Dem Licht entgegen
Von Liane Sanden
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Buchvorschau
Dem Licht entgegen - Liane Sanden
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Erstes Kapitel.
Oel? fragte Ambarzum Tschaltikjanz. „Interessiert Sie das wirklich, Mister Meredith?
Sein Ton war höflich erstaunt. Doch sein Gesicht, dies dunkle, feingeschnittene Gesicht, war in der Krümmung der sehr roten Lippen, im Ausdruck der Augen vollkommene Verachtung.
Wie ein Filmheld!, dachte Meredith angewidert. Immer wieder ging ihm, dem Engländer, diese mimische Beweglichkeit auf die Nerven. Wenigstens wenn es sich um einen Mann handelte. Bei einer Frau konnte dieser Wechsel im Ausdruck ein Reiz sein; gehörte geradezu dazu. — Die kleine Aslanä hatte das auch gehabt. Ihre ganze kleine, dumme Seele war immer in jeder Bewegung des dunklen Gesichts deutlich gewesen. Er hatte lange nicht an sie gedacht; jetzt war in dem Gesicht des Armeniers eine Linie, ein Ausdruck, plötzliche Erinnerung an jene kleine Sekretärin — und schon vorüber.
„Natürlich interessiert mich das Oel! sagte er unzufrieden. „Wozu habe ich denn die blödsinnigen Terrains da unten gekauft?
Tschaltikjanz zuckte die Achseln:
„Was soll das ganze Oel auf der Welt? Amerika hat Oel, England hat Oel, Russland hat Oel. Wohin Sie sehen, die Welt ertrinkt in Oel oder in Krieg um Oel. Der Kaukasus hat noch andere Schätze."
„Welche?" fragte Meredith kurz.
„Diese hier!" Ambarzum griff in die Tasche. So wie ein anderer ein paar Schillinge hervorholt, zog er etwas heraus, legte es vor Meredith auf den Tisch. Auf dem Dunkel der Palisanderplatte schimmerte es metallisch auf.
„Gold!" sagte Meredith; seine Augen funkelten. —
„Gold! bestätigte der Armenier trocken. „Und noch mehr.
Wieder fuhr seine Hand in die Tasche. Es klirrte kalt und sprühend. Neben dem kleinen Goldklumpen auf dem Tische lag eine Handvoll Edelsteine: Diamanten, schwarz wie geheimnisvolle Kohle, nur mit einem phosphoreszierenden Glanz, daneben das weisse Feuer von Brillanten.
„Was sagen Sie nun?" fragte Ambarzum. Er hatte jetzt ein völlig unbewegtes Gesicht, wie aus glattem Elfenbein. Die Augen sassen schwarz und leuchtend unter den feinen Brauen. Er war schön, aber von einer Schönheit, die beunruhigte.
Meredith nahm ein paar von den Steinen auf. Kalt und sprühend lagen sie in der breiten Männerhand.
„Ein Bluff, Ambarzum! Von welchem Händler haben Sie diese Steine gekauft?"
Ambarzum lächelte. Es war ein ganz schnelles Lächeln, das Meredith nicht sah. Der konnte trotz seiner angenommenen Gleichgültigkeit von den Steinen nicht fortkommen. Sie waren kalt, und dennoch schienen sie in seiner Hand zu brennen. Ihr Feuer flammte geradeswegs in seine Seele.
„Sie werden alt, Meredith! Haben Sie schon jemals gehört, dass irgendein Händler oder irgendein Geschäft auf den Boulevards oder in Regentstreet derartige Steine hat? Ungeschliffen? In solcher Grösse? Nicht einmal Amsterdam hat so etwas."
„Also wirklich aus dem Kaukasus? Wie kommen die jetzt herüber?"
„Mein Geheimnis, Meredith! Sie können nicht verlangen, dass ich Ihnen das auch so auf dem Präsentierbrett bringe wie hier die Steine. Erst muss unsere Geschäftsabmachung perfekt sein. Dann werden wir weiter sehen. Ich sage Ihnen noch einmal, Gold muss man schürfen, nicht Oel bohren."
„Nun, ich will es mir überlegen."
Aber Meredith wusste, es gab hier gar nicht viel zu überlegen. Er hatte so viel Kapital unten investiert, dass er sich eine neue Einnahmequelle erschliessen musste. Freilich auch das hiess wieder neues Geld aufbringen, ehe man mit Goldsuchen in grossem Stil beginnen konnte. Wenn Ambarzum sich selbst mit Geld beteiligt hätte, dann wäre es leichter. So aber sollte er alles allein bereitstellen, dafür noch an Ambarzum für die Konzessionsbeschaffung die Hälfte vom Gewinn. Das Risiko musste man also zunächst wieder allein tragen.
Und doch brauchte er Ambarzum für alle anderen Geschäfte unten. Er hatte alle Verbindungen. Wenn man unten an der Grenze etwas unternehmen wollte, kam man ohne Ambarzum nicht mehr aus. Die Zeit war endgültig vorbei, wo man als Engländer, nur auf das Empire gestützt, allmächtig war. Die anderen Völker hatten allmählich auch begriffen, was sie wert waren. Die Russen besonders. Sie unterboten in einer geradezu märchenhaften Weise. Man konnte den Zeitpunkt beinah vorausberechnen, zu dem die Oelfelder mit den Bohrtürmen und allen Investionen für ein Butterbrot an den Börsen gehandelt wurden.
„Also wollen wir in Borschom Standquartier nehmen? fragte er. „Dann würde ich beizeiten Zimmer bestellen. Es ist nicht leicht, zur Saison dort etwas zu bekommen. Oh, wir sind sehr modern, Meredith! Wir haben eine richtige Saison!
„Gut, reisen wir! Wenn es auch weiter nichts sein wird, als dass wir einen kleinen Erholungstrip machen. Denn die Geschichte von Ihrem Diamantenfeld — nehmen Sie es mir nicht übel —, Ambarzum, sie scheint mir doch ein Märchen zu sein!"
„Der Orient ist das Land, in dem die Märchen wahr werden, Meredith", sagte der andere fast feierlich. Ueber Merediths Gesicht zuckte es belustigt. So skrupellos Ambarzum als Geschäftsmann war — wie er dies sagte, klang es so pathetisch, als ob er wirklich noch in dem Märchenglauben seiner Heimat befangen wäre. Nun, um so besser. Menschen, die an so etwas hingen, waren letzten Endes zu besiegen.
„Wird Mistress Meredith auch mitkommen?" Ambarzum Tschaltikjanz fragte es vielleicht um eine Nuance zu schnell.
Meredith sah auf. „Gewiss — warum fragen Sie?"
„Oh, ich meinte nur. Ich habe den Eindruck, als wäre sie reisemüde."
„Sie ist zäh!" Etwas Unterdrücktes lag in Merediths Ton.
Sie war zäh, Beate, aber auch in einem anderen Sinne. Im Seelischen. Meredith hatte geglaubt, leichtes Spiel zu haben. Aber zum ersten Male hatte er sich in seiner Berechnung getäuscht in seiner Frau. Alle bisher waren sie zu biegen gewesen: durch Geld, durch Lockungen, durch Drohung. Nur Beate nicht. Hinter ihrer Gelassenheit war etwas Eisernes. Es bog sich nicht. Es zerbrach auch nicht. Er hatte sie. Aber er besass sie nicht. Als ob sie eine Schutzwehr um sich geschlossen hätte, sah sie, wenn er brutal wurde, wie durch ihn hindurch oder über ihn hinweg. Niemals war auch nur etwas wie Furcht in ihren Augen gewesen. Eher eine ganz feine Verachtung. Und dieser, Beates Widerstand, band ihn immer noch mit den Sinnen. Sie sollte sich ihm fügen. Sie sollte sein, wie er es wollte. Sie war nicht mehr die Prinzessin wie früher. Sie hätte dankbar sein müssen, dass er sie aus dem Zusammenbruch herausgeholt und den Bruder geschont hatte. Aber Dankbarkeit stand offenbar nicht in ihrem Lexikon. Wie verletzend war sie erst gestern wieder gegen Ambarzum Tschaltikjanz gewesen. Dabei wusste sie genau, wieviel ihm daran lag, den Mann bei guter Laune zu erhalten.
Ambarzum schien Gedanken lesen zu können.
„Wissen Sie, in bezug auf Mistress Merediths Reise mit uns habe ich noch andere Bedenken. Ich glaube, meine Anwesenheit ist Mistress Meredith nicht genehm."
„Wie kommen Sie darauf?" Es klang erstaunt und vollkommen unbefangen.
„Ich habe nun einmal das Empfinden. Mistress Meredith behandelt mich noch eine Nuance abweisender als andere. Ich muss Ihnen offen sagen, Meredith, es kränkt mich etwas! Ich könnte eigentlich, um unserer Freundschaft willen, etwas anderes erwarten. Aber offenbar — er fügte es etwas spöttisch hinzu — „haben Sie in dieser Hinsicht keinen Einfluss!
Ambarzum sah: seine Worte trafen. Meredith war noch nie im Leben gewöhnt gewesen, dass ihm jemand entgegen war, und vollends die eigene Frau. Merediths erste Frau, Margarete, die drei Jahre neben ihm gelebt, war ein verängstigtes, kleines Geschöpfchen gewesen, das kaum zu atmen wagte ohne ihres Mannes Erlaubnis. Den Eindruck eines verprügelten kleinen Hündchens hatte diese Margarete gemacht.
Als sie plötzlich gestorben war, wurde behauptet, sie wäre einfach aus Angst vor ihrem Manne gestorben. Dann hatte Meredith diese Beate Hollings aus dem rheinischen Fürstengeschlecht geheiratet. Sie war von anderer Art wie die kleine Engländerin aus Wales. In der hatte Meredith seinen Meister gefunden. Wenigstens schien es so. Er verstand es offenbar nicht mit ihr. Um diese Frau zu zähmen, waren andere Methoden nötig. Die europäischen Männer waren dumm. Sie versuchten es mit Halbheiten; mal zärtlich, mal brutal, mal nachgebend. Eine Frau parierte, oder sie parierte nicht. Etwas dazwischen gab es nicht.
„Unsinn, sagte Meredith schroff, „ist das mit dem Einfluss. Meine Frau tut, was ich will. Es liegt nicht die geringste Abneigung gegen Sie vor, Ambarzum! Es ist ein kühler Schlag, der dort aus Deutschland. Sie kennen solche Frauen nicht
, fügte er etwas hochmütig hinzu.
„Gewiss nicht", stimmte Ambarzum höflich bei, und in Gedanken fügte er hinzu: Aber ich werde sie kennenlernen.
Zweites Kapitel.
Joachim von Retzow sass, den Stenogrammblock aufgeschlagen, wartend da. Neben der Schreibmaschine häuften sich die Briefe, die Meredith ihm diktiert hatte. Das gab wieder eine Post — kein Gedanke, dass er damit bis zum Diner fertig war. Und seine geheime Hoffnung, Beate zu sehen, war also wieder einmal vorbei.
Wie habe ich eigentlich früher gelebt?, dachte er bei sich. Es waren doch erst wenige Monate, seit er die Stellung als Privatsekretär bei Meredith hatte. Beate kannte er noch kürzere Zeit. Als Meredith ihn engagierte, war Beate Meredith auf Reisen gewesen. Er war schon ein paar Wochen in seiner Stellung, da kehrte sie zurück. Aber seitdem war sein Dasein gleichsam in zwei Leben gespalten. Das eine war das Leben eines Sekretärs Merediths und spielte sich ab zwischen Schreibmaschine, Akten, Telephonen, Schlafwagen, Hotelzimmern — immer in Arbeit und vielfältiger Anspannung. Mit einem innerlichen Widerstand gegen Meredith, dessen Art ihm oft genug unerträglich geworden wäre, wenn er nicht hätte Gott für die Stellung danken müssen.
Nach zwei Jahren beinah der bittersten Sorge endlich eine Stellung, noch dazu bei einem Millionär und Gewaltigen der internationalen Oelindustrie! Jeder andere an seiner Stelle hätte sich glücklich gepriesen. Ihm aber sass die instinktive Abneigung gegen das Emporkömmlingshafte Merediths im Blute. Und dieser Mann hatte diese Frau! — Schmerz war dies Wissen. Und doch in allem Schmerz ein bitteres Glück. Denn das Leben schien erst begonnen zu haben, seitdem Beate einem begegnet war.
Ganz verborgen allen anderen Menschen, nur ihm selbst bewusst, lebte in Joachim von Retzow ein zweiter Mensch — der wusste nichts anderes als Beate.
Um Beates willen hätte er es bei dem Teufel in der Hölle ausgehalten. Wie er innerlich auf jede Minute des Zusammenseins mit ihr wartete! Er wollte ja nichts von ihr. Von einer Beate Meredith wollte man nichts, auch wenn man mehr gewesen wäre als ein kleiner Sekretär. Nur wissen, sie war da. Man konnte sich beim Morgengruss über ihre Hand beugen. Ueber diese schöne, schmale Hand, die so kühl und adlig war wie ihr ganzes Wesen. Ein schwacher Duft von frischen Wiesenblumen strömte von ihr aus. Er passte zu ihr, wie alles zu ihr passte. Nur das eine nicht: Meredith. Er begriff nicht, dass sie diesen Mann hatte heiraten können. Was man von ihr sagte und von ihm — er wollte es nicht glauben.
Es gab viele Frauen, die sich für Reichtum verkauften. Aber Beate Meredith? In ihm stritt das Wissen um die Wirklichkeit, den Wert des Geldes, die ungeheure Verlockung des Reichtums, wie Meredith ihn besass. Stritt mit dem heissen Glauben: Es musste noch Menschen geben, die nicht geblendet waren von Geld. Und zu diesen Menschen sollte sie gehören.
„Haben Sie?" fragte Meredith ungeduldig. Joachim von Retzow fuhr aus seinen Träumen auf.
„Wir werden die Besprechung wegen der Investierung neuen Geldes in die Oelvorkommen von Baku in den allernächsten Tagen festsetzen", las er.
Meredith überlegte:
„Fassen Sie den Brief ein bisschen diplomatischer. ‚In den nächsten Tagen‘, damit sind wir zu festgelegt. Ich muss Zeit gewinnen. Es wird mir zu viel Oel in der Welt gebohrt. Kommt ein Krieg, dann allerdings wird man Oel brauchen. Dann wird man noch andere Dinge brauchen. Vor allen Dingen Gold."
„Aber Gold kann man nicht bohren wie Oel, Mister Meredith, warf Joachim von Retzow mit einem kleinen Lächeln ein. „Die Goldvorkommen der Welt sind leider in ziemlich festen Händen.
„Vielleicht nicht ganz", sagte Meredith halb mechanisch. Joachims Worte führten ihn wieder zurück zu der Szene an diesem Morgen. Dieser Ambarzum Tschaltikjanz war wie ein Dämon, der die geheimen Schätze der Erde irgendwie geradezu witterte.
„Wir werden vom Oel abgehen, Retzow — Ambarzum Tschaltikjanz hat ein paar andere Tips. Aber es darf an den Börsen nicht bekannt werden, sonst stürzen meine Oelpapiere noch ins Bodenlose. Machen Sie den Brief recht diplomatisch. Sowas können Sie ja."
Er lachte kurz auf:
„In Formen sind Sie gross, Retzow. Schade nur, dass man damit kein Geld machen kann — nicht wahr?"
Retzow fühlte diesen leisen Hohn Merediths wieder wie einen Stich. Meredith machte es geradezu ein Vergnügen, auf Joachims Herkunft und seine gute Erziehung anzuspielen, die Erfolglosigkeit von Joachims Leben mit dem zu vergleichen, was er selbst erreicht hatte. Man hätte ja so einiges entgegnen können, dass Reichtum nicht der Massstab war, an dem man Menschen messen konnte und wirklichen Wert. Dass es keine Schande war und nichts bewies gegen eigene Tüchtigkeit, wenn man nach dem ungeheuren Zusammenbruch des Vaterlandes in den Arbeitsprozess nicht hineingekommen wäre.
Aber es wäre sinnlos gewesen, eine Unterhaltung darüber zu beginnen. Meredith hätte das nicht verstanden. Für ihn war der einzige Standpunkt: Geld zu machen. Immer mehr Geld. Macht zu haben, äussere Macht. Von den feineren Dingen des Daseins wusste er nichts. Joachim von Retzow gönnte ihm alles, das Geld, die Macht, wenn er nur mit dieser Macht sich eines nicht hätte kaufen können — seine Frau!
Schon an der Tür, wandte sich Meredith um:
„Haben Sie Mistress Meredith gesehen? Wissen Sie, ob sie für heute abend etwas vor hat?"
„Ich habe für Mistress Meredith eine Karte zur Oper in Conventgarden besorgt."
„Oper? Was gibt man denn?"
„Ein deutsches Gastspiel, Mister Meredith. Man gibt ‚Die Meistersinger‘ von Richard Wagner."
Merediths Mund verzog sich spöttisch:
„Natürlich, wenn’s etwas Deutsches ist, wird Mistress Meredith nicht fehlen. Für andere Dinge hat sie weniger Zeit. Also erledigen Sie die Post in meinem Sinne, Retzow."
Vor den Hotelfenstern von May-Fair war der Lärm Londons. Unaufhörlich blitzte es hinter den schweren Spitzenvorhängen auf. Grün, gelb, rot brannten Reklamelichter an den Häuserfronten. Stopplampen glimmten, erloschen, entzündeten sich neu. Der Schatten der grossen Busse legte sich an die Fensterscheiben. Die Stadt warf die Brandung ihres Lärms bis an das Hotel heran.
Beate sass am Schreibtisch, ein paar Amateurbilder