Seewölfe - Piraten der Weltmeere 693: Rache
Von Jan J. Moreno
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Rezensionen für Seewölfe - Piraten der Weltmeere 693
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Buchvorschau
Seewölfe - Piraten der Weltmeere 693 - Jan J. Moreno
zukommt.
1.
Der Ruf des Morgenvogels weckte ihn. Eine Weile lag der junge Khande Rao noch mit geschlossenen Augen auf seinem Lager aus Stroh und lauschte dem melodischen Gesang, bevor er sich erhob und zum Fenster ging. Der Tag war noch jung, die ersten Sonnenstrahlen stiegen soeben jenseits des Dschungels empor.
Dunkel und geheimnisvoll toste der Fluß durch das enge Tal. Er stürzte nur einen kurzen Fußmarsch entfernt in schäumenden Kaskaden über glattgeschliffene Felsen in die Tiefe. Sobald die Sonne in voller Größe über dem Wald stand, würde der Fluß zu einem gleißenden Lichtermeer werden.
Khande Rao stand lange regungslos am Fenster und genoß die kühle, reine Morgenluft. Er sah zu, wie die Dämmerung die Schatten der Nacht verdrängte und die Helligkeit des Tages schließlich Sieger blieb. Aber er wußte auch, daß die Nacht wiederkehren würde. Er hatte gelernt, daß dieser stete Wechsel wie der wohl immerwährende Kampf zwischen Gut und Böse war, zwischen Göttern und Dämonen.
Das Geräusch leiser, schlurfender Schritte schreckte ihn aus seinen Überlegungen. Der alte Raghubir schritt den steinigen Weg vom Ufer herauf, um seine prächtig gedeihenden Blumen zu gießen. Sie verliehen den Terrassen entlang der Böschung einen Hauch unvergänglicher Schönheit.
Khande bewunderte den alten Brahmanen, den schon der Vater seines Vaters gekannt hatte. Der weißhaarige Raghubir schleppte einen prall gefüllten Wasserschlauch, ein Gewicht, das sogar jüngere Männer in die Knie gezwungen hätte.
Als er das Wasser versprüht hatte und wieder zum Fluß zurückwollte, hastete ein Mistträger die ausgetretenen, engen Stufen hinauf. Er balancierte zwei Eimer an einer Spange auf der Schulter und schien helfen zu wollen.
Khande Rao konnte nicht verstehen, was die beiden Männer miteinander sprachen, doch er erkannte, daß der Greis den anderen schroff zurückwies. Der Mistträger indes ließ sich nicht vertreiben.
Raghubir packte zu und wollte den Diener die Stufen hinunterstoßen, doch der war flink und krallte sich in seinem Gewand fest. Zeternd schlug der Alte um sich.
Beide gerieten an den Rand der Terrasse, die schmal und hoch war. Der Morgennebel hatte die geschliffenen Steine glitschig werden lassen. Als Raghubir den Mistträger trat, glitt dieser aus und stürzte in die Tiefe, wo er regungslos liegenblieb.
Der Greis schien selbst erschrocken über sein Tun. Ängstlich blickte er sich um.
Blitzschnell huschte Khande Rao vom Fenster zurück, weil er nicht entdeckt werden wollte. Sein Vater hatte ihn gelehrt, gütig zu sein, nachgiebig und hilfsbereit. Aber nun hatte er gesehen, wie ein Brahmane die Hand gegen einen Diener erhob, um zu töten.
Übelkeit stieg in ihm hoch. Er fror plötzlich, und sein Herz pochte wild in der Brust. Trotzdem beugte er sich wieder vor, weil er sehen wollte, was geschah.
Raghubir war die Stufen hinuntergeeilt. Der Mistträger lag regungslos da, die Beine ausgebreitet und die Arme wie schützend über den Kopf erhoben.
Khande Rao, in seiner kindlichen Neugier, konnte das Gesicht des Alten deutlich erkennen. Der Greis schwitzte. Die Furcht, entdeckt zu werden, spiegelte sich in seinen Zügen. Ohne länger zu zögern, nahm er den Toten bei den Füßen und zerrte ihn den Hang hinunter bis an das Ufer des reißenden Flusses. Dann holte er die Eimer, legte sie neben den Diener und verschwand zwischen den Bäumen.
Khande stand wie versteinert. Unfähig, wirklich zu begreifen, starrte er hinunter auf die Terrasse. Er hatte einen Diener sterben sehen, was gewiß nicht weltbewegend war, aber durch die Hand eines Brahmanen, der im Dorf als heiliger Mann galt. Und dieser „Heilige" schlich wie ein Dieb davon.
Wie konnte jemand dem Guten das Wort reden und zugleich eine solche Tat begehen?
Irgend etwas zerbrach in diesem Moment in ihm. Er trat vom Fenster zurück und ließ sich auf seine Schlafstatt sinken.
Eine flüsternde Stimme redete ihm ein, daß vieles anders war, als er bislang geglaubt hatte. Nicht die Liebe hatte Bestand in dieser Welt – sie war lediglich von kurzer Dauer. Einzig das Böse schien mächtig genug, alles zu überdauern.
Trotz seiner Jugend gelangte er zu der Erkenntnis, daß es besser sei, über das Geschehene zu schweigen.
Die Sonne war inzwischen zwei Handbreiten höher gestiegen. Ihre Strahlen tasteten durch den Raum und ließen den Staub flimmern, als von draußen her Geschrei laut wurde.
„Ein Toter liegt am Fluß!" vernahm der Knabe.
Eine andere Stimme rief: „Er ist ausgeglitten und zu Tode gestürzt!"
Unter Hunderten hätte Khande diese Stimme erkannt. Sie gehörte Raghubir, dem weisen, heiligen Mann.
Noch ehe sich die Sonne dem Abend zuneigte, war ein Scheiterhaufen aus dürrem Reisig aufgeschichtet. Der Leichnam wurde aufgebahrt. Seine Eimer lagen neben ihm und ebenso das Rundholz, das er zum Tragen benutzt hatte.
Vom Fenster aus sah Khande Rao die hoch auflodernden Flammen, und das Herz krampfte sich ihm zusammen.
Etliche Monate vergingen, und der Herbst brachte reiche Ernte. Schwermütig blickte der Knabe den großen Vogelschwärmen nach.
Nicht nur die Abende wurden kürzer, auch die Nebel stiegen wieder vom Fluß auf. Khande fand kaum mehr Ruhe. Immer häufiger vernahm er eine innere Stimme, die ihm die eigene Vergänglichkeit vor Augen führte. Er schreckte nachts schweißgebadet auf und erinnerte sich, vom Tod des Dieners geträumt zu haben. Schlimmer wurde alles noch, weil er mit niemandem darüber sprach – selbst sein Vater hätte ihn nicht verstanden.
Er betete häufiger als sonst am Altar der Hausgottheit der im hinduistischen Glauben lebenden Familie. Sõma, den er verehrte, war seit uralter Zeit der König der Pflanzen und zugleich das Kraut, aus welchem zu Opferzwecken ein Unsterblichkeitstrank gebraut wurde. Bei den Göttern wurde dieser „Nektar" in einem großen Gefäß aufbewahrt – im Mond. Bei der Familie Rao tat es ein mit Wachs versiegelter Tonkrug.
Erstmals spielte Khande mit dem blasphemischen Gedanken, das Siegel ein klein wenig zu beschädigen und etwas von dem Göttertrank auf seine Lippen zu träufeln. Er fürchtete sich unbewußt, auf ähnliche Weise zu sterben wie der Mistträger.
Ausgerechnet an diesem Morgen, nachdem er den Anruf der Hausgottheit beendet hatte und mit sich selbst haderte, schreckte ihn das Geräusch von Schritten auf. Im ersten Moment hätte er nicht zu sagen vermocht, ob das gleichmäßige Knirschen des hellen Kieses nur in seiner Einbildung entstand, oder ob tatsächlich jemand vor dem Haus vorüberging, zögernd, als warte er nur darauf, daß Khande zum Fenster eilte. Doch dann entschied sich Khande, daß da wirklich jemand war. Vielleicht einer seiner Freunde.
Das Fenster, ein mit Tierhaut bespannter Holzrahmen, stand offen. Er hörte nun ganz deutlich, daß sich die Schritte zum Rand jener Terrasse entfernten, auf der der Mistträger sein Leben verloren hatte.
Aufmerksam blickte Khande Rao hinaus.
Aus dem Nebel schienen sich die Umrisse eines Mannes zu verdichten. Zwei Eimer trug er über der Schulter.
Der Knabe wagte kaum zu atmen. Seine Finger verkrallten sich in den Fugen des Mauersimses. Er achtete nicht darauf, daß ihm die rauhen Steine die Haut abschürften.
Endlich, als sich der Fremde flüchtig umwandte, konnte er dessen Gesicht erkennen.
Es war der Mistträger.
Zu Tode erschrocken, ahnte er, daß der Geist des Ermordeten erschien, um sich an dem alten Raghubir zu rächen.
Langsam schritt der Mistträger die glitschigen Stufen hinunter, an denen Ende sich das Haus des Brahmanen an die Felsen duckte.
Nichts hielt den Knaben zurück. Er mußte dem vermeintlichen Geist folgen, ob er wollte oder nicht. Er hatte Angst und versuchte zugleich, sich einzureden, daß nichts von dem wahr war, was er zu sehen glaubte.
Beklemmend legte