Hitchhiking the Americas
Von Katrin Oertel
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Über dieses E-Book
Katrin Oertel
Katrin Oertel, Jahrgang 1981 wurde in Halle/Saale im Flachland geboren. Schon zeitig hatte sie eine Vorliebe fürs Wandern, die sich später auf andere sportliche Bereiche ausweitete. Radfahren, Skifahren, Klettern, Eisklettern sind jetzt die Hobbies. Mit Ihrem Beruf als Ärztin verdient sie das Geld dafür.
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Buchvorschau
Hitchhiking the Americas - Katrin Oertel
Zweieinhalb Jahre auf den schönsten Bergen und in den schönsten Nationalparks des Doppelkontinents und auch ein bisschen Afrika.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Vorbereitung
Alaska
Mt. Denali
Der Norden, Dalten Highway and the Brooks Range, The Gates of the Arctic
Zentral Alaska, Chena Dome Trail
Der Süden, Valdez, Mc Carthy, Kennecott
Valdez
McCarthy
Zentral Alaska, Hundemami in Nenana
Chilkoot Trail
Neuengland – John Irving Land
Maine – Mt. Kathadin und die 100 Meilen Wildnis
New Hampshire – White Mountains
Vermont – Green Mountains
Nochmal New Hampshire Mt. Washington im Winter
Tennessee – Smoky Mountains
Florida – eine Woche im Brevard Equestrian Center
Und wieder Alaska, diesmal im Winter
Süd- und Mittelamerika
Ecuador Dezember 2016
Columbien bis Panama Jahreswende 2016/17
San Blas
Panama
Costa Rica
Von Costa Rica nach Guatemala, drei Tage im Bus
Guatemala
Mexico
Auf Ruinenentdeckungstour mit meinen Eltern
Wieder allein – die Berge Mexicos
USA – der Westen
Colorado – Wandern im verschneiten Rocky Mountain NP
Arizona Wüstenwanderung im Tonto NF
Klettern in Utah
Arizona Wanderung am Grund des Grand Canyon
Utah nette Gesellschaft im Arches Nationalpark
Wyoming Schneeberge auf meinem Zelt
Idaho viel mehr als nur Kartoffeln
Washington Großstadt und Hochgebirge
Idaho heiße Quellen und reißende Schnellen
Montana Berge, Schnee und bunte Blumen
Wyoming Wandern in Yellowstone
South Dakota saftiges Grün und trockene Wüste
Black Hills
Badlands
Nebraska – nichts als flache Fläche
Colorado – Frühling in den Bergen
Rocky Mountain National Park nochmal, weil es so schön ist
Telluride
Utah im Sommer
Lake Powell
Zion
Bryce Canyon
Nevada trampen verboten
Wunderschönes California
Zwei Monate zu Fuß durch die Sierra Nevada
Besuch in Sonora
Unerwarteter Weise eine Großstadt Besuch in Los Angeles
Weiter auf dem PCT von Sonora nach Sierra City
Lassen Vulcanic National Park
Sonnenfinsternis auf Mount Shasta
Crater Lake – habe ich leider nicht gesehen
Red Woods Nationalpark
Pacific North West wunderschöne Vulkane in Washington
Mt. Adams
Mt. St. Helens
Montana – wilde Berge und wilde Bären
Bob Marshall Wilderness
Glacier Nationalpark
Canada
von British Columbia nach Nova Scotia 8 Tage im Truck
Nova Scotia
Neufundland im November
Von Neufundland bis Montreal
Südamerika
Peru – mystische Orte
Choquequirao
Macchu Picchu
Ausangate Trek
Ecuador – Strand und Vulkane
Die Pichinchas
Cotopaxi
Peru – Santa Cruz Trek
Bolivien
Titikakasee
La Paz
Huayna Potosí
Camino de la muerte
Sajama Nationalpark
Salar de Uyuni
Chile – die höchsten Wüstenvulkane der Erde
Ojos del Salado
Argentinien – Schönheit am Ende der Welt
Aconcagua
Buenos Aires
Abenteuerliche Autofahrt von Buenos Aires nach Mendoza
Auf nach Patagonien
Volcán Lanín
Arrayanes Nationalpark
Fahrt nach Süden durch die patagonische Wüste
Cueva de las manos
El Calafate
El Chaltén
Entlang der Ostküste nach Buenos Aires
Feuerland
Chile – das schönste Ende der Welt
Isla de Navarino
Punta Arenas
Torres del Paine
Grenzgang zwischen Chile und Argentinien
El Chaltén
Loma del Pliegue Tumbado
Vuelta de Huemul
Von Piedra del Fraile zur Laguna Torre
Vom Lago del Desierto zum Lago O‘Higgins
Von Villa O‘Higgins auf der Carretera Austral nach Norden und zurück
Bariloche
Salta
Bolivien — zweiter Versuch, ein bisschen höher zu kommen
Kleine Akklimatisierungswanderung in den Condoriri Bergen
Illimani – zweithöchster Berg Boliviens im Whiteout
Peru – noch ein paar hohe Berge
Salkantay Trek
Huaraz
Ishinca
Urus
Pisco
West USA Bergsteigen, Klettern, Wandern
Oregon
Portland
Goat Rocks
Mt. Baker
Mt. Rainier
Mt. Hood
Colorado – Klettern und jede Menge 4.000er
Cañon City
22 Viertausender in zwei Wochen
Pikes Peak
Mt. Shavano und Tabeguache
Mt. Antero
Mt. Princton
Mt. Yale
Mt. Harvard und Mt. Columbia
Missouri Mountain, Mt. Oxford und Mt. Belford
La Plata Peak
Mt. Elbert
Mt. Massive
Quandary Peak
Mt. Bross, Mt. Lincoln, Mt. Cameron und Mt. Democrat
Torreys und Greys Peak
Longs Peak
Wyoming Bergtouren in Fels, Eis und Blumenwiesen
Middle Teton
Dissapointment Peak
Entspannung auf dem Snake River
Gannett Peak
Grand Teton
Montana – in Qualm gehüllt
Missoula und Whitefish – Besuch bei Freunden
Glacier & Waterton Nationalparks
West - Canada
Crowsnest Pass
Crowsnest Mountain
The Highwood
Mt. Rae
Kananaskis Lakes Area
Warrior Mountain
Mt. Cordonnier
Mt. Serrail
Smith — Dorrien Area
The Tower
Canmore
Lake Louise Area
Mt. Albertson und Temple Mountain
Tower of Babel
Hidden Lake
Field und Yoho Area
Iceline Trail
Jasper
Skyline Trail
Pyramid Mountain
Icefield Parkway
Observation Peak
Banff Area
Mt. Rundle
USA – Ostküste im Herbst
Reise zu viert
Boston
Cape Cod
Shenandoah
Messachusetts – gegen den Wind
Neuengland – Herbst in den Bergen
New Hampshire
Vermont
New Hampshire - White Mountains im Herbst
Maine - Acadia Nationalpark
Maine – New Brunswick, Grenzüberschreitungen für Fortgeschrittene
Von Cape Breton, Nova Scotia
nach Portland, Oregon
New York – winterliche Adirondacks
North Dakota
Teddy Roosevelt Nationalpark
Colorado Sangre de Christo u.v.m. im Spätherbst
Arizona – Vermillion Cliffs
Utah – einsame Wüsten Capitol Reef und Canyonlands
Oregon zu Besuch bei den wunderschönen Three Sisters
Afrika
Äthiopien – Akklimatisation im Simien Mountain National Park
Mt. Kenya – der schönste Berg Afrikas
Tanzania – Kilimanjaro und Mt. Meru
Nachwort
Einleitung
Während meiner Reise wurde ich oft gefragt, warum ich das mache. Diese Frage hat sich für mich nie gestellt, nur: wohin und wann.
Leute meinten, ich wäre mutig, weil ich allein durch die Gegend reise, aber, mal ehrlich, ist es nicht mutiger, sein Leben auf der Couch zu vergeuden? Schließlich hat man nur eines. Da finde ich es mutig, auf die Abenteuer, die auf der anderen Seite des Fensters warten, zu verzichten.
Ich wollte einfach raus in die Berge. Wandern, Bergsteigen, allein ohne Zivilisation. Die Amerikas boten sich super, schon wegen der Sprache, an. Im Gegensatz zu Europa, Asien und Afrika braucht man hauptsächlich nur drei verschiedene Sprachen. Und, wie sich herausstellte, ist es super einfach, dort umher zu reisen. Gerade in Nordamerika habe ich kaum Geld ausgegeben, im Gegenteil, ich habe sogar manchmal welches bekommen. Ich muss wohl einen sehr beklagenswerten Eindruck gemacht haben. Nein, ich denke, wenn man erwartet, nette Menschen zu treffen, dann trifft man auch nette Menschen. Und ich habe sehr viele, wunderbare Menschen getroffen, denen ich sehr dankbar bin, in mein Leben getreten zu sein. Ohne diese Leute, wäre ich niemals so weit gekommen.
Ich habe hin und her überlegt, wie ich das Buch gestalte, und ja, ich hatte sehr, sehr viel Zeit zum Überlegen. Da dieses Buch nicht nur informativ sondern auch halbwegs lesbar und amüsant sein soll, gedachte ich, es in kleine, nach Ländern, bzw. Staaten geordnete Kapitel zu gliedern, rein chronologisch, und dazu kleine Kurzgeschichten über die abenteuerlichsten oder lustigsten Ereignisse zu verfassen. So kann man nachschlagen, wenn man selbst an einen dieser wunderbaren Orte fahren möchte und sich mehr oder minder anwenderfreundlicher Tipps erfreuen will oder auch einfach nur zum Spaß, und ich hoffe den macht es, kleine Geschichten lesen.
Also, ich hoffe, ihr habt wenigsten einen Bruchteil der Freude beim Lesen, die ich bei der Recherche hatte, und das alles ohne Absturzgefahr. Allerdings muss ich warnen, da das Reisefieber infektiös ist. Die Übertragung erfolgt in dem Fall optisch und kann lebenslang anhalten. Die Therapie ist langwierig und erfordert u.a. Aufenthalte in großen Höhen.
Vorbereitung
Von einem Berg hatte ich schon lange geträumt: Denali. Ja, OK, für den Anfang vielleicht etwas hoch gegriffen, aber ich liebe Schnee und Eis und welcher Ort auf der Welt wäre perfekter geeignet, dies anzutreffen?
Im Jahr zuvor bin ich bereits mit Diamir auf den Cayambe und Chimborazo in Ecuador gestiegen. Zum Test. Ich war ja schon öfter Wandern, aber nie auf hohen Bergen und auf Gletschern. Ich dachte, wenn ich bei der Besteigung dieser beiden keine Probleme habe, dann muss ich es unbedingt probieren, auf den Berg meiner Träume zu kommen. Immer wieder schwelgte ich in Gedanken und studierte Bilder, Karten und Informationen im Internet. Ein wenig trainiert war ich sowieso. Laut meinem Papi eher bekloppt, jeden Tag mindestens zwei Stunden ins Fitnessstudio zu gehen, Reiten, Fahrradfahren, Klettern, Rudern. Zumindest mal ein paar Grundvoraussetzungen.
Als ich dann in Ecuador war, auf dem Weg hoch zum Chimborazo, dachte ich nicht nur einmal, nein, so was mache ich nie wieder! Das dachte ich vielleicht fünf der zehn Aufstiegsstunden. Als ich dann aber oben war, rückte Denali gefährlich nahe und ich konnte gar nicht mehr aufhören, darüber nachzudenken, dort hinaufzusteigen.
Übrigens ist in meiner Erinnerung Chimborazo immer noch der anstrengendste Berg, den ich je bestiegen habe und mittlerweile hat sich deren Zahl enorm erhöht. Ich denke, das liegt weniger daran, dass wir sieben Stunden lang ca. 45° auf Blankeis in nicht gerade optimalen Wetterbedingungen nach oben gestiegen sind, als vielmehr daran, dass es mein erster hoher Berg war. Die Akklimatisierung war nicht so super. Wir waren auf einigen Viertausendern zuvor, haben aber nur vor der Besteigung des Cayambe, sozusagen als Testberg, in der Höhe geschlafen, und das war alles andere als gut. Aber so ist das, wenn man nur drei Wochen Urlaub hat, um Berge zu besteigen. Später hatte ich auch auf viel höheren Bergen nie Probleme, da ich einfach immer super akklimatisiert war. Auch wenn man weiß, worauf man sich einlässt, ist es viel einfacher immer nur einen Fuß vor den anderen zu setzen, im Wissen, irgendwann schon anzukommen, na ja, nicht immer, manchmal ist es gesünder, vorher umzudrehen.
Ich hatte also den Entschluss gefasst, meine Reise in Alaska mit der Besteigung des Mt. Denali (mit 6.190 m nur 77 m niedriger als der 6.267 m hohe Chimborazo) zu beginnen.
Ich plante zweieinhalb Jahre für mein Gesamtvorhaben. Die Denalibesteigung war im Sommer. Ich wählte den spätesten Termin, Mitte Juni, da mein Arbeitsvertrag in Jena bis 31.05.2016 ging. Am Ende meines Studiums hatte ich mein Praktisches Jahr und dann noch einige Monate in Brasilien verbracht. Diesmal wollte ich unbedingt länger bleiben, da ich festgestellt hatte, dass sieben Monate verdammt schnell vergehen und ich wollte Weihnachten zurück sein.
Nun, für den höchsten Berg Nordamerikas braucht man etwas Ausrüstung. Einige Dinge hatte ich ja schon, aber viele auch nicht: Puscheljacke, Puschelhose, Puschelhandschuhe, Puschelpuschelpuschelschlafsack und natürlich, nicht Puschel, aber doch sehr, sehr warme 8.000er Schuhe, Steigeisen u.s.w. All das habe ich gegen ansonsten nutzlose Dreieinhalbtausend Euro eingetauscht. Einiges davon konnte ich dann auf zwei Höhenmedizinkursen in Österreich und in der Schweiz schon mal austesten, auch wenn die 8.000er Schuhe hierfür etwas übertrieben waren und ich dafür teils komisch beäugt wurde.
Nur die Bergausrüstung allein hat eine großen Dufflebag gefüllt (der oder die Dufflebag? Das wird wohl das Geheimnis der denglischen Sprache bleiben). Nun wollte ich aber auch nach der Besteigung des kältesten Berges der Welt noch weiter in viele verschiedene Gegenden reisen. So musste ich mich entscheiden, was ich mitnehmen wollte und wie. Leider hat man ja nur einen Rücken und alles andere wäre auch unpraktisch und würde komisch aussehen.
Ich habe einen großen 75 l Rucksack mit Zelt, Schlafsack, Isomatte, Regensachen, Kochzeug und ein paar Klamotten gepackt und die Bergausrüstung inklusive Klettersachen in den Dufflebag gequetscht. Rucksack auf dem Rücken und Tasche vorn, kann man so zumindest kurze Strecken problemlos zurücklegen.
Weiterhin habe ich durch einen großen Zufall die E-Mail und Telefonbekanntschaft von Andy gemacht, der in der Nähe von Nenana winterliche Schlittenhundefahrten anbietet. Ich hatte meine geführte Denali Reise für ca. 8.000 Euro bei Amical alpin gebucht. Weil es etwas langwierig war, die Beratung über das Telefon durchzuführen, bin ich zu ihnen nach Oberstdorf gefahren. Allein das war, von Jena aus, eine in meinem damaligen Empfinden noch lange Reise. Aber es hat sich mehr als gelohnt. Nicht nur, dass ich dort den Großteil meiner Puschelsachen bekam, ich bekam auch Andys Kontaktdaten. Ich hatte den netten Leuten von Amical von meinem Vorhaben erzählt und die hatten sofort die Idee, ich könnte meine Bergausrüstung bestimmt für einige Zeit bei ihm deponieren. Nachdem wir einige E-Mails hin und her geschrieben hatten, rief ich ihn dann einen Tag vor Abflug an und, obwohl er gerade nicht in Alaska, sondern in den Alpen unterwegs war, bot er mir an, so lange ich wollte, Zeit in seinem Haus bei Nenana zu verbringen. OK, sehr vertrauensselig, aber danke. Das nahm ich gern an.
In meiner Vorbereitungszeit hatte ich viele Nerven in Versicherungen und, im Rückblick die größte Hürde in der Besteigung des Mt. Denali, die Beantragung des US-amerikanischen Visums, gesteckt. Man muss einige Seiten auf der Homepage der US-Botschaft ausfüllen, Geld bezahlen und sich einen Termin in der Botschaft, das war in meinem Fall in Berlin, holen. Nicht ganz einfach, diesen wahrzunehmen, aber dank der Hilfe eines Kollegen der meinen Dienst früh um sechs übernahm und dank meiner Eltern, die mich hin fuhren, hat es aber zeitlich geklappt. Ich dachte, ich hätte mich sehr gut auf den Termin vorbereitet. Ich hatte Kontoauszüge, Flugpläne, die Amical-Rechnung und Versicherungsnachweise mit. Aber die Frage des Beamten: Was wollen Sie in den USA, hat mich dann doch vor eine Herausforderung gestellt. Offensichtlich war die Antwort, Urlaub machen, nicht richtig. Viel mehr konnte ich in dem ca. eine Minute dauernden Gespräch dann auch nicht erklären. Der Beamte hatte mich nämlich umgehend für unwürdig befunden, sein Land zu bereisen. Da konnte man auch keinen weiteren Einspruch erheben.
Man kann sich vielleicht denken, dass ich nach all den Vorbereitungen und Ausgaben nun ganz schön niedergeschlagen war. Ich rief bei einer Visum-Hilfs-Organisation an, die mich zwar sehr nett, aber ohne Aussichten auf Erfolg berieten. Dennoch hieß es, ich solle es einfach versuchen. Was wohl ein großer Fehler war, und dies ist mir leider schon oft zum Nachteil geworden, ich bin einfach zu ehrlich. Um in die USA einreisen zu dürfen, braucht man einen festen Job in Europa. Nun liegt es ja auf der Hand, dass ich, hätte ich einen festen Job, nicht zweieinhalb Jahre durch die Gegend reisen könnte. Eben dafür habe ich ja gekündigt. Das hätte ich in dem schriftlichen Antrag einfach nicht erwähnen dürfen.
Bei dem nächsten Botschaftstermin darf man nicht ein zweites Mal zu dem gleichen Staatsprotektor, von dem man zuvor abgewiesen wurde und so verspürte ich wenigstens den Hauch einer Chance. Wenn ich mich recht erinnere, war der nächste Termin drei Monate später, im Mai. Diese drei Monate hatte ich schlechte Laune, weil ich kontinuierlich daran denken musste, was, wenn ich nicht in die USA einreisen konnte? Geld zurück vom Guide Service gibt es nicht und noch viel schlimmer, ich hatte mich mental schon so sehr darauf eingestellt, bald auf meinem geliebten weißen Berg zu wohnen. Ich hatte mir vorgenommen, einfach darum zu betteln, dieses Vorhaben erledigen zu dürfen und wenn es sein müsse, auch gleich danach wieder zurückzukommen.
Nochmal musste ich die Hilfe meines Kollegen und meiner Eltern in Anspruch nehmen. Ungeduldig, mit nassen Händen, saß ich im Warteraum vor den Botschaftsschaltern. Ich beobachtete wie mehr Leute mit traurigen Gesichtern den Schalter, von dem mir schon bekannten Sympathiebolzen, wieder verließen und von dem anderen Angestellten die Leute mit fröhlicheren Gesichtern zurückkehrten. Ich war froh, dass ich nicht nochmal zu ihm musste. Und dann erklang die gefürchtete Stimme, die mich zu eben diesem gefürchteten Schalter zitierte. Ich gab alle Hoffnung auf. Er schaute kurz auf den Bildschirm seines Rechners und schickte mich dann wieder weg. Aufatmen! OK, es ist noch nicht ganz vorbei. Sein Kollege war tatsächlich wesentlich freundlicher, was keine Kunst war. Im Gegensatz zu meinem ersten Vorstellungstermin, wurden sogar meine Unterlagen gesichtet. Kurzzeitig dachte ich echt, es würde nicht klappen, aber meine Taktik funktionierte. Er behielt meinen Reisepass. Was mein gebeuteltes Hirn nicht sofort in Zusammenhang brachte, aber nach kurzer Verwirrung schloss sich der Kreis und ich atmete auf. Es hatte geklappt. Ich durfte in die USA! Am 25. Juni sollte es los gehen.
Was ich auch nicht wusste, aber das ist eher etwas doof gewesen von mir, dass man sich drei Monate vor Ende des Arbeitsvertrags beim Arbeitsamt melden muss. Mein letzter Arbeitstag war ein 24 Stunden Dienst und so verbrachte ich den letzten Tag im Monat Mai 2016 im Arbeitsamt in Jena. Umsonst. Mir wurde gesagt, ich solle mich dann im Arbeitsamt Halle vorstellen. Meine Eltern wohnen dort und bei ihnen wollte ich mich für die Dauer meiner Reise melden. Irgendwo braucht man ja schließlich einen Wohnsitz. Ich wollte ja für die nächsten 25 Tage auch keine neue Arbeit finden und meldete mich nicht arbeitssuchend sondern arbeitslos und es funktionierte. Leider mussten sich um den Rest der Formalitäten dann meine Eltern kümmern, da ich ja dann nicht mehr da war. Aber, entgegen aller Vorurteile die man immer so hört, waren die Leute im Arbeitsamt super nett und haben sich total für mein Vorhaben interessiert und ich bekam sogar im Nachhinein noch für diese 25 Tage im Juni über 1.000 Euro Arbeitslosengeld. Mir ging es aber primär um die Krankenversicherung, die ich ja mit Arbeitsende nicht mehr von meinem Arbeitgeber hatte und ab 25.06. hatte ich nur noch meine Auslandsreisekrankenversicherung und die Anwartschaft für meine gesetzliche Krankenversicherung.
Nun machte ich mich daran, all mein Hab und Gut loszuwerden. Das ging sehr gut. Viele Dinge habe ich verborgt, einige einfach auf die Straße vorm Haus gestellt und nur wenige bei meinen Eltern in Halle untergebracht, auch meine Sammlung noch gefüllter, nicht unbedingt voller, Whiskyflaschen. Mit jedem Ding das ich los wurde, ging es mir besser. Es war so erleichternd, all diesen Zivilisationsballast los zu werden.
Natürlich durfte eine ordentliche Abschlussfeier auch nicht fehlen. Diese dauerte drei Tage und fand im wunderschönen Garten meiner Großeltern in den sonnigen Weingärten bei Freyburg, genau zwischen Halle und Jena, statt.
Am 25. Juni brachten meine Eltern und meine kleine Schwester mich dann zum Bahnhof in Halle und dann ging es los. Langsam wurde ich tatsächlich so was wie aufgeregt.
Alaska
Mt. Denali
Es gab weder Probleme mit dem Eispickel, noch mit den Eiweißriegeln in meinem Rucksack und die Dame an der Grenzkontrolle in Anchorage war mir gegenüber erfreulicherweise recht gleichgültig.
Amical hat ein Bündnis mit Mountaintrip für Besteigungen des Denali, da dort nur US-amerikanische Guideservices hoch dürfen. Sie hatten für alle ein Hotel in Anchorage gebucht und es gab einen Shuttle Service. Ich war nachmittags losgeflogen und kam noch am gleichen Tag zur gleichen Stunde in Alaska an. Zehn Stunden Zeitverzögerung und zehn Stunden Flug sind optimale Ausnutzung der wenigen 24 Stunden, die ein jeder Tag bietet. Also kam ich am späten Nachmittag im Hotel an. Ich fand dieses ja für meine Verhältnisse etwas überluxeriös und mich (ver-)störten auch die vielen ausgestopften Tiere im Foyer. Wie sich später herausstellte, etwas sehr Normales in Alaska. Mein Zimmer bezog ich gemeinsam mit meiner zukünftigen, charmanten Zeltmitbewohnerin Amanda. Abends gab es eine Vorstellungsrunde. Ich war die Einzige nicht muttersprachlich englisch sprechende Anwesende. Von initial angekündigten neun Teilnehmern waren nun nur sechs da und trotzdem wie ursprünglich geplant drei Führer. Amanda aus Südafrika, die aber gerade nach London gezogen war, zwei aus den Lower 48 Staaten und unser jüngster, 18 jähriger Teilnehmer, ursprünglich aus Indonesien, aber in Canada lebend und unsere Guides Jacob, Elay und Jason. Es standen bestimmt 15 große, bis oben hin mit Süßigkeiten und anderen Energielieferanten gefüllte Plastikboxen im Raum, aus denen wir uns bedienen durften. Nehmt, so viel ihr tragen könnt, hieß es. Wie viel ist das wohl?
Die Ausrüstung wurde anschließend gecheckt. Unter anderem wurde meine Stirnlampe aussortiert. Ja, das hätte ich mir denken können, die braucht man in Alaska im Juni nicht, v.a. nicht auf einem weißen Berg. Da ist man froh, wenn die Sonne einem mal nicht direkt ins Gesicht scheint. Da wir erst kurz nach dem längsten Tag des Jahres angekommen waren, war die Nacht tatsächlich Tag hell. Beim Wandern hilft das ja ungemein, da man sich abends nicht beeilen muss, noch vor Sonnenuntergang irgendwo anzukommen.
Am nächsten Tag wurde alles Gepäck in den Mountain Trip Anhänger geladen und wir machten uns auf den Weg nach Talkeetna. Ein kleiner Ort 185 km nördlich von Anchorage, etwas südlich des Denali Nationalparks. Die Fahrt zu diesem bilderbuchmäßigen, alaskanischen Dorf dauerte gefühlt ewig, aber es waren vielleicht nur drei Stunden. Dort angekommen, bekamen wir im Backcountry office erstmal eine Einweisung über das Verhalten am Berg. Das beinhaltet u.a. den Umgang mit den mitgebrachten Lebensmitteln nach dem Verdauungsprozess. So ganz war uns beiden Mädels noch nicht klar, wie das funktionieren soll, also, ich meine, Groß und Klein zu trennen, aber ziemlich schnell lernt man das sehr gut.
Nach dieser ausführlichen Unterrichtung, warteten wir noch bis zum frühen Abend auf unseren Abflug, da das Wetter anfangs nicht gut genug war, um auf den Gletscher zu fliegen. Unten in Talkeetna war es super warm und wir baumelten in der Sonne in der Hängematte. Das Dorf ist zum Touristenort mutiert. Fast in jedem der kleinen, bunten Bretterhäuschen gibt es eine Kneipe und die Leute sitzen auf den Terrassen und trinken Bier und essen riesige Portionen nordamerikanischer Spezialitäten.
Später stellte ich noch häufiger fest, dass vieles von meinem Wissen über die USA, das ich von den Simpsons gelernt hatte, tatsächlich stimmt. Ich hatte früher immer gedacht, dass das nur eine satirische Trickfilmserie ist, in der total übertrieben wird. Aber nein, die Simpsons sind tatsächlich nur eine ganz normale US-amerikanische Durchschnittsfamilie.
Wie ich jedenfalls später aus einem super spannenden Buch von einem Piloten aus Montana, der in Talkeetna arbeitete und bei einem Absturz auf dem Denali im Dezember beide Beine verlor, erfuhr, war der Ort vor wenigen Jahren noch ein sehr verschlafener mit nur wenigen Häusern, zu dem sich kaum ein Tourist hin verirrte. Leider habe ich Titel und Namen des Autors nach nun fast drei Jahren vergessen. Aber es war gut, dass ich das Buch erst nach der Besteigung las.
Irgendwann, wir hatten schon gar nicht mehr damit gerechnet, wirklich noch an diesem Tag loszufliegen, bekamen wir das OK vom Piloten und packten unsere Sachen in die kleine 10 Sitzer de Havilland Canada DHC-3 Maschine.
Der Ausblick war wegen des Wetters eher eingeschränkt und so gerade noch erträglich. Wie es letztendlich dort oben aussieht, war noch eine Überraschung und wir erfuhren es erst später. Nach einem ca. einstündigen Flug packten wir, am Basecamp auf dem Kahiltna Gletscher angekommen, unsere Sachen aus. Jeder bekam einen Schlitten für die Dufflebag (ihr seht, ich habe mich für das die, von die Tasche, entschieden) und den Rucksack auf den Rücken. An diesem wurde der Schlitten konnektiert. Es gab eine kurze Stärkung. Die Guides hatten frischen Salat und Obst und noch Dinge mitgebracht, die ich nicht esse. Das habe ich noch nicht erwähnt. Ich esse nur Blumen, bestehe also zu hundert Prozent aus Flower Power. Was ich total süß fand, die Guides haben sich in der Vorbereitung auf den Weg gemacht und mir allerhand vegane Schleckereien organisiert. Das hatte ich nicht erwartet. Ich wurde viel köstlicher verwöhnt, als ich das jemals zu Hause für mich selbst machen würde.
Gut, zu Hause bei Mami ist was Anderes, die verwöhnt mich auch jetzt, nach fast 40 Jahren, immer noch, als würden wir uns erst kennengelernt haben (und damit meine ich die herzlichen Bemühungen und nicht die breiartige Konsistenz des Essens das ich damals wahrscheinlich bekommen habe).
Dann machten wir uns los, auf zum 1. Camp. Im Whiteout. Es ging erst ein Stück leicht bergab, Heartbreak Hill. Sie sagten, warum der so heißt, würde man auf dem Rückweg merken. Das Basecamp liegt auf 2.200 m/7.800 Fuß, zum ersten Camp gewinnt man nicht viel Höhe, 177 Meter. Es war eine kurze Schneeschuhwanderung, von vielleicht zwei Stunden. Hier schlugen wir das erste Mal unsere Zelte auf und hatten Spaß, am Eingang eine Mulde zu graben, um das Schuheanziehen im Zelt zu erleichtern. Wir hatten ein großes Küchenzelt. Hierfür wird immer erst ein Fundament in den Schnee gegraben, gleich mit integriertem Kochtisch und Sitzmöglichkeiten. Da wir aber die letzte Gruppe auf dem Berg waren, war alles schon vorbereitet und wir waren fast immer die Einzigen, in jedem Camp. Zur Zeit waren noch andere Gruppen weiter oben und einige beim Abstieg. Zeitgleich mit uns gab es nur eine Privatgruppe von zwei Slowaken und einen einzelnen japanischen Bergsteiger.
Ich war jedenfalls sehr über den Komfort erstaunt, den man in so einer Reisegruppe hat. Die Guides haben ausnehmend lecker und vielseitig gekocht.
Als wir am nächsten Tag los liefen und es langsam aufklarte, wusste ich auf einmal, welcher der schönste Ort war, an dem ich je gewesen bin. Dieser hier. Denali ist einfach unglaublich atemberaubend, wenn er sich zeigt. Alles um uns herum war weiß und blau. Man konnte kaum glauben, dass der Berg tatsächlich aus Fels besteht. Es sah eher aus wie ein riesiger Haufen Zuckerguss, aber flauschig weich. Bei derartigen Wetterverhältnissen kann man sich schlecht vorstellen, dass es hier so richtig ungemütlich werden kann. Immerhin sind schon viele Menschen bei dem Versuch, auf den höchsten Punkt Nordamerikas zu kommen, gestorben. Ich war froh, dass ich die Gletscherbrille trug und keiner die kitschigen Freudentränen in meinen Augen sehen konnte. Ich war sprachlos.
So tappelten wir dahin, stundenlang, wie hypnotisiert, zum nächsten Camp, vorbei an dem wunderschönen Mt. Foraker, mit 5.304 m zweithöchster Berg der Alaskarange. Auch dies wieder keine besondere Anstrengung. Wobei ich sagen muss, ich war später heilfroh, als wir auf Steigeisen umstiegen und die Schneeschuhe hinter uns ließen. Ich trat nämlich bei gefühlt jedem zweiten Schritt darauf, fiel und stand wieder auf, trat drauf, fiel und stand wieder auf, u.s.w.
Das erste Camp wird oft ausgelassen, da es nicht weit vom Basecamp und das zweite, bei 2.900 m/9.500 Fuß, nicht weit vom ersten entfernt ist. Aber wir hatten Zeit und je langsamer, desto besser die Akklimatisierung. Außerdem wollte ich sowieso so lange wie möglich auf dem Berg bleiben. Im zweiten Camp kamen wir entsprechend zeitig an und genossen die Sonne und die Aussicht. Die Aussicht war auch wunderbar vom Klo aus. Das erwähne ich nur, weil wir die Klos mit den allerbesten Aussichten hatten, die ich jemals benutzte. Wie bei der Küche, wurde das Fundament in den Schnee gegraben, teilweise mit Wendeltreppe hinab, und mit einer Eismauer drumherum, die eine Lücke für die Sicht ließ.
Es ging dann in monotoner, meditativer Langsamkeit Schritt für Schritt, über den Ski Hill, zum 3.353m/11.000 Fuß Camp.
Der Name dieses Hügels ist ziemlich einleuchtend, wie auch der der Messner Scharte, die wir aber nur von Weitem sahen, da, zumindest von uns Teilnehmern, keiner so gut im Bergsteigen war, um da hoch zu gehen und wahrscheinlich eh nie irgendwer so gut sein wird wie der Namensgeber. Aber warum der später zu erklimmende Hügel Motorcycle Hill heißt, konnte mir keiner sagen, genauso wenig wie der Squirrel Hill (das sind die kleinen Hörnchen, also mit oder ohne „Eich", die es in Nordamerika gibt), da ich mir sicher bin, dass die hier ihre Bäume arg vermissen würden und sich daher nicht soweit oben in den Bergen aufhalten.
Aber Tiere haben wir doch gesehen, noch bis zum Camp 2, und zwar zu meiner Überraschung so Wespen ähnliche Hautflügler in gelbschwarz, solche, die in der Luft stehen können. Wovon die sich dort ernährten ist mir allerdings rätselhaft, jedenfalls haben sie nicht gebissen. Noch weiter unten, im Basecamp, gab es auch kleine Vögelchen, die haben sich von Basecamp Futter ernährt.
Im Camp drei verbrachten wir eine ganze Woche. Das ist die eigentliche Herausforderung am Bergsteigen. Man braucht Geduld. Das Wetter war nicht geeignet zum Weitergehen. In einer Nacht hatten wir über einen Meter Neuschnee und mussten immer mal raus, die Zelte ausbuddeln. Man möchte schließlich nicht wegen einer Kohlendioxidvergiftung den Ausblick am nächsten Morgen oder gar vom Gipfel verpassen. Das Problem war, dass es zu warm war. Ja, auf dem kältesten Berg der Welt war es zu warm. Das hätte ich nie gedacht. Überhaupt habe ich während der gesamten Zeit nur ein einziges Mal meine dünne Daunenjacke getragen und das nur, weil ich sie mit hatte, nicht weil es notwendig war. Mal ganz abgesehen von meinen Puschelklamotten, die ich zum Glück in Chile und Argentinien doch noch brauchte und nicht umsonst mit nach Amerika geschleppt hatte. Durch die Wärme war die Lawinengefahr bei den Massen von Pulverschnee hoch und wir begaben uns nicht in lawinengefährdetes Gelände. Und, wie schon erwähnt, wir hatten den enormen Vorteil, viel Zeit zu haben. Der Einzige, der Zeitdruck hatte, war Daniel aus Idaho. Der musste seinen Flieger am 18.07. erwischen. Aber bis dahin war noch viel Zeit. Während unseres einwöchigen Aufenthalts im Camp III las ich drei dicke Bücher. Ich hatte einen E-Book-Reader und schon einige wenige Bücher darauf gespeichert. Gerade genug für die drei Wochen. Ich war so froh über dieses wunderbare Geschenk meines Papis. Begeistert haben mich die Wetterfestigkeit und die Akkulanglebigkeit dieses guten Unterhaltungsinstruments. Was ich schon immer mal lesen wollte, da es in vielen der Romane eines meiner Lieblingsautoren, John Irving, von dessen Hauptpersonen, die oftmals literarisch interessiert sind, gelesen wird: Moby Dick von Hermann Melville. Außerdem Charles Dickens, ich weiß nicht mehr, welches Buch. Im Laufe der Reise habe ich einige seiner Werke gelesen und geliebt.
Dann kamen wir auf die Idee, einen Schneemann zu bauen. Amandas erster Schneemann.
Die kommenden Generationen werden nicht verstehen, was daran so komisch ist. Die werden wohl zunehmend ohne Schneemänner aufwachsen. Was zur Zeit meiner Bergbesteigung in Alaska noch nicht abzusehen war, dass die zukünftige US-Regierungsspitze selbst das Verschwinden der Schneemänner nicht bemerkt oder negiert. Aber auf diese traurige politischen Wende werde ich sicher später nochmal zurückkommen.
Jedenfalls war Amanda damals 40 Jahre alt und ich dachte mir, das ginge echt nicht an, dass sie noch nie einen Schneemann gebaut hat und das müssten wir ändern. Es war die perfekte Gelegenheit. Kaum waren wir fertig und gaben unserem Heinrich ein Gesicht und ein paar Handschuhe, gab es auf einmal einen lang andauernden, lauten Donner. Von dem senkrechten Hang gegenüber des Camps fiel ein Haus großes Stück Eis herunter. Wir fingen reflektorisch an zu laufen und hielten die anderen, im Zelt dösenden Jungs an, das Gleiche zu tun. Natürlich total sinnlos, vor so einer riesen Lawine könnte man, befände man sich tatsächlich in deren Einzugsgebiet, niemals erfolgreich davon laufen. Aber zum Glück fließt Wasser, und auch Schnee und Eis, nach unten. Und so rollte die Eismasse donnernd an uns vorbei und ließ uns mit aufgerissenen Augen, tachycard und temporärem Atemstillstand zurück.
Wir versuchten die Zeit im Camp III sinnvoll totzuschlagen und machten Steigeisengehübungen. Ich war nun doch schon auf ein paar Gletschern und vor Kurzem hatte ich erst den Höhenmedizinfrühlingskurs am Dachstein abgeschlossen, in dem es unter anderem um Gletscherspaltenbergung und Lawinen ging. Aber für die Teambildung war es echt super. Bei einem kleinen Ausflug den Hügel hinauf konnten wir dann sogar, diesmal ungeplant, eine Gletscherspaltenbergung durchführen. Wir waren mit Führer zu sechst und hatten gedacht, ein wenig die Gegend zu erkunden und zur Akklimatisierung etwas höher den Motorcycle Hill aufzusteigen. Ich war nach dem Guide die Zweite. Auf einmal zog es hinter mir und ich saß im Schnee. Das zuvor bei der Übung einstudierte, auf diese Situation passende Kommando „falling" fiel zeitgleich. Alles blieb stehen und sicherte James, der drei Meter tiefer zwischen zwei Eiswänden baumelte die bestimmt noch gute 100 m weiter nach unten ab fielen. Unser Guide konnte ihn glücklicherweise unbeschadet bergen, aber noch an diesem Abend teilte uns James mit, dass er das Team verlassen und absteigen wollte. Er war eigentlich ein fitter Mann, sagte, er mache solch irrsinnige Dinge wie 100 Meilen Läufe, aber er fühlte sich auf dem Berg einfach nicht wohl, hatte keinen Appetit, fror und konnte schlecht schlafen, und das, obwohl wir gerade mal auf ein bisschen über dreitausend Meter hoch waren. Zu seinem Glück gab es immer noch Gruppen die abstiegen und die nächste Gruppe, auch Mountaintrip, die an unserem Camp vorbei nach unten lief, nahm ihn mit. Sehr schade, aber ich denke, auch bis dahin war die Wanderung schon ein einmaliges Erlebnis, für das es sich gelohnt hat, all die Strapazen auf sich zu nehmen. Nun waren wir nur noch sieben.
Nach einer Woche in Camp III ging es endlich weiter über Motorcycle- und Squirrel Hill zur berühmt berüchtigten und diesmal gar nicht windigen Windy Corner. Ich hatte schon ein bisschen Bammel vor diesem Part, weil man immer hört, wie schrecklich windig es da oben ist. Aber diesmal wehte kein Lüftchen. Auch unsere Guides meinten, so windstill hätten sie es noch nie erlebt. Die Landschaft war ein Traum. Es gab unter Anderem zwei ziemlich gleich hohe gleichartig geformte Hügel nebeneinander die eine beeindruckende Ähnlichkeit mit den unpraktischen BH‘s hatten, die Madonna damals trug als sie noch jung war. Dann, weiter an riesigen Eisbrocken vorbei bis das Medical Camp, das Camp auf 4.328 m/ 14.200 Fuß, in Sichtweite kam. Ich litt unheimlich unter der Hitze. Ich trug nur meine lange Merinounterwäsche und meine rote Wanderhose. Als wir morgens los gingen, war es noch kalt. Sobald die Sonne hinter dem Berg verschwand, merkt man an dem drastischen Temperaturunterschied, dass es Nacht war, es wurde aber nicht wirklich dunkler, was auch ziemlich praktisch war, wenn man nachts aufs Klo muss. Die Jungs bevorzugten da die Pinkelflaschenmethode und das anschließende Kuscheln im Schlafsack mit dem zur Wärmeflasche umfunktionierten Behälter. Ich hatte das zwar bereits im Hotel in der Badewanne einmal erfolgreich geübt, war aber ganz froh, es Amanda nicht antun zu müssen, von meiner Fähigkeit wirklich Gebrauch zu machen.
Meine Zehen waren an diesem Morgen selbst in den dicken Merinosocken und 8.000er Schuhen beim Losgehen noch eisig und tauten erst durch die Arbeit des Stufen-in-den-Schnee-Tretens wieder auf. Als die Sonne aus ihrem Versteck hervor kam und ihre Strahlen von jeder Seite reflektiert wurden, war es so warm, dass ich meinte, selbst schmelzen zu müssen. Mein amöbenartiges Fortbewegen ließ keinen Zweifel daran, dass dies wirklich gerade mit mir geschah und die eingeschränkten Denkvorgänge schienen ein Beweis für die Verflüssigung meines Gehirns zu sein. Aber endlich, nach vielleicht sieben stündiger Wanderung, erreichten wir das Camp.
Zuerst mal Ausruhen. Wir legten die Isomatten in den Schnee und aßen von den leckeren Riegeln - von denen, von denen wir so viel wir tragen konnten mitnehmen durften. Ich hatte ein aufblasbares Kissen mit. Extra zu dem Zweck, den Schnee vor der Wärme meines zarten Hinterns zu schützen, sodass man während des Sitzens kein Loch in den Untergrund schmilzt. Während wir so chillten, machten sich die fleißigen Guides schon daran, das Küchenzelt zu installieren, diesmal ein etwas kleineres, das wir vor Ort aus einem Cache holten, den eine andere Gruppe dort für uns zurückgelassen und mit Fähnchen markiert hatte. Als wir dann auch irgendwann unsere Zelte aufgebaut hatten, bekam jeder einen Liter warmes Wasser zum Duschen, außer mir, ich präferierte, den Schnee selbst mit meiner Körperwärme auf Badewannentemperatur zu bringen. Das war wunderbar und nur machbar, da wir ganz allein in diesem großen Camp waren. Es hieß, zur Hochsaison seien hier bis zu 200 Bergsteiger. Es ist das größte aller Camps und das Einzige, wo man sich auf der gesamten Fläche frei bewegen darf. Bei den anderen ging das nur in einem zuvor nach Gletscherspalten mit einer Sonde abgetasteten und markierten Areal. Überall sonst musste man angeseilt laufen.
Wir waren glücklich, genossenen die unglaubliche Ruhe und die himmlische Aussicht. Ich glaube, wir verbrachten zwei Tage in diesem Camp. Das heißt übrigens so, weil hier das Erste-Hilfe-Zelt samt Personal untergebracht ist. Als wir ankamen, machten sie gerade den Abflug und ließen uns allein. Das wär‘s, hier zu arbeiten, eine Saison. Ein Traum, den ich mir hoffentlich irgendwann einmal erfüllen werde.
Einmal machten wir einen Ausflug zu einem Aussichtspunkt. Man hatte einen Blick auf die herabfließenden Gletscher, Mt. Foraker und Mt. Hunter, der mit seiner breiten, pyramidenförmigen Basis und der Spitze oben darauf eine immer gut zu erkennende Orientierungshilfe ist. Gegen Abend sammelten sich ein paar Wolken unter uns und ließen kaum einen Unterschied zwischen ihnen und den herausragenden Bergspitzen erkennen. Das Einzige, was ich an diesen unendlichen Tagen nicht so gut durchdacht finde ist, dass es weder Sonnenunter- noch -aufgang gibt und keinen Nachthimmel mit Mond und Sternen. Dafür gibt es die schon erwähnten Vorteile und, na ja, man kann ja nicht alles haben.
Von hier aus ging es über den, mit ca. 55° Steigung steilsten, aber mit Fixleinen gesicherten, kurzen Anstieg weiter zum Denali Pass und über einen schmalen, aber gerade so nicht Höhenangst induzierenden Grad weiter zum Highcamp bei 5.243 m/17.200 Fuß. Beim Aufstieg benutzten wir Ascender, Steighilfen, was ich persönlich etwas übertrieben fand, jedenfalls bei diesen perfekten Wetterbedingungen. Wieder war es extrem heiß und ich war froh, nach ca. zwanzig Minuten den Pass erreicht zu haben. Nach einer kurzen Pause ging es über den Grad. Ich hatte bisher immer Höhenangst. Das war einer der Gründe für mich, mit dem Klettern anzufangen. Man muss sich seinen Ängsten stellen, um sie zu bezwingen. Es war besser geworden. Ich war bisher, bis auf das eine Mal bei dem Höhenmedizinkurs in Österreich, nur in der Halle Klettern. Bei dem Kurs dann aber gleich vier Seillängen, wenn auch einfache Kletterei. Damals hatte ich noch extrem Schiss. Jetzt hatte ich erstaunlicherweise keinerlei Probleme den Grad entlang zu laufen. Gut, er war vielleicht drei Meter breit, aber zuvor hatte ich auch unglaublich unsinnige Ängste bei solchen eher geringen Expositionen. Möglicherweise lenkte mich die Schönheit der Landschaft einfach ab und alles sah so weich aus. Überhaupt wurde es mit meiner Höhenangst im Verlaufe der Reise immer besser. Oder, ich weiß nicht, ob man das so werten kann und es tatsächlich besser wurde. Ich habe meine Höhenangst komplett verloren und mir manches Mal gedacht, es wäre womöglich in gewissen Situationen etwas gesünder, mehr Angst zu haben. Aber hey, ich lebe schließlich noch.
Im Highcamp verbrachten wir drei Tage. Diesmal ohne Küchenzelt. Eigentlich war nur ein Tag Aufenthalt geplant, aber, wie wir vom allabendlichen Wetterbericht über Funk live aus Talkeetna erfuhren, war es auf dem Gipfel recht zugig. Wer schon mal 80 Meilen pro Stunde Windböen auf einem Berg erlebt hat, wünscht sich doch gern, dies auf dem höchsten Punkt des Kontinents umgehen zu können. Da würde man sonst ganz schön tief purzeln und den weißen Schnee mit seinen bunten Sachen verunstalten. Jeden Abend um sieben lauschten wir der zarten Stimme der Wetterfee, die die immer gleichen Worte: „partly cloudy with a chance of snow" in unsere Runde säuselte. Im Anschluss gab es immer noch ein Rätsel bei dem alle, sich noch auf dem Berg befindenden Gruppen teil nahmen. Eine Frage war zum Beispiel, was Herr Mallory in seinen Jackentaschen hatte, als seine Leiche unter dem Gipfel des Mt. Everest gefunden wurde. So konnten unsere Guides, mit ihren weiter entfernten Kollegen gelegentliche Smalltalks führen. Am Ende der kurzen Veranstaltung gab es ein Update über Funk von einem von uns. Jeder war mal dran die Highlights des vergangenen Tages kurz zusammenzufassen und so harmlos wie möglich den unten gebliebenen und uns über Internet verfolgenden Angehörigen zu schildern.
Da wir kein Küchenzelt hatten, gab es nur Tütensuppen. Auch hier bedienten wir uns aus den Caches der anderen Gruppen. Alles, was an Essen noch da war, sollten wir essen. Uns wurde prophezeit, dass wir in dieser Höhe keinen Appetit haben würden. Aber keinem von uns ging es so. Ich hätte Berge von Tofu-Tieren verspeisen können. Auch der Schlaf war alles andere als schlecht. Was ich, auch später immer wieder, wenn ich auf hohen Bergen war, bemerkte, dass ich unheimlich lebendige Träume hatte. Es war wie fernsehen, womit ich zum Glück nie meine Zeit verschwenden musste. Augen zu und Film ab. Aber hier oben noch plastischer als sonst. In der Anfangszeit habe ich viel von meinen Arbeitskollegen und dem Fitnessstudio geträumt. Auch manchmal, dass ich wieder zu Hause war, aber nur auf Besuch. Das war sehr verwirrend. Beim Aufwachen habe ich immer mit Freude festgestellt, dass ich doch noch irgendwo in der Wildnis herum lag.
Die Angst war, dass wir da oben mit jedem Tag statt besserer Akklimatisation mehr abbauen würden. Ab 5.000 m Höhe baut man ab, egal was man macht, auch wenn man sich jeden Tag den ganzen Tag Schokolade in den Mund steckt und sich nicht bewegt. Das ist der Grund, warum es über 5.000 m keine menschlichen Siedlungen mehr gibt. Die höchste der Welt, La Rinconada, ist auf 5.100 m in Südperu, an der Grenze zu Bolivien gelegen. Das auch nur, weil sie sich in der Nähe einer Goldmine befindet und somit das vorzeitige Ableben der Bevölkerung auf Grund eines chronischen Cor pulmonale, also einer Herzveränderung wegen zu hoher Lungengefäßdrücke, gerechtfertigt werden kann, d.h., bei denen, die nicht vorher an einer Quecksilbervergiftung sterben.
Aber zum Abbau kam es in unserem Fall nicht. Am 15.07.2016 machten wir uns frühmorgens auf den Weg zum Gipfel. Es war ein optimaler Morgen. Für den Nachmittag waren Gewitter angekündigt. Wir hatten also wenig Zeit zum Bummeln. Sieben Stunden wunderschöne Wanderung mit vielen Pausen. Die Guides achteten immer darauf, dass wir ausreichend aßen und tranken und hielten jede Stunde für ca. 15 Minuten. Ich fand das ziemlich viel Pause, aber wir hatten ausreichend Zeit für so etwas. Kein Grund zum Hetzen. Kurz nach dem Camp gab es den „Autobahn" genannten Anstieg, der so heißt, weil man hier nicht stehen bleiben soll. Auf Grund des starken Gefälles und der somit hohen Lawinengefahr. Die Autobahn ist aber nicht sehr lang, vielleicht eine halbe Stunde, vielleicht war es auch länger. Jakob, unser Hauptguide, sicherte immer wieder mit Ankern in die wir die Seile klickten. Am Gipfelgrad angekommen, waren es nur noch wenige lange Meter bis zum ersehnten Ziel. Und dann war es soweit. Wir standen auf dem Dach Nordamerikas. Die Sicht war unglaublich. Die breiten Gletscherzungen fließen in seichten Windungen wie riesige Flüsse aus Eis den gigantischen Berg hinab in das irgendwann, viel viel weiter unten grün werdende Tal, Denali Nationalpark mit seinen tausenden Seen und Millionen und Abermillionen Mücken die uns hier oben glücklicherweise nicht mit ihrer Gesellschaft beehrten und die so weit weg waren, dass keiner von uns an solch irdische Dinge überhaupt nur einen Gedanken verlor. Leider konnten wir nicht allzu lang unseren Träumen nachhängen, da man nun schon am Himmel die Gewitterwolken sich auftürmen sah. Schade, wir mussten zurück. Ich wäre am liebsten noch Stunden oder Tage dort oben geblieben. Auf dem Weg nach unten sah ich einen Blitz den hohen Wolkenturm durchzucken. Es sah wunderschön aus, aber so schön es auch ist, so gefährlich ist es auch. Also, nichts wie runter. An der Autobahn gerieten wir in das schlimmste Whiteout, das ich bisher erlebt habe. Ich versuchte einfach nur einen Fuß vor den anderen zu setzen. Es war unglaublich schwierig mit null Orientierung im Raum und absolutem Verlust der Tiefenperception. Man konnte nicht sehen, ob man nach oben oder unten ging und wo der Fuß landen würde. Die Spuren vom Aufstieg waren durch das Weiß in Weiß nicht sichtbar, nur die Löcher von den Eispickeln, denn diese waren etwas tiefer und schimmerten blau. Denen folgte ich. Wann immer an einer Sicherung ankommend, das Seil wieder einklinkend. Ich lief vorn. Als wir in der Ebene ankamen, hatte ich keine Ahnung, ob es nach links oder rechts ging und ließ mich von den Rufen von hinten lenken.
Wir kamen an. Plötzlich lag der Gipfel hinter uns. Wir hatten 17 Tage darauf hin gearbeitet und nun war es vorbei. Unterhalb des Whiteout angekommen, schien die Sonne nun wieder. Wir blieben noch eine Nacht im Highcamp und machten uns dann am Morgen auf den Weg nach unten.
Das geht naturgemäß viel schneller. Im Medical Camp schliefen wir zwei Stunden, bevor es weiter ging, in einem Ritt über Nacht zum Basecamp. Durch den sich dem Ende neigenden Hochsommer wurde es langsam dämmrig. Die Nachtsonne tauchte den Himmel in purpurnes Licht und ließ die Berge in warmen Farben erstrahlen. Der zunehmende Mond leuchtete über dem orange in der Sonne glitzernden Mt. Hunter.
Bei Camp zwei hatten wir eine kleine Pause. Mit Erschrecken stellte ich fest, leider zu spät, dass Elay, einer der drei Guides, alles Essen, das noch übrig war, in eine Gletscherspalte warf. Er packte es natürlich erst aus und warf es ohne Verpackung weg, aber es tat mir in der Seele weh, all diese veganen Köstlichkeiten, die ich, hätte ich es vorher gewusst, mit nach unten genommen hätte, in der eisigen Tiefe verschwinden zu sehen.
Wir zogen nun wieder die Schneeschuhe an. Ich konnte immer noch nicht besser darin laufen. Wie anfangs versprochen, lernten wir die Bedeutung des Namen Heartbreak Hill ganz am Ende der Wanderung vor Erreichen des Basecamps kennen. Der seichte Anstieg zog sich endlos in die Länge.
Im Basecamp angekommen informierte Jacob das Lufttaxi. Wir warteten eine ganze Weile. Nein, ich wollte nicht hier weg. Dieser Ort war viel zu schön, um nur knapp drei Wochen dort zu bleiben.
Dann hörten wir gegen 8:45 Uhr das Knattern des Flugzeugmotors und sahen gebannt zu, wie der Pilot die kleine Maschine auf dem kurzen Landestreifen landete. Wehmütig packten wir die Sachen in das Flugzeug. Beim Rückflug hatten wir diesmal eine traumhafte Aussicht. Ja, die Berge bestehen tatsächlich aus Fels. Hier der Beweis. Je weiter wir uns vom Denali entfernten, desto deutlicher wurde es. Über die Gletscherzungen versprenkelt leuchteten türkisfarbene kleine Wasseransammlungen. Die Berge waren immer noch hoch, wirkten aber gegenüber Denali fast zwergenhaft. Nach einer Weile wurde die Landschaft grün und wir flogen über die unendlichen alaskanischen Sümpfe, die übrigens der Grund sind, warum man zum Denali im Sommer nicht hinlaufen kann. Im Winter, wenn alles gefroren ist, geht das wiederum.
In Talkeetna angekommen gönnten wir uns jeder ein monströses Frühstück. Keine noch so große Portion hätte zu groß sein können. Und es war echt lecker.
Auf dem Weg zurück nach Anchorage suchten wir per Telefon nach einer passenden Unterkunft. Das war gar nicht so leicht. Letztendlich wählte ich gemeinsam mit Amanda das B&B in dem sie die Nacht vor unserem ersten Treffen übernachtet hatte. Das war super schön und erschwinglich, was in Alaska eher eine Seltenheit ist.
Abends gingen wir alle zusammen essen. Wir wollten eigentlich danach in eine Bar, aber da unser jüngstes Mitglied erst 18 Jahre alt war, ging der Plan leider nicht auf. Echt unverständlich, manche Gesetze. Die sind einfach dazu da, gebrochen zu werden, aber leider war das auf Grund der pflichtbewussten Türsteher nicht möglich.
Ich blieb noch eine Nacht mit Amanda in Anchorage. Wir trafen später auch James wieder, der uns vorzeitig verlassen hatte und mit Amanda unternahm ich eine kleine Wanderung ins Grüne, etwas südlich von Anchorage. Das war nach fast drei Wochen Schnee doch auch mal wieder eine willkommene Abwechslung für Augen und Nase.
Amanda brach wieder nach Großbritannien auf und ich Richtung Norden. Richtung Nenana, zu Andys Hütte.
Der Norden, Dalten Highway and the Brooks
Range, The Gates of the Arctic
Am 18.07.2016 bin ich in den Bus Richtung Norden gestiegen. Amanda brachte mich zur Haltestelle. Ich hatte immer noch den Rucksack und die riesige Tasche, von daher war es am einfachsten, mit dem Bus zu fahren. Es gibt einen Minibus, der zwischen Anchorage und Fairbanks fährt. Der ist allerdings nicht sehr billig. Ich glaube, ich habe so um die hundert Euro für die sieben stündige Fahrt bezahlt. Ich kann mich aber auch irren, jetzt in der rückblickenden Recherche finde ich Busverbindungen von Anchorage nach Fairbanks für 20 $. Verglichen mit der deutschen Bahn, ist das aber natürlich in beiden Fällen immer noch sehr günstig. Aber trotzdem, so hätte ich also niemals weiter reisen können, da wäre ich mit meinen angesparten 40.000 Euro nicht sehr weit gekommen.
Das Ziel war Andys Hütte, wo ich mein frontales Anhängsel zurücklassen wollte, natürlich nur vorübergehend. Die genaue Adresse wusste ich nicht, nur, dass es 10 Meilen, also 16 km nördlich von Nenana und 45 Meilen, 72 km, südlich von Fairbanks, das ist die größte Stadt in der Mitte Alaskas, sein sollte. Nenana ist ein kleiner Ort von 400 Einwohnern. In Deutschland würde dieser keines Wegweisers gewürdigt werden. Hier war es ein bekannter Ort, da es in Alaska zum Glück noch keine so hohe Zivilisationsdurchseuchung gibt. Ich befürchte allerdings, dass sich mit dem Klima auch die Wohnortpräferenzen der Menschen ändern werden und die noch den meisten Leuten zu kalte Gegend irgendwann eine der noch wenigen erträglichen sein wird. Da das aber sehr schade wäre, ignorieren wir an dieser Stelle einfach mal die wissenschaftlich belegten Tatsachen. Das ist ja schließlich an der Regierungsspitze der USA inzwischen (2019) eine anerkannte Praxis.
Auf der langen Fahrt bewunderte ich, die an mir vorbei ziehende, märchenhafte Landschaft. Die Russen werden sich wohl im Nachhinein ganz schön geärgert haben, dieses 1,6 Mio km²große, wunderschöne Land 1867 für 7,2 Mio US Dollar an die Amerikaner verkauft zu haben. Wahrscheinlich nicht, weil sie solche Romantiker sind, als eher, weil sie gern Gold und damit Geld mögen, wovon es hier damals noch den Goldrush auslösende Mengen gab. Und auch heute noch suchen Leute hier nach Gold. Es gibt auch Kupfer, dazu aber später, das kommt erst in ein paar Wochen.
Ich teilte also der Busfahrerin mit, dass ich 10 Meilen nördlich von Nenana aussteigen wolle und da ließ sie mich dann auch raus. Auf einem Parkplatz, mitten im Nirgendwo. Wo sollte ich jetzt hin? Auf Grund der Bevölkerungsdichte ist es hier so, dass ein jeder der hier wohnt, seine Nachbarn im Umkreis von mindestens 20 Meilen kennt. Die Bewohner des ersten Hauses das ich fand kannten Andy leider nicht. Wie ich später erfuhr, waren diese sehr eigenbrödlerisch und gaben sich nicht mit irgendwelchen Nachbarn ab. Ja ja, in Alaska wohnen viele Menschen, die einsam sein wollen. Überhaupt habe ich kaum Leute kennen gelernt, die gebürtig aus Alaska kamen. Fast alle sind aus irgendwelchen unangenehm warmen oder mit unangenehm vielen Gesetzen bedachten Staaten in den Norden gekommen, um hier ihre Freiheit auszuleben. Sehr verständlich. Viele Einwohner haben an ihren Grundstücksgrenzen Schilder aufgestellt, wie: betreten verboten. Wer es trotzdem tut, wird erschossen. Und ich denke mal, dass das wirklich so ist und in dem Fall die Erschießung nicht einmal eine Straftat darstellte. Es war ja schließlich angekündigt. Hier laufen wesentlich mehr Leute mit Waffen umher, als ich es in irgend einem anderen Staat gesehen habe. Natürlich nur, um sich vor den wilden Tieren zu beschützen.
Ich sah mich jedenfalls erstmal vor einer größeren Herausforderung und dachte schon, Andys Hütte niemals zu finden. Ich lief eine halbe Meile weiter zum nächsten Haus. Hier war es schon ganz anders. Natürlich kannten sie Andy, der wohnte ja gleich nebenan, nur zwei Meilen entfernt. Die netten Leute brachten mich sogar direkt hin.
Ich war erstaunt über die Luxuriosität (komisches Wort) des Anwesens. Es war riesig, für deutsche Verhältnisse. Auch das Haus war groß, typisch alaskanisch aus Holzbalken gebaut. Die Sicht durch die Fenster nach drinnen ließ deutsche Sauberkeit erkennen.
Ich machte Bekanntschaft mit dem Einzigen, dass ich an Alaska, milde gesagt, nicht mag: die Mücken. So viele Mücken wie hier, habe ich noch nie zuvor an irgendeinem Ort angetroffen. Ich habe mich die ganze Zeit dort gefragt, wovon die überhaupt leben. So viele Leute gibt es nicht und auch nicht so viele Tiere. Und die, die hier leben, sind aus bekannten Gründen recht wuschelig und die kleinen Stecher müssten sich ihr täglich Blut hart verdienen.
Es gab irgend ein Problem mit dem Doghandler, also dem, der sich um die Hunde kümmern sollte. Er war nicht mehr da und an seiner statt kümmerte sich nun Gavin um die 37 Hunde, der nächste Nachbar, der gerade mit seiner Frau und seinem Sohn aus Californien hier her gezogen war und all seine Kraft und Nerven in den Hausbau steckte. Ich wusste, dass er irgendwann kommen und mich reinlassen würde. Ich machte es mir im Liegestuhl auf der überdachten Terrasse gemütlich und wartete. Es regnete.
Die Schlittenhunde hier werden leider als Kettenhunde gehalten. Ich wüsste auch nicht, wie man sonst 37 Hunde, und das ist für alaskanische Musher, also Schlittenhundefahrer, noch wenig, koordinieren sollte. Ein jeder hat eine Tonne zum Schlafen oder oben drauf rumliegen und einen Auslauf von ca. 4 m Durchmesser. Die Hunde kennen es nicht anders und schienen ganz glücklich. Als ich ankam, haben sie natürlich wie wild gebellt und mich nicht gerade zum Kuscheln animiert. Also wartete ich mit Charles Dickens, auf der Terrasse. Dann kamen Gavin, Danielle und ihr Sohn Björn. Sie haben mich herzlich aufgenommen und rein gelassen.
Ich hätte so lange bleiben können wie ich wollte, aber ich wollte nicht lange. Nur die Sachen ablegen, ein wenig ausruhen und dann weiter. Schließlich ist der Sommer hier im Norden auch nicht sehr lang und man muss ihn so lange wie möglich ausnutzen. Ich blieb zwei Nächte. Ich hatte mir vorgenommen, bis ganz an die nördliche Grenze zu reisen, zum arktischen Ozean.
In Alaska gibt es ein paar Haupt-Highways. Der Parks Highway, wo Andy wohnt, zwischen Anchorage und Fairbanks, ist Highway 3. Von Süden, aus Yukon kommend, durch Fairbanks Richtung Norden und dann ab Livengood nach Westen führt der Elliot Highway, Highway 2. Von Livengood weiter Richtung Norden nach Prudoe Bay gibt es den Dalton Highway, Highway 11. Im Sommer gleicht die Schotterpiste eher einer Matschpiste. Highway 1 startet von Homer, südlich von Anchorage und kreuzt dann nach Osten, um dort bei Glennallen auf den von Süden kommenden Highway 4 zu stoßen und weiter nach Norden zu ziehen und dann Richtung Nordosten, wo er in Tok in Highway 2 mündet. Highway 4 läuft gerade Richtung Norden und mündet weiter nordwestlich in Highway 2. Im Großen und Ganzen bildet Fairbanks das Zentrum, von wo aus sich die Haupt-Highways in umgekehrt y-förmiger Weise in verschiedene Richtungen aufteilen. Ich führe das deswegen so genau aus, weil ich auf all diesen Highways eine Weile umhergereist bin und so den größten Teil Alaskas, den man einfach mit dem Auto bereisen kann, bereist habe. Alaska ist ein Ort, den man nur mit ganz ganz viel Zeit und zu Fuß in seiner ganzen Wildheit erleben kann. Man kann sich auch,wenn man will, mit dem Flugzeug irgendwo absetzen und später eventuell wieder einsammeln lassen.
Ich musste also nach Fairbanks und von da Richtung Norden. Außerdem brauchte ich auch noch Wanderkarten und dachte, dies in der großen Stadt zu bekommen. Fairbanks hat 31.600 Einwohner, was sich nicht viel anhört für einen Mitteleuropäer. Ich war 1999 das erste Mal in Nordamerika, in Canada, da war mir schon der ausladende Baustil aufgefallen. Hier in Fairbanks und auch später, wenn ich in irgendwelchen Orten war, ist es aber so, dass man ewig laufen muss, um irgendwo hinzukommen. Die Straßen sind riesig breit, die Supermärkte gigantisch und mit noch viel größeren, zubetonierten Parkplätzen bedacht. So enge Mehrfamilienhäuser wie bei uns gibt es nicht und so wird ein jeder Ort sehr, sehr weitläufig. Alles ist darauf ausgelegt, mit dem Auto zu fahren. So gibt es nicht nur Drive Through Fastfoodrestaurants, sondern auch Drive Through Banken und Apotheken. Das hier geförderte Öl muss ja natürlich auch an den Endverbraucher gebracht werden. Noch dazu ist Fairbanks auch keine sonderlich ansehnliche Stadt und alles in allem macht es das nicht sehr attraktiv für einen Stadtbummel, aber es gibt Supermärkte mit veganem Eis, was ich in Zukunft exzessiv ausnutzen sollte.
Trampen ist, wie sich herausstellte, in den USA sehr einfach, insbesondere in Alaska. Wie ich später herausfand, gibt es zwar Staaten, wo es eigentlich illegal ist, aber es funktioniert trotzdem, da das, außer den Highway Patrol Polizisten, sehr wenige Führerscheininhaber wissen und man eh mitgenommen wird. Ganz im Gegensatz dazu hört man öfter, dass in Alaska Autofahrer dazu angehalten sind, Tramper mitzunehmen. Auch wenn man dort den Eindruck gewinnt, dass das tatsächlich so ist, so stimmt es wohl nicht wirklich. Anhalter haben es zumindest sehr einfach, da v.a. die Alaskaner von Natur aus neugierig sind und gern Menschen von außerhalb kennen lernen und weil sie außerdem sehr hilfsbereit sind.
Ich stand also am 22.07.2019 nicht lange an der Straße, als schon ein junges Rangerpärchen anhielt. Sie waren erst an mir vorbei gefahren und dann nochmal umgedreht. Das sollte mir später noch sehr häufig passieren. Oft fuhren Menschen an mir vorbei und drehten dann wieder um, weil sie entweder befanden, ich sah ganz nett aus, oder wegen meines großen Rucksacks, aber am häufigsten, als sie sahen, dass ich eine Frau bin. Die armen Männer. Die haben es wesentlich schwerer beim Trampen. Komischerweise werden Frauen allgemein als ungefährlicher angesehen und, ganz ehrlich, jetzt kann ich es ja sagen, ich habe nie jemandem, der mich mitgenommen hat, etwas angetan. Ich traf später einige Männer die in den USA getrampt waren, u.a. entlang der Fernwanderwege. Auch sie wurden irgendwann mitgenommen und manchmal auch verwöhnt, es dauerte nur einfach länger.
Die beiden, die mich nun mitnahmen, arbeiteten im Denali Nationalpark und fanden es sehr beeindruckend, dass ich, im Gegensatz zu ihnen, schon auf dem Gipfel des namengebenden Berges stand. Wir schwatzten sehr angeregt und ich erzählte ihnen von meinem Vorhaben, nach Norden zu reisen und fragte sie, ob sie wüssten, wo ich Kartenmaterial finden könnte. Nicht nur, dass sie es wussten, sie brachten mich auch dort hin. Und zwar in das geologische Institut von Fairbanks. In der Stadt gibt es nämlich eine große Uni in der man allerhand spannende Dinge studieren kann. Im gelogischen Institut kann man sehr detaillierte, topographische Karten kaufen. In der Brooks Range gibt es eh so gut wie keine Wanderwege. 1.000e Meilen weit Wildnis. Wie sollte ich mich da jetzt entscheiden, wo ich lang wandern wollte?
Ich war zeitlich ein wenig begrenzt, da ich mir vorgenommen hatte, den Indian Summer in Neu England zu bestaunen. Da wollte ich also spätestens Anfang Oktober sein und bis dort hin ist es ein weiter Weg. Dann wollte auch Andy Anfang August wieder nach Alaska kommen, und da er so nett war, mich einzuladen, wollte ich ihn zumindest gern einmal kennenlernen. Also hatte ich knapp zwei Wochen Zeit. Die einzige Möglichkeit, zu Wandern, war also in der Nähe des Dalton Highway. Ich suchte mir ein paar Karten aus und bekam sie in einer großen Papprolle mit.
Die beiden Ranger luden mich dann noch zu Wein und Pizza in ein griechisches Restaurant ein, bevor sie wieder zum Nationalpark zurückfuhren. Sie kamen nur für Einkäufe nach Fairbanks. Zwischen Anchorage und der Stadt im Zentrum des nördlichsten US-Staates gibt es keine größeren Einkaufsmöglichkeiten und alles was man zwischen diesen beiden Städten bekommt, ist sehr teuer, vor allem Obst und Gemüse. Noch weiter im Norden wird es nicht einfacher. Ich füllte also auch meine Hamsterbacken auf, bevor ich mich an den Anfang des Dalton Highway begab.
Ein PKW Fahrer nahm mich mit und ließ mich an einem Truckstop raus. Nach anfänglicher Skepsis wurde ich dann auch sehr schnell eingeladen. Das war die erste von etlichen Fahrten in nordamerikanischen Trucks, in denen ich viele Stunden meines Lebens verbringen sollte.
Der Fahrer brachte mich, ununterbrochen Kautabak kauend und seinen Spucknapf füllend, bis Coldfoot. Dort befindet sich ein kleiner Truckstop mit Zeltplatz bei dem man offensichtlich leicht kalte Füße bekommt. Selbst ich sollte das merken. Da Hochsommer war, hatte ich mich entschieden, meinen mittel warmen Schlafsack, der Comfort bis - 1°C hat, mitzunehmen. Das war nicht wirklich ausreichend, und das, obwohl ich Kälte mag. In Coldfoot selbst war es aber zu der Zeit noch sehr angenehm. Nicht zu warm. Auf dem Zeltplatz waren einige Leute. Man brauchte nichts bezahlen, einfach nur das Zelt auf der Wiese hinter dem Truckstop aufstellen an der auch ein kleiner Bach vorbei führte. Heißes Wasser gab es kostenlos und Kaffee am nächsten Morgen gegen Geld. Der Zeltplatz beherbergte einige Motorradfahrer. Es gibt Leute, die sich hier auf den Weg zum nördlichsten Zipfel Amerikas begeben. Nicht mal so wenige, die den ganzen Weg von Feuerland hier her kommen. Ich hatte es gut, für mich war dies der Anfang der Reise, für die meisten schon das Ende. Manchmal fahren auch Leute mit dem Fahrrad hier entlang. Wenn man einmal den Fuß aus dem LKW auf die Straße gestellt hat, kann man sich denken, dass das eine ganz schöne Herausforderung ist. Man versinkt teilweise knöcheltief im Matsch. Ein jeder der LKW Fahrer, die mich hier mitgenommen hatten, bestätigte, dass das Fahren auf dieser Straße im Winter wesentlich angenehmer sei. Dann ist sie glatt und man kommt besser voran, vorausgesetzt, man hat Schneeketten mit und wird nicht tagelang in einem Blizzard gefangen. Für diese Eventualitäten haben die Fahrer dann aber sehr viel Essen mit.
Die LKW Kabinen sind äußerst gemütlich. Mit großem Bett, teilweise auch Doppelstockbett, Mikrowelle, Kaffeemaschine, Kühlschrank und natürlich darf ein Fernseher nicht fehlen. Die Fahrer benötigen meist zwei Tage nach Prudoe Bay und zurück, jeweils 13 Stunden. Sie arbeiten für die Ölindustrie und versorgen die Trans Alaska Pipeline die den ganzen Weg von Prudoe Bay über 1.287 km in den Süden führt. Prudoe Bay wird auch Deadhorse genannt und scheint damit für Pferde ein wesentlich unangenehmerer Ort zu sein, als beispielsweise Hungry Horse in