1945: Die letzten Kriegswochen
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Vierzig Jahre nach jenem 8. Mai 1945 war es Bundespräsident Richard von Weizsäcker, der das Wort vom "Tag der Befreiung" (in der DDR schon lange üblich, wenn auch mit sehr eigenwilliger Perspektive) auch in den westdeutschen Sprachgebrauch einführte. Für seine entsprechende Rede erntete Weizsäcker Beifall, aber auch viel Kritik. Bis heute hat sich der Befreiungsbegriff weitgehend durchgesetzt.
Die Monate vor dem 8. Mai 1945 gehörten für viele Deutsche zu den schlimmsten des ganzen Krieges. Die Kämpfe, die jahrelang in fernen Ländern getobt hatten, griffen nun auf die unmittelbare Heimat über. Die damit einhergehenden Zerstörungen überstiegen in vielen Fällen das bisher Vorstellbare.
Während das nationalsozialistische Regime "sein" Volk zum aussichtslosen Kampf bis zum bitteren Ende aufrief, begann sich auf der politischen Weltbühne schon die Welt der Nachkriegszeit abzuzeichnen. Die Großmächte riefen zur Gründungsversammlung der Vereinten Nationen. Während die Verfechter der neuen Weltorganisation von einer besseren, friedlicheren Welt träumten, schuf Josef Stalin in der Region, die bald "Ostblock" genannt werden sollte, machtpolitische Fakten. Nach und nach wurden alle Regierungen mit sowjettreuen Personen besetzt.
Im befreiten Westeuropa lastete neben der wirtschaftlichen Not das Problem der Kollaboration schwer auf den Gesellschaften. In vielen Ländern hatten sich Menschen zur Kooperation mit den deutschen Besatzern bereiterklärt und sich dabei nicht nur im moralischen, sondern auch im juristischen Sinne strafbar gemacht.
Die Zeit vom 27. Januar 1945, als das Vernichtungslager Auschwitz befreit wurde, bis zum 8. Mai 1945 hat die Frankfurter Allgemeine Zeitung in einer täglichen Chronik dokumentiert. Sämtliche Tagesmeldungen sind hier noch einmal zusammengefasst. Die Lektüre mag zuweilen bedrückend sein. Aber es bleibt auch nach 75 Jahren wichtig, sich der Vergangenheit zu erinnern.
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1945 - Frankfurter Allgemeine Archiv
MAI
Vorwort
1945 – Die letzten Kriegswochen
Von Peter Sturm
Vor 75 Jahren, am 8. Mai 1945, endete in Europa der vom nationalsozialistischen Deutschland mutwillig begonnene Zweite Weltkrieg mit der totalen Niederlage des Aggressors. In den ersten Jahren nach dem Krieg war im Zusammenhang mit diesem Tag sehr oft vom „Zusammenbruch die Rede. Das spiegelte das Empfinden derer wider, die die Niederlage ihres Landes – unabhängig von ihrer persönlichen Haltung zum NS-Regime – als Katastrophe empfanden. Diejenigen, die mehr nach vorne schauen wollten, sprachen gerne von der „Stunde Null
. An diesen Begriff knüpfte sich dann im Laufe der Zeit die Geschichte vom märchenhaften wirtschaftlichen Aufstieg der Bundesrepublik Deutschland.
Vierzig Jahre nach jenem 8. Mai 1945 war es Bundespräsident Richard von Weizsäcker, der das Wort vom „Tag der Befreiung" (in der DDR schon lange üblich, wenn auch mit sehr eigenwilliger Perspektive) auch in den westdeutschen Sprachgebrauch einführte. Für seine entsprechende Rede erntete Weizsäcker Beifall, aber auch viel Kritik. Bis heute hat sich der Befreiungsbegriff weitgehend durchgesetzt.
Die Monate vor dem 8. Mai 1945 gehörten für viele Deutsche zu den schlimmsten des ganzen Krieges. Die Kämpfe, die jahrelang in fernen Ländern getobt hatten, griffen nun auf die unmittelbare Heimat über. Die damit einhergehenden Zerstörungen überstiegen in vielen Fällen das bisher Vorstellbare.
Während das nationalsozialistische Regime „sein Volk zum aussichtslosen Kampf bis zum bitteren Ende aufrief, begann sich auf der politischen Weltbühne schon die Welt der Nachkriegszeit abzuzeichnen. Die Großmächte riefen zur Gründungsversammlung der Vereinten Nationen. Während die Verfechter der neuen Weltorganisation von einer besseren, friedlicheren Welt träumten, schuf Josef Stalin in der Region, die bald „Ostblock
genannt werden sollte, machtpolitische Fakten. Nach und nach wurden alle Regierungen mit sowjettreuen Personen besetzt.
Im befreiten Westeuropa lastete neben der wirtschaftlichen Not das Problem der Kollaboration schwer auf den Gesellschaften. In vielen Ländern hatten sich Menschen zur Kooperation mit den deutschen Besatzern bereiterklärt und sich dabei nicht nur im moralischen, sondern auch im juristischen Sinne strafbar gemacht.
Die Zeit vom 27. Januar 1945, als das Vernichtungslager Auschwitz befreit wurde, bis zum 8. Mai 1945 hat die Frankfurter Allgemeine Zeitung in einer täglichen Chronik dokumentiert. Sämtliche Tagesmeldungen sind hier noch einmal zusammengefasst. Die Lektüre mag zuweilen bedrückend sein. Aber es bleibt auch nach 75 Jahren wichtig, sich der Vergangenheit zu erinnern.
Gefangene im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau während der Befreiung durch die Rote Armee. Quelle: Unknown, assumed to be the work of the Red Army (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Auschwitz_Liberated_January_1945.jpg), „Auschwitz Liberated January 1945", als gemeinfrei gekennzeichnet, Details auf Wikimedia Commons: https://commons.wikimedia.org/wiki/Template:PD-1996
Januar
27. JANUAR
Rote Armee befreit Auschwitz
In der zeitgenössischen Berichterstattung geht das Ereignis, das heute international begangen wird, fast völlig unter. Die sowjetischen Einheiten finden in dem Vernichtungslager nur noch wenige tausend Häftlinge lebend vor. Die zentrale Bedeutung dieses Ortes für die planmäßige Vernichtung der Juden Europas erschließt sich erst nach und nach. In Deutschland rückt der Begriff „Auschwitz" in den sechziger Jahren durch den großen Prozess in Frankfurt ins Blickfeld der breiten Öffentlichkeit. Dort werden Angehörige der Wachmannschaften zum Teil zu lebenslanger Haft verurteilt. Das Gericht bemüht sich um die möglichst akribische Rekonstruktion der schrecklichen Geschehnisse. In der Zeit unmittelbar vor der Befreiung des Lagers hatten die SS-Wachmannschaften versucht, möglichst viele Spuren der Morde zu beseitigen. Viele der noch Lebenden wurden in sogenannten Todesmärschen in andere Lager verlegt. Dabei kamen viele ums Leben.
Auschwitz-Birkenau war das größte deutsche Vernichtungslager. Allein hier wurden mehr als eine Million Menschen ermordet, etwa 900000 von ihnen direkt nach der Ankunft in Gaskammern. Mehr als 200000 kamen durch Krankheiten, Unterernährung oder grausame medizinische Versuche ums Leben. Die Opfer kamen aus allen von Deutschland im Lauf des Krieges besetzten Ländern.
Ostpreußen abgeschnitten
Der schnelle Vorstoß der sowjetischen Streitkräfte, die ihre Winteroffensive am 12. Januar begonnen hatten, hat dazu geführt, dass Ostpreußen vom Rest des Reiches weitgehend abgeschnitten ist. Am 27. Januar meldet die Rote Armee unter anderem die Einnahme des Ortes Rastenburg. In der Nähe von Rastenburg befand sich das Hauptquartier Hitlers, in dem Stauffenberg am 20. Juli 1944 versucht hatte, den Diktator durch eine Bombe zu töten.
Während die deutschen Truppen in Ostpreußen, aber auch in Pommern und Schlesien auf dem Rückzug sind, meldet der Wehrmachtbericht einige Erfolge in Ungarn. Der Roten Armee gelingt die Einnahme Budapests zunächst nicht. Dass sich die Situation allerdings zuspitzt, können aufmerksame Leser des Wehrmachtberichts an Formulierungen wie diesen ablesen: Der Bericht spricht unter anderem von „heroischen Kämpfen gegen zahlenmäßig weit überlegene feindliche Kräfte". Die Oder, an der der sowjetische Vormarsch im weiteren Verlauf des Krieges für einige Zeit zum Stillstand kommen wird, taucht in den täglichen Meldungen immer wieder auf.
Abkommen in Ungarn
Kommunisten und Sozialdemokraten schließen ein Kooperationsabkommen. Ziel der Vereinbarung sei, so teilen beide Seiten mit, der gemeinsame Kampf gegen die „Reaktion und „für die demokratische Umbildung
des Landes. Zur Abstimmung der politischen Aktivitäten und Standpunkte beider Parteien wird eine paritätisch besetzte Kommission eingerichtet. Beide Parteien legen großen Wert auf die Feststellung, dass die organisatorische Selbständigkeit beider bestehen bleiben soll.
Ähnliche Versprechungen wird man in den folgenden Jahren aus allen Staaten des nachmaligen Ostblocks hören. Mit Ausnahme der Tschechoslowakei sind die jeweiligen kommunistischen Parteien überall der kleinere Partner. Mit Hilfe der sowjetischen Sicherheitsorgane werden sie aber über kurz oder lang überall zur bestimmenden politischen Kraft.
28. JANUAR
Quisling in Berlin
Vidkun Quisling, dessen Name für die Nachwelt zum Synonym für Kollaboration mit den Nationalsozialisten wurde, wird in Berlin von Hitler empfangen. Norwegen ist zu diesem Zeitpunkt noch von Deutschen besetzt. Quisling, Führer der norwegischen Nationalsozialisten, hatte sich nach dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht den Besatzern zur Verfügung gestellt. Er führte von 1942 bis 1945 eine Regierung von Deutschlands Gnaden. Hitler verspricht seinem Gast für die Zeit „nach dem siegreichen Ende des europäischen Schicksalskampfes" die volle Wiederherstellung der Souveränität Norwegens, freilich mit der Maßgabe, dass sich das Land in ein von Deutschland beherrschtes Europa eingliedern müsse. Es ist nicht überliefert, inwieweit beide das glauben, was sie verlauten lassen.
Vidkun Quisling landet im Januar 1945 in Berlin. Riksarkivet (National Archives of Norway)
Franco schreibt Churchill
Ein Briefwechsel zwischen dem spanischen Diktator und dem britischen Premierminister wird bekannt. Franco soll auf die „Verdienste" seines Landes für die Sache der Alliierten hingewiesen haben und indirekt eine Einbeziehung Spaniens in einen gegen die Sowjetunion gerichteten Westblock angeboten haben. Winston Churchill lehnt das Angebot dankend ab.
Francisco Franco war wenige Jahre zuvor als Ergebnis eines dreijährigen Bürgerkrieges an die Macht gekommen. In diesen waren alle führenden europäischen Mächte mehr oder weniger intensiv verwickelt gewesen. Francos Falangisten waren von Deutschland und Italien unterstützt worden, einerseits mit Waffenlieferungen, andererseits auch direkt militärisch. Entsprechend eng blieben auch die Beziehungen zu Hitler und Mussolini in den ersten Jahren des Zweiten Weltkrieges. Nach der Niederlage Frankreichs 1940 trafen sich Hitler und Franco. Deutschland hoffte auf die Erlaubnis Spaniens zum Durchmarsch eigener Truppen, um die britische Flottenbasis in Gibraltar leichter erobern zu können. Franco hingegen zögerte diese Erlaubnis immer wieder hinaus. Zwar entsandte er spanische Truppen zur Unterstützung der deutschen Wehrmacht in die Sowjetunion. Er vermied es allerdings sorgfältig, sich zu eng an Deutschland zu binden. Das kam ihm letztlich zugute. Er und sein System hielten sich auch in der Nachkriegszeit. Im Verlauf der Verschärfung des Kalten Krieges wurde die Kritik an den Verhältnissen in Spanien immer leiser. Erst nach Francos Tod im Jahre 1975 wurde Spanien zur Demokratie.
Vormarsch der Roten Armee. Quelle: Bundesarchiv, Bild 183-R0130-329 / Melnik / CC-BY-SA 3.0 (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Bundesarchiv_Bild_183-R0130-329,_Vormarsch_der_Roten_Armee.jpg), „Bundesarchiv Bild 183- R0130-329, Vormarsch der Roten Armee", https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/legalcode
Vormarsch Richtung Oder
Im Osten setzt sich der Vormarsch der Roten Armee in Richtung Oder fort. In Schlesien fallen Kattowitz und andere Städte in die Hand der sowjetischen Truppen. Die ostpreußische Hauptstadt Königsberg wird zur „Festung" erklärt.
Diese zweifelhafte Ehre wird in der Endphase vielen Städten zuteil. Das zugrundeliegende Konzept sieht vor, dass sich die jeweiligen Garnisonen in den Städten verschanzen und möglichst lange Widerstand gegen die angreifenden Truppen leisten. Damit, so hofft Hitler, könnten größere Einheiten für lange Zeit gebunden bleiben. Diese würden dann anderswo fehlen. Auf diese Weise könne die Geschwindigkeit des Vormarsches der sowjetischen Truppen zumindest verlangsamt werden.
Im Westen verläuft der alliierte Vormarsch zäh. Dies gilt vor allem für die Kriegsschauplätze im Elsass und in Luxemburg. Bei Luftangriffen auf Köln werden Dom und Hauptbahnhof beschädigt.
29. JANUAR
„Reaktionäre" in Rumänien
Die von der Kommunistischen Partei dominierte „Nationaldemokratische Front Rumäniens veröffentlicht einen Aufruf. Sie kritisiert darin, dass es in der königlichen Regierung immer noch „reaktionäre Tendenzen
gebe, die das Misstrauen der Sowjetunion erregten. Die Front propagiert eine enge Zusammenarbeit mit der Roten Armee sowie eine intensive wirtschaftliche Verbindung Rumäniens mit der Sowjetunion. Gefordert werden außerdem eine allgemeine Bodenreform sowie die „Eliminierung" aller faschistischen Elemente in Rumänien.
Rumänien gehörte zu den Verbündeten Deutschlands und stellte auch größere Kontingente während des Krieges gegen die Sowjetunion. Im September 1944, als sich sowjetische Truppen den Grenzen des Landes näherten, schloss die Regierung in Bukarest einen Waffenstillstand mit Moskau. Im März 1945 wird dann der König gezwungen, eine neue Regierung einzusetzen, in der Kommunisten führende Positionen einnehmen. Die Sowjetisierung Rumäniens nimmt ihren Lauf.
Aufruf Guderians
Generaloberst Heinz Guderian, der spätestens seit dem Feldzug gegen Frankreich im Jahre 1940 zu den Helden der nationalsozialistischen Propaganda gehört, veröffentlicht einen Aufruf „An die Soldaten des Ostheeres. Darin gibt er zwar zu, dass es bedeutende Geländeverluste im Kampf gegen die Rote Armee gebe. Er benutzt in diesem Zusammenhang aber den Begriff „Preisgabe
, um zu verdeutlichen, dass das alles eigentlich kein wirkliches Problem sei. Die Führung verfolge vielmehr einen „klaren Plan. Von allen Seiten, so Guderian, würden gerade Verstärkungen herangeführt. Und die feindlichen Kräfte würden angegriffen, sobald dieser Aufmarsch abgeschlossen sei. „Den Zeitpunkt bestimmt die Führung
, kündigt er an.
Im wirklichen Leben erobert die Rote Armee unterdessen Memel und setzt ihren Vormarsch in Richtung Oder fort. Im Westen hingegen herrscht wenig Bewegung, was das alliierte Hauptquartier unter anderem auf schlechtes Wetter (schwere Schneefälle) zurückführt.
Der jugoslawische König dankt ab
Der jugoslawische König Peter II. dankt – theoretisch vorübergehend – ab. Über die endgültige Staatsform Jugoslawiens solle das Parlament des Landes entscheiden, verlautet zur Begründung. Die Mitteilung stammt von der jugoslawischen Exilregierung in London, die im Land selbst allerdings zu diesem Zeitpunkt nicht mehr viel zu sagen hat. Dort dominiert die kommunistische Partisanenbewegung, die von Josip Broz Tito angeführt wird und bald die Regierung übernehmen wird.
Jugoslawien hatte sich nach dem Überfall Deutschlands im Jahre 1941 aufgespalten. In Kroatien entstand ein faschistisch geprägtes Staatswesen, das mit Deutschland verbündet war. Die serbisch geprägte königliche Regierung floh nach London. Ihre Untergrundkämpfer lieferten sich in den folgenden Jahren mehr Kämpfe mit den kommunistischen Partisanen als mit den Besatzungstruppen. Ihr militärischer Wert sank, nicht zuletzt