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Von der Notwendigkeit des Widerspruchs: Gedanken zur Gesundheit, zur Krankheit, zur Medizin, zu Arzt und Patient
Von der Notwendigkeit des Widerspruchs: Gedanken zur Gesundheit, zur Krankheit, zur Medizin, zu Arzt und Patient
Von der Notwendigkeit des Widerspruchs: Gedanken zur Gesundheit, zur Krankheit, zur Medizin, zu Arzt und Patient
eBook282 Seiten3 Stunden

Von der Notwendigkeit des Widerspruchs: Gedanken zur Gesundheit, zur Krankheit, zur Medizin, zu Arzt und Patient

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Über dieses E-Book

Professor Dr. med. Johannes Horn beleuchtet mit seiner Erfahrung von über 40 Jahren als Arzt und Chirurg das Erscheinungsbild der heutigen Medizin. Am Anfang steht bei ihm die Überzeugung, dass eine christlich geprägte Wertevorstellung Widerspruch einzulegen hat gegen Entwicklungen, die zu einer Entfremdung des Menschen und zu einer Anonymisierung des Patienten geführt haben. Neben den Gedanken zu Gesundheit und Krankheit wird eine Vielzahl von Problemen angesprochen, die den Arzt und den Patienten im Wandel des medizinischen Selbstverständnisses gleichermaßen betreffen.
SpracheDeutsch
HerausgeberKaden Verlag
Erscheinungsdatum22. Sept. 2018
ISBN9783942825740
Von der Notwendigkeit des Widerspruchs: Gedanken zur Gesundheit, zur Krankheit, zur Medizin, zu Arzt und Patient
Autor

Johannes Horn

Johannes Horn, geboren am 23. März 1943 in Wüstegiersdorf bei Waldenburg in Schlesien. Schon während der Schulzeit interessiert er sich für Literatur und Malerei. In dieser Zeit entstehen erste Gedichte. Während seines Medizinstudiums befasst er sich intensiv mit psychologischen und philosophischen Fragestellungen. Es entstehen erste Abhandlungen und essayistische Schriften. Er versteht das Malen und Schreiben nicht als Ausgleich zu seinen beruflichen Ambitionen – er sieht sie als wesentliche Voraussetzung für die Verstehbarkeit des Lebens. Immer wieder beschäftigt er sich mit den Randbereichen der Medizin. So entstehen neben einer Vielzahl von wissenschaftlichen Publikationen umfangreiche Abhandlungen über gesellschaftliche Probleme und ethische Fragen in der Medizin („Alle Zeit der Welt“, „Stille, du bleibende Sprache“, „Der mündige Patient“, „Goethe, der größte Chirurg“). Johannes Horn war von 1987 bis 2008 Chefarzt der Abteilung für Allgemein- und Visceral­chirurgie des Städtischen Krankenhauses München-Harlaching.

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    Buchvorschau

    Von der Notwendigkeit des Widerspruchs - Johannes Horn

    Herfarth

    Vorwort

    Immer wieder beziehen wir uns in Diskussionen und allgemeinen Gesprächsrunden auf das christliche Abendland, nicht selten in Abgrenzung zu anderen Kulturen und zur Betonung eigener Wertvorstellungen. So sehr und gern wir auch dieses Argument ins Feld führen, bleiben doch die Inhalte, die mit einer solchen Feststellung zum Ausdruck kommen sollen, allzu oft verschwommen. So müssen wir uns die Frage stellen, inwieweit wir die vielen alltäglichen Probleme, die politischen, gesellschaftlichen und sozialen, im Bewusstsein christlicher Überzeugung angehen oder ob das christliche Gedankengut nur noch schmückendes Beiwerk ist, gleichsam tradiertes Brauchtum, entweder zu gelegentlichen Vorzeigezwecken oder als Rückzugsmöglichkeit in Zeiten fehlender Lebensperspektiven. So stellt sich die Frage nach der christlichen Lebensgewissheit besonders in schweren Zeiten, in Grenzsituationen, in Situationen existenzieller Not, mit denen uns das Leben konfrontiert: in Zeiten der Krankheit, des Sterbens und des Todes. In solchen Zeiten bedarf es einer gefestigten Lebenseinstellung, bedarf es einer Haltung, die zu einer Antwort auf die sich stellende Sinnfrage bereit und fähig ist. Es scheint eine Eigenschaft des Menschen zu sein, sich mit der Sinnfrage jedes einzelnen Daseins erst dann zu beschäftigen, wenn die Existenz bedroht bzw. in Gefahr geraten, wenn die Fortsetzung der gewohnten Lebensabläufe nicht mehr gewährleistet ist.

    Unabhängig von der Bereitschaft eines jeden Einzelnen, sich in solchen Situationen bei der Klärung der Sinnfrage auf eine christliche Überzeugung zu beziehen, steht außer Frage, dass das abendländische Kulturbewusstsein wesentlich auf christliches Gedankengut zurückzuführen ist und verantwortlich ist für das Menschenbild, welches für unser gesellschaftliches Zusammenleben ent­scheidende Bedeutung hat. Dieses Orientierung gebende, ethisch moralische Grundverständnis der Mitmenschlichkeit droht im alltäglichen Aktionsgebaren überlagert zu werden von einer konformistischen Sach- und Zweckbezogenheit. Der Mensch droht dabei seine Individualität zu verlieren und zur Kalkulationsgröße zu verfremden. Wenn auch eine solche Entwicklung allgemein zu beklagen ist, gewinnt sie doch in der Medizin eine besondere Bedeutung, eben in jenem Bereich, in dem sich der Mensch mit existenziellen Fragen konfrontiert sieht.

    Viele Probleme im Umfeld der Medizin und im Rahmen des Gesundheitswesens ließen sich nach einfachen Regeln menschlicher Vernunft lösen vor allem aus der Sicht des dort tätigen Personals, der Ärzte, der Therapeuten und der Pflegekräfte. Bedauerlicherweise haben berufsfremde Funktionäre die Ägide hinsichtlich Planung und struktureller Programmatik übernommen, so dass organisatorischer Gestaltungswillen mit der Zielsetzung reibungsloser und anonymisierter Funktionsabläufe den geistigen Nährboden verantworteter Mitmenschlichkeit mehr und mehr in den Hintergrund geraten lässt. Vor diesem Hintergrund geht es darum, das Bewusstsein des Arztes, nicht weniger das des Patienten und im Weitesten das der Funktionäre und Betreiber zu schärfen und auf die wesentlichen Grundbedingungen medizinischer Verantwortung zurückzuführen.

    In allem Denken und Handeln ist der Mensch abhängig von seiner Gesinnung, von seinem Bewusstsein, aus dem sich der Wille formt und schließlich das Gedachte zur Gestalt werden lässt. So bedarf es einer Orientierung, eines Standpunktes, will man ein Bild nicht nur wahrnehmen und in seinen Zusammenhängen verstehen, sondern versuchen, Einfluss zu nehmen und an der Gestaltung mitzuwirken. Bevor man also über Menschen redet, über ihre Aufgaben und Pflichten, über Verantwortung und über ihr zwischenmenschliches Verhalten, ist es ratsam, sich über das Mensch-Sein schlechthin Klarheit zu verschaffen, über das Wesen und die Bedeutung des Menschen. Nicht zuletzt aus diesem Grund soll in einem ersten Kapitel die Position des Menschen beleuchtet und, aufbauend auf seine Möglichkeiten und seine Bestimmung, der Lebensbezug verdeutlicht werden. Aufbauend auf dieses Bewusstsein wird in den folgenden Kapiteln auf die heutigen Probleme der Medizin eingegangen. Jedes Kapitel ist in sich abgeschlossen und ermöglicht ein jeweils eigenes Verstehen. So erklären sich gelegentliche inhaltliche Wiederholungen, die jedoch dem Verständnis im Ganzen durchaus förderlich sein können.

    Vom freien Willen des Menschen

    Hat der Mensch die Möglichkeit, sich frei zu entscheiden oder ist der Welten Lauf, ist jedes einzelne Geschehen und jede Entscheidung des Menschen geplant, programmiert und vorbestimmt? Ist es dem Menschen möglich, auf die Geschehnisse des Alltäglichen mit seinem Willen auf der Basis seines ethisch-moralischen Bewusstseins Einfluss zu nehmen und sich gegen die Automatismen zeittypischer Entwicklungen zu behaupten?

    Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde. »Und Gott der Herr nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden. Und Gott der Herr sprach: Du sollst essen von allerlei Bäumen im Garten, aber von dem Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen sollst du nicht essen, denn welchen Tages du davon issest, wirst du des Todes sterben.« Später dann, als Adam vom Baum der Erkenntnis gegessen hatte, sprach Gott der Herr: »Siehe Adam ist geworden wie unsereiner und weiß, was gut und böse ist. Nun aber, dass er nicht ausstrecke seine Hand und breche auch vom Baum des Lebens und esse und lebe ewiglich! Da wies ihn Gott der Herr aus dem Garten Eden.«

    Der heutige Mensch liest den Schöpfungsbericht mit wissenschaftlich geschultem Intellekt und vermag sich kaum noch in frühere Sprach- und Kommunikationskulturen einzudenken. Entweder lehnt er mit seinem kritischen Verstand den ihm märchenhaft erscheinenden Inhalt ab oder er übernimmt ihn blind, ihn buchstabengetreu lesend und »glaubend« gegen jede wissenschaftliche Kritik. In beiden Fällen geht die eigentliche Information verloren. Halten wir fest: Der Mensch weiß zwischen gut und böse zu unterscheiden, nachdem er die ihm gegebene Freiheit dazu nutzte, vom Baum der Erkenntnis zu essen. Der Mensch hat ein Bewusstsein für das Gute und das Böse; Gott sagt: »er ist wie unsereiner …«. Er kann sich entscheiden: Entweder sich an Gottes Gebote zu halten oder ihnen zuwider zu handeln.

    Die Geschichte des Menschen zeigt, dass er zu beidem befähigt ist. Gott schuf die Welt, das Leben und schließlich den Menschen. Und Gott sah, »dass alles sehr gut war«. Dem Menschen gab er das Gebot, nicht vom Baum der Erkenntnis zu essen. Ein Gebot zu geben macht nur einen Sinn, wenn es die Möglichkeit beinhaltet, befolgt oder missachtet zu werden. Mit dem Gebot gab er die Freiheit und damit die Möglichkeit zur freien Entscheidung. Die Beweggründe des Adam, trotz des Gebotes vom Baum der Erkenntnis zu essen, sind zunächst von untergeordneter Bedeutung; er hat sich für diesen Schritt entschieden. Entscheidend ist, dass er die Freiheit der Entscheidung hatte. Diese Entscheidung machte ihm bewusst, was es bedeutet, ein Gebot zu befolgen oder es zu ignorieren. Er hat ein Bewusstsein von gut und böse.

    Die Sonderstellung des Menschen in der Schöpfung Gottes zeigt sich in der Freiheit, zu der ihn Gott ermächtigt hat. Diese Freiheit schafft jedoch die Voraussetzung, sich verführen zu lassen; sie ermöglicht, dem Gebot Folge zu leisten oder sich denkend und handelnd gegen die Schöpfung, gegen das Leben, gegen die eigene Herkunft zu entscheiden. Die gegebene Freiheit schafft somit ein Potential an gegen die Schöpfung gerichteten Kräften; es sind Kräfte, die im Stande sind, dem Schöpfungsprozess entgegen zu wirken, ihn zu stören, ihn zu verletzen. Für die Schöpfung ist der Mensch ein Risiko; mit der ihm gegebenen Freiheit vermag er der Schöpfung zu schaden. »Da wies ihn Gott der Herr aus dem Garten Eden.«

    Bemerkenswert ist, dass Gott nicht die Konsequenz zieht, dem Menschen die Freiheit zu nehmen. Er zeigt dem Menschen in ganz anderer Weise die Grenzen auf, indem er ihn sterblich macht und auf diese Weise seine Handlungsmöglichkeiten zeitlich beschneidet. (»Damit er das Feld baue, von dem er genommen ist.«) Bereits im anfangs gegebenen Gebot, nicht vom Baum der Erkenntnis zu essen, war die Konsequenz, sterblich zu werden, enthalten (»denn welchen Tages du davon issest, wirst du des Todes sterben.«). Adam entschied sich dennoch zu diesem Schritt. Es wird ausdrücklich betont, dass Gott auch weiterhin an der Sonderstellung des Menschen festhält, dass er das Sonderrecht der Freiheit und des freien Willens respektiert (»siehe, Adam ist geworden wie unsereiner und weiß was gut ist und böse.«). Diese Feststellung trifft er, nachdem Adam vom Baum der Erkenntnis gegessen hatte. Gott beschneidet den Menschen nicht in seiner Freiheit, er stuft ihn nicht zurück auf die Ebene eines programmierten Instinktwesens. Gott bleibt seiner Schöpfungsidee treu.

    Mag sein, dass diese Zusammenhänge des Schöpfungsberichtes nicht sogleich ins Auge springen, zumal die am Anfang der Bibel stehenden Ausführungen allzu oft für einen prähistorischen, göttlich sanktionierten Tatsachenbericht gehalten werden. Der Glaube an den Buchstaben hindert am Verstehen der Inhalte. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit diesem Text führt ebenso wenig weiter wie die naive Buchstabengläubigkeit. Für beides gilt, dass vermeintliche Richtigkeiten am Erkennen der Wahrheit hindern. Es muss einleuchten, dass es dem Verfasser der Schöpfungsgeschichte darum ging, das Wesen des Menschen im Kontext von Schöpfer und Schöpfung zu erarbeiten (»Gott schuf …«)

    Unvergleichlich, beispielhaft und allgemeingültig wird die Beziehung zwischen Gott und dem Menschen in allegorischen Bildern dargestellt. Jeder Mensch ist Adam! (Adam bedeutet »Erde«). Jeder Mensch ist zu jeder Zeit verführbar! Einem jeden Menschen ist der freie Wille und damit die Freiheit zur Entscheidung gegeben! Jeder Mensch weiß, was gut und böse ist! Jeder Mensch ist sterblich! Zu jedem Menschen sagt Gott: »er ist wie unsereiner!« Das Böse aber zeigt sich im Bestreben des Menschen, der eigenen Position, den eigenen Interessen vor dem Anliegen der Schöpfung Vorrang einzuräumen. Das Leben erfährt unter dieser Prämisse eine andere, eine neue Bewertung. Die eigenen Interessen relativieren bzw. entwerten das Lebensrecht Anderer. Gerade darin zeigt sich die Zuwiderhandlung gegen Gottes Schöpfungswillen.

    Wie verfährt der Mensch mit dem Vermächtnis der Freiheit vor dem Hintergrund seines Wissens von gut und böse? Eindrucksvoll und erschreckend zugleich zeigt die Geschichte des Menschen bis zum heutigen Tag, dass der Mensch zu beidem fähig ist, zum Guten wie zum Bösen. Das Böse zeigt sich in der Herabsetzung des Anderen, in Demütigung und Diffamierung, in Ausgrenzung, Vernichtung und Tötung. Wer den freien Willen des Menschen in Frage stellt, leugnet die Menschheitsgeschichte. Die Geschichte des Menschen offenbart jedoch noch ein anderes: Während sich der Mensch durchaus mit seinen Entscheidungen für das Gute zu identifizieren versteht, sucht er Erklärungen und Ausflüchte, die es ihm erlauben, vom Bösen seines Denkens und Handelns Abstand zu gewinnen. Es ist ein Bedürfnis des Menschen, sich, wie Pilatus, die Hände in Unschuld zu waschen. Er versucht, sich aus dem Spannungsfeld von Gut und Böse zu befreien.

    Wenn es um das Gute geht, weiß er sich mit Gott verbunden; für das Böse allerdings fehlt ihm der Gegenpart. Er findet (erfindet) ihn und nennt ihn Antichrist, Satan oder Teufel. Jetzt ist er es, der Mensch, nicht mehr, der Böses tut; es ist der Teufel, der ihn dazu antreibt, der ihn verführt. Der Mensch verlagert seinen Konflikt, den er mit der Freiheit hat, auf eine »höhere« Ebene. Er teilt die Welt auf in Himmel und Hölle. Der Mensch ist der Schwache, der im Widerstreit von Himmel und Hölle zum Opfer wird. Der Teufel wird dem Menschen zur diesseitigen Entlastung, zum Schuldigen, die Hölle zur Bedrohung aus dem Jenseits. Der Exorzismus folgt der widersinnigen Vorstellung, dass es Aufgabe und Pflicht ist, den Menschen von den »bösen Geistern« zu befreien. Der Mensch projiziert sein moralisches Profil auf eine Ebene jenseits seiner Freiheit; dabei gebraucht er den Teufel und missbraucht Gott. Warum kann der Mensch in Ausch­witz ausrufen: »Wo warst Du, Gott?« Es ist der Mensch, der zur Hölle auf Erden fähig ist! Wie oft kann man die Meinung hören: »Ich kann nicht an einen Gott glauben, der Auschwitz zugelassen hat.« Insgeheim, erwartet wohl der Mensch, dass Gott ihn in seiner Freiheit beschneide.

    Der Mensch tut alles, um seine Freiheit abzugeben, er will sie nicht! Es ist einfacher und bequemer, ohne Freiheit zu leben, sich nicht festlegen zu müssen, sich nicht zu exponieren und denkend und handelnd einzutauchen in die Strömungen der Zeit. Der Mensch strebt nach einer ganz anderen Art von »Freiheit«; er sucht die Ungebundenheit, er sucht das Frei-Sein von Entscheidungsnotwendigkeit, von Pflicht und Verantwortung; er sucht Freizügigkeit und damit den Freiraum zur Selbstverwirklichung. Die Freiheit aber, die von ihm eine Stellungnahme zu gut und böse abverlangt, die eine Antwort gibt auf das Vermächtnis des freien Willens, die versucht er von sich fern zu halten.

    Und Gott gab dem Menschen die Freiheit und der Mensch schrie: »Gott, warum strafst du mich?!« Die Freiheit der Entscheidung, die notwendig macht, eine Position zu beziehen, sich entweder in das Schöpfungsgeschehen einzubeziehen, in dem Sein Wille geschieht, oder sich willentlich gegen die Schöpfung zu stellen und seine eigenen Vorstellungen zur Geltung zu bringen, diese eigentliche und wahre Freiheit lehnt er ab. Der Mensch tut alles, um sich ihrer zu entledigen. Selbst die Wissenschaft leistet dabei ihren Beitrag. Die moderne Hirnforschung glaubt die Lokalisation von »Gott« im Gehirn gefunden zu haben, eben die Zentren, die für die Gottesprojektion und für die Steuerung seines moralischen Verhaltens verantwortlich sind. So weiß er sich gesteuert und im eigentlichen Sinn nicht schuldig zu sein. Mit allen Mitteln sucht der Mensch seine »Freiheit« an der göttlichen Freiheit vorbei.

    Offensichtlich bezieht der Mensch die Frage nach dem freien Willen ausschließlich auf seine Person. Er will alles in seinem Dasein in völliger Unabhängigkeit entscheiden können. Immer häufiger wird die Meinung vertreten, dass er auch über sein Leben entscheiden könne. Die Voraussetzung zur Klärung dieser Frage kann jedoch nicht die völlige Unabhängigkeit sein, weil es sie de facto nicht gibt. Der Mensch ist Teil eines »Systems« (das Leben, die Schöpfung), aus dem er sich nicht selbst entlassen kann. Der Mensch kann entscheiden, ob er Kaffee trinkt oder Tee, ob er Urlaub macht oder nicht, ob er seinen Garten pflegt oder ihn verwildern lässt, ob er seinem Mitmenschen zur Seite steht oder ob er ihn demütigt, ausgrenzt, diffamiert und missachtet; er kann aber nicht entscheiden, wer sein Vater und seine Mutter sein soll, ob er durch die Geburt Teil dieses »Systems« wird oder ob er, vom »System« der Schöpfung unabhängig, sein Leben als frei und ungebunden beansprucht.

    Schon im sozialen und gesellschaftlichen Zusammenleben wird dem Menschen bewusst, dass er nicht unabhängig agieren und entscheiden kann. In seinem Denken und Handeln stößt er an die Grenzen des Gemeinwohls. Dabei wird deutlich, dass ihm das Wissen von Gut und Böse in jedem Augenblick seines Tuns seine Abhängigkeit nicht weniger aber seine Verantwortung vor Augen führt.

    Dem Menschen ist das Leben gegeben; er hat es nicht aus sich selbst. Die Bedingungen, die das Leben vorgibt, kann der Mensch nutzen, sein Dasein zu pflegen und zu gestalten; er kann sich ihnen jedoch nicht entziehen. In dem Augenblick, in dem er das will, in dem er seinen Eigenwillen gegen den Willen des Lebens, der Schöpfung stellt, entfernt er sich von der Schöpfung, entfernt er sich von Gott. Die Konsequenz ist, dass er die Last seines Daseins allein zu tragen hat. (»Verflucht sei der Acker um deinetwillen; mit Kummer sollst du dich darauf nähren dein Leben lang.«) Weil der Mensch die Bedingungen, die das Leben vorgibt (Unfall, Krankheit, Tod), nicht ändern kann, fällt es ihm schwer, sie zu akzeptieren. Versucht er es dennoch, dann läuft er Gefahr, an diesen Unausweichlichkeiten zu zerbrechen. Der Eigenwille führt zwangsläufig in die Vereinsamung.

    Der Mensch vergisst, dass die Schöpfung Eigentum Gottes ist (»Er kam in sein Eigentum; und die Seinen nahmen ihn nicht auf.«) Er vergisst, dass er in dieser Schöpfung seinen Platz hat, dass für ihn gesorgt, dass er gehalten ist (»Sehet die Vögel unter dem Himmel …«), dass schließlich in dieser Schöpfung sein Lebenssinn enthalten ist. Außerhalb der Schöpfung gewinnen die Maßstäbe, die Vorstellungen und Wünsche des Menschen an Bedeutung, sie werden vorrangig. Die Maßstäbe des Menschen orientieren sich an den Koordinaten des Vergänglichen, von Raum und Zeit. Der Mensch will lange und unbeschwert leben, er weiß mit dem Schicksal nicht umzugehen, er will über Raum und Zeit selbst verfügen.

    Die einzige Frage, die sich mit dem heute immer mehr in den Vordergrund drängenden Problem des freien Willens stellt, zielt auf die Entscheidung: Den Schwerpunkt zu suchen in oder außerhalb der Schöpfung; Pflege ausschließlich des individuellen Daseins oder Pflege des Lebens; ich oder Gott; Eigenwille oder »Dein Wille geschehe«.

    Freiheit ist ein zentraler Begriff der menschlichen Existenz. Nie wurde er in seiner ganzen Tragweite besser beschrieben als im biblischen Schöpfungsbericht. Es ist der Mensch, der mit seiner Entscheidung und seinem freien Willen sein »Schicksal« selbst herbeiführt. Er kann entscheiden, ob er sein Dasein in die Hände seines Schöpfers legt oder ob er sein Vaterhaus verlässt und nach Selbstverwirklichung trachtet. Die heutigen Diskussionen über die Freiheit und über den freien Willen erschöpfen sich in dem Versuch, der Selbstverwirklichung zu frönen und sie ins Grenzenlose zu weiten. Zugleich aber will sich der Mensch der Verantwortung entziehen, die aus der wahren Freiheit resultiert.

    Die häufig empfundene Sinnlosigkeit angesichts der irregeleiteten Geschehnisse in der Welt, nicht weniger aber angesichts persönlicher Schicksalsschläge und einer immer wieder zu beobachtenden Rat- und Hilflosigkeit angesichts unerwarteter Grenzerfahrungen von Krankheit, Sterben und Tod, wird in der Vergegenwärtigung eines christlichen Lebensverständnisses, welches allumfassend die Zusage an das Leben beinhaltet, von der Letztgültigkeit eines übergeordneten Sinngefüges aufgefangen werden. Aus der wahren Freiheit resultiert jene Verantwortung, die nicht zuletzt in der Medizin vorbildhaft und sinnerfüllend zu ihrer eigenen Bedeutung finden muss. Freiheit ist Tätig-Sein in der Verantwortung gegenüber dem Leben. Der Mensch verfügt über den freien Willen, sich zu entscheiden.

    Die Konsequenz aus der gegebenen Freiheit ist die Verantwortung dem Leben und dem Mitmenschen gegenüber. Auch und gerade in der Medizin bewahrheitet sich die Unmittelbarkeit des zwischenmenschlichen Agierens. Dieser Aspekt der Mitmenschlichkeit und des humanen Gestaltungswillens darf nicht verlorengehen. Es darf nicht an ein System bürokratischer Selbsterfüllung abgetreten werden. Jeder einzelne, in der Medizin Tätige trägt eine Mitverantwortung für die Gewähr­leistung einer humanitären Medizinpraxis.

    Wesen und Bedeutung der Krankheit

    Es ist charakteristisch für die heutige, vom wissenschaftlichen Denken geprägte Zeit, dass der Einstieg in ein Thema mit dem Versuch beginnt, eine treffende Definition des im Mittelpunkt stehenden Begriffes zu geben. Es sollen jedoch nicht die Krankheit bzw. die Krankheiten aus der Sicht der medizinischen Fachlichkeit erörtert werden, vielmehr soll uns im Folgenden das Krank-Sein als subjektive Erfahrung des Menschen beschäftigen. Ausgangspunkt ist ein Zustand, der durch das Fehlen irgendwelcher körperlicher oder psychischer Einschränkungen an sich nicht wahrgenommen wird. Gesundheit ist ein nicht bewusst werdender Zustand. Er ist deshalb selbstverständlich, weil er sich aus sich selbst heraus versteht, weil er da ist, präsent, gegenwärtig, verfügbar. Verfügbar ist er, weil er uns zur Verfügung steht für alles, was im Außen zu tun und zu verrichten ist. Trotz seiner Abhängigkeit von Schlaf, Ernährung und sozialer Eingebundenheit erweist sich dieser Zustand als äußerst stabil. Lange Zeit vermag der Mensch auftretende Defizite zu kompensieren, auch dies, ohne dass es ihm bewusst würde und ohne dass sich daraus zwangsläufig schwer wiegende Folgen ergeben müssten. Soweit also die ersten Feststellungen: Gesundheit ist ein Zustand, der nicht bewusst wird, ein Zustand, der a priori gegeben ist und ein Zustand großer Stabilität, mit weitreichenden Kompensationsmöglichkeiten. Gesundheit ist Ausdruck und Beleg dafür, dass das Leben geschenktes Leben ist.

    Nachdem Gesundheit, solange sie gegeben ist, nicht ins Bewusstsein tritt, wird sie kaum oder gar nicht auf ihr Zustandekommen hin reflektiert. Gerade aus der Erfahrung des Kindesalters wissen wir, dass jedem Menschen mit seinem Eintreten in die Welt eine ihm eigene Lebensausstattung zur Verfügung steht. Das Kind nimmt die Außenwelt, nicht aber sich selbst wahr; es hinterfragt seine Lebensausstattung nicht, unabhängig davon, wie sie sich aus der Sicht des Erwachsenen, das heißt von außen darstellt. Einen evtl. bestehenden Mangel stellt das Kind nicht fest, auch wenn er de facto gegeben sein sollte. Das Kind folgt demnach ausschließlich seinem inneren Drang, der ihm sagt: Lebe! Nach seiner Gesundheit befragt,

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