hinter Ihre leider immer noch nicht trockenen Ohren, lachte Gwen den langen Frechdachs an. „Machen Sie sich weiter nützlich, Freddy, und sorgen Sie, dass das Gepäck vollzählig an Bord kommt.
„Das besorgen die Leute. Fred Williams sah sich um und nickte den beiden Chauffeuren zu, die bereits unter der Aufsicht Mr. Philips dabei waren, die grossen Lederkoffer, Plaids und Hutschachteln aus den Riemen zu schnallen. „Es kommt noch eine ganze Wagenladung von Koffern nach, Gwen.
Die „Eleanor" lag bereits am Kai vertaut. Ihr kurzer, weisser Schornstein hob sich vornehm über die schwarzen, plumpen Fährboote und Kähne. Gwen Torrel führte lebhaft plaudernd ihre Gäste über die Brücke hinunter zum Schiff. Ein paar weissgekleidete Stewards mit blanken Knöpfen empfingen die Gesellschaft und übernahmen die weitere Führung zu den einzelnen Appartements. Gwen Torrel warf zwischen liebenswürdigen Phrasen einen raschen Blick zurück auf die Landungsbrücken. Es waren nicht viele Leute dort. Ein paar fremde Reisende, die den langen, hölzernen Kai hinunterspazierten. Drei oder vier Hamburger, die an den Verkaufsbuden standen und neugierige Blicke auf die schlanke, vornehme Jacht warfen. Und am Zeitungskiosk stand noch ein unauffällig gut gekleideter Herr, dessen scharfgeschnittenes braunes Gesicht einen ausgesprochen südländischen Typus zeigte.
Während die Gäste in den Kabinengängen verschwanden, schlenderte Gwen Torrel langsam über den Laufsteg zurück zum Kai.
„Alle an Bord?" Der südländisch aussehende Herr war vom Zeitungsstand zurückgetreten und lüftete leicht den Hut. Die blonde Schiffsherrin zuckte nervös mit den Schultern.
„Bis auf den Kapitän. Ich habe nochmals im Eppendorfer Krankenhaus angefragt. Man hält es für ausgeschlossen, dass Renders vor drei bis vier Wochen wieder dienstfähig ist. Zu dumm! Wir haben noch keinen Ersatz für ihn als Kommandant der ,Eleanorʻ."
„So? Hat die Heuerstelle keinen geschickt?"
„Mehr als genug! Gwen Torrel nestelte etwas erregt an ihren Jackenknöpfen. „Aber sie bedanken sich alle für eine Heuer, die schon in Neuyork ablaufen soll.
„Dann müssen wir eben jemand nehmen, der als unser Mann an Bord bleibt. Ist ja nicht unbedingt nötig, dass wir in Neuyork einen neuen Skipper nehmen."
„Gut, Ramirez. Aber woher einen geeigneten Kapitän für die ,Eleanorʻ bekommen. Es kann doch nicht irgendein x-beliebiger sein."
Ramirez Benhavides kräuselte verächtlich die Lippen. „Ich werde dir einen besorgen, Gwen. Heute noch."
Niemand hätte etwas Auffälliges in der Haltung der beiden erkennen können. Sie standen dicht nebeneinander wie in einem gleichgültigen Gespräch, zwei Bekannte, die sich leichthin unterhielten.
Aber in dem Gesicht der schönen Frau war ein unmerkliches Zucken. „Ich habe Angst, Ramirez, sagte sie halblaut, ohne den Mann anzusehen. „Diese ganze Geschichte . . . ich weiss nicht, ob ich ihr gewachsen sein werde.
Auch der Mann dämpfte seine Stimme. „Unsinn, Gwen! Du bist doch sonst forsch genug. Gerade deine überlegene, stolze Sicherheit qualifiziert dich ganz besonders. Und du weisst doch . . . Seine Stimme wurde noch leiser und bekam einen ernsten, fast ein wenig pathetischen Klang. „. . . meine Heimat, mein armes Vaterland wartet auf uns. Wir haben die heilige Pflicht . . .
„Ja, ja, Ramirez, ich weiss! Die leise Besorgnis wich nicht aus Gwen Torrels Zügen. „Aber warum bleibst du selbst im Hintergrund? Warum willst du absolut die Rolle eines Stewards auf der ,Eleanorʻ spielen?
„Weil ich sicher gehen muss, Gwen. Ein ganz leises, ironisches Lächeln erschien unter dem kurzgestutzten, schwarzen Schnurrbart. „Deine Papiere sind echter als echt, Gwen. Und du bist eingeführt. Mr. und Mrs. Williams, Brooks und die anderen kennen dich schon von Paris her: die schöne, reiche Mrs. Torrel aus Cuba. Mich aber kennt kein Mensch. Und diese Leute lassen sich nicht leicht einen unbekannten Fremden aufoktroyieren. Sie wollen wissen, mit wem sie an einem Tisch sitzen. Es genügt ja auch, dass ich an Bord bin, Gwen.
„Ja, Ramirez." Die blonde Frau senkte den Kopf und atmete tief. Wie zufällig streifte die Hand des Fremden ihren herabhängenden Arm.
„Also: Kopf hoch und Ohren steif, Gwen. Ich gehe jetzt und suche dir einen passenden Skipper."
Ein leichtes Kopfnicken — Ramirez Benhavides lüftete den Hut und ging in der Richtung auf die Vorsetzen davon.
Gwen Torrel wandte sich und schritt langsam den Laufsteg hinauf. Von der Reling her winkte ihr Freddy Williams mit beiden Händen vergnügt entgegen.
„Tadelloses Schiff, Gwen! Da hast du wirklich einen guten Kauf gemacht. Tante ist entzückt, Mr. Brooks ist entzückt. Alle sind entzückt! Ich bin am meisten davon entzückt, dass diese famose Jacht eine so wundervolle Besitzerin hat."
Er beugte sich über die schlanke Hand Gwen Torrels und küsste sie.
„Wie können Sie in diesem angetrunkenen Zustand . . . Der Heuerbas, der alte, weissbärtige Käppen Burmeister, warf das Seefahrtsbuch empört auf den Tisch, das ihm Jep Boysen in die Hand gedrückt hatte. „’ne Schande ist das!
„Hä? Das „selige Biest
stand mit beiden Fäusten auf den Tisch gestützt und glotzte den Aufgeregten an.
„Schande, sag ich! donnerte Käppen Burmeister. „’ne ausgewachsene Affenschande für die ganze deutsche Handelsmarine, in so einem Zustand hier in das Heuerbüro zu kommen. Und so was will ’ne Heuer auf einem Schiff wie die ,Eleanorʻ!
Käppen Burmeister nahm seine ganze Würde zusammen und heftete seine wasserhellen Augen vorwurfsvoll und missbilligend auf den vor