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Schnippelkunst im Schützengraben: Berthold Reichels Erlebnisse im Ersten Weltkrieg
Schnippelkunst im Schützengraben: Berthold Reichels Erlebnisse im Ersten Weltkrieg
Schnippelkunst im Schützengraben: Berthold Reichels Erlebnisse im Ersten Weltkrieg
eBook210 Seiten3 Stunden

Schnippelkunst im Schützengraben: Berthold Reichels Erlebnisse im Ersten Weltkrieg

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Über dieses E-Book

Berthold Reichel hat nicht nur eine Vielzahl an Scherenschnitten, Zeichnungen sowie Liedern und Märchen geschaffen. In seiner Zeit als Soldat im Ersten Weltkrieg führte er Tagebuch und schuf so ein wertvolles Dokument der Zeitgeschichte.
SpracheDeutsch
HerausgeberAnno Stock
Erscheinungsdatum7. Okt. 2019
ISBN9783967247190
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    Buchvorschau

    Schnippelkunst im Schützengraben - Berthold Reichel

    Impressum

    Vorwort / über Berthold Reichel

    Herdecke, 13.09.2019

    Berthold Reichel begleitet mich seit meiner frühesten Kindheit. Meine Mutter saß oft bei mir oder meinen Geschwistern am Bett, um uns Geschichten vorzulesen. Dazu zählten natürlich bekannte Märchen der Gebrüder Grimm oder die fantastischen Abenteuer der Pippi Langstrumpf. Manchmal kam es aber auch vor, dass Mama ein Buch von „Opa selig mit ins Kinderzimmer nahm. Schon früh erfuhr ich, dass der geheimnisvolle Opa nicht „Selig mit Vornamen hieß, sondern Berthold. Und dass es sich um meinen Urgroßvater handelte, den selbst mein Vater und seine Geschwister nicht mehr kennenlernen konnten. Mein Vater ist Jahrgang 1941, sein großer Bruder war kaum älter – und Berthold Reichel verstarb 1936. Wahrscheinlich rührte daher die Formulierung „Opa selig": Eben der Opa, der nicht mehr unter den Lebenden weilte, aber weiterhin ein fester Teil der Familie blieb. Kein Wunder, bei dessen ungeheurer Kreativität und Schaffenskraft, die er in seinem viel zu kurzen Leben unterzubringen wusste.

    Berthold Reichel wurde am 23.08.1881 in Bordesholm geboren und wuchs anschließend in Rendsburg auf. Früh muss er sich für den Beruf des Lehrers entschieden haben, zu dem er in Apenrade (heute dänisch Åbenrå) und Eckernförde ausgebildet wurde. Als solcher arbeitete er kurzzeitig in Prinzenmoor und Neumünster. 1913 kam er dann als Mittelschullehrer für Biologie, Kunst, Musik und Englisch nach Kappeln an der Schlei.

    Als fantasievoller, vielseitig interessierter junger Mann begann er schon früh, Märchen, Geschichten und Gedichte niederzuschreiben. Es gibt auch einige Lieder, deren Melodien und Texte von Berthold Reichel stammen.

    Die Kriegsjahre 1914 bis 1918 war er Soldat. Sein Talent im Anfertigen von Scherenschnitten hatte er wohl schon Jahre vor Kriegsbeginn entdeckt und muss bald schon sehr geschickt darin gewesen sein. Das Schneiden wurde jedenfalls zu einem so wichtigen Hobby, dass er Schere und Papier mit an die Front nach Flandern und Frankreich nahm. Glücklicherweise nutzte er diese Zeit nicht nur für diese kreative Arbeit, sondern fand immer auch Gelegenheiten zur Niederschrift seiner Erlebnisse. Vor allem an der Front in Frankreich entstand so ein sehr eindrucksvolles Zeugnis, das den Krieg aus der Sicht eines Künstlers beschreibt.

    In einer lockeren Umgangssprache, oft durchmischt mit plattdeutschen Elementen, schildert er den Alltag im Krieg. Dabei beschränkt er sich nicht nur auf die Beschreibung der historisch weitgehend bekannten Grausamkeiten. Einige seiner Erlebnisse erinnern fast an eine friedliche Urlaubsreise eines jungen Akademikers, der beinahe freundschaftliche Kontakte zur französischen Bevölkerung sucht. Sicher tragen seine Bildung (zu der auch Sprachkenntnisse in Englisch und Französisch zählen) und ein offenes, freundliches Wesen dazu bei. Außerdem wird immer wieder deutlich, dass die Menschen in ihm eher den Künstler als den Feind (oder zumindest Kriegsgegner) erkennen.

    Als Soldat muss er sich immer wieder den Spott seiner Kameraden gefallen lassen, wenn er Papier und Schere mit in den Schützengraben nimmt. Doch spätestens als er beginnt, in Wartezeiten ebenjene Kameraden zu porträtieren, erweisen sie ihm höchsten Respekt. Doch auch seine Fantasie und Kreativität nimmt er mit in den Krieg, denn weiterhin entstehen hier Scherenschnitte von Natur- und Tiermotiven, Hexen, Nymphen und vielerlei Fabelwesen.

    An dieser Stelle lässt sich eine der vielen Brücken in die heutige Zeit schlagen. Denn der größte Teil dieser Scherenschnittmotive ist von so lebendigem und zeitlos-schönem Charakter, dass er auch gestern erst entstanden sein könnte.

    Nach dem Krieg half ihm sein Talent, das inzwischen erworbene Kappelner Haus abzuzahlen und die Familie zu ernähren. Denn als Mittelschullehrer wurde er nur dürftig bezahlt, also freute er sich über Aufträge als Künstler. Einige Zeitschriften und Verlage ließen ihn Grimms Märchen und Theodor Storms Novellen illustrieren. Im Jahre 1927 erschien mit dem „Hexenkoffer" auch sein erstes Buch, das er mit eigenen Scherenschnitten illustrierte.

    Als er 1936 an den Folgen einer Tuberkulose starb, hinterließ er nicht nur eine junge Familie, sondern auch einen kreativen Schatz, dessen sich die Familie annahm.

    Seine Tochter Agnes, meine Großmutter, betätigte sich als Töpfermeisterin ebenfalls kreativ. Außerdem griff sie selbst gerne zur Schere, um die Motive ihres Vaters nachzuschneiden. Auch war es ihre Idee, einige der schönsten Motive als Postkarte herauszubringen und zu verkaufen.

    In der nächsten Generation ging die Töpferei an ihren Sohn Rüdiger, meinen Onkel, weiter. Mein Vater Gerhard hingegen griff nach dem Tode meiner Großmutter 1992 das „Projekt Scherenschnitt" auf, um es zu erweitern. Gemeinsam mit meiner Mutter überträgt er die Kunst Berthold Reichels (sowie die vieler anderer Scherenschnittkünstler) auf Postkarten, Tischkarten, Tischlaternchen, Geschenkanhänger, Lesezeichen und mittlerweile auch auf die von mir und meiner Lebensgefährtin Joana ersonnenen Schokobanderolen. Meine Mutter Ulrike Saß-Stock ist zudem als Kunsthandwerkerin geschickt darin, die Scherenschnitte zu Sägeschnitten zu machen: Unter ihren Händen entstehen aus Sperrholz schöne Dinge wie Bücherständer, Fotomappen und Weihnachtsdekoration. Die genannten Produkte verkaufen meine Eltern vor allem auf Kunsthandwerker- und Weihnachtsmärkten.

    Inzwischen ist die nächste Generation von Berthold Reichels Erben erwachsen. Meine Cousine Debora Stock betreibt die Kappelner Töpferei noch immer an gleicher Adresse. Da ich mich, quasi als Spätberufener, für den Beruf des freien Texters, Redakteurs und Autors entschieden habe, fühle ich mich dem geistigen Erbe meines Urgroßvaters ebenfalls verbunden. Für mich stehen dabei allerdings nicht die Scherenschnitte, sondern die Märchen und Erzählungen von Berthold Reichel im Mittelpunkt.

    Einen erheblichen Teil der Arbeit zur Realisierung dieses Buches hat meine Schwägerin Dr. Johanna Stock beigetragen, die diese in Papierform vorliegenden Kriegserinnerungen bereits vor einigen Jahren abgetippt und somit digitalisiert hat.

    Nachdem ich die Märchen und Geschichten bereits im Selbstverlag veröffentlicht habe, möchte ich das „schriftliche Erbe" meines Urgroßvaters mit diesen Kriegserinnerungen nun ergänzen. Wirklich komplettieren kann ich es leider nicht, da wohl einige Teile seines Gesamtwerkes im Laufe der vergangenen Jahrzehnte verlorengegangen sind.

    Die Weltkriegserinnerungen halte ich selbst für den spannendsten und wohl auch historisch bedeutsamsten Teil davon.

    Anno Stock

    Arbre von Canny

    Ankunft

    Balll-bubb, balll-bubb-balll balll-bubb bubb. Ich bin doch bloß verwundert, dass hier so viel geschossen wird. Es knallt in einem fort und nach jedem Knall ein kleines dumpfes Geräusch. Das ist der Geschosseinschlag. Nun, solange der nur nicht in mich hineingeht! Aber ein wenig unheimlich ist’s doch, so schwerbepackt durch den düstern Wald zu tapsen immer in der Richtung aus der geschossen wird. Ich meinte immer, im Kriege würde nur geschossen wenn mal ne Schlacht wäre und so, aber dies Schießen an einem ganz gewöhnlichen Junitag, an dem doch an der ganzen Westfront nichts los sein soll! Da stehen wir plötzlich vor einem Graben, aus dem eine hünenhafte Gestalt auftaucht, „der Hauptmann, flüstert der Kamerad, der uns hergeführt hat und gleich darauf sagte er laut: „Ersatz aus der Heimat, Herr Hauptmann!. Der Hauptmann begrüßte uns freundlich.

    Plötzlich ein besonders scharfer Knall, Geräusch knickender Zweige, und dann als ob ein Käfer brummt. Wir sind zusammen gezuckt. Der Hauptmann machte eine beruhigende Geste, er sagt: Das ging von uns links hin, aber nun kommen Sie nur rein in den Graben und ruhen sich ein wenig aus, bis weiter über Sie bestimmt wird.

    Wir klettern hinunter in den Graben und sind im Nu von Kameraden umgeben, die Neues aus Deutschland wissen wollen. Aber wir sind entsetzlich durstig geworden auf dem langen Nachtmarsch, das schwere Gepäck, wir haben unsere ganze Ausrüstung bei uns, hat uns manchen Schweißtropfen ausgequetscht. Wir bitten um etwas zu trinken. Man lädt uns ein, in ein Loch hinein zu kriechen, wozu wir allerdings die Tornister abnehmen müssen. Nun sitzen wir in einer dunklen niedrigen Höhle. „Kickt mal na, is da noch Kaffe".

    Bald entnehmen wir dankbar gefüllte Trinkbecher aus tappenden Händen. Auf einmal Stimmengewirr, Klirren von Waffen, aber auch von Kochgeschirren und Kesseln. Es ist Ablösungszeit, gleichzeitig sind auch Speckerbsen angekommen, von kräftigen Leuten in großen Kesseln auf durchgeschoben Pfählen hergeschleppt. Das ist das Mittagessen. Es pflegt gegen Mitternacht einzutreffen. Bald ist alles emsig am Spachteln, auch wir bekommen etwas ab.

    „Ji harrn man leever tu Hus blievenschullt, dat is nix Genaues hierbuten", knurrt einer.

    Dann kommt Befehl, dass wir nach dem Stützpunkt Alsen sollen... Wir bleiben bald mit dem breitgepackten Tornister stecken, so schmal ist der Graben, durch den wir jetzt dem Waldausgang wieder zustreben. Dort aber klettern wir hinaus und gehen an der Weser entlang. Das ist der Name des gewundenen Laufgrabens, der zu unserem Stützpunkt führt. Es ist Vorschrift, ihn auch nachts zu benutzen, aber fast niemand tuts, denn die dreifache Länge würde dabei herauskommen. Der Stützpunkt erweist sich als ein Gewirr flacher Gräben mit schwachen Deckungen und ein wenig Stacheldraht. Feindwärts ist eine Pappelreihe, davor ein Apfelgarten. Ich komme bei einem anderen Korporal mit unter und bin froh, dass ich endlich meine müden Knochen ausstrecken kann.

    Stützpunkt Alsen

    Tagsüber vertreibe ich mir die Zeit mit Zeichnen und Schnippeln, ich zeichne das Neue, das sich mir aufdrängt: Gräben und Unterstände. Letztere sind teils recht idyllisch, eben unter der Oberfläche. Fliegendeckungen, sie heißen so, entweder weil sich so viele Fliegen darin ansammeln oder weil sie schon zusammenbrechen wenn einmal eine Fliege was darauf macht, bieten nur Deckung gegen Splitter und Infanteriegeschosse. Abends wirds mulmig. Da müssen wir Material in die Waldecke hereinbringen. Bis an den Waldrand wirds auf Loren leise angerollt: Bohlen, Balken, Bretter, Stacheldraht und Eisenstangen. Ich, als Unteroffizier, brauche nur dabei zu stehen, aber das ist besonders eklig, denn es zischen dauernd die langen Kupfergeschosse um uns, und man hat nichts zu tun als Angst zu haben. Eben, vordem ich eintraf, hat ein junger Lehrer einen Querschläger in den Leib bekommen und ist daran gestorben. Könnte man mitarbeiten, würde man die Gefahr nicht so empfinden.

    Das Gewehrfeuer reißt nicht ab, „die feiern dauernd Schützenfest drüben bei Onkel Franz" bemerkt ein Kamerad. Aus der Ferne Grollen der Geschütze und dumpfer Einschlag von Granaten. Dann gellt ein entsetzliches Jammergeschrei, das einem durch Mark und Bein geht. Irgendwo, weiter rechts herüber muss es jemand erwischt haben.

    Im Walde ein Kommen und Gehen der schleppenden Kameraden. Ich habe mich auf einen Baumstamm gesetzt. Plötzlich ein unheimliches Heulen und Rauschen über den Gipfeln, dann ein greller Blitz, ein tobender krachender Donner folgt. Surren, Sausen, Knacken, Splittern und Fauchen. Ich bin vom Stamm herabgeglitten und liege der Länge nach in seinem Schutz. Ich habe das Gefühl, als ob ein furchtbares, reißendes Untier sich tobend in den Waldwinkel geworfen hat, allem Vernichtung bringend. Muss schon sagen, die erste Granate hat mich erschreckt. Und in diesem Wald, in dem solche Biester ihr Wesen treiben, bin ich leichtsinnigerweise gestern über Tag noch spazieren gegangen. Seemann, mein alter Putzer von Schleswig her, der seine Rekrutenausbildung durch mich bekommen und schon eine Verwundung in Russland hinter sich hat, führte mich.

    Der Wald besteht aus schönen jungen Eichen. Sein Grund ist bedeckt mit Farn. Mitten darin fanden wir einen Blindgänger, eine franz. Flügelmine, die ich in aller Seelenruhe skizzierte. Der Waldrand ist stellenweise mit Wänden aus Flechtwerk abgedeckt, so dass die Franzosen nicht hineinsehen können. Der größte Teil desselben aber wird eingenommen durch Schützenstände und Schießscharten. Unsere 4. Komp. hat den Waldrand rechts, die 3.te rechts besetzt. Die Schützenstände sehen aus wie idyllische Lauben, nur dass eine derselben ganz mit Blut bespritzt war, wollte mir nicht gefallen.

    Übrigens in Alsen passt’s mir nicht mehr. Diese Faulenzerei und die stinkigen Gräben, teilweise sind sie sumpfig und unter den Rosten steht eine üble Flüssigkeit. Einmal bin ich immer weiter nach links dem Graben entlang gelaufen, da hörte der Lehm auf und gute, muscheldurchsetzte Kreide bildete die Grabendwand. In diesem Abschnitt waren 86.er. Unter ihnen traf ich Schlüter, den Wirt vom Wassermühlenholz, und unterhielt mich mit ihm.

    Im Arbre de Canny

    Das passte sich gut. Vorn wurde ein Unteroffizier gebraucht. Ich habe mich gemeldet, hier in der Waldecke ist’s doch viel romantischer als in dem langweiligen Stützpunkt. Zwar müssen wir nachts alle 2 Stunden raus und Grabendienst machen, aber das Kameradschaftsleben hier in der vordersten Stellung ist auch schön. Abends sitzen wir oft zusammen, in einem besonders gemütlichen Schützenstand. Da werden dann Geschichten erzählt. Ein alter Schiffer erzählt von seinen Fahrten und der Äquatortaufe. Ein Handwerker berichtet, wie ihn in Bremen eine falsche Liebste zu Gaunereien zu verführen suchte. Er sah sich plötzlich in der Hölle eines Schmierenstehers, während ihr sauberer Bruder ein Fass Mehl im Hafen klaute. Er habe danach selber heimlich seine Logis gewechselt und das Mädel nie wieder gesehen. Ich gebe eines meiner Märchen zum Besten. Alles lauscht gespannt.

    Ich habe mich hoch auf meinen Ausguck gesetzt. Die Front ist mäuschenstill. Selbst der franz. Unteroffiziersposten halblinks hat das Knallen eingestellt. Auf einmal ein furchtbarer Krach. Ich purzele von meinem Sitz herunter. Eine Granate ist in den Wald geflogen, mag auch eine Mine gewesen sein, hat aber keinen Schaden gegeben. Alles lacht, ich habe mich schnell gefasst und lache mit. Die Kameraden wissen, ich bin noch nichts gewohnt und hören bald wieder andächtig zu wie meine Geschichte ausläuft.

    Die Weser

    Die Weser, wie schon erwähnt, ist der Laufgraben zwischen Stützpunkt und vorderer Linie. Er macht uns viel Arbeit und Ärger. Bei nassem Wetter versumpft er und ist an manchen Stellen so wackelig, dass seine Wände mit Flechtwerk gestützt werden müssen. Benützt wird er eigentlich nur von dem Bataillonsführer, Hauptmann Wese, nach dem er auch getauft ist. Wenn der sich bei ruhiger Front mal nach vorne wagt, muss er doch hinkommen können. So wird dauernd an dem Graben gemurkst, und wenn der Gestrenge mit großem Gefolge hindurchkommt, muss man vorschriftsmäßig melden, und mit den Hacken klappern. Alle Hände an der Hosennaht. Wehe dem armen Teufel, dem die Feldmütze nicht gerade sitzt. Da gibt’s mörderlich was reingewürgt. Ein freundliches Wort habe ich nie von dem Manne vernommen. Alles hat Heidenangst vor ihm, und er hat Heidenangst vor den Geschichten. Das ist nur gut, deshalb kommt er nicht oft; aber in Alsen hat [er] einen salonartigen Unterstand, in den er sich die leckersten Torten hinausbringen lässt. „Wenn ich ihm den Kaffe morgens aufs Bett bringe, kommt er mir wie ne olle Schneppe vor" sagte sein Bursche von ihm. Mitunter ist es ganz schön ein wenig an dem Graben herumzuschaufeln, die Leute brauchen sich nicht überanstrengen.

    Hasseldorf, der Hamburger Bierkutscher, erzählt sehr drastisch seine Liebes- und Heiratsgeschichte. Ich habe mich ins hohe Gras der Grabenkante verkrochen. Da habe ich einen wundervollen Ausblick ins herrliche Land. Dicht vor uns die dunkelgrüne Waldecke, weiter hin der endlos erscheinende Saum des „Bois de Loges", den die Franzosen inne haben. Sonst gewelltes Land, dann hin und wieder von Bäumen umgeben, eine zerschossene Ferme. Die unbestellten Felder stehen bunt von rotem Mohn, Kornblumen und Inkarnatklee, dazwischen Kornähren und in Saat geschossene Zuckerrüben, die stark nach Honig duften. Wehe dem, der sich bei Tage dort herumtreiben würde. Die Franzmänner machten mit Shrapnells und Granaten Spatzenschiessen nach ihm.

    Ein paar Kameraden waren auf den Einfall gekommen bei Tage in einem der Fermegärten Äpfel und Birnen zu holen. Da saust-hagelt es, bald vor bald hinter ihnen. Angsterfüllt rennen sie ins Gehöft und verbergen sich im Keller. Ein Volltreffer zerschmettert diesen, und aus ists mit ihnen. Diese Geschichte scheinen die Herren der Telegrafenabteilung nicht zu kennen. Es soll durch die Weser ein Kabel gelegt werden, von der vordersten Linie nach hinten, sie springen in ihren schneidigen Uniformen ahnungslos im Gelände herum. Wir sind mit Spaten hin kommandiert zu helfen. „Wenn dat man got geiht" denke ich eben, und da haben wir den Salat.

    Unheimlich saust und braust es herum. Shrapnells zerplatzen, leichte Granaten schlagen auf die Weserkante. So etwas habe ich noch nicht erlebt. Ich drücke mich tief in den Graben, Erde spritzt auf mich herab. Shrapnell- und Granatsplitter, geles Zischen, Pfeifen und Heulen. Ich bin in tausend Ängsten, will nach hinten rennen. Aber dort ists nicht besser. Von dort kommen Kameraden zu uns gelaufen. Plötzlich lachen und staunen wir. Einer von ihnen hat auf seinem Rücken 4.-5. schwarze Punkte, Flecke von welchen

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