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Mythen, Macht + Menschen durchschaut!: Gegen Populismus und andere Eseleien; Kommentare 2013-1984
Mythen, Macht + Menschen durchschaut!: Gegen Populismus und andere Eseleien; Kommentare 2013-1984
Mythen, Macht + Menschen durchschaut!: Gegen Populismus und andere Eseleien; Kommentare 2013-1984
eBook468 Seiten5 Stunden

Mythen, Macht + Menschen durchschaut!: Gegen Populismus und andere Eseleien; Kommentare 2013-1984

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Über dieses E-Book

Wie ist unsere Zeit des globalen Wandels zu verstehen? Warum lassen sich Mythen instrumentalisieren? Wann durchschauen wir die medial inszenierten Auftritte jener Menschen, die Macht haben? Warum zählen wir friends?
Einsteins Rat: Wir können die Probleme nicht mit demselben Denken lösen, mit dem wir sie geschaffen haben. Deshalb: Trennen wir Wesentliches von Belanglosem! Engagieren wir uns! Empören wir uns!
Damit schaffen wir persönliche Zuversicht. Statt Burnout erleben wir ein inneres Feuer. Die Moderne meistern zu wollen, erfordert Freiheit und Zeit - beides ist hierzulande gratis zu haben.
Verstehen heißt durchschauen!
SpracheDeutsch
HerausgeberConzett Verlag
Erscheinungsdatum6. Jan. 2014
ISBN9783037600320
Mythen, Macht + Menschen durchschaut!: Gegen Populismus und andere Eseleien; Kommentare 2013-1984

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    Buchvorschau

    Mythen, Macht + Menschen durchschaut! - Christoph Zollinger

    100 × Internetkolumne durchschaut!

    www.glaskugel-gesellschaft.ch (2013 – 2009)

    www.journal21.ch (2013 – 2012)

    Fokus

    Schreiben ist meine Passion. Das Internet ist da eine exzellente Plattform, um – als Ergänzung zu den Printmedien und abseits des Mainstreams – Gedanken zu entwickeln, vornehmlich zur Lage der Nation, doch nicht nur. Die Leserschaft wuchs über die Jahre kontinuierlich und belieferte mich mit spannenden Rückmeldungen. Ab 2012 übernahm zudem die führende Internetzeitung der Schweiz, das »Journal 21«, viele meiner Kolumnen. So sind im Laufe der Jahre 100 Beiträge entstanden, von denen aus Platzgründen hier nicht alle aufgeführt sind.

    Um die Lesbarkeit zu verbessern, sind alle Fußnoten der ursprünglichen Kolumnen weggelassen. Wer sich im Einzelnen für Präzisierungen interessiert, findet diese auf meiner Homepage www.glaskugel-gesellschaft.ch (unter der Rubrik durchschaut!).

    23. Oktober 2013

    Nr. 100

    Mythen, Macht + Menschen durchschaut!

    Unsere Lebensreise in die Zukunft ist spannend und überraschend. Ein lohnendes, gemeinsames Ziel: unsere Mitmenschen besser verstehen zu wollen.

    Durchschaut! Es ist von entscheidender Bedeutung, diesen Begriff zwischen Leserschaft und Autor auf eine einheitliche Basis zu stellen: durchschaut! ist vergleichbar mit dem Aha-Erlebnis einer überraschenden Erkenntnis. Einen Menschen zu durchschauen heißt, dessen wahre Gestalt, getarnte Motivationen oder vertuschte Zielsetzungen durch den äußeren Schein hindurch aufzudecken. Dieser Mensch mag sich der Mythen bedienen, um seine Machtbasis zu stärken. Somit sind zwei weitere Erklärungen angebracht.

    Mythen sind vergangenheitsgerichtete Geschichten oder Legenden. Jedes Land kennt seine eigenen Mythen. Wilhelm Tell, Rütlischwur, »Wir wollen sein ein einzig Volk von Brüdern« – alle Schweizerinnen und Schweizer wissen sofort, was gemeint ist. Ohne Tell gäbe es keine Armbrust als Schweizer Marke. Ohne Rütli keine AUNS. Der Mythos ist eine Erzählung, mit der Menschen und Kulturen ihr Welt- und Selbstbildnis zum Ausdruck bringen. Allerdings verfälschen Mythen die Wahrnehmung der Realität. Mythos und Wirklichkeit haben wenig miteinander zu tun. Jene, die Mythen instrumentalisieren, sind in der Regel begnadete Geschichten- und Märchenerzähler.

    Macht wird gemeinhin definiert als »Befugnis, über Menschen und Verhältnisse zu bestimmen, Herrschaft auszuüben«. Schon das Wort Herrschaft weist diskret darauf hin, dass Machtausübung eine eher männliche Domäne darstellt. Personen, die Macht suchen und haben, sind – dank staatlicher Machtbefugnis oder großer privater, finanzieller Machtbasis – in der Lage, das Handeln von anderen zu steuern oder zumindest zu beeinflussen. Nachdem nun der gemeinsame Startort der Reise mithilfe dieser Klarstellungen bestimmt ist, bleibt das einheitliche Ziel festzulegen: Menschen verstehen wollen.

    Vor 2500 Jahren erwachte der abendländische Mensch im antiken Griechenland zu einem neuartigen Denken und verabschiedete sich von der Götterwelt seiner Vorfahren. Seither haben sich die philosophischen Deutungsversuche unserer Welt und ihrer Bevölkerung wie Perlen auf der Kette zu einem wertvollen Schatz aneinandergereiht. Mit jener griechischen Wissensexplosion aus archaisch/mythisch geprägter Vorstellung begann sich das Streben nach Vernunft unaufhaltsam zu erweitern. Parallel dazu verfeinerte sich das menschliche Wissen. Politik, Wirtschaft und Gesellschaft formten und schliffen sich über die Jahrhunderte des mentalen Zeitraums. Geist, Vernunft und Verstand führten zu bemerkenswerten Entdeckungen. Heute, zu Beginn des 21. Jahrhunderts, auf der Schwelle zum integralen Weltverständnis, erschüttern die Verwerfungen eines neuen Denkens einmal mehr die Menschheit. Doch wie steht es um dieses Wissen?

    Wer auch wissenschaftliche Befunde als Leitplanken seines Denkprozesses akzeptiert, stellt fest, dass seit Anbruch des sogenannt integralen Zeitverständnisses bahnbrechende, neue Erkenntnisse jene wertvollen Arbeiten früherer Suchenden ergänzt und zum Teil neu formuliert haben. Mit integral ist hier übrigens ganzheitlich, auch Fokussierung auf das Ganze, gemeint. Gebieterisch drängen heute die äußerlichen Zeichen des Wandels – Globalisierung und Internet / Cloud Computing / Big Data, also die neue Erfahrung in Raum und Zeit – an die Oberfläche.

    Die erste Wegmarke postierte Albert Einstein mit seinen Relativitätstheorien. Zweifellos kann sein Lebenswerk als Modell einer von der Ganzheit geprägten Weltsicht verstanden werden. Als Mathematiker und Physiker involvierte er sich in die Politik, die Wirtschaft und las seinen Mitmenschen gern und schalkhaft die Leviten.

    Seither mehren sich die Anzeichen eines epochalen Neubeginns. Hier eine kleine, subjektive Auswahl aus der wissenschaftlichen Forschung:

    –  Der Zusammenhang zwischen Verstand und Gefühl, seit Descartes dualistisch definiert, wird neu interpretiert. Emotionen konditionieren die Ratio. Medizin und Neurowissenschaften sind sich (fast) einig.

    –  Die Hinterfragung des wissenschaftlichen Bildes des Menschen als rationales Wesen hat zu einer fundamentalen Neuformulierung in der Wirtschaft geführt. Deren Nutzentheorie, die auf der Annahme des rationalen Verhaltens der Teilnehmer fundiert, ist in sich zusammengebrochen. Diese Entdeckung wurde mit dem Wirtschaftsnobelpreis ausgezeichnet.

    –  Die Erkenntnis, dass unbewusste Gedanken unser Alltagsleben steuern, mag nicht so ganz revolutionär sein. Der Ausgangspunkt des Rationalismus, der Denken als bewussten Vorgang implizierte, ist jedoch widerlegt. Das jedenfalls meint die kognitive Wissenschaft. Denken geschieht größtenteils unbewusst. »Ich denke, also bin ich«, wirklich?

    –  Darwins Theorien, »Kampf ums Überleben« oder »Krieg der Natur«, werden für den Menschen aus Sicht der Medizin, Molekular- und Neurobiologie erweitert: Die menschlichen Gene sind nicht egoistisch, sondern funktionieren als Kooperatoren. Der Mensch ist ein auf Resonanz und Kooperation angelegtes Wesen.

    –  Aus der Physik kommen neue Töne. Das Zeitalter der Emergenz, der Selbstorganisation der Natur, ersetzt den Mythos von der absoluten Macht der Mathematik. Es ist gleichzeitig das Ende des Reduktionismus und der falschen Ideologie der menschlichen Herrschaft über alle Dinge.

    Anfang 2013 erreichte uns die Nachricht, dass die ETH Lausanne von der EU den Zuschlag für das Milliardenprojekt zur Simulation des Gehirns erhalten hat. Der Kopf hinter diesem gigantischen Vorhaben ist Henry Markram. Sein Ansatz ist neu. »Solange wir nicht verstehen, wie die vielen Einzelteile zusammenpassen, mühen wir uns vielleicht an den falschen Orten ab.«

    »Solange wir nicht verstehen.« Diese beiläufige Bemerkung des Hirnforschers ist entscheidend. Weil im Gehirn alles mit allem zusammenhängt, weil »alles so unglaublich verwoben ist, dass jede Tat, jede Aktion, die jemand tut, einen immens tiefen Eindruck auf die Gesamtheit der Dinge hinterlässt«, deshalb kommt der Mediziner und Physiologe zur Einsicht, dass mit dem Human Brain Project entscheidend neues Wissen geschaffen werden könnte.

    Der »Reisende durch den Kosmos des menschlichen Gehirns«, wie Markram auch genannt wird, präsentiert mit seinem neuen Denken eine moderne Analogie des Weltverständnisses. Im 21. Jahrhundert malt er mit seinem simulierten Bild des Gehirns eine Parallele zum neuen Weltbild: Nur wenn der Mensch die Gesamtheit seiner Aktivitäten in Betracht zieht, handelt er zeitgemäß.

    Verstehen heißt nicht, einverstanden zu sein. Doch verstehen zu wollen, warum Mitmenschen gelegentlich für uns völlig unmögliche, ja unglaubliche Thesen vertreten – das ist spannend und gleichzeitig neues Denken. Heute brechen wir auf unserer persönlichen (Zeit-)Reise ganz selbstverständlich in Jets auf und programmieren nach Ankunft das GPS, um ohne Irrfahrten ans Ziel zu gelangen. Warum also nicht auch andere, weniger geläufige Errungenschaften des wissenschaftlichen Fortschritts akzeptieren? Hier zwei Beispiele.

    Kooperation statt Krieg. Einige der oben zitierten, überraschenden Befunde lassen es ratsam erscheinen, Andersdenkende nicht instinktiv und stur zu bekämpfen, um zu »siegen«. Kampf und Sieg sind Techniken aus jener Zeit, als versucht wurde, Macht in blutigen Kämpfen und Kriegen zu erringen. Überreste dieser Denkart treffen wir noch immer bei jenen politischen und wirtschaftlichen »Leadern«, die rückwärtsblickend im Alten verhaftet sind und ihre Gegner bekämpfen. Heute treten Menschen innerhalb von Kooperationen weltweit an, um gemeinsam Resultate zu erreichen. Die EU, die NATO, die UNO – alles sind letztlich Bündnisse, um Kriege zu vermeiden.

    Öffentliches Teamwork statt geheimen Einzelkampfs. Wurde in Wirtschaft und Wissenschaft früher hinter verschlossenen Türen geforscht und anschließend Entdecktes patentiert, sieht die Taktik der Erfolgreichsten heute oft anders aus: Probleme werden definiert und per Internet (Cloud Computing und Big Data) in die Welt hinaus geschickt; Interessierte nehmen die Herausforderung an und schicken ihre Lösungsvorschläge zurück an den Absender. Aus geheim wird öffentlich, statt jahrelang zu suchen, werden – dank Real Time und Teamwork oft in kurzer Zeit – die neuen Erfindungen abgeholt, überall auf der Welt. Global Village.

    Die Mythen verblassen. Obwohl heute Klarheit besteht, dass die alten Mythen in die Kategorie der Märchen einzureihen sind, bedienen sich populäre Märchenonkel unbeirrbar ihrer Faszination. Außer den Ewiggestrigen lassen sich aufgeklärte Menschen nicht länger verführen. Besonders die Jugend hat längst spannendere mediale Orientierungsquellen. Freiheit und Sicherheit zu versprechen, also etwas, was nie garantiert werden kann – diese einst erfolgreiche Mythenpflege vergilbt täglich mehr.

    Doch auch neue Mythen haben ihr Ablaufdatum überschritten. »Der Mensch, das rationale Wesen.« »Die Märkte, immer im Gleichgewicht.« »Ich denke, also bin ich.« »Krieg, der Vater aller Dinge.« »Glaube macht selig.« »Der Mensch, Beherrscher der Welt.«

    Die Macht zerfällt. Nach den Kirchenfürsten und Generälen erfahren dies Staatschefs, Diktatoren und politische Parteien. Wie sagte es Jean Gebser: »Wer den Machtanspruch zurückstellt, entgeht der Ohnmacht.« Noch klammern sich Großbanken an ihre überholten, medial wirksam formulierten Grundsätze. »Größe = Macht.« Doch diese Gleichung stimmt nicht mehr. Die mächtige UBS in der kleinen Schweiz wurde 2008 mit einem Milliardenpaket vom Staat, respektive dem Steuerzahler, vor dem Untergang gerettet. Too big to fail – hilfloses Resultat falschen Machtgehabens.

    Auch die Rolle der etablierten politischen Parteien schrumpft generell und weltweit in Demokratien. Die unflexibel und oft zu dualistisch ausgerichteten Großstrukturen des Gegeneinanders werden durch dynamisch vernetzte Denkstrategien des Miteinanders abgelöst.

    Wenn Mythen verblassen und Macht zerfällt, verlieren Menschen, Projekte, Strategien, die auf Mythen oder Machterhalt beruhen, ihr Erfolgspotenzial. Vor den Augen involvierter Menschen zerrinnt – wie in der Sanduhr – die Substanz; übrig bleibt das leere, durchsichtige Glasröhrchen. Wie gewonnen, so zerronnen!

    Weiter oben wurde die These vertreten, wonach Menschen, die sich der Mythen bedienen, um ihre Macht auszuspielen, die wahren Beweggründe verschleiern. Spätestens jetzt spielt es keine Rolle mehr, ob sie nur missionarisch getrieben sind oder ob sich hinter der Fassade der gut getarnte Versuch versteckt, überholte Privilegien zu retten. Still und leise ist auch das durchschaut!

    Wer das zu verstehen versucht, ist gut unterwegs auf seiner Lebensreise in die Zukunft.

    13. Oktober 2013

    Nr. 99

    Agora statt Arena: Platz für ganzheitliches Denken!

    Kontroverse Meinungen können sich im interessanten Dialog widerspiegeln oder im sinnlosen Disput enden. Ob Lösungen angestrebt werden oder nur der Sieg über den Gegner gesucht wird, zeigt sich in unterschiedlichen Denkmustern involvierter Menschen.

    Regelmäßig am Freitagabend um 22.20 Uhr wird die friedliche Wochenendstimmung in Schweizer Familien abrupt unterbrochen. Die »Arena« – die innenpolitische Diskussionsplattform auf SRF 1 – geht auf Sendung und (wo so gewollt) Empfang. Vorbei ist es mit der entspannten Atmosphäre. Jetzt ist Kampf angesagt. Politische Vorzeigenummern und gewichtige Spitzenvertreter von Verbänden, selbsternannte Experten und medienpräsente Opinion Leaders betreten den Ring.

    Das Wort »Arena« ist entlehnt aus dem lateinischen »[h]arena« und bedeutet so viel wie »Sand, Sandbahn; Kampfplatz im Amphitheater«. Arena verspricht Kampf. Der Gegner muss besiegt werden, diese Devise ist uralt. Sie basiert noch auf einem Menschenbild aus vorchristlicher Zeit, das auch durch die neurobiologische Forschung mittlerweile widerlegt ist. Die eigene Meinung als einzige »Wahrheit« zu verteidigen, ist letztlich zum Scheitern verurteilt. Diese Konstrukte sind eben … auf Sand gebaut.

    Agora – Marktplatz der alten Griechen – und Schauplatz dialogischer Kultur hat hingegen keinen festen Sendeplatz mehr in unserer medial getriebenen Zeit. Obwohl dieses Gefäß vielleicht erfolgversprechender wäre. Die Agora diente einst als Plattform der Demokratie in ihren Anfängen. Einzelne Historiker haben sie als Ausdruck kollektiver Intelligenz beschrieben. Dieser Kultplatz war eine gesellschaftliche Institution und ihm kam eine herausragende Rolle für das geordnete Zusammenleben einer Gemeinschaft zu.

    Die Fragmentierung unseres modernen Denkens, die Spezialisierung auf Teilbereiche, die Überbetonung eines kleinen Sektors des Ganzen, ist unsere Zivilisationskrankheit. Die telegene Mode, sich gegenseitig willkürlich erkorene Bruchstücke seines privaten Weltbilds an den Kopf zu werfen, ist Ausdruck des Verlusts des dialogischen, ganzheitlichen Denkens. Die Diskussionen zwischen »Experten«, denen das Zuhören längst abhandengekommen ist, sind Zeichen eines schleichenden Kulturverlusts: Der gegenseitige Respekt, das ehrliche Vertrauen, das geduldige Zuhören wie das Gehörtwerden, sie alle machten einst – gepaart mit Offenheit und Neugier – den erfolgreichen Dialog aus.

    Wo das Vertrauen zum Gesprächsgegenüber fehlt, auch die Gewissheit, von ihm nicht persönlich verletzt zu werden, da endet die Show in einen offenen Disput. Angriff und Verteidigung – die Kriegsmetapher par excellence – münden in Sieg und Niederlage.

    Das Produkt der Arena war und ist der kurzfristige Sieg über den Gegner. Das Produkt der Agora war die langfristige Lösungsfindung zusammen mit Andersdenkenden. Warum klaffen heute weltweit die Vorstellungen und Hoffnungen der Zivilgesellschaften und die tatsächlichen Resultate der Politik immer mehr auseinander? Könnte es sein, dass Politiker ihren Feind in erster Linie besiegen wollen, um an der Macht zu bleiben? Während die Gesellschaft darauf wartet, dass Lösungen für ihre Alltagsprobleme austariert werden? Manchmal scheint es, die Ziele der Politik und jene der Gesellschaft wären nicht mehr kompatibel.

    Obige Feststellung führt zu einer interessanten Entdeckung. Das Fernsehprodukt »Arena« ist noch weitgehend im alten Denken verhaftet. Mit veralteten Vorstellungen die neuen Kräfte des 21. Jahrhunderts bändigen zu wollen, ist letztlich eine der Ursachen vieler heutiger gesellschaftlicher Schwierigkeiten. Dieser Ansicht sind keineswegs nur Philosophen. So plädiert der bekannte Physiker Hans-Peter Dürr (»Warum es ums Ganze geht«) für neues Denken im Sinne einer Abkehr von verengten und mechanischen Strategiemustern. Beweglichkeit, Offenheit, Empathie führen zu neuen, transparent gestaltbaren Schöpfungs- und Handlungsräumen.

    In die politische Umgangssprache übersetzt: Gedanken, Absichten und Persönlichkeitsmerkmale des Gegenübers erkennen und verstehen zu wollen, hilft dabei, die akuten zivilisatorischen »Baustellen« innert nützlicher Zeit zu sanieren. Und da landen wir unversehens mitten in der antiken Agora und stellen verblüfft fest, dass jene sokratischen Denk-Guidelines moderner und zeitgemäßer sind als vieles, was uns am Freitagabend ab 22.20 Uhr serviert wird.

    Das lohnenswerte Ziel, den aggressiven Kampf und offenen Disput von der Arena zu verbannen und stattdessen die Meinungsverschiedenheiten auf der Agora im Sinne eines kooperativen, zivilisierten Dialogs weiterzuentwickeln, müsste natürlich vom Generaldirektor SRF bewilligt werden. Das Ganze könnte deklariert werden als Dislokation vom Ruinenfeld Amphitheater ins (Opern-)Haus des modernen Geschehens, der neuen Begegnungsstätte der schweizerischen polis.

    Ich weiß, die Begriffe »Ganzheit, Ganzheitlichkeit, Kohärenz, Integration, integral« tönen abstrakt. Integral Movement, Integral Renaissance, Integral Revolution – aus dem angelsächsischen Raum entlehnt – klingen moderner, aufregender. Doch für die Rückbesinnung auf das antike Dialogprinzip in der Agora, das auf partizipierendem Denken innerhalb einer holistischen Weltsicht basiert, braucht es keine Revolution.

    Der Individualismus unserer Zeit hat bisweilen dazu geführt, dass übersehen wird, dass der Mensch als Teil eines Ganzen dem Gemeinwohl verpflichtet wäre. Unsere politische Zivilisation basiert auf einer Kultur, die gemeinsam erlebt und geteilt wird. Wo das vergessen geht, zerbricht jede Zivilisation in Fragmente der Politik, Wirtschaft, Gesellschaft. Gerade wer als modern gelten will, sollte im Hinterkopf behalten, dass Zerreden und Fragmentieren dem Ganzheitsanspruch nicht gerecht wird.

    23. September 2013

    Nr. 97

    Nachhaltig – Programm oder Etikettenschwindel?

    Nach der Klärung, was hier unter »nachhaltig« verstanden wird, kann der persönliche Entscheid gefällt werden: ein einfaches und ehrliches Prinzip zu befolgen, wofür die nächsten Generationen dankbar sind.

    Der Begriff hat eine spektakuläre, weltweite Karriere hinter sich: nachhaltig – sustainable oder Nachhaltigkeit – sustainability. Kein Tag, ohne dass wir nicht davon hören oder lesen. Allerdings verstehen die Absender dieser Botschaften darunter völlig Unterschiedliches. In der Werbung, in Geschäftsberichten von Konzernen oder in politischen Diskussionen überwiegen ab und zu die missbräuchlichen Anwendungen – das nennen wir dann Etikettenschwindel. Nicht ganz unschuldig am Durcheinander im deutschen Sprachraum ist der Duden, der es bis heute nicht geschafft hat, auch zeitgemäße Definitionen nachzutragen.

    Im Duden lesen wir beim Nachschlagen des Wortes Nachhaltigkeit: »sich auf längere Zeit stark auswirkend; (…) forstwirtschaftliches Prinzip, nach dem nicht mehr Holz gefällt werden darf, als jeweils nachwachsen kann.« Im Duden online ist eine weitere Definition eingefügt, die der Sache schon etwas näherkommt: »(…) Prinzip, nach dem nicht mehr verbraucht werden darf, als jeweils nachwachsen, sich regenerieren, künftig wieder bereitgestellt werden kann.«

    Natürlich heißt es das. Doch zu Beginn des 21. Jahrhunderts versteht die Welt darunter etwas viel Umfassenderes: »Entwicklung, die die Bedürfnisse heutiger Generationen erfüllt, ohne die Voraussetzungen künftiger Generationen, ihre Bedürfnisse dereinst ebenfalls erfüllen zu können, einzuschränken (UNO-Leitbild).« Oder: »Nachhaltige Entwicklung basiert auf der Idee der gleichzeitigen und gleichberechtigten Umsetzung umweltbezogener, sozialer und wirtschaftlicher Ziele.«

    Dafür steht im angelsächsischen Raum das Wort sustainable – klipp und klar. Für den altehrwürdigen Begriff nachhaltig gilt wie eh und je die Übersetzung lasting, ongoing – also anhaltend, dauerhaft, beständig. Und das ist ein großer Unterschied.

    Eine nachhaltige Entwicklung zu beachten geht also weit über den Gummibegriff der PR-Strategen hinaus. Die UNO hat 1983 (»Brundtland-Kommission«) dies so definiert: Generationenübergreifend denken und handeln. Sich ressourcenschonend verhalten, auch zuhause. Nicht erneuerbare Energie sparen und, wo möglich, ersetzen. Sozial verträglich politisieren und wirtschaften. Umweltbewusste Mobilität anstreben usw.

    Im Übrigen kann man es drehen und wenden, wie man will: Unternehmen wie z.B. Zigarettenproduzenten, Erdölmultis, Rohstoffabbaufirmen, Zementkonzerne oder auch Chunkfood-Anbieter können obige Kriterien nicht erfüllen. Dies ist nicht despektierlich gemeint.

    Gemäß verlässlichen Sustainability Ratings belegt von den großen Multis Unilever Platz eins, dies dank seines konsequenten Engagements in den Bereichen Nachhaltige Landwirtschaft und Fischerei sowie in der effizienteren Nutzung von Wasser bei der Produktion. Paul Polman, der Chef dieses Konsumgüterkonzerns, kümmert sich in vorbildlicher Weise darum. Er hat erkannt, dass immer mehr Konsumenten und Aktionäre von ihren Unternehmen nachhaltiges Geschäften verlangen.

    Urteilen Sie bitte selbst darüber, wovon die UBS spricht, wenn sie in ihren Corporate-Governance-Grundsätzen von »Erreichung eines nachhaltigen Wachstums« spricht. Oder wenn Glencore Xstrata ankündigt, 2013 erstmals einen »Sustainability Report« publizieren zu wollen …

    Erstaunlich ist es, wenn ein Fachjournalist in der NZZ (»Green Economy« – nur aufgewärmter Malthusianismus) seinen Meinungsjournalismus ausbreitet, in dem er seine selektive Wahrnehmung dokumentiert. »Im Namen der Nachhaltigkeit wird eine planwirtschaftliche Umverteilungsmaschinerie in Gang gesetzt, die den Mangel und die Armut erst schafft, die sie zu bekämpfen vorgibt.« In diesem Beitrag wird zwar richtigerweise der betrübliche Trend kritisiert, dass einige Rohstoff- und Nahrungsmittelkonzerne begonnen haben, sich durch Produktion von Biotreibstoffen aus Soja, Mais oder Raps CO2-Gutschriften ausstellen zu lassen. Diese politisch geförderte Verirrung hat aber mit sustainability so wenig zu tun wie die Unterstellung, nachhaltiges Geschäften führe zu Planwirtschaft.

    Die Versöhnung von Ökonomie und Ökologie ist dem Wort Nachhaltigkeit immanent. Das Subsystem Ökonomie müsste im Größeren, im System Biosphäre eingebettet sein. Heute hat man manchmal den Eindruck, es sei umgekehrt.

    Rudolf Wehrli, (ehemaliger) Präsident von Economiesuisse, hat in seinem ersten Amtsjahr das Thema »Nachhaltigkeit in allen Bereichen« ins Zentrum der Aufmerksamkeit gestellt. Nachhaltigkeit werde meist ökologisch verstanden, genauso wichtig seien aber auch die ökonomische und soziale Nachhaltigkeit. Erstere etwa sei ohne die letzten beiden nicht zu haben, wird er zitiert. Die mit Nachhaltigkeit angeschriebene Economiesuisse-Verpackung ist neu. Doch, Achtung: Es darf die Wirtschaft nichts kosten. Ob Wehrli, der gelernte Theologe und Philosoph, da nicht Wasser predigte und Wein trank?

    Wie steht es bezüglich Ihres persönlichen, nachhaltigen Handelns? Welchen Fußabdruck hinterlassen Sie? Ein Vorschlag: Sie können an einem verregneten Sonntag im Internet mehr darüber erfahren. Swiss Climate liefert nicht nur ausgezeichnete Beratung. Unternehmen können da ihren Carbon Footprint erfahren. Auch WWF Schweiz bietet verschiedene, persönliche Testmöglichkeiten. Ecological Footprint bietet gar ein Ecological Footprint Quiz an. Auf Global Footprint Network ist nicht nur der wissenschaftliche Hintergrund solcher Fußabdruck-Erhebungen erklärt. Da gibt es auch einen Foodprint-Index der Nationen und einen über Finanzen. Und natürlich auch einen über Ihren persönlichen »Abdruck«.

    Neuerdings können Sie sogar erfahren, welchen Footprint Ihr angelegtes Geld hinterlässt. Haben Sie damit schon einmal Arbeitsplätze geschaffen? Etwas Neues erfunden? Menschen ausgebildet? Energie gespart? Der Globalance Portfolio Footprint klärt Sie über die Auswirkungen Ihres Portfolios auf. Fällt der Check positiv aus, umso besser.

    Ob Einzelperson, Familie oder KMU – indem Sie eine individuelle Philosophie für Nachhaltigkeit entwickeln, Ihr persönliches Programm sozusagen, handeln Sie verantwortungsbewusst gegenüber den Nachfolgegenerationen. Wirtschaft, Gesellschaft, Umwelt nachhaltig zu verstehen, ist ein einfaches, günstiges und ehrliches Prinzip.

    3. September 2013

    Nr. 95

    Das »System« ist entscheidend

    Die Schweiz ist das stabilste Land der Welt. Damit das auch in Zukunft so bleibt, müssen wir ab und zu Schwachpunkte des Erfolgsmodells verbessern.

    Gelegentlich wundere ich mich über liebe Mitmenschen, die sich mit Nonchalance und wiederholt über gesetzliche Vorschriften hinwegsetzen, als wären diese nur für Außerirdische gültig. Oder ich staune, wenn ich höre, dass sich Studenten im letzten Semester bereits beim RAV (Regionales Arbeitsvermittlungszentrum) einschreiben, da sie davon ausgehen, keine Stelle zu finden. Dann beschwichtigen mich meine Söhne: »Reg’ dich nicht auf, solange unser System das zulässt, kannst du es nicht ändern.«

    Unser politisches »System« ist grundsätzlich gut, so lautet jedenfalls meine persönliche Meinung. Es umfasst die staatlichen Institutionen, die politischen Entscheidungsprozesse und deren Ergebnisse als Summe der Gesetze und Verordnungen im Rahmen eines ausgeprägten Föderalismus.

    In der wissenschaftlichen Theorie gibt es verschiedene Erkenntnisse für Gütezeichen unterschiedlicher Systeme. So verficht etwa James Robinson (Harvard) die Idee, dass die politischen Institutionen bestimmen, ob ein Land arm oder reich ist. Wohlhabende Länder zeichnen sich dadurch aus, dass sie über Institutionen verfügen, die allen offenstehen. Es sind pluralistische Systeme, die den Unternehmergeist fördern und die individuellen Rechte schützen. Das Gegenteil: Die Macht im Land gehört einigen wenigen – Armut ist meistens, Bürgerkriege sind nicht selten die Folge. Für diese Diskrepanz ist die Politik verantwortlich.

    Gesellschaftsordnungen, die Menschen weitgehende, persönliche Entscheidungen ermöglichen, nennt Karl R. Popper Offene Gesellschaften, im Gegensatz zu Geschlossenen Gesellschaften, deren Ausrichtung auf einem umfassenden Kollektivismus basiert. Das offene System ist demnach vergleichbar mit einem lebenden Organismus, beruht auf einem ganzheitlichen Weltbild und einem gesunden Individualismus.

    Jared Diamond, Evolutionsbiologe und Physiologe (UCLA), entwickelte seine Theorie auf der Basis von Beobachtungen in vergangenen Zeiten. Danach führten verschiedentlich Übernutzung der Umwelt respektive falsche Reaktionen auf allgemeine Umweltveränderungen zu gesellschaftlichen Zusammenbrüchen. Das sture Festhalten am Status quo (»es war doch immer so und wir sind gut damit gefahren!«) kann zum Kollaps des Systems führen, wenn wichtige Entscheidungsprozesse in Gruppen oder Gesellschaften versagen.

    Die Schweiz sei das stabilste Land der Welt, meinte kürzlich der weltbekannte Essayist und Finanzmathematiker Nassim Nicholas Taleb. Warum? Weil es keine Regierung habe, lautete die Antwort. Nun, da fühlte sich unser Bundesrat wohl nicht gerade geschmeichelt. Der stets etwas übertreibende Gesellschaftsbeobachter, der unser Land recht gut kennt, meinte mit seinem Urteil, dass wir nicht auf Gedeih und Verderb einer Zentralregierung ausgeliefert wären, sondern dass unser Gemeinwesen von unten nach oben strukturiert sei, föderalistisch eben. Wir könnten also unsere Zukunft selbst bestimmen.

    Bevor wir in ausgelassene Feststimmung verfallen, sollten wir definieren, wie wir diesem Modell dazu verhelfen können, dass es auch in Zukunft Bestand haben wird. Fragen wir uns zuerst, was uns zu diesem Spitzenplatz verholfen hat: eine liberale Wirtschaftsordnung, zurückhaltende staatliche Regulierung, auf Sicherheit ausgerichtete Finanzpolitik und wohl auch ein gewisser Sinn für Gemeinwohl und Gerechtigkeit? Fragen wir uns anschließend, was in letzter Zeit falsch gelaufen ist: Einer überbordenden neoliberalen Wirtschaftselite begegnet die Gesellschaft mit dem Ruf nach verstärkter staatlicher Regulierung. Unsere Finanzpolitik ist unter Druck geraten, da sie zu wenig vorausschauend ist. An die Stelle persönlicher Selbstverantwortung und Solidarität ist für viele der Sozialstaat getreten.

    Generell fördert unser föderalistisches System die Tendenz, Probleme auf die lange Bank zu schieben. Stellvertretend für einige andere sollen hier einige Themen aufgeführt werden. Wir kennen sie seit Jahren, wir umkreisen sie:

    –  Eine AHV, die nicht von der Hand in den Mund lebt

    –  Mehr Selbstverantwortung statt Ruf nach dem Sozialstaat

    –  Ein Freizügigkeitsabkommen mit der EU, bei dem Vorteile und Nachteile möglichst ausgewogen sind, und eine Einwanderungspolitik, die ehrlich daherkommt

    –  Eine Asylpolitik, die nicht von »man sollte«, sondern von »wir entscheiden« lebt

    1948 eingeführt, haben sich seither mehr als zwei Generationen daran gewöhnt, ab 65 Jahren (Männer) respektive 64 Jahren (Frauen heute) eine staatliche Rente zu bekommen. 1948 lag die Lebenserwartung bei ungefähr 66 respektive 69 Jahren. Die demografische Entwicklung führt heute dazu, dass das Grundprinzip der generationenübergreifenden Solidarität aus den Fugen gerät. Die Verlängerung der Lebensarbeitszeit respektive die Erhöhung des Rentenalters müssten längst in die nachhaltige Planung der AHV-Zukunft einfließen. Es genügt nicht, wenn Politiker besänftigen: Noch schreibt die AHV Überschüsse!

    Die Ausgaben für soziale Wohlfahrt steigen von Jahr zu Jahr, parallel dazu steigt die Anspruchsmentalität. Längst haben sich viele Menschen in der Schweiz daran gewöhnt, dass der Staat den gewohnten Lebensstandard finanziert, sollten die Eigenmittel nicht reichen. Wussten Sie, dass eben dieser Staat mittlerweile jährlich über vier Milliarden Franken allein für Prämienverbilligungen der obligatorischen Krankenversicherung ausgibt? Eigenartig: Selbstbestimmung ist für uns im Alltag wichtig und selbstverständlich. Warum nicht konsequent? Dieser Trend ist ungemütlich.

    In den letzten 10 Jahren betrug die jährliche Nettozuwanderung in die Schweiz durchschnittlich 62’000 Personen und in der Folge hat sich das Wirtschaftswachstum erhöht. Die Bundesverwaltung kommentiert regelmäßig die Situation. Sie hat dazu in den letzten Jahren ein halbes Dutzend akademischer Untersuchungen erstellen lassen. Fazit: Die Befunde sind nicht einheitlich (wen wundert’s?). Was wir vergebens suchen, sind Untersuchungen über die Folgen dieses bejubelten Wirtschaftswachstums – die starke Einwanderung hinterlässt offensichtlich in vielen anderen Bereichen ihre Spuren. Nicht zur Diskussion steht, dass die Schweiz auf Zuwanderer mit hoher Qualifikation angewiesen ist. Doch die Folgen sollte das Bundesamt – angesichts des verbreiteten Unbehagens in der Bevölkerung über die starke Einwanderung – nicht verschweigen.

    Zu offensichtlich ist in den letzten Jahren dieser versteckte Zusammenhang geworden: Wir erstellen jährlich ziemlich genau für so viele Menschen Neubauwohnungen, wie die Zuwanderung sie ausweist. Die sichtbaren Folgen: Bauwut, Verschandelung der Natur, Wohnungsnot, explodierende Immobilienpreise und -mieten, Verkehrsstau, überfüllte Pendlerzüge, die Liste lässt sich verlängern. Wer definiert in Bern nächstens das Verhältnis zwischen Gewinnern und Verlierern der Zuwanderung?

    Simonetta Sommaruga ist wahrlich nicht zu beneiden. Seit Monaten fordert die Justizministerin ein beschleunigtes Asylverfahren. Heute dauert dieses von der Einreichung eines (unberechtigten) Asylgesuches bis zu dessen Ablehnung fast vier Jahre. Man muss sich das konkret vorstellen: Ein erster negativer Entscheid kann mit einer Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (gemäß TA blieb ein konkret untersuchter Fall dort während 21 Monaten liegen) weitergezogen werden. Wird sie dort abgelehnt, kann ein Wiedererwägungsgesuch eingereicht werden. Die Zahl dieser Gesuche steigt kontinuierlich. Rund ein Viertel davon führt anschließend zu einer vorläufigen Aufnahme, der Rest zur Ablehnung oder Wegweisung. Bis die nötigen Ausweispapiere besorgt sind, tauchen die Abgewiesenen häufig unter. Oder die Behörden kommen zum Schluss, dass nach so langer Zeit eine Ausschaffung nicht mehr zumutbar wäre.

    Die Diskussion um zu lange Asylverfahren hören wir seit vielen Jahren; man sollte diese ändern, heißt es in Bern. Der ehemalige Chef des Bundesamts für Flüchtlinge, Jean-Daniel Gerber, hält die aktuellen Schwierigkeiten in der Asylpolitik für unlösbar. Sind sie eigentlich gar systembedingt? Wer entscheidet darüber?

    Der moderne Bundesstaat mit seiner föderalistischen Staatsstruktur ist eine gute Sache. Auf

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