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Gatermann
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eBook130 Seiten1 Stunde

Gatermann

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Über dieses E-Book

Hamburg, Ende der 1970er Jahre: Jürgen Gatermann, Sachbearbeiter bei einer Versicherung, führt ein Leben, das er als wertlos empfindet. Sein einziger Freund Fabian braucht ihn nur, um sich selbst zu bestätigen, sein Chef mag ihn nicht und dessen Sekretärin vertreibt sich mit ihm ihre sexuelle Langeweile. Nachdem Gatermann seine Lebensgefährtin Anni verlassen hat, um sie nicht heiraten zu müssen, scheint es egal zu sein, ob er noch lebt oder tot ist.Das ändert sich, als Maria in die Nachbarswohnung einzieht. Sie bringt ihm Aufmerksamkeit entgegen, lehrt ihn Schulwissen und Lebensweisheiten und gibt ihm zum ersten Mal das Gefühl, ein rundum ernst genommenes menschliches Wesen zu sein.Doch Gatermanns neu gewonnenes Glück ist nicht von langer Dauer denn er muss Maria ermorden.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum22. Mai 2020
ISBN9783969179413
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    Buchvorschau

    Gatermann - Jochen Bauschke

    Impressum

    Erster Tag in der Zelle

    Nicht, weil ich getötet habe, bin ich ein anderer geworden. Das würde ich mir nicht glauben. Ich bin ein anderer geworden, weil ich das Töten als sinnvolles Mittel zur Beendigung des Lebens von der Pike auf gelernt habe. Also nicht die Tat, sondern die Vorbereitung darauf war einzig ausschlaggebend für meine Veränderung. Dass ich diese in meinen Augen positive Entwicklung meinem Opfer verdanke, möchte ich als Anhängsel an die zu erwartenden Grabreden auf die Tote verstanden wissen.

    Eine Veränderung also oder besser: eine Horizonterweiterung hat stattgefunden. Dazu war es keineswegs nötig, einen Gipfel zu erklimmen, um von höherer Warte aus Schritt für Schritt mit zunehmender Weitsicht das Urteilsvermögen zu stärken. Im Gegenteil war es eher ein Gang über das platte Land, durch eine Allee vielleicht, die von den Schatten hoher Bäume in Lichtinseln zerteilt wurde. Am Anfang sah ich nur das helle Licht, mit der Zeit die teilenden Schatten, später die Bäume. Doch ich muss zugeben: Hätte ich vor zwölf Monaten gewusst, in welche Lage mich die Bekanntschaft mit Maria Ludwig, meinem freundlichen Opfer, und die daraus erwachsene neue Sicht bringen würde, ich hätte sicher einen wohlgeformten, nicht zu gering bemessenen Bogen um diese gute Frau gemacht. Aber ich wusste anfänglich natürlich nichts, habe sie selbstverständlich umgebracht, sitze nun folgerichtig seit einigen Stunden in U-Haft und will mir unvergessene Ereignisse, denen ich im Verlauf des letzten Jahres Wert oder Unwert beigemessen habe, noch einmal in Ruhe vor Augen führen, um mir Klarheit zu verschaffen.

    Wie man das so kennt vom Leben, fing alles ganz harmlos an. Die Bekanntschaft mit Maria Ludwig – mehr als eine Bekanntschaft wurde nicht daraus – begann im Treppenhaus auf meiner Etage; gerade als ich meine Wohnung verlassen wollte, um nach der soeben vollzogenen Trennung von Anni beunruhigt Menschen zu suchen … fand ich schon einen. Er war nicht klein, eher winzig, etwa so groß wie ich, was den Blickkontakt, den mir immer wieder unangenehmen Blickkontakt erleichterte. Nun gut, eine Sekunde jemandem in die Augen zu starren, schaffe ich spielend. Danach aber kommt der Mund an die Reihe. Das ist immens wichtig für mich, weil ich mit den Augen nicht viel anfangen kann. Es wird zwar viel geredet und geschrieben von freundlichen, lieben, stechenden, bösen, harten, sanften, fröhlichen, verträumten, glühenden, herzlosen, müden, wohlwollenden, angstvollen, leeren, hilflosen, sprühenden, aufmunternden, empfindsamen, ruhen, mütterlichen, duldenden, neugierigen, seelenlosen, unwiderstehlichen, starren, unruhigen, leuchtenden, freudlosen, unbeteiligten, listigen, lustigen, gemütvollen, feurigen, nachsichtigen, ernsten, fassungslosen, trauernden, lachenden, siegesgewissen, tröstenden, jubelnden, habgierigen, sonderbaren, mürrischen, heimwehkranken, verbitterten, charaktervollen, warmen, lebhaften, sentimentalen, sehnsuchtsvollen, reizenden, unheimlichen, beunruhigenden, gramvollen, lebensmüden, schmunzelnden, gescheiten, vertraulich blauen und ganz besonders von rehbraunen Augen und Blicken, aber mir helfen Augen nicht, ganz gleich, wem sie gehören. Ich brauche Münder, um zu wissen, woran ich bin. Im Treppenhaus hatte ich den unbekannten von Maria Ludwig vor mir, und ich wusste nicht, woran ich war. Das kommt selten vor. Deshalb habe ich nur einen guten Abend gewünscht und bin schnell vorbei an ihr. Der Hausflur stand immer noch voller Kartons.

    Es regnete. Der Fernsehturm fingerte auch schon wieder in den schnellen Herbstwolken. Ich bin nicht umgekehrt. Ich habe die Kartons nicht hinaufgetragen, habe nicht beim Einzug geholfen, habe mich nicht als Nachbar vorgestellt, habe kein freundliches Wort gewechselt. Marias Mund hatte mich zu sehr erstaunt.

    Ich bin zum Griechen geflüchtet, um andere, unaufdringlichere Gesichter zu sehen und um noch etwas zu essen. Unterwegs begann es wieder zu arbeiten dieses Gefühl, das seit rund vierzig Jahren nicht mit sich reden lässt. Noch vor einem Jahr hielt ich es noch für sinnlos, ihm einen Namen geben zu wollen, weil ich geglaubt habe, dass sich durch solche Äußerlichkeiten nichts würde ändern lassen. Heute gebe ich ihm keinen Namen, weil sich das Problemchen weitgehend erledigt hat. So war es an jenem Herbstabend einfach nur da, schweigend, mit Kralle, manchmal heimtückisch abwartend vor dem Biss. Ruhe hatte ich vor ihm nur, wenn ich mal eine längere Zeit allein gewesen bin. Aber das habe ich mir bislang noch nicht oft erlauben können; wer kann das schon: einfach so von der Bildfläche verschwinden, wenn es wieder einmal dringend wird? Offen gesagt: erst einmal ist es mir geglückt, und das ist auch schon ein Weilchen her. Also hatte ich mit diesem abscheulichen Gefühl zu leben, wie und besonders weil ich mit Menschen zu leben hatte. Oft habe ich versucht, mich zu arrangieren, mit dem Gefühl so gut wie mit den Menschen. Meistens bin ich mir dabei selbst in die Falle gegangen. Wie zwei Stunden zuvor, am späten Nachmittag, als ich mit Anni auf den St. Pauli-Landungsbrücken gesessen und mir einen Schnupfen geholt habe. Einen von der Sorte, bei der die Nase ständig tropft und unangenehm kalt wird.

    Wir hatten uns nur zu einem kleinen Spaziergang verabredet. Auf Brücke 4. Daraus wurde nichts. Weil ich ein paar Minuten zu früh war, schaute ich, über das Geländer gelehnt, noch ein bisschen ins Wasser. Dabei fiel mir ein, dass ich mich vielleicht von Anni trennen könnte, um nicht länger ihren drängenden Heiratswünschen im Wege zu stehen. Sie ging mir mit ihren unverblümten Andeutungen schon lange auf die Nerven. Einmal war es ein plärrendes Gör, das sie ganz entzückend fand und sie veranlasste, mich zu fragen, ob mir bei dem Anblick nicht auch warm ums Herz werde. Dann wieder konnte sie stundenlang vor Schaufenstern stehen und ausgerechnet angesichts grässlicher Komplettschlafzimmer von gemütlichen Winterabenden schwärmen. Während ich geschlagene fünf Minuten auf sie warten musste, nahm ich mir vor, ihr zu sagen, dass es aus sei.

    Als sie endlich kam, fand ich Anni wieder einmal ganz reizvoll. Das schmale Gesichtchen, ihr dichtes braunes Haar, ihre ganze Erscheinung, so schön schlank, fast jugendlich aus einiger Entfernung. Als sie mich sah, wechselte sie den Ausdruck ihres Gesichts – so spontan und unbewusst, dass ich glauben wollte, sie wäre unfähig, ihr Gesicht je als Maske zu tragen. Die letzten Meter lief sie, obwohl die Brücke wegen der Ebbe stark elbwärts geneigt war. Doch sie lief, ohne zu fallen, lief wie ein Kind, das sich nicht darum schert, ob Kieselstein und Groschen aus der Tasche hüpfen, lief ohne Rücksicht auf Zuschauer, in der Erwartung, in offene Arme zu fallen. Sehr unangenehm, dass sie mich meinte, doch ich konnte ihr nicht böse sein, weil sie so hübsch und fröhlich aussah, so gut gelaunt schien und ihr Auftritt so unverschämt gekonnt war, weil sie nicht spielte, höchstens sich selbst. Ausgerechnet dieser Eindruck hat mich bestärkt, mich von ihr zu trennen und es ihr sofort mitzuteilen. Vielleicht wollte ich in dem Augenblick auch einmal ehrlich sein wie Anni, nur mich selbst spielen und die Gelegenheit beim Schopfe fassen. Ich weiß es nicht mehr. Ich weiß nur noch, dass ich mich ganz unmöglich benommen habe. Aber mehr war von mir nicht zu erwarten. Wir haben uns kurz in den Armen gelegen; so kurz, wie ich es halten konnte, um nicht noch mehr Aufmerksamkeit zu erregen, und sind dann unter meiner Führung auf die obere Plattform des Pontons gegangen und haben uns auf eine Bank gesetzt. Ich wollte Anne gar nicht erst zum Zuge kommen lassen mit irgendwelchen albernen Nebensächlichkeiten. Wollte gleich zu meiner Sache kommen und sie mit dem gerade vorhandenen Schwung abschließen. Hatte auch Angst, wieder mein Herzklopfen bis zum Hals zu bekommen, das mich in prekären Situationen grundsätzlich davon abhält, überhaupt etwas zu sagen. Musste es vorher erledigen, kurz und bündig, ohne lange zu fackeln.

    „Es ist aus zwischen uns", habe ich so freundlich wie möglich gesagt, und genau in dem Augenblick ist uns ein grauer Herrenhut vor den Füßen vorbeigerollt. Der Besitzer rannte gebückt hinterher, schnappte nach die Krempe, verfehlte sie knapp, spurtete weiter, schnappte wieder, hatte wieder kein Glück. Es war schon komisch. Trotzdem habe ich es vermieden, darüber zu lachen. Aus Annis Sicht wäre das Lachen in dem Moment wohl auch unpassend gewesen. Sie lachte ja auch nicht. Mir schien, sie hatte die Geschichte mit dem Hut gar nicht richtig mitbekommen, sie saß nur da, besah sich ihre Hände und weinte dabei. Man kann also sagen, dass Anni meine Entscheidung mir ihrer gewohnten, nicht übertriebenen Fassung getragen hat. Dass sie weinte, gefiel mir natürlich nicht. Ich habe darüber nachgedacht, ob ich die Eröffnung doch nicht freundlich genug betont hatte, beruhigte mich aber damit, dass ein so kurzer Satz nur mühsam anders als mit der Betonung auf AUS gesprochen werden könnte, selbst bei veränderter Wortstellung. Das Wesentliche hob sich wie von selbst hervor, als ich durchprobierte.

    Wir saßen eine ganze Weile schweigend da. Ich erinnere mich, dass ich Anni immer noch recht hübsch fand, obwohl sie etwas verweint aussah. Eine Brille würde ihr gut stehen, dachte ich. Und dann hat sie ganz unvermittelt gefragt: „Warum?"

    Ich bin nicht darauf eingegangen. Habe ihr nur gesagt, sie würde einen Besseren finden, weil ich überzeugt war, sie würde einen Besseren finden, und weil ich keine Lust hatte, nach Begründungen zu suchen. Darauf ist Anni wiederum nicht eingegangen, sondern hat von Bindungen, Gefühlen, ja sogar von Liebe geredet, als sei das alles gar nichts Besonderes. Dazu hatte ich nicht viel zu sagen. Einige Zwischenbemerkungen. Ansonsten hörte ich ihr nur zu.

    „Eigentlich ein lieber Mensch, dachte ich. „Eigentlich ein lieber Mensch. Immer wieder dachte ich das. Dabei kam ich mir gar nicht so schrecklich schlecht vor. Eher gut, als mir plötzlich aufging, dass nicht ich mich von ihr, sondern ich sie von mir befreit hatte. Genauso plötzlich erschien mir die ganze Aufregung lächerlich. Ich hatte das prickelnde

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