Wo lassen Sie denken? - 7 Schritte zur Innovation
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Buchvorschau
Wo lassen Sie denken? - 7 Schritte zur Innovation - Monique R. Siegel
www.egmont.com
Denken: delegierbare Pflichtübung
oder sinnliches Vergnügen?
Kreativität ist eine Haltung.
Dazu gehören Neugierde, Kritikfähigkeit, Mut und auch so etwas wie Lebensfreude.
Lothar Späth
Sie ist nie mein Lieblingsbild geworden, diese Mona Lisa, und ich finde ihr viel besungenes Lächeln weder so aufregend noch so geheimnisvoll, dass ich mich länger damit beschäftigen möchte. Dass Kunstkritiker bis heute darüber rätseln, wer denn nun das Vorbild für dieses Porträt aller Porträts gewesen ist, hat mich eher erstaunt als fasziniert; es ist ja nicht das einzige Porträt, dessen Original nicht bekannt ist. Als ich dann endlich im Louvre vor ihr stand, fand ich es schwierig zu begreifen, warum dieses relativ kleine Bild hinter Glas das einzige war, zu dem man einen größerem Abstand halten und für dessen Besichtigung man anstehen musste.
Auch das berühmte «Abendmahl», das sich jetzt in restauriertem Zustand den Besuchern von Mailands Kirche Santa Maria delle Grazie präsentiert, hat in mir keine Euphorie erzeugt. Während jedes Werk von Michelangelo mich auf Anhieb begeisterte, konnte ich seinem Zeitgenossen Leonardo die längste Zeit nur ein lauwarmes Interesse entgegenbringen.
Das begann sich zu ändern, als ich die Zeichnung, die sich die Firma Manpower zu ihrem Logo erkoren hatte, mit ihm in Verbindung brachte. Eine nähere Beschäftigung damit vermittelte Einsichten in den Zeichner Leonardo. Doch die eigentliche Explosion in meinem Kopf fand statt, als das Zürcher Landesmuseum im Jahre 2000 Leonardo da Vinci eine große Ausstellung widmete, in der sie den Fokus nicht auf die Malerei, sondern auf den Erfinder, den Renaissancemenschen, den großen Geist richtete. Ich begriff schlagartig, warum er als Genie aller Zeiten betrachtet wird: Es ist der Wissenschaftler, Ingenieur, Forscher, Erfinder und Entdecker Leonardo, der mich fasziniert. Es sind die ungeheuer präzisen Zeichnungen und Studien von Dingen, die damals noch nur in seinem Kopf existierten. Es ist die Akribie, mit der er den menschlichen Körper in seinen Bewegungsabläufen oder ein Tier im Sprung immer wieder untersucht und festhält, die mich mit Bewunderung erfüllt. Und es sind die bekannten Rötelzeichnungen, die mir den Zeichner und Maler viel näher bringen als das wohl berühmteste Porträt der Kunstwelt.
Produkte einer anregend-anstrengenden Epoche
Renaissancemensch: eine Metapher für Männer (bei Frauen scheint das weniger erwähnenswert zu sein, vielleicht, weil Vielseitigkeit ohnehin zu ihren tradierten Eigenschaften gehört?), die, vielseitig interessiert, über Talent, Können und Wissen auf ganz verschiedenen Gebieten verfügen.
Viele italienische Künstler, die zwischen Beginn des 14. und Ende des 16. Jahrhunderts leben, sind Multitalente, gleichzeitig erfolgreich in Architektur, Bildhauerei und Malerei. Eine Reihe von ihnen leistet Pionierarbeit als Ingenieure im Bauwesen; andere versuchen sich in Poesie oder hinterlassen Spuren als Musiker. Unternehmerisches Denken, Zeitmanagement und die Führung von großen Ateliers müssen ebenso zu ihren Talenten gehören wie Verhandlungsgeschick im Umgang mit großzügigen, aber äußerst fordernden Auftraggebern. Sie leben in einer Zeit, in der es plötzlich Universitäten und Banken gibt, in denen das respektierte Rittertum zum gefürchteten Raubrittertum verkommt, Ketzer zwar noch verbrannt werden, aber nicht, bevor sie ihr Saatgut hinterlassen können, das die Spaltung der katholischen Kirche in zwei christliche Religionen einleitet. Die Renaissance, die mit den Werten der kirchlich zentralgesteuerten Welt des Mittelalters bricht und so vieles neu andenkt, fördert die Künste ebenso wie den Handel. Die Epoche war urban, international und zukunftsorientiert – und gleichzeitig politisch turbulent, unsicher und oftmals grausam.
Nirgendwo ist das pointierter zusammengefasst als in dem Filmklassiker «Der dritte Mann», der auf einer Romanvorlage von Graham Greene beruht. In der Auseinandersetzung des verbrecherischen Protagonisten, gespielt von Orson Welles, und seinem Antagonisten, Joseph Cotton, antwortet der amoralische «Held» auf die Vorhaltungen und Anklagen seines ehemaligen besten Freundes: «Sei nicht so trübsinnig. Es ist alles halb so schlimm. Denk daran, was Mussolini gesagt hat: In den dreißig Jahren unter den Borgias hat es nur Krieg gegeben, Terror, Mord und Blut. Aber dafür gab es Michelangelo, Leonardo da Vinci und die Renaissance. In der Schweiz herrschte brüderliche Liebe, 500 Jahre Demokratie und Frieden. Und was haben wir davon? Die Kuckucksuhr.» Nun, es waren nicht die Schweizer, sondern die Schwaben, die dieses wertvolle Kulturgut in die Gesellschaft eingebracht haben, aber abgesehen von der geographischen Fehlangabe enthalten diese Zeilen brisanten Stoff zum Nachdenken.
Nachdenken? Wenn Sie jetzt überlegen müssten, was das ist, wäre dieser Vorgang nicht Nachdenken. Nach-denken setzt Denken voraus, basiert auf Wissen und ist ohne eine Vorstellung von Kontext nicht möglich. Nachdenken ist Einordnen, Evaluieren, Entscheiden ebenso wie Lernen, Begreifen und Erkennen. Nachdenken führt in vielen Fällen zu einer anderen Dimension des Urteilens und Handelns, erhellt Zusammenhänge und löst häufig den viel zitierten Aha-Effekt aus. Das alles fordert einen gewissen Zeitaufwand – und damit wären wir der Erklärung einen Schritt näher, warum unsere Zeit keine Chance hat, Renaissancemenschen zu produzieren, obwohl es noch nie in der Geschichte der Menschheit einen so leichten Zugang zu Wissen gegeben hat. Wer in dieser hektischen globalisierten Wirtschaftswelt nimmt sich heute schon genügend Zeit zum Denken?
Wir leben in einer Wissensgesellschaft. O ja?
Historiker sind klug genug, Epochen immer erst aus sicherer Distanz zu etikettieren. Wirtschaftsleute hingegen scheinen es besser zu wissen: Gemäß ihrem Diktum leben wir nämlich zurzeit entweder in der «Informationsgesellschaft» oder, noch bemerkenswerter, in der «Wissensgesellschaft». Und flugs haben sie eine neue Kategorie im Management geschaffen: Wissensmanagement. Fataler Irrtum oder gelungener Witz? Managen (= verwalten) kann man doch nur etwas, was vorhanden ist …
Dass sich Führungskräfte mit Wissen auseinander setzen, wäre allerdings mehr als angebracht: Wissen oder, richtiger, der Umgang mit Wissen ist das wichtigste Kapital in der superschnellen, extrem wettbewerbsorientierten globalisierten Wirtschaft. Die entsprechende Währung dieses Kapitals heißt Denken. Um eine nie zuvor vorhandene Datenmenge zu nutzen, braucht es weitaus mehr als ein paar Mausklicks, nämlich Menschen, die dank ihrem agilen Gehirn Daten zu Information und Information zu Wissen verarbeiten, um dann dieses Wissen gezielt einsetzen zu können. Wie aber soll das bewerkstelligt werden, wenn Schulen, Berufslehren, weiterführende Bildungsinstitute sowie Fachhochschulen und Universitäten das Fach «Denken» nicht in ihrem breiten Angebot führen?
«Wo lassen Sie denken?»
Ohne diese Basisfähigkeit des menschlichen Gehirns kann man nicht planen, evaluieren oder entscheiden. Oder doch? So wie es zurzeit in den Führungsetagen einst renommierter Firmen aussieht, könnte man meinen, dass manche Führungskräfte der Ansicht sind, ab einem gewissen Status in einem Unternehmen müsse Denken nicht mehr selbst ausgeführt werden, sondern könne delegiert werden, analog anderen lästigen Aufgaben wie Führen oder der Auswahl der wichtigsten Mitarbeiter.
In den Zeiten vor Armani, Boss oder Calvin Klein, als sich der Mann von Welt seine Anzüge noch von einem Herrenschneider maßanfertigen ließ, wurde er, wenn der Schneider sehr gut war, öfter bewundernd gefragt: «Wo lassen Sie arbeiten?» Heute drängt sich in manchen internationalen Führungsgremien die Frage auf: «Wo lassen Sie denken?». Die eklatanten Fehlentscheidungen und Fehlentwicklungen der letzten Jahre lassen vermuten, dass Denken nicht zu den populärsten Aktiviäten in den so genannten Chefetagen gehört.
Noch immer betrachten die meisten Führungskräfte einen übervollen Terminkalender als Statussymbol. Er manifestiert ihrer Meinung nach, dass sie als Entscheidungsträger unentbehrlich sind, dass ohne sie «der Laden nicht läuft», dass sie, die Armen, einfach von Termin zu Termin hetzen müssen. Wie aber können sie entscheiden, ohne sich die nötige Zeit zum Denken zu nehmen? Wann gewähren sie sich Denkraum, um gestern Erlebtes zu reflektieren, in ihren heutigen Erfahrungsschatz einzuordnen und diese Aha-Erlebnisse in die Entscheide von morgen mit einzubeziehen?
Innovation: Neues denken wollen
Reflexion gehört zur Kategorie Nachdenken, einer unerlässlichen Voraussetzung für Entscheidungen, die die Zukunft betreffen. Vordenken ist ebenfalls etwas, was man von den BewohnerInnen der Führungsetagen erwarten darf. Schließlich verlangen sie ja Mitdenken von ihren MitarbeiterInnen. So erwartet zum Beispiel Heinrich von Pierer, der CEO von Siemens , einem der größten deutschen Industrieunternehmen, von den dort Arbeitenden «jeden Tag neue Ideen», wie es in einem Artikel heißt. Ziel dieser Forderung soll das sein, was alle Unternehmen und Organisationen heute dringender denn je brauchen: Innovation, das ersehnte Resultat kreativer Denkprozesse, das die Konkurrenten, blass vor Neid, auf den zweiten oder dritten Platz verweist, wenn auch oft nur für eine sehr kurze Zeit. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden qualifiziert und befördert gemäß ihrer Fähigkeit, innovativ zu denken. Wie aber können Menschen kreativ bzw. innovativ denken und handeln, wenn die gelebte Unternehmenskultur ihnen keine Zeit dafür einräumt, sondern Schnelligkeit und messbare Performance belohnt?
Jedes Business beginnt mit einer Idee. Sie muss nicht originell sein, ist oft sogar die Kopie einer bestehenden Idee, die so lange bearbeitet wird, bis sie für die Kunden interessant wird. Wenn das Business jedoch einmal floriert, scheint man vergessen zu haben, dass es immer noch Ideen sind, die das Kapital vermehren. Neuen Ideen für Produkte, Dienstleistungen, Strategien oder nur schon administrative Abläufe begegnet man mit Misstrauen: Sobald es etwas zu verlieren gibt, ist Risikofreudigkeit, die ja Vorausetzung für Neuerungen ist, kaum noch ein Thema; lieber geht man auf Nummer Sicher, und das heißt meistens: fixiert sein auf Probleme, die man – auf Effizienz eingeschworen – standardmäßig angeht.
Dass sogar gestandene Unternehmer, die bereits ihre Innovationsfähigkeit unter Beweis gestellt hatten, mit ihren Ideen bei ihrem unmittelbaren Umfeld anecken können, beweist eine Geschichte aus dem anekdotisch reichen Umfeld Henry Fords:
1914 hatten Arbeiter in der Autoindustrie einen Tageslohn von $ 2,34 – bis zu dem Tag, da Henry Ford beschloss, ihnen mehr als das Doppelte, nämlich $5,00 zu zahlen. Ford hatte gute Gründe dafür, die nichts mit Philanthropie zu tun hatten. Aber sein Umfeld verstand diese Gründe nicht, bewarf ihn mit Kritik und beschimpfte ihn als «Sozialisten». Die USA sind voll von Geschichten, in denen eine oder ein zuerst Verspottete(r) am Ende ihre oder seine Kritiker vor Neid erblassen lässt, und diese Geschichte gehört dazu. Was waren seine Gründe für diesen ungewöhnlichen Schritt? Das, was man wohl am besten mit «aufgeklärtem Eigennutz» bezeichnen kann:
Der hohe Lohn reduzierte generell die Fluktuation in den Fabrikhallen.
Zufriedene Mitarbeiter blieben länger bei Ford und wurden produktiver, sodass das Unternehmen einen Großteil der Trainingskosten einsparen konnte.
Diese Einsparungen wiederum wirkten sich positiv auf den Preis eines Automobils aus.
Nach und nach konnten sich, aufgrund des höheren Lohns, die Arbeiter bei Ford selbst ein Auto leisten.
Fazit: Innerhalb von nur zwei Jahren konnte die Ford Motor Company ihren Gewinn verdoppeln, von 30 auf 60 Millionen Dollar.
Die echte «Nummer Sicher» wäre jedoch etwas ganz anderes: Mitarbeitenden Freiraum zu gewähren, das zu tun, was man auf Englisch thinking outside the box nennt. Der Ausdruck bezieht sich natürlich auf die bekannte Kreativitätsübung, bei der man neun Punkte, in drei Dreierreihen untereinander angeordnet, mit vier Strichen verbinden muss, ohne den Stift abzusetzen. Das geht, wie wir alle irgendwann einmal herausgefunden haben, nicht, ohne dass man die vorgegebene Grenze überschreitet. «Vorgegebene» Grenze? Ist es nicht eher die «selbst auferlegte», die imaginäre Grenze, die uns davon abhält, auf Anhieb mit vier Strichen diese neun Punkte miteinander zu verbinden? Oder ist es am Ende wieder einmal unser Schulsystem, das uns zum Denken in zu engen Grenzen anhält? Sicher liegt hier die Basis dieses Problems; einer meiner Lieblings-Cartoons drückt es so aus: Ein bedrückt aussehender Mann sagt zu einer Kollegin: «Als Kind wurde ich immer kritisiert, weil ich außerhalb der Linien malte. Jetzt wundert sich mein Chef, warum ich immer in festgetretenen Pfaden denke.»1 ¹
Die «Gang of Three»
Probleme werden ohnehin nicht durch effiziente, sondern durch lösungsorientierte Menschen aus der Welt geschafft. Neue Lösungen für unser immer komplexeres Zusammenleben sind das, was überall vonnöten ist, und neue Lösungen brauchen nun mal neue Sicht- und Denkweisen. Das scheint jedoch noch ein wohlgehütetes Geheimnis zu sein.
Die Situation ist alltägliches Vorkommnis in den meisten Firmen, und Sie selbst haben sie sicher schon x-mal als Opfer oder Zeuge erlebt: An einer Sitzung präsentiert jemand eine neue Idee. Die anderen SitzungsteilnehmerInnen hören aufmerksam zu, der oder die Präsentierende ist sich zunehmend ihres Interesses, wenn nicht sogar schon ihrer Zustimmung sicher. Zufrieden, sogar leicht euphorisch, setzt er oder sie sich und harrt der Reaktionen auf den soeben präsentierten genialen Vorschlag – und hat sich insofern nicht getäuscht, als wirklich alle aufmerksam zugehört haben.
Aber seit dem Moment, wo sie erkannt haben, dass hier etwas bahnbrechend Neues präsentiert wird, haben alle nur noch mit halbem Gehirn hingehört, um mit der anderen Hälfte ihre Gegenargumente formulieren zu können. Kaum endet die Präsentation, hageln die Killerphrasen von allen Seiten auf die oder den Wagemutige(n) hinab.
Seien Sie nicht überrascht, schon gar nicht irgendjemandem böse – in unserer Kultur und Erziehung wäre jedes andere Verhalten außerhalb der Norm. In einer groß angelegten Abhandlung hat sich das deutsche «manager magazin» 1993 mit Kreativität im Unternehmen auseinandergesetzt.2 ² Darin gibt es auch ein langes Interview mit dem Psychoanalytiker, Denker, Unternehmensberater und Autor Rolf Berth , der als Dozent am Internationalen Management-Institut in Genf arbeitete und eine Langzeitstudie über Innovation in Deutschland erstellt hat.
Auch er ist sich der Hemmschwelle für Neues im deutschsprachigen Raum bewusst und nennt die schlimmsten Fehler in Sachen Innovation schonungslos beim Namen: «Erstens die Überschätzung der Erfahrung, die wertvoll ist, aber auch blockiert. Zweitens das fehlende Wissen über Innovation. Drittens die Unfähigkeit, Ideen weiterzuentwickeln. Das muss eine Kulturkrankheit sein, dass wir auf Neues so negativ reagieren, während das Wiederkäuen des oft Gesagten große Befriedigung hervorruft.» ³
Der Hirnforscher und Psychologe Dr. Edward de Bono, weithin als führende Autorität auf dem Gebiet des Denkens angesehen, legt die Basis