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Gemeinsam das Leben gestalten: Freie Vereinbarungen in zwischenmenschlichen Beziehungen
Gemeinsam das Leben gestalten: Freie Vereinbarungen in zwischenmenschlichen Beziehungen
Gemeinsam das Leben gestalten: Freie Vereinbarungen in zwischenmenschlichen Beziehungen
eBook238 Seiten2 Stunden

Gemeinsam das Leben gestalten: Freie Vereinbarungen in zwischenmenschlichen Beziehungen

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Über dieses E-Book

Seit jeher haben sich Denker damit befasst, wie Menschen ihr Leben selbstbestimmt gestalten können. Freiheitsbewegungen gegen Willkür und Unterdrückung prägen die Geschichte der Völker.
Es scheint in der Natur des Menschen verankert zu sein, freiheitlich denken und handeln zu wollen. Besonders der Tiefenpsychologie, aber auch verwandter Wissenschaften verdanken wir Erkenntnisse, die uns einen Weg zur Mündigkeit und zu einem ausgewogenen Zusammenleben führen.
Das Buch zeigt an psychologisch orientierten Pädagogen, Psychologen, Philosophen und Schriftstellern sowie an Praxisbeispielen auf, wie versucht wurde, einen Weg zu einem gemeinschaftlich verträglichen Zusammenleben zu finden. Die Frage nach einem Leben in Frieden und Freiheit kann nur beantwortet werden, wenn wir uns ein Menschenbild erarbeiten, welches auf dem Boden wissenschaftlicher Erkenntnisse steht.
Die Übel und Irrtümer der Menschheit wie Krieg, Unterdrückung, soziale Ungerechtigkeiten, Umweltzerstörung und Raubtiermentalität können und müssen korrigiert werden, wenn wir überleben wollen.
SpracheDeutsch
HerausgeberVta-Verlag
Erscheinungsdatum16. Okt. 2020
ISBN9783946130307
Gemeinsam das Leben gestalten: Freie Vereinbarungen in zwischenmenschlichen Beziehungen
Autor

Grete J. Adrian

Grete J. Adrian, Diplom-Psychologin, Beraterin, Lehrbeauftragte für Jugend und Umwelt des Schweizer Antons Zürich, Spielgruppenleiterin und Leiterin von psychologischen Eltern- und Gesprächsgruppen

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    Buchvorschau

    Gemeinsam das Leben gestalten - Grete J. Adrian

    Inhalt

    Zum Geleit

    Selbstbestimmtes Leben

    Freiheit und Mitmenschlichkeit

    Die Psyche als Forschungsobjekt

    Der Freiheitsbegriff in der Geschichte

    Freie Entscheidung und Persönlichkeitsentfaltung

    Die Kritik der Willensfreiheit bei Friedrich Nietzsche

    Welche Werte gelten noch in unserer modernen Gesellschaft?

    August Aichhorn und seine Arbeit mit Verwahrlosten

    Das pädagogisch-psychologische Grundkonzept von Aichhorn

    Zur Erziehung Unsozialer

    Das Erziehungsheim Oberhollabrunn

    Die Schulung von Erziehern

    Freiheit beim Lernen

    Psychologisches Gespräch an einem Mittwoch

    Transkriptionsausschnitt: Beziehungsstörung

    Max Stirners Begriff der Eigenständigkeit

    Paul Reiwald: Gesellschaft und Verbrechen

    Den Menschen verstehen lernen

    Freiheitliche Bestrebungen in der Partnerschaft

    Geschichte

    Die Geschlechterrolle

    Partnerwahl

    Sprache

    Psychologie

    Liebe, Erotik und Sexualität

    Henrik Ibsen: Nora

    Zum Inhalt

    Biographisches

    Bildung als Träger eines geglückten Zusammenlebens

    Emotionen, Gefühle und Affekte

    Hass als Vorurteil

    Die Entscheidungsfreiheit bei Jean-Paul Sartre

    Die Kindheit eines Chefs

    Exploration

    Einige Daten aus Sartres Kindheit

    Sartre und Lucien

    Sartres Freiheitsbegriff

    Sartre im Blickwinkel seiner Kritiker

    Albert Camus und die Freiheit im Dienst der Revolte

    Das Bemühen um Freiheit

    Erasmus von Rotterdam (1466-1536)

    Michel de Montaigne (1533-1592)

    Arthur Schopenhauer (1788-1860)

    Martha Nussbaum

    Verbunden-Sein

    Literatur

    Danksagung

    Über dieses Buch

    Weitere Bücher von den Autoren

    Zum Geleit

    Menschen sind künstlerisch und schöpferisch. Auch freie Arbeit ist ohne Kreativität nicht denkbar und Kunst ist der Ausdruck von individueller Lebensgestaltung. Malerei, Bildhauerei, Literatur, Musik, Tanz bedeutet Vervollkommnung und Schönheit. Kunst ist der Anstoss für ein menschenwürdiges Leben, bei dem das Humane schrittweise verwirklicht werden kann. Echtheit, Offenheit und innere Freiheit äussern sich in der Kunst mit sinnlicher Klarheit. Psychologische Wissenschaft und Kunst vereint, dass sie beide die Tiefe der Seele beleuchten. „Und meine Seele spannte weit ihre Flügel aus", schreibt Eichendorff in einem Gedicht, um den Eindruck von einem Gefühl der unerschöpflichen Grösse allen menschlichen Erlebens zu vermitteln. Die kunstvolle Lebensgestaltung ist etwas Vortreffliches, die aber nicht leicht zu haben ist.

    Grete und Friedhelm Adrian

    Selbstbestimmtes Leben

    Menschen haben sich seit jeher darüber Gedanken gemacht, in welchem Umfang Freiheit für das Individuum gelten kann. Menschen sind Gemeinschaftswesen und aufeinander bezogen. Was wiegt mehr, die Bedürfnisse des Individuums oder die der Gemeinschaft? Bestimmt das Sein das Bewusstsein oder ist es umgekehrt? Oder gelingt es uns, eine Brücke in dieser Frage zu bauen? Welche Voraussetzungen müssen gegeben sein, um eine möglichst grosse Entfaltung des Individuums zu gewährleisten? Alle beweglichen Systeme der Natur sind auf Erhalt und Zweckmässigkeit ausgerichtet.¹ Unzweckmässiges entspricht nicht dem Leben und geht zugrunde. In der Forschung können wir mit dem Prinzip als ob, der Erkenntnistheorie von Hans Vaihinger,² der Wahrheit näherkommen. Vaihinger ging davon aus, dass die Meinungen gewöhnlich mit Irrtümern behaftet und widersprüchlich sind. Jeder nimmt jedoch an, dass diese stimmen, als ob sie der Wahrheit entsprechen. Bei der Anwendung zeigt sich dann aber Erfolg oder Misserfolg, und so gelangen wir zu neuem Wissen.

    Ohne Bios keine Psyche, dieser Zusammenhang ist eindeutig! Diese Voraussetzung wird nicht immer berücksichtigt, wenn es um die Frage geht, wie wir diese Verschmelzung von Psyche und Bios sehen sollen. Am ehesten erkennt man diesen Zusammenhang bei somatischen Erkrankungen, deren Ursache im Psychischen vermutet wird. Aber auch umgekehrt können körperliche Erkrankungen auf die Psyche einen erheblich negativen Einfluss ausüben. Eine weitere Überlegung muss uns auch auffallen, den der Zweckmässigkeit, die allem Leben eigen ist. in wie weit spielt diese eine Rolle im psychischen Bereich?

    Die Anpassungsfähigkeit an die Gegebenheiten der Natur ist für jedes Lebewesen Bedingung, sie bedeutet die Erhaltung der Art. Im psychischen Bereich ist diese Eigenart ebenso auffällig und es gilt als Faktum, dass jedes Individuum sich am besten entfalten kann, welches die Umgebung im Sinne des Gemeinwohls in seine Entscheidungen einbezieht.

    Wie können wir aus diesem Zusammenwirken zu realen Resultaten kommen? Was wir in der Biologie als eine fortgesetzte Umbildung erkennen, indem die Gattung Mensch bei Einflüssen von aussen durch langsame Abänderung erhalten bleibt, gilt in gewisser Weise auch für die geistige Entwicklung. Durch den Prozess der Erziehung, alle anderen Einflüsse von aussen und die Nachahmungsfähigkeit des Kindes kommt geistige Entwicklung und Bildung zustande.

    Vielleicht kann auch von einem Gleichgewicht gesprochen werden, welches zwischen Mensch und Umwelt herrschen muss, wenn das Ganze sich erhalten will. Das setzt eine gewisse Beweglichkeit voraus, wenn der Lebensprozess als Ganzes funktionieren soll.

    Wann ist ein Mensch frei? Gibt es gute Vorbilder? Wo stossen wir auf Widerstände: in uns, ausserhalb von uns oder beides? Sind wir in der Lage, unser Leben selbst zu bestimmen? Müssen wir nicht ständig auf andere Rücksicht nehmen? Wie gross sind die Einflüsse von Kindheit an, die uns einschränken und welcher Art sind diese? Bleibt da noch Raum für uns selbst? Es dürfte einleuchten, dass es eine rasche Antwort auf all diese Fragen nicht geben kann.

    Vermutlich kommt die Bedeutung des Wortes „frei" aus dem Indogermanischen, wo Frei-Sein mit Gleichberechtigung in einer Gemeinschaft aufgefasst wurde, die in friedlichem Miteinander lebte und diesen Zustand nach aussen verteidigte.

    Der aufmerksame Beobachter findet mannigfaltige Beispiele bei uns Menschen, wo Freiheitsbestrebungen zum Ausdruck kommen. Von Kindheit an will der Mensch selbst entscheiden, so z. B. können wir das schon bei ganz kleinen Kindern erleben, wenn die Mutter ihr Kleines in den Kinderwagen setzen will und das Kind sich sträubt und schreit. Ob sich ein Kind führen lässt, dazu braucht es allerdings Eltern, die die Bildsamkeit durch einen sorgfältigen Umgang mit dem Kind pflegen können. Viele scheitern dabei, und die Kinder entwickeln früh einen Schutzpanzer und Abwehrmechanismen, sie halten sich die Welt vom Leib und sind schwer zugänglich für Bildung.

    Alle Lebensumstände lassen zudem erkennen, dass jeder versucht, sein Leben so zu gestalten, wie es ihm von seiner Warte aus als passend erscheint. Wird er daran gehindert, dann fühlt er sich unwohl und sucht nach Auswegen.

    Freiheit im Denken und Handeln scheint eine Voraussetzung für seelische Gesundheit zu sein und somit zum menschlichen Wesen zu gehören. Erich Fromm³ macht einen Unterschied zwischen der Freiheit von etwas und der Freiheit zu etwas. Freiheit von etwas (negative Freiheit) zu gewinnen ist noch keine Freiheit zu (positive Freiheit) einer neuen und sinnvollen Möglichkeit im Leben des Einzelnen. Man kann sich z. B. von dem Zwang des Alkoholmissbrauchs befreien, steht aber dann vor der Aufgabe, einen neuen Sinn für das eigene Leben zu suchen (z. B. eine nützliche Tätigkeit), und das wäre dann eine Eigenleistung.

    Als Fluchtmechanismen aus der Freiheit nennt Fromm:

    Die Flucht ins Autoritäre

    Die Flucht ins Destruktive

    Die Flucht ins Konformistische.

    Als äussere Freiheit gilt alles, was sich im zwischenmenschlichen und gesellschaftlichen Bereich abspielt. Innere Freiheit ist ein Zustand, der es einem Menschen ermöglicht, seine natürlichen Anlagen und Vorstellungen zu nutzen.

    Der Weg zu dieser inneren Freiheit sowie zu einem Handeln in Sinne des Gemeinwohls führt vor allem über die Erziehung und Bildung zum Ziel.

    In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage nach dem freien Willen. Sigmund Freud, der Entdecker des Unbewussten, plädierte für einen konsequenten Determinismus, nach ihm ist der Mensch unfrei und gezwungen, alle guten wie schlechten Verhaltensweisen zu wiederholen. Alfred Adler sah das anders; er war der Ansicht, dass besonders Kinder in den ersten Lebensjahren noch nicht in ihrem Tun festgelegt sind und aufgrund ihrer Interpretationsfreiheit bei den erlebten Lebenssituationen einen gewissen Spielraum haben, der allerdings später bei der Festigung des Charakters verloren geht.

    Beide Anschauungen haben einen wahren Hintergrund, besonders wenn wir die charakterlichen Fehlentwicklungen in Rechnung stellen. Man kann immer wieder beobachten, dass die eingeschliffene Spur, das was wir Charakter nennen, befahren wird. Wenn ein Mensch misstrauisch ist, dann wird diese Art der Betrachtung in allen Lebenslagen eine Rolle bei seinen anstehenden Entscheidungen spielen. Ebenso wird eine Person, die Mitleid empfindet, spontan helfen wollen, wenn anderen ein Unglück widerfahren ist. All diese Betrachtungen gehen von dem jetzigen Durchschnittsmenschen aus, der nur wenig menschengerechte Erziehung genossen hat und in einer Welt lebt, die zu einem grossen Teil als verwahrlost und krank bezeichnet werden muss. Die Frage ist, was in der menschlichen Natur steckt, wenn sie sich ungehindert und frei entwickeln kann. Ist es nicht so, dass dieser homo sapiens sich dann aufgrund seiner entwickelten Vernunft frei entscheiden kann? Was soll ihn daran hindern, den Streit in der Partnerschaft aufzugeben, wenn er einsieht, dass er sich damit selber schadet? Warum soll er nicht in der Lage sein, eine passende Tätigkeit zum Wohle der Allgemeinheit zu wählen? Jeder vernünftige Mensch wird auch einem Irren, der einen Krieg anzetteln will, nein sagen und nicht sein Leben für eine wahnwitzige Idee opfern. Wenn wir uns z. B. aus Autoritätsangst zu etwas verleiten lassen, was uns und anderen schadet, dann ist das nicht mehr der in seinem Inneren freie Mensch, sondern der verkümmerte und irritierte, der unter seinem Mangel am wahren Menschsein leidet. Da bis heute die Erziehung trotz grosser Fortschritte immer noch recht zaghaft von den Erkenntnissen der Tiefenpsychologie Gebrauch macht, ergeben sich Einschränkungen im Fühlen und Denken, die eine Willensfreiheit stark in Frage stellen (siehe Fluchtmechanismen).

    In der Folge wird der Versuch unternommen, die Bedeutung des freiheitlichen Miteinander zu untersuchen, besonders in den Kernbereichen Arbeit, Liebe und Gemeinschaft.


    ¹ Hartmann, Nicolai: Philosophische Grundfragen der Biologie. 1912

    ² Vaihinger, Hans: Die Philosophie des Als Ob. Berlin 1911

    ³ Fromm, Erich: Die Furcht vor der Freiheit. Dtv. 1941

    Freiheit und Mitmenschlichkeit

    Die Menschen haben so lange unter den Verblendungen

    der Gewalt gelebt, dass Gewaltausübende sowie Gewalterduldende

    naiv zu der Überzeugung gelangt sind, diese

    Art menschlichen Verhaltens sei … das allernormalste.

    Leo Tolstoi (1828 - 1910)

    Werfen wir einen Blick auf die Synonyme zu dem Begriff „Gewalt", dann fällt auf, wie breit gestreut er ist:

    Härte, Strenge, Lieblosigkeit, Kompromisslosigkeit, Rigorosität, Druck, Nötigung, Willkür, Prestige, Unterdrückung, Unrecht spielen sich nicht selten im Privaten ab.

    Macht, Einschüchterung, Behinderung, Unterdrückung, Herrschaft, Allmacht, Staatsmacht, Verstoss, Illegalität, Vergehen, Übertretung, Einmischung, Verfolgung, Grausamkeit, Diktatur, Horror findet man vor allem im gesellschaftlichen Bereich wieder.

    All das darf keinen Einfluss auf Menschen ausüben, wenn wir Freiheit verwirklichen wollen. Inwieweit wir als Einzelne oder als Gesellschaft von Gewalt frei sind, muss jeder selbst für sich entscheiden. Wir gehen voraussichtlich nicht fehl, wenn wir bei dem einen und anderen Synonym der Gewalt zugeben müssen, dass wir hier Aufholbedarf hätten. Verwunderlich ist das nicht, wenn wir nur schon die Erziehung und die gesellschaftlichen Verhältnisse, denen wir ausgesetzt waren und sind, in unsere Überlegungen zur Betrachtung der Freiheit mit einbeziehen.

    Wie erfrischend klingen da doch die Verse von Denis Diderot (1713-1784, französischer Schriftsteller und Philosoph), der durch Zufall durch eine getrocknete Bohne im Dreikönigskuchen zum König für eine Nacht gekrönt wurde und spontan seine eigenen Gesetze verfasste:

    Das Motto meiner Gesetze heisst:

    Jeder soll nach seiner Façon glücklich sein.

    Denn das ist unser Wille.

    Geschrieben im Jahr eintausend siebenhundert und siebzig,

    Neben einer anziehenden Frau sitzend,

    Mein Herz in der Hand, die Ellenbogen auf dem Tisch,

    Gezeichnet: Denis, ohne Land und Château,

    König von Gnaden des Gâteau.

    Die freiheitliche Lebensart findet seine Charakterisierung darin, ohne Gewalt auszukommen. Das setzt eine Gesinnung voraus, die alle Menschen als achtenswert empfindet. Ist das aber nicht etwas zu hoch gegriffen, wenn wir die Verschiedenheit eines jeden Menschen in Betracht ziehen? Jemand sagte mir, man könne es doch nicht allen recht machen. Ein anderer meinte, dass allein schon die Vielfältigkeit der Kausalitäten, also die Ursachen von Gewalt, fast unüberblickbar sei.

    Es stimmt, dass alle Menschen verschieden sind. In einem gleichen sie sich aber: ihre Natur ist auf den Mitmenschen ausgerichtet. Von Kindheit an ist es das Bestreben eines jeden, die Anerkennung des anderen zu erlangen. Wäre das nicht so, hätten wir als Eltern und Erzieher kaum eine Chance, den Zögling zu erreichen, er wäre unerziehbar. Im späteren Leben ändert sich nichts an der Tatsache, dass wir den Mitmenschen zum Überleben brauchen. Peter Kropotkin ist einer der Wissenschaftler, der diese menschliche Grundhaltung erforschte und in seinem Buch: „Gegenseitige Hilfe in der Tier- und Menschwelt" eindrücklich beschrieb. Einfühlungsvermögen (Empathie) lässt sich nachweisen bis zu unseren Vorfahren und den Säugetieren. Wer Kleinkinder von ca. 20 Monaten beobachtet, stösst auf eindrückliche Beweise, wie sie in der Lage sind, sich in andere einzufühlen. Besonders in Notsituationen eines anderen können Menschen emotionale Teilnahme entwickeln und Hilfe leisten. Jeder Mensch wünscht sich Beziehung zu den Mitmenschen und der amerikanische Psychiater René Spitz dokumentierte 1946, wie Heimkinder beim Fehlen mütterlicher Liebe depressiv wurden. 1960 stützte der britische Psychiater John Bowlby diese Erkenntnisse durch seine Forschung zur Bindungstheorie, und Mary Ainsworth, eine kanadische Psychologin, lieferte den empirischen Beweis dafür.

    Gewalt war in der Geschichte der Menschheit eher eine Ausnahme, auch wenn die eine machtorientierte Geschichtsschreibung das Gegenteil behauptet. In der Jungsteinzeit lassen sich zudem keine Waffen oder militärische Anlagen finden.

    Die Corona-Pandemie bestätigt diese Empathie in der jetzigen Situation. Solidarität, was heisst, für das Ganze verantwortlich zu sein, wird weltweit gelebt, auch im Privaten. Solidarität hat heute viel mit Rücksicht und Verzicht zu tun, aber auch mit Vertrauen.

    Die Voraussetzung aller Überlegungen zu einer freiheitlichen Einstellung ist die Annahme einer sozialen Natur des Menschen. Der Hirnforscher Gerald Hüther sagt es so:

    Kein Lebewesen existiert für sich allein. Jedes Bakterium, jede einzelne Zelle, jede Alge, jeder Pilz, jede Pflanze und jedes Tier, alles, was lebendig ist, braucht andere Lebewesen – auch um selbst zu überleben – aber vor allem, um sich weiterentwickeln und seine dabei gemachten Erfahrungen an seine Nachkommen weitergeben zu können. Leben heisst also immer, mit anderen verbunden und von anderen abhängig zu sein.

    Die Psyche als Forschungsobjekt

    Die Naturwissenschaft bedient sich der induktiven Methode, der Herleitung von Wissen aus Informationen. Das gilt für die Theorie und Praxis. Was in der psychologischen Forschung beobachtet wurde und zu Erkenntnissen der menschlichen Natur führte, ist, dass z. B. Charaktereigenschaften nicht angeboren sind. Der Mensch muss alles erlernen; was Menschen später tun und wollen, hängt weitgehend mit der Erlebnisverarbeitung in der Kindheit zusammen. Alle Aussagen, die eine Bösartigkeit des menschlichen Wesens postulieren, verwechseln die Bausteine der Natur mit den Fehlentwicklungen des Menschen durch Erziehung und Umwelteinflüsse. Menschen haben es schwer, sich selbst zu erkennen, da sie zugleich Subjekt und Objekt bei der Erforschung der eigenen Gattung sind. Bei der Erforschung der Eigenart eines Tieres fällt es uns leichter, über diese etwas auszusagen. Als letzthin ein Hundeflüsterer zu einem verhaltensgestörten Hund gerufen wurde, wurde schnell klar, dass der Hundehalter sich nach dem Hund ausgerichtet hatte und nicht der Hund nach seinem Herrn. Ein Hundekenner würde auch nicht so rasch die Natur des Hundes wegen eines Fehlverhaltens infrage stellen. Beim Menschen stellen

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