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SOS-Superhelden: Graue Erinnerungen
SOS-Superhelden: Graue Erinnerungen
SOS-Superhelden: Graue Erinnerungen
eBook440 Seiten5 Stunden

SOS-Superhelden: Graue Erinnerungen

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Über dieses E-Book

Kaum haben Olivia, Krimhild, Hugo, Chris und Kolja die Befreiungsaktion in Paris überstanden, stolpern sie bereits in das nächste Abenteuer hinein.
Dabei birgt bereits der Alltag genügend Gefahren für die jungen Superhelden. Was tun, wenn man die Lehrerin aus Versehen mit Kaugummifäden an die Wand klebt? Oder bei den Landesmeisterschaften im Kanu Gefahr läuft, eine Flutwelle zu verursachen?
Verfolgt von Familiengeheimnissen, blutrünstigen Monstern und einem misstrauischen Adligen nehmen die fünf die Spur der grauen Erinnerungen auf. Was am Ende auf sie wartet, ist bei Weitem mehr als nur ein einzelner boshafter Agent.

Band 2 der SOS-Superhelden - das Abenteuer geht weiter! Ein Buch zum Mitfiebern, Mitlachen und Sich-selbst-Superkräfte-wünschen.
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum23. Nov. 2020
ISBN9783752635812
SOS-Superhelden: Graue Erinnerungen
Autor

Fabienne Lämmel

Fabienne Lämmel hat bereits von klein auf liebend gern in Büchern voller spannender, fantastischer Abenteuer geschmökert. Von der landschaftlichen Schönheit ihrer erzgebirgischen Heimat bekam sie damals wenig mit, denn ihre Leidenschaft fürs Lesen machte aus ihr eine ausgesprochene Stubenhockerin. Eigene Schreibversuche in ihrer Jugend beschränkten sich auf Poesie und Kurzgeschichten. Durch das Germanistikstudium wuchs allerdings der kritische Blick auf die eigenen Werke und so verbannte sie das Schreiben für viele Jahre aus ihrem Leben. Heute lebt Fabienne mit ihrem Mann und vier Kindern in Leipzig, hat mittlerweile das Schreiben wieder neu für sich entdeckt und bringt nun Abenteuer für die jungen Leseratten von heute aufs Papier.

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    Buchvorschau

    SOS-Superhelden - Fabienne Lämmel

    Inhaltsverzeichnis

    Vor etwa 60 Jahren

    Familiengeheimnisse

    Nur eine Sage

    Befreiung des Burgfräuleins

    Treffen mit Mr. Evans

    Kolja und sein Großvater

    Im Archiv

    Zurück im Schulalltag

    Neuigkeiten

    Koljas Einsatz

    Kolja in Nöten

    Chris auf der Jagd

    Verfolgungsjagd

    Die Probleme häufen sich

    Aussprache

    In einer dunklen Nacht

    Besuch bei Jerome

    Neue Fähigkeiten

    Wettkampftag

    Weitere Neuigkeiten

    Entführung

    Auf Emeses Spuren

    Erneuter Einbruch

    Unerwartete Begegnungen

    Dem Maulwurf hinterher

    Kronos' Basis

    Unterstützung

    Vor dem Rat

    Erfolgserlebnis

    Vor etwa 60 Jahren

    Mary sprang auf und stieß dabei ihren Stuhl um. Mit der Faust hämmerte sie auf den Tisch. »Hört doch auf! Hört zum Kuckuck noch mal endlich auf, euch zu streiten!«

    Kurz hielten die beiden Jungen inne und sahen Mary an, doch dies währte nur einen Augenblick. Schon wandten sie sich wieder einander zu und vergaßen alles um sich herum.

    »Du lügst, wenn du den Mund aufmachst. Die ganze Zeit über hast du uns angelogen, gib es wenigstens zu!«, schrie Michail dem anderen Streithammel nicht zum ersten Mal ins Gesicht.

    Die Antwort von Thomas kam prompt: »Das musst gerade du sagen! Ausspioniert hast du uns, hast uns an deine Leute verraten! Du verdienst mein Vertrauen gar nicht, du elender Mistkerl!«

    Während die beiden stritten, stieß Mary einen anderen Jungen an, der ruhig am Tisch saß. »Rudi, sag doch auch mal was!« Verzweiflung schwang in Marys Stimme, als sie ihm diese Aufforderung zurief. »Tu irgendwas, bevor die sich die Köpfe einschlagen!«

    Tatsächlich gingen die beiden soeben mit Brachialgewalt aufeinander los. Der eine hatte sich in das Tier gewandelt, das tief in ihm stets darauf wartete, von der Leine gelassen zu werden. Der andere spielte seine ganz speziellen Trümpfe aus.

    Rudi jedoch rührte sich nicht und blieb weiterhin sitzen. »Es hat keinen Sinn«, lautete seine matte Antwort an Mary. »Sie hören nicht auf uns.« Mit schmerzverzerrtem Gesicht schüttelte er den Kopf. »Es hat keinen Sinn. Das alles hier hat überhaupt keinen Sinn.«

    »Wie kannst du so etwas sagen!« Empört stemmte Mary die Hände in die Hüften. »Wir sind ein Team! Wir müssen zusammenhalten!«

    Es kam keine Erwiderung von Rudi. Alles was er ausstrahlte war Resignation.

    Enttäuscht wandte Mary sich von ihm ab und wollte den beiden Jungen nacheilen, die inzwischen miteinander ringend die Tür zerschmettert hatten und draußen weiterkämpften.

    Doch Mary kam nicht bis zur Tür. Ein dünnes schwarzes Seil legte sich um ihre Brust und brannte wie unsichtbares Feuer direkt auf ihrer Haut, als sei die Kleidung keine nennenswerte Barriere. Der Werfer des Seils zerrte von hinten daran und holte sie so von den Füßen. Krachend schlug Mary mit dem Rücken in einen der Tische ein.

    Das alles geschah rasend schnell, doch Rudis Schreien drang im Gegensatz dazu wie in Zeitlupe an ihr Ohr. Schrie er ihretwegen? Oder musste er die gleichen Schmerzen erleiden wie sie? Mary hatte nicht die Kraft, sich nach Rudi umzudrehen. Ja, selbst zum Schreien fehlte ihr die Kraft. Das Seil um ihren Brustkorb lähmte sie und trübte ihre Wahrnehmung. Sie besaß nicht Michails Stärke, nicht Thomas’ Talent für Tricksereien, nicht einmal Rudis Zähigkeit, um sich gegen einen solchen Angriff zur Wehr zu setzen. Immer schneller schwanden ihre Sinne dahin, Stimmen und Kampfgeräusche entfernten sich weiter und weiter, die Welt verschwamm vor ihren Augen, stellte sich unscharf.

    Wie aus weiter Ferne spürte Mary, dass jemand an ihr zerrte, sie schüttelte, vielleicht auch ihren Namen rief, doch auch das entschwand ihr.

    Familiengeheimnisse

    Als Krimhild die Küche betrat, musste ihr Blick zwangsläufig auf die Gestalt fallen, die dort völlig derangiert am Küchentisch saß. Massiver Alkoholgeruch schlug ihr entgegen. Ein Blick genügte und Krimhild wusste ganz genau, welcher Tag heute war. Es gab nur einen Tag im Jahr, an dem ihr Vater sich so volllaufen ließ. Wahrscheinlich hatte er heute Nacht bereits mit dem Trinken begonnen und quasi in den heutigen Tag hineingetrunken.

    Vielleicht gar nicht so übel, dann sollte sie wohl jetzt mal dafür sorgen, ihn irgendwie ins Bett zu kriegen. Den Rest des Tages konnte er dann verschlafen und morgen wäre wieder alles beim Alten. Wenn nur dieser eine verfluchte Tag schon vorbei wäre!

    »Krimhild.« Mit glasigem Blick schaute Markus Findeisen zu seiner Tochter herüber. »Der verfluchte Tag«, lallte er – jedoch mit Nachdruck.

    »Ja, verflucht!«, dachte Krimhild. »Dreimal verflucht!«

    Energisch trat Krimhild in den Raum und machte sich sofort daran, Wasser in den Espressokocher zu füllen.

    »Du trinkst jetzt erstmal was Ordentliches. Dann helfe ich dir ins Bad. Ohne Zähneputzen geht hier gar nichts. Und dann ab ins Bett mit dir!«

    Sobald der Kocher auf dem Herd stand, trat Krimhild zu ihrem Vater und wand ihm die Flasche mit der farblosen, dafür umso geruchsintensiveren Flüssigkeit aus den Händen. Er leistete lediglich für Sekunden Widerstand, dann ergab er sich dem Schicksal in Gestalt seiner Tochter.

    »Und trau dich bloß nicht, noch einen Schluck von dem Zeug zu nehmen. Dann ruf ich den Notarzt, das schwör ich dir!«

    »Nicht von mir«, murmelte Markus Findeisen während er wehmütig der entschwindenden Flasche hinterherschaute.

    »Was?«

    »Nicht von mir!«, wiederholte er lauter.

    »Das habe ich schon verstanden. Ich meine: Was ist nicht von dir? Die Flasche hier?«

    »Das alles«, sagte er und begleitete diese Worte mit einer allumfassenden Geste hin zu seiner Tochter. »Wie du bist. Einfach alles.«

    Oh nein! Krimhild stöhnte innerlich auf. Warum hatte sie nur nachgefragt! Jetzt waren sie genau bei dem Thema angekommen, das an diesem verfluchten Tag – Viermal verflucht! – absolut vermieden werden musste. Gleich würde das große Geheule losgehen und dann würde sie ihn gar nicht mehr ins Bett bekommen!

    Der Espresso war fertig. Dankbar unternahm Krimhild den Versuch, ihn von dem Thema abzubringen. »So, hier hast du deinen Klarspüler«, sagte sie und schenkte ihm die starke dunkle Flüssigkeit ein.

    Doch ihr Vater war in Gedanken ganz woanders. Wie gebannt starrte er auf seine Tochter und blickte doch zugleich durch sie hindurch auf eine weit zurückliegende Zeit.

    Misstrauisch stellte Krimhild die Tasse vor ihn auf den Tisch. Dieser Blick war neu. Den hatte sie am verfluchten Tag – Fünfmal verflucht! – noch nie bei ihm gesehen.

    »Es war ein schöner Tag, damals. Vor zwölf Jahren. Die Sonne schien.«

    Krimhild erstarrte. Bisher hatte ihr Vater noch kein einziges Mal davon erzählt. Sie wusste nur, es war ein Autounfall. Doch was genau passiert war, hatte ihr nie jemand gesagt.

    Nach dem Tod seiner Frau war Markus Findeisen gemeinsam mit seiner kleinen Tochter weggezogen. Weg aus der Stadt, in der Krimhilds Mutter ums Leben gekommen war. Sie waren seitdem nicht nach München zurückgekehrt, Krimhild hatte noch nie das Grab ihrer Mutter besucht, der sie doch angeblich so ähnlich war. Zumindest führte das ihr Vater an diesem einen Tag im Jahr stets so tränenreich aus. Schon allein Krimhilds dunkle Hautfarbe, ihre dunkelbraunen Augen und die beinahe schwarzen, sich wild kringelnden Haare waren für ihn eine ständige Erinnerung an seine verstorbene Frau. Doch laut ihrem Vater waren es nicht allein die Äußerlichkeiten, die Krimhild mit ihrer Mutter gemeinsam hatte.

    »Ein Tag wie im Bilderbuch. Wir sind spazieren gegangen. Wir drei«, sprach ihr Vater nun weiter. »Wir hatten den Buggy dabei, aber du wolltest lieber laufen. Du wolltest eigentlich immer nur laufen. Und wir hatten es nicht eilig an diesem Tag.«

    Langsam ließ Krimhild sich auf einem Stuhl am Küchentisch nieder. Ganz vorsichtig, um ihren Vater nicht in seinem Erzählfluss zu unterbrechen.

    »Wir wollten zum Hayward. Hayward Gallery heißt es heute. Wir schlenderten über die Brücke. Waterloo Bridge.«

    Moment mal, was? Waterloo Bridge? Krimhild runzelte verwirrt die Stirn. Was erzählte er da bloß! Waterloo Bridge – war die nicht in London? Sie hatten damals aber in München gewohnt! Dort war auch der Unfall passiert, bei dem ihre Mutter ums Leben gekommen war!

    »Sie war ein Stück zurückgeblieben. Als ich mich nach ihr umdrehte, saß sie bereits auf dem Geländer. Sie hat keinen Augenblick gezögert, nur rasch noch einen Blick zu uns herübergeworfen. Dann ist sie gesprungen.«

    Krimhild saß starr vor Entsetzen. Kein Unfall? Ihre Mutter hatte Selbstmord begangen?

    Die Geschichte schien zu Ende erzählt. Ihr Vater schwieg und war nach seinen letzten Worten regelrecht in sich zusammengesunken. Doch plötzlich bäumte er sich auf, schlug mit der Faust auf den Tisch, so dass Krimhild erschrocken zusammenzuckte.

    »Ich weiß genau, dass das so nicht passiert ist! Du wirst schon sehen!« Nach diesen Worten schien ihn jegliche Kraft zu verlassen. Er legte den Kopf auf den Tisch und war im nächsten Augenblick auch schon eingeschlafen.

    Als Chris am nächsten Tag die alte Fabrikhalle betrat, wusste er sofort, dass er nicht allein war. Alles schien ruhig, doch sein Instinkt flüsterte ihm zu, wachsam zu sein.

    Schließlich fand er Krimhild, die starr wie eine Statue in einem der alten Sessel thronte, die sie für die Sitzecke zusammengetragen hatten. Krimhild trug Jeans und ein weißes T-Shirt mit einem verwaschenen Mickie-Mouse-Aufdruck. Es war ein eher ungewohnter Anblick, sie in etwas anderem als in Sportklamotten zu sehen. Für Krimhild war ihr Sport – Kanurennsport – das lebensbestimmende Element, dem sie alles andere unterordnete.

    Eigentlich war Chris in der Erwartung hierhergekommen, an diesem Ort ungestört allein sein zu können. Daheim herrschte seit einiger Zeit ausnehmend dicke Luft und heute hatte sich diese soweit verdichtet, dass es zu einer Explosion gekommen war.

    Chris war wirklich bemüht, sich so gut es ging ins Familienleben einzubringen. Wobei schon allein die Tatsache, dass er sich darum bemühen musste, einiges aussagte. Es war nicht so, als ob er nicht mit seinen Eltern und seinem jüngeren Bruder Linus klarkommen würde. Und natürlich liebte er sie – sie waren schließlich seine Familie! Doch auch vor ihnen hielt er bereits jahrelang seine ungewöhnlichen Fähigkeiten verborgen. Geheimnisse zu haben schafft Gräben, ob man das will oder nicht.

    Seit der Entführung und seinem Erwachen in der SOS-Basis hatte er noch mehr Zeit als sonst abseits seiner Familie verbracht. Dem Ganzen die Krone aufgesetzt hatte schließlich seine Weigerung, gemeinsam mit seiner Familie in den lang geplanten Urlaub zu fliegen. Einen Tag nachdem sein Gedächtnis gelöscht worden war, als bei allen fünfen die Erinnerung wiedergekommen war, hatte er seiner Familie eröffnet, dass sie ohne ihn fliegen müssen. Er dagegen wollte während dieser Zeit bei seinem Freund Kolja bleiben. Dieser Ankündigung war eine nervenaufreibende Diskussion gefolgt, wegen der er damals erst verspätet bei Kolja eingetroffen war. Am Ende hatte er sich jedoch durchgesetzt und seine Familie war ohne ihn nach Spanien geflogen.

    Besonders sein Bruder Linus hatte das gar nicht gut verdaut. Seit der Rückkehr aus dem Urlaub war Linus’ Stimmung auf dem Tiefpunkt und die Kommunikation zwischen den Brüdern lag nahezu brach.

    Heute Morgen nun überraschte Margarete Miller ihre beiden Söhne mit der Nachricht, dass sie noch ein paar Tage frei habe und die Familie somit noch einen Kurztrip an die Nordsee zu den Großeltern einschieben könne. Chris hatte sofort verkündet, für die nächsten Tage bereits andere Pläne zu haben. Er würde nicht mitfahren.

    Daraufhin war Linus explodiert. Er warf seinem Bruder vor, sich einen Dreck um die Familie zu scheren. Eindeutig kochte hier Ärger hoch, der bereits länger in Linus schwelte. Dass Chris ruhig blieb und kein Wort zu seiner Verteidigung sagte, fachte Linus’ Wut noch zusätzlich an.

    Da Chris nicht reagierte, versuchte ihre Mutter beschwichtigend einzugreifen, doch auch das erzielte eher die gegenteilige Wirkung.

    »Ist ja klar, dass du ihn verteidigst. Das tust du immer! Dabei macht er sich überhaupt nichts aus uns! Merkst du das nicht? Wir sind ihm scheißegal!«

    Chris kam es vor, als beobachte er einen Schauspieler in einem Film dabei, wie dieser sich mit einem anderen Schauspieler streitet. Er fühlte sich seltsam außen vor, als sei er allein Beobachter einer Szene und nicht Bestandteil derselben. Wohl nur aus diesem Grund bemerkte er es schließlich.

    »Du bist gar nicht mein Bruder! Du kannst nicht mein Bruder sein. Mein Bruder würde wenigstens einmal zu einem beschissenen Spiel kommen!«, warf Linus ihm an den Kopf und gab damit auch seinen Frust darüber preis, dass Chris nie als Zuschauer bei Spielen von Linus’ Fußballmannschaft dabei war.

    »Linus, hör auf!«, rief Margarete Miller voller Entsetzen über die Worte ihres Sohnes. Doch dieser dachte gar nicht ans Aufhören.

    »Nie bist du da! Du willst doch gar nichts mit uns zu tun haben! Eigentlich passt du auch gar nicht in unsere Familie.«

    »Linus!«

    »Ist doch wahr!«, schleuderte Linus jetzt seiner Mutter entgegen. »Er passt überhaupt nicht zu uns!«

    Eiskalt überlief es Chris. Wusste Linus von seinen abnormen Fähigkeiten? Würde er gleich alles ausplaudern?

    Doch sein Bruder spielte auf etwas ganz anderes an.

    »Schau ihn dir doch an!«, schrie er seiner Mutter entgegen. »Er sieht ganz anders aus als wir! Er passt nicht zu uns!«

    Verdammt, damit hatte Linus unbestreitbar recht! Alle in der Familie bis auf Chris besaßen eine dunkle Haarfarbe. Auch Chris’ Augenfarbe stach heraus. Sein Vater hatte braune Augen, genauso wie Linus. Die Augen seiner Mutter waren blaugrau, doch um Welten dunkler als die ungewöhnlichen hellen Augen, die Chris kennzeichneten.

    Er fragte sich gerade, weshalb ihm das noch nie aufgefallen war, als Margarete Miller etwas gänzlich Unerwartetes tat. Etwas, das sie noch nie getan hatte. Sie gab ihrem jüngsten Sohn eine schallende Ohrfeige. Dann stand sie schwer atmend vor ihm und zeigte mit ausgestrecktem Arm in Richtung Tür.

    »Auf dein Zimmer!«

    Vollkommen ernüchtert folgte Linus diesem Befehl und verließ den Raum, wobei er sich seine schmerzende Wange hielt.

    Doch in den Sekundenbruchteilen bevor Wut und Empörung die Oberhand über seine Mutter gewonnen hatten, hatte Chris es gesehen. Ein kurzes Erschrecken in ihrem Gesicht bei Linus’ Worten und gleich danach das Aufflackern von Schuld.

    Er hatte sie nicht darauf angesprochen, sondern war gegangen. Natürlich wäre es das Beste gewesen, sofort nachzuhaken, die Gelegenheit beim Schopfe zu packen. Sie hatte sich eindeutig ertappt gefühlt. In den Worten seines Bruders, die dieser im Zorn ausgespuckt und mit Sicherheit gar nicht so gemeint hatte, lag mindestens ein Körnchen Wahrheit verborgen. Chris hätte sie so lange mit Fragen bestürmen sollen, bis diese Wahrheit offengelegt wäre. Stattdessen war er ohne ein weiteres Wort durch die gleiche Tür wie sein Bruder aus der Küche und vor seiner Mutter geflohen, hatte sich sein Fahrrad geschnappt und war auf direktem Weg hierhergefahren.

    Hierher, wo auch Krimhild hingeflüchtet zu sein schien.

    Grußlos setzte er sich zu ihr. Eine Weile saßen beide schweigend in ihren Sesseln.

    »Willst du mich nicht fragen, warum ich nicht beim Training bin?«, fragte Krimhild schließlich.

    Chris schaute sie an, sagte aber nach wie vor kein Wort.

    »Gestern war ich beim Training. Nachdem mir mein Vater in sturzbetrunkenem Zustand eröffnet hat, dass meine Mutter nicht durch einen Autounfall ums Leben gekommen ist. Dass sie von der Waterloo Bridge gesprungen ist, während mein Vater mit mir auf dem Arm wenige Meter danebenstand. Das hat er mir erzählt. Trotzdem bin ich zum Training gegangen.«

    Herausfordernd blickte sie Chris an. »Findest du das gefühllos? Findest du, ich hätte daheim bei meinem Vater bleiben sollen, während der seinen Rausch ausschläft? Mir dabei über den Selbstmord meiner Mutter die Augen wund heulen?«

    Chris gab darauf keine Antwort. Immer noch blickte er sie unverwandt an.

    Schließlich sprach Krimhild weiter. »Ich bin zum Training gegangen, weil es egal ist.« Sie zuckte mit den Schultern. »Tot ist tot, nicht wahr? Ich war zwei Jahre alt, ich habe keine Erinnerung an sie. Und mein Vater hat nie allzu viel dafür getan, die Erinnerung an sie in mir wach zu halten. Ob nun Unfall oder Selbstmord – was soll ich damit anfangen? Natürlich war ich im ersten Moment geschockt. Aber dann …«, sie zögerte.

    »Tot ist tot«, wiederholte sie schließlich. »Verstehst du?«

    Chris nickte langsam. Dann fragte er: »Warum bist du heute nicht beim Training?«

    Nun war es Krimhild, die nickte. »Was kann schon schlimmer sein, als vom Selbstmord der eigenen Mutter zu erfahren, nicht wahr?«

    Wieder ging Chris nicht darauf ein, sparte sich tröstende oder beschwichtigende Worte.

    »Heute früh war mein Vater bereits vor mir wach und wartete in der Küche auf mich. Er konnte sich genau daran erinnern, was er mir in seinem Rausch erzählt hatte. Er hatte wohl Gewissensbisse, mir das aufgebürdet zu haben. Also fühlte er sich genötigt, einige Dinge klarzustellen.«

    Nun stand Krimhild auf und begann, ruhelos auf und ab zu laufen, während sie weitererzählte.

    »Um es mal zusammenzufassen: Schlimm genug für meinen Vater, dass seine Frau tot war. Aber sie hatte Selbstmord begangen und er wusste nicht, wieso! Er sagt, es gab keinen Streit zwischen ihnen, sie hatte keine Probleme, auch keine Depressionen oder so. Nie hatte er den Eindruck, sie könnte unglücklich sein.«

    Krimhild blieb neben Chris stehen. »Mein Vater hat nur meinetwegen weitergelebt. Wäre ich nicht gewesen, wäre er aus lauter Schuldgefühlen meiner Mutter gefolgt. Das hat er mir erzählt.«

    Sie nahm ihre Wanderung wieder auf. »Jahrelang hat er sich mit der Frage nach dem Warum gequält. Doch vor einigen Jahren überkam ihn ganz plötzlich – wie er sagt – die Gewissheit, dass das alles nicht der Wahrheit entsprechen könne. Er ist sich hundertprozentig sicher, dass meine Mutter sich niemals das Leben genommen hätte. Von einem Moment auf den anderen sei ihm das völlig klargeworden. Mit einem Mal war ihm auch scheißegal, was er mit eigenen Augen gesehen hatte. Endlich habe er auf sein Herz gehört und entgegen jeglicher Vernunft begonnen zu recherchieren.

    Dabei hat er verschiedene Fakten zusammengetragen. Zum einen: An jenem Tag sind an diesem Ort oder im näheren Umkreis ungewöhnlich viele Menschen zu Tode gekommen. Allerdings wurde dies nicht in den Medien erwähnt, obwohl darunter auch einige schwere Verkehrsunfälle waren. Mein Vater hat mit Betroffenen gesprochen. Mit Leuten, die dabei waren. Auch Menschen, die Angehörige oder Bekannte verloren haben, so wie er. Manches von dem, was diese berichteten, klang plausibel und da stimmten auch die Berichte weitestgehend überein. Doch er ist bei seinen Recherchen gleichfalls auf einige Ungereimtheiten gestoßen. Es gab Menschen, deren Erinnerungen von dem abwichen, was andere Zeugen erzählten. Und er hat eine Frau getroffen, deren Bruder an diesem Tag von der Waterloo Bridge gesprungen ist. Beinahe die gleiche Geschichte, wie sie mein Vater erlebt hat. Es war sogar annähernd die gleiche Uhrzeit, soweit die Frau sich erinnern konnte!

    Nachdem er dies alles recherchiert hatte und sich keinen Reim darauf machen konnte, ist er mit irgendwelchen Verschwörungstheoretikern in Kontakt getreten. Wie es aussieht, kursieren unter denen die krassesten Theorien. Zum Beispiel gehen einige von ihnen davon aus, dass nichts von dem, was wir erleben, wirklich passiert, sondern als virtuelle Welt nur in unseren Gedanken abläuft, während unsere Körper von Maschinen zur Energiegewinnung benutzt werden.«

    Chris zog eine Augenbraue in die Höhe.

    »Ja, genau.« Krimhild nickte. »Ziemlich verrückt, nicht wahr? Beliebt ist natürlich auch das Thema Außerirdische. Die leben unter uns und pfuschen ständig mit unseren Gehirnen herum.

    Die beste Theorie ist jedoch diese: Eine geheime Organisation verschleiert ihre Aktivitäten, indem sie die Erinnerungen der Menschen manipuliert. Na, klingelt da was bei dir?« Ihre Aufregung konnte Krimhild nur noch schlecht kaschieren. »Wie genau das funktioniert, darüber streiten sich Verschwörungstheoretiker täglich auf den einschlägigen Webseiten. Hat mein Vater erzählt.«

    Krimhild setzte sich wieder. »Eine Theorie über das Wie hat mein Vater nicht. Noch nicht. Sicher ist er sich jedoch darüber, dass irgendwer seine Erinnerungen an den Vorfall verfälscht hat.«

    »SOS«, sagte Chris.

    »Könnte tatsächlich sein, nicht wahr?« Mit den Fingern trommelte sie auf den Armlehnen ihres Sessels herum.

    Ganz sachlich überlegte sie dann: »Nehmen wir mal an, es ist tatsächlich so gewesen. Ich bin damals mit meinen Eltern in eine SOS-Aktion geraten, vielleicht gab es ja einen Kampf zwischen einem Pexabily und einem Bösewicht, vielleicht ist meine Mutter dabei ums Leben gekommen, vielleicht mussten Agenten daraufhin das Gedächtnis aller Beteiligten verändern.«

    Plötzlich explodierte Krimhild förmlich: »Warum um alles in der Welt haben sie meinem Vater dann so eine beschissene, graue Erinnerung gegeben! Er hätte sich beinahe umgebracht! Wegen dieser Erinnerung hätte er sich beinahe das Leben genommen!«

    Nun erst registrierte Krimhild, dass sie direkt vor Chris stand, ihn am T-Shirt gepackt hielt und heftig schüttelte.

    Abrupt ließ sie ihn los und richtete sich auf. »Tut mir leid …«, stammelte sie. »Ich habe gar nicht gemerkt … Ich wollte nicht …«

    Chris winkte ab. »Schon okay.«

    »Hey Leute, stör ich bei irgendwas? Wenn ihr allein sein wollt, kann ich auch wieder gehen!«

    »Nein«, sagte Chris.

    »Ja!«, schnauzte Krimhild Kolja an, der auf der anderen Seite der Fabrikhalle soeben durch die Tür getreten war.

    Aber natürlich kam Kolja bereits grinsend näher. Natürlich dachte er keinesfalls ans Gehen, egal was er gerade gesagt hatte.

    Krimhild rannte los, ohne bewusst den Entschluss dazu gefasst zu haben, griff dabei an ihr von Henry entworfenes, ganz spezielles Armband und löste damit einen leichten Stromschlag aus, der wiederum Auslöser für ihre übermenschlichen Kräfte war. Auch Kolja beschleunigte sein Tempo, noch immer ein breites Grinsen auf dem Gesicht.

    Wie gewohnt reagierte Krimhild auf Kolja wie auf ein rotes Tuch und wie immer tat dieser nichts dafür, ihre Reaktion durch Zurückhaltung zu entschärfen. Allein die Art, wie er angeschlendert kam! Die Haare hingen ihm nachlässig ins Gesicht. Dieses absolute Sorglos-Gebaren brachte Krimhild regelmäßig auf die Palme. Sie hatte keinerlei Verständnis für Menschen, die mit solch einer Egal-Stimmung durchs Leben schlenderten. Für Krimhild waren Zielstrebigkeit und Leistungsbereitschaft unverrückbare Pfeiler des Lebens.

    Bevor beide in der Mitte der Halle aufeinandertrafen, schoss Kolja noch im Laufen einen seiner Kaugummifäden in Richtung Decke. Doch noch während er sich daran nach oben zog, sprang Krimhild aus dem Lauf heraus mit einem gewaltigen Satz hinauf zu Kolja, der bereits ein ganzes Stück über dem Erdboden hing, klammerte sich mit der linken Hand an ihm fest und holte mit der rechten zum Schlag aus. Zwar hatte sie Kolja damit überrumpelt, doch dessen linke Hand war frei – so konnte er ihren Schlag abwehren. Inzwischen hatte Krimhild ihre Beine um seine Hüften geschlungen und fühlte sich dadurch sicher genug, die linke Hand zu lösen und ebenfalls zum Schlagen einzusetzen. Dazu kam sie jedoch nicht, da Kolja sich mit seiner Last im Schlepptau wieder nach unten abgeseilt hatte, wobei die Landung nicht eben weich vonstattenging.

    Hart schlugen beide auf dem Boden auf und rollten sogleich wild herum, wobei sie sich gegenseitig ihre Hände festhielten. Kolja hielt Krimhilds Hände fest, um sie am Schlagen zu hindern. Krimhild dagegen hielt Koljas Hände umklammert, um den Einsatz seiner Primärwaffen zu verhindern.

    Das Schauspiel dauerte minutenlang an, ohne dass es einem der beiden gelingen konnte, sich in eine vorteilhafte Position zu bringen.

    »Wieso greifst du nicht ein?«, erklang plötzlich Hugos Stimme.

    »Das tut ihnen gut«, sagte Chris nach einem kurzen Moment des Schweigens, der wahrscheinlich mit einem Achselzucken gefüllt war, was die Kämpfenden jedoch nicht sehen konnten.

    Hugo trat zu den beiden. »Wenn ihr mir sagt, worum es geht, kann ich euch vielleicht helfen, das Problem zu klären!«, schlug er vor.

    »Keine Ahnung, was die für ein Problem hat!«, presste Kolja heraus, der gerade unter Krimhild lag.

    »Du bist das Problem!«, antwortete Krimhild keuchend.

    »Ist er nicht«, mischte sich jetzt doch Chris ein. »Er ist nicht dein Problem. Er ist gerade nur der Punchingball, der für das Problem herhalten muss.«

    Krimhilds Einsatz erlahmte zusehends, doch noch immer ließ sie Koljas Hände nicht los.

    »Ich schieße nicht, wenn du mich loslässt«, kam er ihr entgegen.

    Schließlich gab Krimhild seine Hände frei und stieg von ihm herunter.

    »Was tut ihr eigentlich alle hier?«, fragte sie dann vorwurfsvoll in die Runde. »Ich dachte, ich sehe euch erst übermorgen bei Mr. Evans.«

    Mr. Evans hatte ihnen nach ihrem Abenteuer in Paris mehr oder weniger befohlen, sich einerseits bedeckt zu halten, damit niemand, auch nicht bei SOS (Superheroes Organization and Services), Wind davon bekam, dass sie nun doch Pexabilies mit Superkräften waren. Das wussten neben den drei Verschwörern Mr. Evans, Agent Müller und Doc nur die Wissenschaftler Emese Molnár, Henry Franke und Frederic Cordes, den sie in Paris befreit hatten. Andererseits sollten sie auch weiterhin unterrichtet werden und trainieren. Diese Aufgabe würde Mr. Evans übernehmen.

    »Wahrscheinlich sind wir alle hergekommen, um hier allein rumzuhängen und anderen Leuten aus dem Weg zu gehen«, vermutete Hugo.

    »Also ich nicht.« Kolja hatte sich inzwischen ebenfalls aufgerappelt. »Ich suche bloß was und dachte, ich schau mal hier nach. Wie sieht es denn aus?«, fragte er dann an Krimhild gerichtet.

    »Woher soll ich das wissen! Ich weiß doch gar nicht, was du suchst!«

    »Dein Problem! Wie dein Problem aussieht will ich wissen!«

    Es war deutlich zu erkennen, dass Krimhild den Impuls unterdrücken musste, Kolja eine flapsige Antwort zu geben. Doch dann berichtete sie auch ihm und Hugo, was sie von ihrem Vater erfahren hatte.

    Die kurze Auseinandersetzung mit Kolja hatte durchaus als Ventil funktioniert. Krimhild war weitaus weniger aufgewühlt und konnte sachlicher berichten. Außerdem betrachtete sie das Gehörte nun viel kritischer: »Meint ihr, meinem Vater könnten damals tatsächlich die Erinnerungen gelöscht worden sein?«

    Das Verändern der Erinnerungen war Aufgabe der SOS-Agenten. Diese trugen dafür Sorge, die Welt nichts von der Existenz von Menschen mit besonderen Fähigkeiten – Pexabilies (persons with extraordinary abilities) genannt – wissen zu lassen.

    »Mh.« Hugo zögerte merklich mit einer Antwort. »Möglich wäre es schon.«

    »Aber?«

    »Du hast allein die Aussage deines Vaters, was den Zustand deiner Mutter betrifft. Es wäre vielleicht gut, jemand anderen zu befragen, der deine Mutter zum damaligen Zeitpunkt ebenfalls gut gekannt hat.«

    »Du denkst, mein Vater ist zu voreingenommen und will sich vielleicht nicht eingestehen, dass irgendwas mit ihr nicht in Ordnung war? Dass sie wirklich Selbstmord begangen hat?«

    »Nein. Ich will nur sagen, es wäre gut, ein umfassenderes Bild zu bekommen.«

    Jetzt brachte sich auch Kolja in das Gespräch ein: »Wir kennen deinen Vater ja gar nicht. Ob er ein Spinner ist oder nicht können wir gar nicht einschätzen.«

    »Er ist kein Spinner!«, herrschte Krimhild ihn an.

    »Nein, das hat Kolja auch nicht so gemeint«, schritt Hugo sogleich schlichtend ein.

    »Ich hab das absolut so gemeint!«, entgegnete Kolja. »Die Betonung lag dabei auf: Wir kennen ihn gar nicht.«

    »Und du meinst, wenn du meinen Vater vor dir hast, kannst du einschätzen, ob er ein Spinner ist oder nicht?«, meinte Krimhild spöttisch.

    »Du kennst das genaue Datum, oder?«, fragte Chris dazwischen.

    »Der Tag, an dem das passiert ist? Ja.«

    »Den Ort weißt du auch. Müsste doch rauszukriegen sein, ob damals wirklich was vorgefallen ist und ob Agenten Erinnerungen verändern mussten.«

    »Meint ihr, ich sollte Mr. Evans danach fragen?«, wollte Krimhild wissen.

    »Was meinst du?«, gab Hugo die Frage zurück.

    Krimhild zögerte. »Ich weiß nicht so recht.«

    »Besser nicht«, warf Kolja ein.

    »Warum nicht?«

    »Mal angenommen, seine Erinnerungen wurden tatsächlich von Agenten verändert. Dann willst du doch nicht wirklich SOS über seine Zweifel an diesen Erinnerungen unterrichten«, führte Kolja aus.

    Nachdenkliches Schweigen machte sich breit.

    »Was macht SOS in so einem Fall?«, überlegte Krimhild laut.

    »Vielleicht eine Neuprogrammierung«, vermutete Kolja.

    Wiederum schwiegen alle.

    »Ich könnte Emese fragen«, brachte Krimhild schließlich den Namen der Chemikerin ins Spiel, die während der Ausbildung in der SOS-Basis eine gute Freundin für die fünf geworden war und sie zuletzt sogar ganz spontan bei der Befreiung von Frederic Cordes unterstützt hatte.

    »Gute Idee!« Hugo nickte zustimmend.

    »Warum bist du eigentlich hierhergekommen?«, wollte Kolja von Hugo wissen und beendete damit zugleich das vorherige Thema.

    Hugo winkte ab. »Bei uns daheim steigt eine Geburtstagsparty«, sagte er, als bedürfte es keiner weiteren Erklärung.

    Der unscheinbare, eher kleine Hugo mit dem verstrubbelten braunen Lockenschopf und den abgetragenen Klamotten war der Mittlere von sieben Geschwistern und immer darum bemüht, sich aus dem täglichen Familienchaos so weit wie möglich herauszuhalten. Deshalb erschien seine Flucht vor einer Geburtstagsparty den anderen nicht ungewöhnlich.

    Nun schaute Kolja Chris an und stellte ihm die gleiche Frage.

    »Stress daheim«, lautete dessen ausweichende Antwort.

    Chris hatte noch nicht vor, mit jemandem über diese Sache zu sprechen.

    »Und welchen Gegenstand suchst du nun hier?«, fragte Krimhild Kolja. »Wir helfen ungern beim Suchen, aber wenn’s sein muss …«

    »Wie gnädig.« Verschmitzt grinste er sie an, dann jedoch schaute er sich suchend in der Halle um. »Eigentlich suche ich gar nichts Bestimmtes. Ich dachte nur, ich entdecke irgendwas Auffälliges.«

    Damit erntete er einhellig verständnislose Blicke.

    »Das musst du uns genauer erklären«, forderte Hugo Kolja auf, was dieser dann auch tat.

    Auch Kolja hatte ein mehr als eigenartiges Morgenerlebnis hinter sich. Obwohl es die anderen wohl eher als Vormittag-oder-fast-schon-Mittag-Erlebnis bezeichnen würden.

    Gerade als er sein spätes Frühstück zu sich nahm, gesellte sich sein Großvater zu ihm. Schon das allein war eher ungewöhnlich. Normalerweise pflegte dieser nicht seinem Enkel bei dessen spätem Frühstück Gesellschaft zu leisten. Nun jedoch setzte er sich Kolja gegenüber an den Küchentisch und starrte ihn unverwandt an.

    Im Kopf war Kolja rasend schnell alles durchgegangen, was ihm in den letzten Tagen alles an Regelverstößen zur Last gelegt werden könnte, doch es wollte sich partout kein schlechtes Gewissen einstellen. Schließlich hielt er die Ungewissheit nicht länger aus und fragte seinen Großvater direkt, ob es ein Problem gibt. Eine Antwort erhielt er darauf jedoch nicht. Allein das Starren dauerte an, was Koljas Nervosität weiter steigerte.

    »Da gehe ich lieber freiwillig zum Schicksalsberg quer über die Ebene von Gorgoroth, als von meinem Großvater wie ein Käfer unterm Mikroskop angestarrt zu werden, das kann ich euch sagen!«

    »Wo willst du hinlatschen?«, fragte Krimhild verständnislos ob dieses Vergleiches.

    Nachdem er seinen Vergleich zum Herrn der Ringe erklärt hatte und alle mehr oder weniger verstanden, wie unangenehm die Situation für Kolja war, konnte er weitererzählen: »Dann macht er endlich den Mund auf und spricht. Und wisst ihr, was er gesagt hat? Ihr braucht gar nicht raten, da kommt ihr eh nie drauf. Ich zitiere: Richte Mr. Evans Grüße von mir aus. Sag ihm, unser Hühnchen ist noch längst nicht zu Ende gerupft!«

    »Und weiter?«, fragte Krimhild gespannt.

    »Nichts weiter. Das war’s. Wenn Großvater nicht weitersprechen will, denn sagt er ganz einfach nichts mehr. Egal wie sehr ich nachbohre.«

    »Wer ist er?«, fragte Krimhild verdattert.

    »Frag lieber: Was ist er!«, kommentierte Hugo das Ganze.

    »Könnte es sein, dass er ein Pexabily ist?« Eine Antwort erhoffend schaute Kolja Hugo an.

    »Das werden wir spätestens dann erfahren, wenn du Mr. Evans die Grüße ausrichtest.« Hugo schien zuversichtlich zu sein. »Aber was hast du denn jetzt hier gesucht?«

    Kolja hob die

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