May it be – möge es sein
Von Marcel Stalder
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Buchvorschau
May it be – möge es sein - Marcel Stalder
beruhigen.
Intensivstation
Wo bin ich hier?
Was ist passiert?
Das waren meine ersten Gedanken.
Ich erinnerte mich an den Vorabend und den Sprung und in diesem Moment probierte ich meine Beine zu bewegen, es ging nicht. Dies war doch immer so einfach gewesen, ohne jeglichen Aufwand. Jetzt hörte mein Körper nicht mehr auf mich, auch meine Finger bewegten sich nicht mehr und meine Arme nur noch zum Teil. Ich konnte zwar meinen Unterarm anziehen, dank des noch funktionierenden Bizeps, dann hatte ich meinen Arm oben, aber wie brachte ich den wieder runter ohne Trizeps? Diese Fragen beantwortete mir bald darauf ein Arzt. Er war sehr offen zu mir und teilte mir ohne Umschweife die knallharten Fakten mit - dass ich eine Quetschung meines fünften Halswirbels habe und nie mehr gehen könne und mein restliches Leben im Rollstuhl verbringen werde.
Dies war natürlich eine heftige Nachricht, die ich zuerst verarbeiten musste.
Das konnte doch nicht sein? Gestern um dieselbe Zeit war ich noch zu Fuss unterwegs und heute sollte dies nicht mehr gehen? Da trieb jemand einen gewaltigen Scherz mit mir.
Ist das Leben so brutal?
Schlägt das Schicksal so hart zu, wenn man denkt man hätte sein Leben im Griff?
Gibt es einen Gott, der sowas zulässt oder ist dies eine weitere Prüfung in meinem Leben, damit ich mich weiterentwickeln kann?
Auf diese Fragen fand ich aber erst viel später eine Antwort.
Auf jeden Fall musste ich zuerst das Passierte verarbeiten, was mit sehr viel Traurigkeit verbunden war. Für mich war der Fall klar, so will ich nicht mehr weiterleben, was soll das für ein Leben sein? Immer auf Hilfe angewiesen zu sein. Ich sagte zu meinem Vater, er soll mir ein Gewehr bringen und mir eine Kugel in den Kopf jagen, damit dieser Alptraum ein Ende nimmt. Ich brauche Hilfe für alles, denn mein Geist weiss zwar wie es geht, aber meinen Körper interessiert das nicht.
Ich wollte nur noch schlafen. In meinen Träumen konnte ich noch gehen und da war alles noch wie vor zwei Tagen. Also verlangte ich Schlafmedikamente, um so viel wie möglich zu schlafen und zu vergessen. Irgendwann holt einen die Realität ein und man merkt, dass es so nicht weitergehen kann.
Die nächsten Tage waren sehr schlimm für mich, denn mir wurde immer mehr bewusst, was passiert war - mit mir.
Wie soll mein Leben weitergehen? Niemand konnte mir diese Fragen beantworten. Doch meine Familie half mir sehr. Ich soll mir darüber keine Gedanken machen, war immer die Antwort meiner Eltern. Ich soll meine Kraft für die Aufgaben, die mir bevorstehen verwenden, und nicht für ihre.
Zwei Wochen vor meinem Unfall hatten meine Eltern angefangen ein Haus zu bauen. Dies war Glück im Unglück. Denn so konnten wir das Haus mit einem Lift versehen und auch sonst alles anpassen (Einfahrt, Lift, Dusche, Toilette). Denn bei meiner Verletzung des Rückenmarks wussten alle, dass ich nie mehr meine Beine werde benutzen können.
Die Tage waren nicht so schlimm, da hatte ich Abwechslung durch Freunde und Familie, aber die Nächte waren der Horror. Da war ich alleine mit mir, vor allem mit meinen Gedanken. Da gab es sehr viel, oder eher nichts, auf das ich eine Antwort wusste.
Was ist der Sinn meines Unfalls? Wieso überhaupt ich, was habe ich gemacht, dass das Schicksal mich so hart bestraft? Die Nächte waren wie geschaffen für diese Fragen, aber leider fand ich noch keine Antwort darauf. Werde ich je eine finden? Gibt es überhaupt eine?
Dies war so eine Sache mit Perspektiven; alle die mich besuchten, waren randvoll damit. Machten mir Vorschläge, was ich machen soll nach der Rehabilitation, dass alles nicht so schlimm war und sich eine Lösung finden werde. Dies machte mich wütend aber auch traurig, denn alle wussten, wie es um mich stand, nur ich nicht.
Noch mehr verärgerte mich, wie sie schamlos über ihre Erlebnisse und bevorstehende Freizeitgestaltung debattierten. Dies tat mir enorm weh. Ich empfand es als Verrat, dass ich nicht mitmachen konnte.
Wenn meine Besucher dann wieder gegangen waren, fühlte ich mich nur traurig und leer und war wieder allein mit meinen Gedanken.
Ich erschuf mir eine fiktive Welt und stellte mir vor, wie das wäre beim Ausgehen: Ich kam hinein ins Pub und hielt Ausschau nach meinen Leuten. Es war meistens jemand da, wenn nicht, ging ich an die Bar und bestellte mir ein Bier, in der Zeit bis ich es bekam, checkte ich die Lage. Dies ging im Normalfall sehr schnell und ich setzte mich dann zu den Auserwählten. Da ich sehr offen war, hatte ich sehr schnell Anschluss, vor allem mit weiblichen Partygästen. Ich war stets sehr schnell im Mittelpunkt.
Das Interessanteste war, wenn niemand im Pub war den ich kannte, oder nur flüchtig, dann konnte ich mit Leichtigkeit neue Menschen kennenlernen.
Bald hatte ich das Problem, dass ich alle kannte und so begann ich, mein Einzugsgebiet auszuweiten. Basel war der ideale Ort für mich, eine Schweizer Grossstadt mit sehr vielen Möglichkeiten.
In Basel hatte ich meine neue Ausbildung angefangen und gedacht, dass dort meine Zukunft war. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich auch eine Freundin - da musste ich eine schwere Entscheidung treffen, denn es gab nur eine Lösung, die Trennung.
And would they let their light shine
Enough for me to follow
I look up to the heavens
But night has clouded over
No sparks of constellation
No vela no orion
Songtext aus Anywhere is
der irischen Sängerin
Enya
Und würden sie ihr Licht scheinen lassen –hell genug für mich, um ihnen zu folgen
Ich schaue hinauf zu den Himmeln – aber die Nacht hat sich bewölkt
Kein Funkeln eines Sternenbilds –