Kürbisgemetzel
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Buchvorschau
Kürbisgemetzel - Books on Demand
Halloween, Samhain, Allerheiligen.
In der Zeit zwischen Ende Oktober, Anfang November wird der Schleier zwischen den Welten dünn. Menschen geraten unversehens in die Anderswelt, Geister und Gespenster spuken durch unsere Städte und selbst die Kürbisse fangen an zu sprechen. Was wir in dieser Zeit erleben ist furchteinflößend und fantastisch zugleich.
15 Autorinnen und Autoren schaffen Gänsehautmomente und geben Einblick in unheimliche Geschehnisse, bei denen nicht nur Kürbisse gemetzelt werden …
Die Münchner Schreiberlinge sind eine Gruppe freier Autor:innen in und um München. Kennengelernt haben wir uns in Schreibkursen, Leserunden, Buchveranstaltungen und treffen uns seit Anfang 2017 regelmäßig einmal die Woche zum gemeinsamen Austausch, Schreiben und Lesen. Einige von uns haben bereits Bücher veröffentlicht, andere schreiben nur für sich und genauso vielfältig wie wir sind auch unsere Texte und Genres.
Über Zuwachs freuen wir uns immer! www.muenchner-schreiberlinge.de
Die Erlöse dieser Anthologie unterstützen den Verein BISS – Bürger in sozialen Schwierigkeiten e.V. Die monatlich erscheinende Zeitschrift BISS schafft mit ihrer Präsenz auf Münchens Straßen ein Bewusstsein für die Belange obdachloser und armer Menschen. Sie ist älteste und eine der erfolgreichsten Straßenzeitungen Deutschlands. Sie hilft Bürgern in sozialen Schwierigkeiten, sich selbst zu helfen. Die Zeitungsverkäufer verdienen mit deren Verkauf einen Teil oder auch ihren gesamten Lebensunterhalt, je nach Situation. BISS hilft so seit über 25 Jahren Obdachlosen und Bedürftigen, mit Mut und mit Tinte.
www.biss-magazin.de
Dieses Buch enthält Inhaltswarnungen / Content Notes
auf der letzten Seite gegenüber der Deckel-Innenseite.
Siehe auch: www.muenchner-schreiberlinge.de
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Dani Aquitaine:Nach Hause
Lidia Kozlova-Benkard:Die Geister-(U-)Bahn
Kornelia Schmid:Zwischen Ewigkeitssteinen
Saskia Dreßler:Die gruseligste Nacht des Jahres
Roxane Bicker:Jägerinnen
Marie Mönkemeyer:Des Landgrafen Soldat
Sarah Malhus:Zahltag
Petra Ottkowski:Preisgewinner
Matthias Sebastian Biehl:Vekstholm Bockholl
Mae Ludwig:Der Cache
Denise Yoko Berndt:Widerworte
Marie Wilhelmsen:Cucu
Katrin Biasi:Totes Laub
Peter Krall:Zuccageddon
Danksagung
Die Autor:innen
Vorwort
Einmal ist kein Mal. Und so entstand sehr schnell die Idee für die zweite Anthologie der Münchner Schreiberlinge.
Diesmal lassen wir München hinter uns und folgen den Pfaden, die uns die Kürbisse gewiesen haben. Denn so unterschiedlich wie die 15 Geschichten sind, ein Element verbindet sie alle: Der sprechende Kürbis, der in ganz unterschiedlichen Gestalten auftaucht.
Und wir können versprechen, diese Anthologie wird nicht die letzte sein. Denn aller guten Dinge sind mindestens drei …
Auch dieses Mal haben alle Beteiligten unentgeltlich gearbeitet. Die Erlöse aus dem Verkauf des Buches kommt dem Münchner Verein BISS – Bürger in sozialen Schwierigkeiten e.V. und deren gleichnamiger Zeitschrift zugute.
Dani Aquitaine
Nach Hause
»Raus aus den Federn, Zoe!«
Ophelias dröhnende Stimme riss mich aus dem Schlaf. Ihre Schritte stampften durch den Raum, ließen den Putz rhythmisch auf mein Kopfkissen rieseln. Schnell verkroch ich mich unter der Decke. Nicht aus Furcht vor meiner stattlichen Mitbewohnerin, sondern weil ich mich zurücksehnte. Nach Hause. Zu Arvid. In meinen Traum, in dem er mich in seinen Armen hielt. Sehnsucht und Heimweh zerrten an meinem Herzen, machten meine Glieder grabsteinschwer.
»Auf! Auf!«
Ich stellte mich tot. Haha.
Ophelia ließ nicht locker: »Heute ist ein besonderer Tag!«
Aus Neugierde kämpfte ich mich schließlich unter der Decke hervor. »Warum?«
Zwischen den brüchigen Fensterläden drang noch kein Lichtschein herein, als Ophelia sie munter aufstieß. Die Golem-Dame drehte sich schwungvoll zu mir um und zeigte ihr strahlendstes Lehmgesicht-Lächeln: »Es ist Allerheiligen!«
Schon auf der Treppe ins Erdgeschoss schallte mir Lachen aus dem Gemeinschaftsraum entgegen. Ungewöhnlich für diese Uhrzeit. Ich zog die Schultern hoch und trat ein. Meine Mitbewohner machten mir inzwischen meist keine Angst mehr, aber ich konnte nie absehen, was mich erwarten würde. Ich wusste, ich war eine von ihnen, aber ich wusste genauso: Ich gehörte nicht hierher. Und das erkannte man spätestens an meiner vorsichtigen Frage: »Was ist denn eigentlich los?«
Man hätte ein Leichentuch zu Boden fallen hören, so still wurde es mit einem Mal. Alle starrten mich fassungslos an: Sven, der Schrat, die Weiße Frau, Karel, der Nachtkrapp, die beiden Feuerputze, deren Namen ich nicht mal aussprechen konnte, und all die anderen.
»Es ist Allerheiligen!«, schmetterten sie voller Freude.
»Ihr scheint euch darüber ja noch mehr zu freuen als ein Kind auf Weihnachten«, wunderte ich mich.
»Das ist schließlich ein Gedenktag für die Toten, Blondie«, ächzte Zeno. Der hagere Typ hing kopfüber an der im Türrahmen zum Wintergarten montierten Turnstange und trainierte energisch seine Bauchmuskeln.
Ausnahmsweise ignorierte ich den saudummen Spitznamen. »Weiß ich doch, aber was haben wir davon, wenn die Lebenden ein paar Kerzen für uns anzünden?«
Adele, die den Raum mit Girlanden und Zierkürbissen dekorierte, drehte sich zu mir. »Das kannst du natürlich nicht wissen, es ist ja dein erstes Allerheiligen bei uns.« Die junge Frau mit den kinnlangen dunklen Locken setzte sich neben mich. »Heute heben sich von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang die Schleier zwischen den Welten und wir dürfen passieren.«
Aufregung flatterte in meinem Bauch. »Wohin passieren?«
»Zu den Lebenden.«
Mein Herz trommelte los. Hinüber! Arvid! Die Erinnerung an seine leuchtend blauen Augen ließ auch mich innerlich leuchten. Okay, ich wusste, was ich drüben wollte, aber …
»Was habt ihr in der Welt der Lebenden vor?«
Adele drehte einen Kürbis in der Hand hin und her. »Im Krieg tauschte ich meine Seele bei einem magischen Pfandleiher gegen einen Schutzzauber für meinen Verlobten Oswald, doch ich starb, ohne sie auslösen zu können.«
»Und heute suchst du Oswald?«
»Ich suche meine Seele«, versetzte sie, »Jahr für Jahr. Oswald lebt glücklich und dement im Pflegeheim am Westpark.« Tränen schwammen in ihren dunklen Augen.
»Ich kann nicht glauben, dass du keine Seele hast«, rutschte mir heraus.
»Ich bin seelenlos, nicht emotionslos. Verwechsle das nicht.« Sie zog die Nase hoch und erhob sich entschlossen. »Die Seele ist nur der Passierschein. Aber den brauche ich nun mal.«
»Ich brauche keinen Passierschein«, behauptete Zeno. Mit einem gewagten Salto sprang er auf den Boden, fischte aus dem Arzneimittelschränkchen eine Tube Sunblocker und begann sich überaus sorgfältig einzureiben. »Ich möchte mich heute einfach nur betrinken.«
»Mit Blut?«
»Mit nichts anderem.« Hier im Jenseits aßen und tranken wir nicht; Zeno bildete da keine Ausnahme. »Allein die Vorfreude lässt mir das Wasser im Munde zusammenlaufen. Das perfekte Rot! Die zarte Eisennote! Der herbe Abgang!« Zeno verdrehte schwärmerisch die Augen und setzte sich einen schwarzen Fedora auf seine Glatze. Eine verspiegelte Sonnenbrille und ein Trenchcoat komplettierten das Outfit.
»Vielleicht möchtest du herausfinden, was dich hier hält«, schlug Adele behutsam vor.
»Wenn ich es herausfinde, darf ich in den Himmel weiterziehen?«, hakte ich nach. Als ob ich nicht wüsste, warum ich noch hier war.
»Korrekt.«
»Oder in die Hölle«, warf Zeno ein. »Kommt darauf an, wie du dein Leben geführt hast.«
Also, wenn es danach ging, würde ich sicher in den Himmel kommen. Alle Pflegeeltern hatten mich geliebt, das höfliche, ordentliche Mädchen mit dem weißblonden Pferdeschwanz. Im Gegensatz zu einigen anderen Kindern aus dem Waisenhaus war ich nicht wieder »retourniert« worden, sondern aus den Familien abgehauen und freiwillig ins Heim zurückgekehrt.
Zu Arvid.
»Nimm es nicht zu schwer, wenn du ihn nicht findest«, raunte mir Ophelia zu.
Woher wusste sie bloß, wen ich suchte?
Sie lächelte nur und klopfte mir auf die Schulter. Was als freundschaftlich-sachte Berührung gedacht war, riss mich in ihrer Wucht fast von den Füßen.
»Es ist gleich soweit«, bemerkte Zeno.
Die Morgensonne kündigte ihren Auftritt an, das Dunkelgrau der Nachbarhäuser hob sich mehr und mehr vom verschwommenen Hellgrau der Umgebung ab.
»Dann auf zum Portal«, trieb uns Ophelia an. »Habt ihr eure Anker?«
Die anderen bejahten, zückten Taschenuhren, wedelten mit Sonnenbrille und Kapotthut. Ich hingegen blickte, wie so oft, verständnislos in die Runde.
»Nimm einfach den hier.« Ophelia warf mir einen warzigen Zierkürbis vom Küchentisch zu.
Aus Reflex fing ich das orange Gemüse auf und starrte es verdutzt an.
»Mit einem Gegenstand aus dem Jenseits kannst du zurückkommen und steckst nicht drüben fest.«
In der Welt der Lebenden feststecken?! Wer sollte schon sowas wollen … Ich grinste.
»Das ist kein Spaß«, belehrte mich Adele. »Du bist körperlos und kannst dich nicht verständlich machen.«
»Du wirst erst einsam, dann verrückt und endest als irrer, gejagter Poltergeist«, setzte Zeno hinzu. »Denk nicht mal dran, Blondie.«
»Nicht im Traum«, gab ich, hoffentlich hinreichend schockiert, zurück und stopfte den Kürbis in meine Umhängetasche. Arvid würde mich nicht übersehen. Ich würde ihn finden, ihm zeigen, dass meine Liebe dem Tod mühelos standhielt und dann würde ich endlich meinen allerersten Kuss von ihm bekommen. Hoffentlich.
»Das ist das Portal?«, fragte ich ungläubig.
»Das ist ein Portal. Es gibt viele!«, präzisierte Zeno.
»Es ist irgendwie… unspektakulär.«
»Es ist unauffällig«, widersprach Adele. »Die Lebenden kommen mit Magie und Tod nicht besonders gut zurecht.«
Im fahlen Licht des jenseitigen Morgengrauens waren wir, wie eine Vielzahl anderer Geister, Dämonen, Hexen und Vampire, beschwingt durch das Viertel marschiert und standen jetzt in der Warteschlange vor einem Matratzengeschäft an.
»Glaub mir, Blondie, es ist die perfekte Tarnung. Hast du dich denn nie gewundert, dass es fast an jeder größeren Kreuzung der Stadt einen Matratzenladen gibt? Wer soll denn all das Zeug kaufen?«
Zügig ging es voran. Nach zehn Minuten stand ich vor dem Spiegel, der die rückwärtige Wand des Verkaufsraumes einnahm. Hätte ich nicht den Übertritt der Passanten vor mir beobachtet, hätte ich gezögert. So jedoch tat ich es ihnen gleich und glitt durch die silberne Oberfläche – ein Summen, ein Vibrieren, ein Prickeln auf der Haut wie von tausend winzigen Stromschlägen …
… und ich kam drüben an. Dass das Jenseits rein optisch nur eine gespiegelte Version des Diesseits darstellte, ich also in einem seitenverkehrten Matratzengeschäft ankam, hatte ich vorausgesehen. Die plötzliche Schärfe und grellen Farben jedoch ließen mich zusammenzucken.
Jemand rempelte mich von hinten an. »Weitergehen, Blondie.«
»Ich dachte, ich wäre unsichtbar. Unberührbar.«
»Bistduauch. «Zenorückte seine Sonnenbrille zurecht. Ich konntemeine Reflexion in den Gläsernsehen.»Nurfürdichundunsnicht. Die Lebenden können dich weder anfassen noch sehen.«
»Und dich?«
»Ich bin kein Geist. Ich habe zwar eine ausgeprägte Sonnenallergie und kein Spiegelbild, aber ansonsten bin ich hundertprozentig aus Fleisch und Blut. Und jetzt entschuldige mich, ich muss eine offene Bar finden.« Er wandte sich noch einmal um: »Denk dran, um sechs vor fünf geht die Sonne unter. Bis dahin musst du den Spiegel passiert haben. Danach ist er nichts als kaltes Silber und du hängst für ein Jahr hier fest.«
Auch Adele sah mir ernst in die Augen: »Mach dich rechtzeitig auf den Weg zu einem Portal. Dukannst auch ein anderes Matratzengeschäft nehmen, aber dann kommst du auch woanders raus und musst mit dem Bus nach Hause fahren. Steig auf keinen Fall in die Linie 666 ein, hörst du? Und …«
»Schon klar.« Ich wedelte ihre Ermahnungen beiseite. Was juckten mich die Allerheiligen-Regeln! Ich wollte ohnehin nie wieder zurück.
Ähnlich wie durch den Spiegel zuvor schritt ich durch die geschlossene Glastür und stand einen Moment später zwischen buntem Herbstlaub auf dem Gehweg.
Adele erschien neben mir und umarmte mich. »Ich wünsche dir, dass du herausfindest, was dich hält, Zoe.«
Das wusste ich doch schon längst. Arvid hielt mich. Unsere Liebe verband uns wie ein Stahlseil, auch wenn momentan noch Welten dazwischen lagen. Aber das würde ich ändern. Mit einem Lächeln joggte ich los.
Keine zwei Minuten später ertönte plötzlich eine Stimme in meiner Nähe: »Mach mal langsam, sonst muss ich spucken. Und: nein, das wird keine Kürbissuppe sein.«
Ich sah mich um. Die Straßen lagen menschenleer vor mir, offenbar schliefen heute alle aus.
»Danke. Viel besser.« Die Stimme klang rau und erleichtert.
»Hallo?«, fragte ich neugierig.
»Hallo.«
Tatsache. Meine Tasche konnte sprechen. Ich hielt sie mir ans Ohr. »Seit wann …«
»Schon immer. Hatte mich nur getarnt. Gibt immer eine Menge nerviger Fragen, wenn die Leute merken, dass Gemüse eine Meinung hat.«
»Gemüse«, echote ich perplex.
»Bist du dumm?«, erkundigte sich die Tasche. »Kein Problem, wenn’s so ist. Dann schraube ich meinen Intellekt einfach auf dein Niveau hinunter.«
»Nein! Ich bin schlau«, verteidigte ich mich. Und weil das der Wahrheit entsprach, begriff ich endlich, wer mich da anpöbelte. Beherzt fasste ich in meine Tasche und zog den Zierkürbis heraus. Wo zuvor nur mit Rissen überzogene warzige Haut gewesen war, konnte ich nun deutlich Augen und einen Mund erkennen. Und der bewegte sich: »Uff. Merci. Stickig da drin. Servus, ich bin der Rudi, dein Anker.«
»Ich… ich. Äh, ich…« Im Augenblick konnte ich mich nicht mit der Wahrscheinlichkeit eines sprechenden Kürbisses befassen. Ich hatte eine Mission. Rasch stopfte ich das protestierende Gemüse zurück in meine Tasche und rannte weiter. Es dauerte nicht lange, ich musste nur den gespiegelten Weg zurücklaufen, den ich eben im Jenseits genommen hatte, und schon glitt ich durch die wohlbekannte Haustür.
»Wo sind wir?«, tönte Rudi. »Holmich raus, ich will was sehen!«
Ich erbarmte mich. Jammerndes Gemüse war wirklich schwer zu ertragen.
»Danke. Was ist das hier? Sieht entsetzlich deprimierend aus.«
»Deprimierend? Das ist das Heim, in dem ich aufgewachsen bin.«
»Es ist grässlich bunt. Und diese scheußlichen Krakelbilder an den