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… und dann machte ich mich auf den Weg …: In vier Jahren mit dem Fahrrad um die Welt
… und dann machte ich mich auf den Weg …: In vier Jahren mit dem Fahrrad um die Welt
… und dann machte ich mich auf den Weg …: In vier Jahren mit dem Fahrrad um die Welt
eBook532 Seiten6 Stunden

… und dann machte ich mich auf den Weg …: In vier Jahren mit dem Fahrrad um die Welt

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Über dieses E-Book

"Außer ein paar Sätzen Englisch kann ich keine Fremd­sprache." Das hinderte Fritz Kratzeisen nicht daran, sich mit 64 Jahren auf den Weg zu machen: Mit seinem Fahrrad, einem Anhänger, 80 kg Gepäck und viel Mut.Mehr als 80.000 Kilometer brachte er in vier Jahren hinter sich, besuchte dabei (fast) alle Kontinente und erlebte eine Unmenge an schönen und auch weniger schönen Geschichten.Über 150 Mal musste er einen Reifen flicken, mehr als 80 Mal brachen Speichen oder eine Felge und auch viele andere Schwierigkeiten wurden von ihm bewältigt.Trotzdem: "Ich würde es wieder tun."Von den Begegnungen mit Menschen und seinen Ein­drücken in den vielen Ländern handeln Kratzeisens Reiseerzählungen. Sie zeigen, dass immer etwas mehr möglich ist, als wir selbst glauben …
SpracheDeutsch
Herausgeberikotes Verlag
Erscheinungsdatum1. Okt. 2012
ISBN9783941626133
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    Buchvorschau

    … und dann machte ich mich auf den Weg … - Fritz Kratzeisen

    Ein Traum wird wahr

    Ich fahre, trete in die Pedale, trete weiter.

    Ungelebte Gefühle, Gedanken und Träume,

    endlich sind sie Wirklichkeit,

    endlich bin ich vogelfrei!

    Ich fahre, trete weiter.

    Ich fahre, trete in die Pedale, trete weiter,

    voller Euphorie, Freude und Hoffnung

    auf das Kommende.

    Was erwartet mich auf meiner Reise?

    Ich fahre, trete weiter.

    Ich fahre, trete in die Pedale, trete weiter.

    Die Grenzen sind offen, vor mir die weite Welt,

    der Alltag liegt weit hinter mir,

    das gibt mir Rückenwind.

    Ich fahre, trete weiter.

    Ich fahre, trete in die Pedale, trete weiter.

    Mein neues Leben liegt vor mir,

    voller Erwartungen, aber auch Ängste.

    Werde ich euch je wiedersehn?

    Ich fahre, trete weiter.

    Ich fahre, trete in die Pedale, trete weiter,

    schließe Bekanntschaft mit Menschen aus aller Welt,

    wir tauschen uns aus,

    begleiten einander ein Stück.

    Ich fahre, trete weiter.

    Ich fahre, trete in die Pedale, trete weiter,

    kämpfe gegen Wind, Kälte, Regen und Hitze,

    sehe Armut und Reichtum, Glück und Schmerz.

    Hilflosigkeit überfällt mich.

    Ich fahre, trete weiter.

    Ich fahre, trete in die Pedale,

    trete und schiebe weiter,

    steil hinauf und immer den Abgrund vor Augen.

    Was tun, wenn die Bremsen versagen?

    Ich fahre, schiebe und trete weiter.

    Ich fahre, trete in die Pedale, trete weiter,

    werde überfallen und fast zu Tode gewürgt,

    ein Scheinwerferlicht rettet mich.

    Werde ich zurückkehren?

    Ich fahre, trete weiter.

    Ich fahre, trete in die Pedale, trete weiter,

    bin ausgebrannt und ausgelaugt,

    die Schmerzen sind übermächtig,

    doch ich gebe nicht auf.

    Ich fahre, trete weiter.

    Prolog

    Mit 16 Jahren machte ich mit meinem Bruder Erwin, der ein Jahr jünger ist als ich, eine Radtour von Kehl/Straßburg nach Italien, Südfrankreich und wieder zurück. In drei Wochen legten wir rund 2.000 Kilometer zurück, mit ganz einfachen Rädern ohne Gangschaltung. Am ersten Tag radelten wir bis Basel. In Zürich übernachteten wir auf einem Campingplatz, und als wir am frühen Morgen unsere Köpfe aus dem Zelt streckten, sahen wir die schneebedeckten schweizerischen Berge. Die Straße über den Gotthardpass war noch gesperrt, so fuhren wir von Göschenen bis Airolo mit dem Zug. Auf der anderen Seite erwartete uns eine tolle Abfahrt. Auf dem Weg durch die Po-Ebene in Richtung Genua trafen wir einen 12-jährigen Jungen, der dem damaligen Radsportidol Italiens, Fausto Coppi, nacheiferte und auf seinem Rad täglich 80 Kilometer radelte. Was wohl aus ihm geworden ist?

    Der erste Weg in Genua führte uns zum Hafen, wo mich angesichts der riesigen Schiffe das Fernweh packte und die Idee geboren wurde, einmal eine Weltreise mit dem Rad zu machen.

    So sammelte ich jahrelang Reiseberichte aus Zeitschriften und heftete sie schön ordentlich nach Ländern und Kontinenten sortiert in Ordnern ab. Da ich nur in warmen Regionen fahren würde, setzte ich mich auch mit den klimatischen Verhältnissen in den Ländern auseinander. Das war später die Basis für meine Routenplanung, an die ich mich übrigens mit geringen Abweichungen auch gehalten habe.

    Als Lehrer habe ich in meiner Schule 25 Jahre lang in den großen Ferien Radtouren für Schüler und Jugendliche im Alter von 10 bis 17 Jahren an. Meist suchten wir uns eine europäische Hauptstadt aus, waren dann 14 Tage mit dem Rad unterwegs, schauten uns ein paar Tage in der Stadt um und fuhren mit der Bahn nach Hause. Für diese Touren waren immer mal wieder Anschaffungen notwendig – schon dabei achtete ich darauf, dass diese auch für eine Weltreise taugten.

    Beim Fahrradkauf ließ ich mich von Joachim Lutz, einem immer noch aktiven Radrennfahrer beraten. Er betreibt ein Fahrradgeschäft in Zierolshofen bei Kehl und war während meiner Reise über das Internet mein technischer Berater. Ersatzteile, die ich in den besuchten Ländern nicht erhielt, wurden von ihm per Luftfracht auf die Reise geschickt. Grundmaterial wie Speichen, Ketten, Schläuche, Fahrradmäntel und Flickzeug hatte ich stets bei mir. Ein einfaches Zelt und eine Isomatte komplettierten meine Ausrüstung.

    Zu Beginn meiner Reise hatte ich noch einen guten alten Fotoapparat, den ich später (mehrfach) durch eine digitale Kamera ersetzte.

    Um meine Reise zu finanzieren, ließ ich meine private Krankenversicherung ruhen und schloss eine Auslandskrankenversicherung ab. Mit dem Differenzbetrag konnte ich schon 50 Prozent finanzieren. Den Rest bezahlte ich mit meiner Rente.

    Auf der Reise wurde mir hier und da auch Geld oder meine Visakarte gestohlen. Da war ich auf schnelle Geldbeschaffung angewiesen. Die Western Union Bank leistete gute Dienste, je nach Zeitzone hatte ich innerhalb von ein bis zwei Stunden das benötigte Geld.

    Vor der Reise hatte ich mich ein Jahr vorher schon gegen alle Krankheiten, für die das notwendig erschien, impfen lassen. Außer Pflastern und einer Wundsalbe hatte ich keine Medikamente bei mir.

    Als Sportlehrer hatte ich immer selbst am Unterricht aktiv teilgenommen und als Leichtathletiktrainer wurde ich darüber hinaus gefordert – eine weitere sportliche Betätigung zur Vorbereitung war daher nicht notwendig.

    Ich spreche keine Fremdsprachen, nur ein klein wenig Englisch. So ließ ich auf der Reise mein Herz, meine Hände und Füße sprechen. Und es hat wunderbar funktioniert!

    Als ich in Hongkong einen ehemaligen Sportler besuchte, der in einer großen Computerfirma arbeitete, nahm ich ein DIN A4-Blatt und schrieb mir die wichtigsten Dinge auf. „Wo gibt es ein Internet-Café? war beispielsweise wichtig, um die Kommunikation mit zuhause aufrechtzuerhalten. „Wo gibt es ein Hostel? Wo ist der Bahnhof? waren weitere Sätze, die mein ehemaliger Sportler in seiner Firma ins Chinesische übersetzen ließ. Auch das funktionierte später hervorragend.

    Ein Handy lehnte ich ab. Wo sollte ich anrufen, wenn mir etwas passieren würde? Und um angerufen zu werden … – darauf konnte ich verzichten.

    Von Haus aus bin ich ein sehr umtriebiger Mensch, für Neues aufgeschlossen und begeisterungsfähig, ein typischer Widder. Mit 50 Jahren stellte ich an meiner Schule den ersten Antrag für eine vierjährige Dienstbefreiung. Dieser und auch die drei folgenden wurden abgelehnt. Ein- oder zweijährige Befreiungen wären genehmigt worden. Also musste ich bis zu meiner Pensionierung warten, um mir diesen Traum zu erfüllen.

    Dann kommen mir Zweifel, ob ich das mit 64 Jahren körperlich noch schaffe. Als ich meine Wohnung kündige, beschleichen mich Ängste, Altes, Liebgewonnenes und Vertrautes aufzugeben. Während ich meine Zelte abbreche, ahne ich noch nicht, was mich da draußen in der weiten Welt so alles erwartet. Ich breche auf in eine ungewisse Zukunft. Wer nicht wagt, der nicht gewinnt!

    Martinique

    Das Organisationstalent

    Kurz vor meiner Pensionierung hatte ich mich auf eine Zeitungsanzeige gemeldet, in der ein Hausverwalter auf der Insel Martinique gesucht wurde. Der Auftraggeber versprach, mich zurückzurufen, wenn er seinen Segeltörn auf dem Atlantik beendet habe. Ich habe nichts mehr von ihm gehört.

    Ein Jahr später las meine Bekannte Gerda eine ähnliche Anzeige. Da sie sich beruflich verändern wollte, nahm sie Kontakt mit dem Herrn auf. Es war der gleiche Mann. Ich begleitete sie zu ihrem ersten Gespräch.

    Georg hat als gelernter Metzger und Koch eine steile Karriere gemacht. Mit 21 Jahren ging er auf die Meisterschule nach Hamburg. Er finanzierte sie, indem er am Hamburger Bahnhof Würstchen verkaufte und anschließend in der Fernsehkantine noch die Mitarbeiter der „Tagesschau" verköstigte. Die Meisterprüfung schloss er als Prüfungsbester ab. Georg ging als Leiter einer Wurstfabrik nach Paraguay.

    Der geborene Organisator baute zwei eigene Wurstfabriken auf und besaß bald zwei Hotels. Auf Martinique kaufte er ein halb fertiges Haus, stellte es fertig und vermietete fünf Doppelzimmer. Bald konnte er sich eine Yacht leisten und baute Martinique zu seiner „Trans-Ozean-Station" aus.

    Seit einigen Jahren lebt Georg, inzwischen 65 Jahre alt, mit seiner jungen Lebenspartnerin in den Wintermonaten auf Martinique und im Sommer in Deutschland und Österreich. Er will nun verschiedene Projekte in gute Hände geben. Wir überlegen nicht lange und nehmen die Herausforderung an. Meine Weltreise beginnt in der Karibik.

    Georg lässt uns acht Wochen lang „zur Probe" schuften, nichts geht ihm gut und schnell genug, und für unsere Unterkunft müssen wir auch noch teuer bezahlen. Er ist ein moderner Ausbeuter und Sklavenhalter. Ich komme mit seiner poltrigen Art ganz gut zurecht, Gerda dagegen weniger.

    Ein Sklaventraum

    Bei einer Radtour ins Landesinnere habe ich mich auf dem Rückweg mit der Zeit vertan. Die Sonne geht bereits unter und ich befinde mich kurz vor Lamentin, nahe dem Flughafen. Bis zu meinem Stützpunkt Anse Mitan sind es noch 20 Kilometer. Eigentlich bin ich schon wagemutig, aber an eine Weiterfahrt ist nachts und bei diesem Verkehr nicht zu denken. Am Stadtrand von Lamentin entdecke ich eine Siedlung: etwa 30 kleine Häuschen, denen der Sklaven nachempfunden. In einem Schuppen richte ich meinen Schlafplatz ein.

    Mitten in der Nacht erwache ich schweißgebadet von meinem eigenen Schrei. Ich hatte einen schrecklichen Traum: Als Sklave werde ich in Ketten auf einem Schiff aus Afrika hierher gebracht und auf dem Sklavenmarkt feilgeboten. Wegen meiner großen, kräftigen Statur werde ich als einer der Ersten verkauft, an den Besitzer einer Zuckerrohr-Plantage. Um den Preis wird lange gefeilscht. Ein Eisenring mit eine Kette liegt um meinen Hals. Wir sind insgesamt neun Sklaven und marschieren mit vier Aufsehern durch hügeliges und steiniges Gelände in der brütenden Hitze eine Stunde zur Plantage.

    Schon früh am nächsten Morgen müssen wir in der glühenden Sonne Zuckerrohr schneiden und auf einen großen zweirädrigen Karren verladen. Diese Schufterei soll bis an unser Lebensende so weitergehen. Ich entschließe mich zur Flucht. Doch die Aufseher hetzen mir die Hunde auf den Hals und legen mich wieder in Ketten. Als ich unterwegs zusammenbreche, werde ich weitergeschleift. Mein Körper ist zerschunden und blutig. Ich werde in ein stinkendes, dunkles Verlies geworfen und am nächsten Morgen auf den Hof des Grundbesitzers gebracht. Zahlreiche Zuschauer sind bei der öffentlichen Auspeitschung anwesend.

    Mitten im Hof wird dafür ein dicker Pfahl in den Boden gerammt, an dem ich an Händen und Füßen festgebunden werde. Die Stahlrute reißt meine Haut auf, ich schreie vor Schmerzen, Blut strömt aus unzähligen Wunden. Nach dem zwanzigsten Peitschenhieb wird mir schwarz vor Augen. Als ich wieder zu mir komme, geht die Auspeitschung weiter. Nach weiteren 15 Hieben breche ich mit einem lauten Schrei erneut zusammen. Der hat mich aus dem Albtraum geweckt. Vielleicht war ich in meinem früheren Leben ein Sklave? Ein Aufrührer wäre ich sicherlich gewesen. Der Traum verfolgt mich noch lange.

    Unser erster Segeltörn

    Georgs Segelboot, die 17 Meter lange und 24 Tonnen schwere „Sunrise, liegt für einige Zeit in einer Werft im Süden von Martinique. Das Boot bekommt auf dem Trockendock von unten einen neuen Anstrich. Auch das Getriebe muss ausgewechselt werden. Georg, der in den letzten Tagen sehr angespannt und nervös war, hat Angst, das Boot könnte nicht termingerecht fertig werden, da der erste Törn bereits gebucht ist. Doch nun steht er mit seiner grünen Kapitänsmütze am Steuerrad und ein zufriedenes Lächeln huscht über sein kantiges Gesicht. Wir nehmen Fahrt auf in Richtung Anse Mitan, dem Heimathafen der „Sunrise, und segeln an der Südküste Martiniques in Richtung Norden, wobei uns Georg die Sehenswürdigkeiten bis ins kleinste Detail erläutert. Wir brauchen keinen Reiseführer.

    Ingrid, seine Lebenspartnerin, wartet bereits auf uns. Am Abend trifft auch Skipper Gerry ein. In drei Tagen soll unsere erste größere Tour beginnen.

    Von Martinique nach Dominica

    Mit Motorkraft verlassen wir die Bucht in Richtung Norden, vorbei an dem Städtchen Schölcher, das nach einem Elsässer benannt ist. Nach eineinhalb Stunden taucht die alte Hauptstadt St. Pierre auf. Von Weitem schon erkennen wir die Kirche und das Sklavenhaus. Am nördlichsten Zipfel von Martinique angekommen setzen wir endlich die Segel.

    Wir erreichen streckenweise eine Geschwindigkeit von 10 Knoten, wobei sich das Boot so weit auf die (rechte) Steuerbordseite legt, dass der obere Schiffsrand fast das Wasser berührt.

    Georg beschließt, zu angeln. Nach einer halben Stunde kreuzt uns ein Boot. Georg flucht, denn das kreuzende Schiff hat den Haken des Köders, der angeblich 60 Euro gekostet hat, abgerissen. Nach einer weiteren Stunde ist es soweit. Die Angel biegt sich fast bis zur Wasseroberfläche. Wir verlangsamen die Geschwindigkeit, Georg schreit: „Das ist ein ganz Großer!" Er strahlt, doch in diesem Augenblick entkommt der Fisch samt Haken. Zum Abendessen auf Dominica gibt es statt Fisch einen Linseneintopf.

    Wir liegen am nördlichsten Zipfel der Insel, in Portsmouth, vor Anker. Der Ort besteht fast ausschließlich aus Bretterbuden, entlang der Bucht entdecke ich einige Schiffswracks, Hurrikanopfer vergangener Jahre. Selbst Frachtschiffe haben bei solchen Naturkatastrophen keine Chance. Die Insel Dominica hat ca. 100.000 Einwohner und ist auf der Westseite 27 Meilen lang.

    Am nächsten Morgen machen wir eine Kanufahrt auf dem Indian River. Alexander, unser Bootsführer, rudert uns gemächlich flussaufwärts durch die Mangrovenwälder. Plötzlich steuert er das rechte Ufer an. Er hat in der Krone eines Mangrovenbaums den vom Aussterben bedrohten Nationalvogel, einen Sisserou-Papagei, entdeckt. Nach einer Stunde erreichen wir eine Dschungelbar. Da die „Aida", ein riesiges Kreuzfahrtschiff, auch gerade vor Anker liegt, herrscht reger Betrieb. Gerry steuert direkt die Bar an, Gerda und ich erkunden zu Fuß den Dschungel auf einem Trampelpfad durch die üppige Vegeta­tion. Als wir schließlich an die Bar kommen, sind nur noch wenige Leute da. Neben der Bar hockt an einem Holzklotz die dreijährige Tochter des Barbesitzers und trommelt mit zwei Holzstöckchen den Takt der Musik, die aus der Musikanlage dröhnt. Ich setze mich zu ihr und wir trommeln gemeinsam. Dann mahnt Gerry zum Aufbruch. Wir rudern zurück zum Boot und nehmen Kurs auf Les Saintes.

    Fort Napoléon

    Von der Bucht Anse du Bourg sehen wir oben auf einer Anhöhe das Fort Napoléon. 1782 fand hier die größte Schlacht aller Zeiten mit Segelschiffen statt. Die Franzosen erlitten gegen die Briten unter Admiral Rodney eine ihrer größten Niederlagen. Erst 1816 konnten die Franzosen die Vorherrschaft über die Kleinen Antillen zurückerobern.

    Das Fort Napoléon ist heute ein Museum mit Kakteengarten. Rechts und links der Dorfstraße reihen sich kleine, in kräftigen Pastelltönen gestrichene Holzhäuschen wie Streichholzschachteln aneinander. Die Dächer sind mit rotem oder grauem Wellblech gedeckt. Auf dem Fort waren einst fast 3.000 französische Soldaten stationiert. Da es dort keine Frauen gab, wurden sie von den Nachbarinseln einfach entführt. Heute leben auf der vier Quadratkilometer großen Insel etwa 8.000 Einwohner. Nachdem wir das Dorf inspiziert haben, machen wir einen Inselrundgang und steigen hinauf zu den Ruinen des 300 Meter hoch gelegenen Forts Napoléon. Zwischendurch fällt unser Blick immer wieder auf die Schmetterlingsinsel Guadeloupe.

    Plötzlich entdecken wir auf der Atlantikseite der Insel eine nagelneue Sportanlage mit einer Tartanbahn. Unglaublich, aber wahr: Der französische Staat gibt jedes Jahr Unsummen für Förderprojekte ihrer überseeischen Departments aus!

    Auf dem Fort wird es bereits dunkel. Das Museum hat nur am Morgen geöffnet, also ziehen wir unverrichteter Dinge wieder ab. In einer kreolischen Kneipe treffen wir Georg, Gerry und einen gemeinsamen Seglerkameraden aus Österreich.

    Besuch bei Waltraut

    Am nächsten Tag segeln wir zurück nach Dominica. Diesmal ankern wir etwas südlicher in der Bucht von Portsmouth. Georg will eine alte Bekannte besuchen, die hier ein Restaurant betreibt und Appartements vermietet.

    Sie ist Deutsche und lebt nun schon seit 25 Jahren hier. Georg hat eine selbstgemachte Schwarzwurst aus dem Vorratsraum in Alufolie gewickelt. Wir legen mit unserem Dingi direkt vor Waltrauts Restaurant an. Das Haus steht ganz einsam, von Palmen umgeben, in dieser wunderschönen Bucht. Waltraut ist sehr überrascht und erfreut über den deutschen Besuch. Georg tauscht die schwäbische Schwarzwurst gegen zwei Säcke voller Pampelmusen ein. Die Tische im Restaurant sind alle selbst gezimmert, in verschiedenen Größen, keiner gleicht dem anderen. Die kleine Mauer, die das Restaurant umgibt, ist mit Muscheln und Steinchen verziert. Ein Plätzchen zum Verweilen und Verlieben! Ich gratuliere der Besitzerin zu ihrem schmucken Restaurant, dem hübsch angelegten Garten und den wunderschön eingerichteten Appartements. Bei frisch gepresstem Pampelmusensaft mit Eiswürfeln genießen Gerda und ich den Sonnenuntergang: Ganz allmählich färben sich die paar Wolken am Himmel zunächst zart-, dann kräftigrosa. Sie spiegeln sich im Wasser. Georg holt mich unsanft aus meinen Tagträumen. „Abendessen?" Die Spezialität des Hauses ist ein typisches kreolisches Gericht, serviert auf einem Bananenblatt.

    Am nächsten Morgen gegen 9 Uhr holen wir die versprochenen Pampelmusen bei Waltraut ab. Die beiden Säcke sind randvoll, insgesamt 102 Stück. Hätte Georg sie in Martinique gekauft, dann hätte er dafür 90 Euro bezahlen müssen. In Dominica kosten Pampelmusen gerade mal ein Zehntel. Die Insel gehört zu den niederschlagsreichsten Gebieten der Erde. In den Bergen regnet es bis zu 10.000 und an der Küste noch 2.000 Millimeter im Jahr.

    Dominica soll von Kolumbus an einem Sonntag (daher der Name) vor 500 Jahren entdeckt worden sein. Im Nordosten der Insel leben in einem Reservat noch einige hundert echte Kariben.

    Auf den Spuren der Vergangenheit

    Weiter geht unsere Fahrt entlang der wild zerklüfteten Küste von Dominica in Richtung Süden. Georg erzählt von seinem Geschäftspartner, einem Metzger aus Westfalen, der wegen der ständigen Kontrollen der deutschen Gesundheitsbehörden und der steuerlichen Knebelungen des Staates seine Wurstfabrik verkaufte und sich nach Dominica in die Karibik zurückzog, um mitten im Urwald eine neue Wurstfabrik sowie vier Appartements mit einem tollen Schwimmbad aufzubauen. Georg hatte vor Jahren durch einen Bericht im „Stern" von ihm erfahren und ihn kurzerhand mit einem Leihjeep im Dschungel besucht, um sich von ihm Tipps für seine eigenen Projekte zu holen.

    Je näher wir Roseau kommen, desto aufgeregter wird Georg. Seit 15 Jahren ist er nicht mehr hier gewesen. Die Fabrik liegt ziemlich weit oben im Dschungel, auf etwa 500 Metern. Mit dem Fernglas in der Hand steht Georg an der Reling. Er hat Angst, sie zu verpassen. Dass ich sie zuerst entdecke, gefällt ihm gar nicht.

    Am nächsten Morgen machen wir uns auf die Suche nach seinem ehemaligen Partner. An einem belebten Platz spricht Georg einige Einheimische auf ihn an. Ein älterer, fast zahnloser Mann mit karibischen Gesichtszügen bestätigt, dass da oben im Dschungel mal „ein verrückter Deutscher" gelebt und einige einheimische Frauen geschwängert habe. Georg hat seine offiziellen Besitzdokumente dabei. Er kann es nicht erwarten, die Fabrik wiederzusehen.

    Die Fahrt durch unwegsames Gelände ist sehr strapaziös. Unser Gelegenheitschauffeur verlangt dafür 100 US-Dollar, die Georg auf 60 herunterhandelt. Wir sind froh, heil angekommen zu sein. Georg führt uns in der baufälligen alten Fabrik herum, er ist ganz aus dem Häuschen. Ich sehe mich in den nahegelegenen Appartementhäusern um. Hier wimmelt es nur so von kleinen Leguanen, die in alle Richtungen davonflitzen. Die Häuser, allesamt aus bestem Material gebaut, sind völlig heruntergekommen. Auch das Haupthaus, das bewohnt scheint, sieht sehr ramponiert aus. Ein Hund begrüßt uns bellend. Georg erzählt, dass die Ehefrau seines Partners eines Tages die Nase voll hatte von seinen Affären und dem einsamen Leben im Dschungel. Ihr Mann versuchte, sich der Verantwortung für seine inzwischen sechs Kinder von verschiedenen Einheimischen zu entziehen. Die Familien der geschädigten Frauen setzten ihn jedoch unter Druck und terrorisierten ihn. Einsam, allein und vom Glück verlassen verfiel er schließlich dem Alkohol. Georg hat vor zwei Jahren zum letzten Mal von ihm gehört. Wer weiß, ob er noch lebt? Bewaffnet mit seiner Besitzurkunde steigen wir weiter den Hang hinauf.

    Diana, eine hübsche junge Frau Ende zwanzig kommt uns, angelockt vom Hundegebell, entgegen. Georg versucht ihr klarzumachen, dass er der rechtmäßige Besitzer dieses Geländes ist. Sie führt uns auf einem schmalen Pfad durch den Dschungel hinauf und zeigt uns einen liebevoll angelegten Kräutergarten, einen Gemüsegarten sowie ein riesiges Gewächshaus und einen großen Obstgarten. Neben einer großen Terrasse vor einem kleinen Restaurant entdecke ich auch drei kleine Appartementhäuschen direkt unterhalb der alten Wurstfabrik, die von oben nicht einsehbar sind. Diana ist Amerikanerin, lebt seit ein paar Jahren hier und hat sich alles selbst aufgebaut. Gäste zahlen für ein Appartement 100 Dollar am Tag. Ein stolzer Preis für das Leben außerhalb der Zivilisation, aber wer Ruhe sucht, findet sie hier mit Sicherheit.

    Am nächsten Morgen setzen wir die Segel zur Heimreise nach Martinique. Schlagartig ziehen dunkle Wolken am Himmel auf, ein orkanartiger Wind peitscht die See auf, wolkenbruchartiger Regen prasselt auf uns nieder, die See schlägt meterhohe Wellen. Nur noch leise hören wir die sonst donnernd laute Stimme des Skippers. Wir sollen Regenkleidung und Schwimmwesten anlegen. Das Großsegel wird eingeholt. Ich sehe Georg an, dass er den Kampf mit der Natur liebt. Das Boot ächzt durch das aufgewühlte aquamarinblaue Wasser. Nach 15 Minuten ist der ganze Spuk vorüber, die Segel werden wieder voll gesetzt und stehen prall im Wind.

    Der zweite Törn

    Am 21. Dezember 2003 ruft mich Georg zu sich ins Büro. Die Sunrise soll heute mit sechs Mann Besatzung einschließlich Skipper Richtung Venezuela auslaufen. Gerda und ich könnten seine Kajüte kostenlos benutzen, wenn wir uns an der Bordkasse beteiligen, die Essen, alkoholfreie Getränke, Diesel sowie das Wasser und Anlegegebühren für das Ankern an den verschiedenen Inseln bestreitet. Gerda wehrt sich zunächst heftig dagegen, an diesem Törn teilzunehmen. Doch dann sagt sie schließlich doch noch zu. Unsere Sachen sind schnell gepackt und verstaut, die Aufgaben verteilt.

    Tanja und ich sind während der gesamten 13 Tage für das Ankern oder das Festmachen der Bojen an den Moorings zuständig. Das erste Fahrtziel heißt Santa Lucia. Wir kommen zum „Diamanten, einem 176 Meter hohen Felsen, der etwa 400 Meter vom Land entfernt aus dem Meer ragt. In früheren Zeiten war er ein wichtiger strategischer Stützpunkt für die Engländer, denn Martinique war zwischen 1794 und 1804 zwischen Briten und Franzosen hart umkämpft. Zeitweilig mit britischen Kanonen ausgerüstet, erhoben ihn die Engländer sogar in den Status eines Kriegsschiffs. Der „HMS Diamond Rock im Dienste Ihrer Majestät war für die Franzosen zwei Jahre lang uneinnehmbar. Dann ließ der französische Admiral Villeneuve ein Rumfass in Richtung „Diamant" treiben, die Engländer enterten das Fass und betranken sich. Nun war es für die Franzosen ein Leichtes, die Engländer zu besiegen.

    Wir scheitern allerdings daran, diesen Felsen zu umsegeln. Nach mehreren vergeblichen Manövern segeln wir zurück in die nächstgelegene Bucht. Einer der Mitsegler verträgt den Seegang nicht und entschließt sich, mit seiner Frau das nächste Taxi zurück zu nehmen. Sein teurer Urlaub fällt buchstäblich ins Wasser.

    Santa Lucia

    Am nächsten Tag klart das Wetter auf und wir erreichen die nördlichste Bucht von Santa Lucia, Rodney Bay. Die Insel ist relativ flach, hat viele Erhebungen und 15.000 Einwohner. Bis 1814 wechselte die Insel vierzehn Mal den Besitzer, bis die Briten Santa Lucia zur Kronkolonie ernannten. Die Haupteinnahmequelle sind die Ausfuhr von Bananen sowie der Tourismus. Auf einer Anhöhe liegt ein kleines Fort, das ich besichtigen will. Ich jogge am Sandstrand entlang, vorbei an einer herrlichen Hotelanlage, in der die Bediensteten gerade das Abendessen aufdecken. Schnell erreiche ich die Anhöhe und habe eine atemberaubende Sicht über die Rodney Bay: In der Ferne erhebt sich eine Insel aus dem Wasser, davor segelt ein Schiff mit vollen Segeln direkt auf mich zu.

    Die Karibikinsel Santa Lucia hat als erstes Urlaubsgebiet das Schulfach „Tourismus" eingeführt. Die Kinder werden bereits in den Grundschulklassen über die wirtschaftliche Bedeutung des Tourismus und seinen Einfluss auf die Entwicklung des Inselstaates unterrichtet. Sie erfahren dabei, dass die Touristen keine unglaublich reichen Leute sind, sondern in ihrer Heimat hart arbeiten müssen, um auf diesen Inseln ihre Ferien verbringen zu können.

    Am nächsten Tag segeln wir gemächlich entlang der langgestreckten Insel und ankern bei den Pitons, zwei riesigen, steilen Erhebungen von 700 Metern Höhe. Meine Nase wittert Schwefelgeruch. Es gibt hier viele Schwefelquellen und Mineralbäder. Gerda und ich wandern zu einer Quelle und nehmen ein warmes Bad. Danach steuern wir die nahegelegene Hauptstadt Soufrière an, vorbei an Frangipanibäumen, Hibiskus, Papayas, Mangos, Riesenfarnen und Passionsfrüchten sowie Bananenplantagen. Hier werden jährlich etwa 120.000 Tonnen Bananen geerntet. Besonders stolz sind die Lucianer auf Arthur Lewis, der 1971 den Nobelpreis für Wirtschaft erhielt, und auf Derek Walcott, den Literaturnobelpreisträger von 1992.

    Vorbei geht unsere Fahrt auch an der kleinen Insel Petit Nevis, seit dem 17. Jahrhundert bis vor wenigen Jahren eine Walstation, an der Wale gejagt, geschlachtet und verarbeitet wurden. Die Tiere wurden mit offenen Booten, gesegelt oder gerudert, verfolgt. Hermann Melville beschreibt die Jagd in seinem Buch „Moby Dick" in allen Einzelheiten. Die Harpune wurde auf traditionelle Art und Weise mit Muskelkraft geschleudert. Durch das Fernglas sind noch die verfallenen Schuppen zu erkennen, in denen die Wale zu Öl verarbeitet wurden.

    Bequia

    Von St. Vincent bis nach Grenada erstreckt sich die Inselgruppe der Grenadinen. Sie besteht aus acht ständig bewohnten Inseln sowie etwa 100 Eilanden und Felsen. Von Grenada aus sind es bis nach Venezuela nur 150 Kilometer. Wir steuern Bequia, eine 18 Quadratkilometer große Insel an und machen an der Admiraltybucht fest. Die Insel war bis 1993 nur mit dem Schiff erreichbar. Durch den kleinen Flughafen besitzt sie nun eine Anbindung an den Weltluftverkehr. Auf Bequia ist der Anteil der Weißen an den etwa 6.000 Einwohnern gegenüber anderen Inseln relativ groß, da sich hier einst schottische Walfänger niedergelassen hatten. 1840 wurden Bequia und Mustique als Walfangzentren ausgebaut. Früher war Bequia auch bekannt für den Bau von Holzschiffen. 1939 wurde auf der Insel einer der größten Schoner, die in der Karibik jemals vom Stapel liefen, gebaut: das 165 Fuß lange Prachtschiff „Gloria Golita". 1941 wurde es bei den Bermudas auf offener See mit angeschlagenen Segeln treibend aufgefunden. Sturmschäden waren nicht zu erkennen. Die spanische Crew sowie der Skipper sind nie gefunden worden. Der Sohn des Skippers ist der heutige Ministerpräsident. Die Bucht mit dem malerischen Port Elizabeth ist eine kleine Wunderwelt. 90 Minuten bleiben mir, um die Insel zu erkunden, danach bereiten wir das Weihnachtsmenü vor. Herrliches Wetter! Ein warmer Wind streicht über meine Haut. Von Weihnachtsgefühlen keine Spur, obwohl im Strandpark ein Weihnachtsbaum voller Glitzerketten und elektrischer Leuchtkerzen steht, typisch amerikanisch. Zu Weihnachten gehören, zumindest für mich, Schnee und Kälte!

    Auf dem Boot sind alle Mitsegler schon mit den Menüvorbereitungen beschäftigt. Da ich für die Nachspeise zuständig bin, habe ich noch ein wenig Zeit. Tanja hat die Tischdekoration übernommen. Reginas Salat mit einer Avocadosoße mit viel Knoblauch schmeckt allen vorzüglich. Andreas hat gebratenes Rindfleisch mit Kartoffeln und Bohnen gekocht. Leider ist das Fleisch sehr zäh. Doch alles in allem hat das Weihnachtsmenü sehr gut geschmeckt. Gut gelaunt ziehen wir uns in die Kojen zurück und erleben eine Überraschung.

    In meiner Koje liegen auf dem Bett verstreut mein Einkaufszettel, Führerschein und Bankkarten. Mein Brustbeutel ist nicht mehr an seinem Platz. Tanja, die das Boot nach unserem Landausflug als Erste betreten hatte, war aufgefallen, dass es überall so nass war. Jemand ist an Bord gewesen und hat unsere Sachen durchwühlt. Mein Brustbeutel ist nicht mehr auffindbar und 350 Euro sind weg. Bei Regina und Andreas fehlen 1.000 Euro, bei Tanja und Gerry wurde nichts gestohlen. Wir sind schockiert. Am nächsten Tag stelle ich fest, dass auch noch meine Sportschuhe weg sind.

    Von Union Island zu den Tobago Cays

    Der südlichste Abschnitt unserer Segelreise ist Union Island, eine nur sieben Quadratkilometer große Insel mit einem kleinen Flughafen. Die Insel gehört zu St. Vincent und hat etwa 2.000 Einwohner. Wir legen direkt vor der Hotelbar an. Neben einem Steg vor dem Hotel entdecke ich ein Haifischbecken. Es gibt weder ein Geländer noch ist das Becken abgesichert. Das wäre bei uns zu Hause undenkbar! Das Meer schimmert in allen erdenklichen Grün- und Blauschattierungen, ich kann mich gar nicht sattsehen. In Clifton Harbour herrscht viel Betrieb. Von überall her ertönt Musik, es gibt fast alles zu kaufen, ein richtig pulsierender Ort. Am Abend ist in Lambis Restaurant ein herrliches Buffet aufgebaut. Eine Steel-Liveband sorgt schon während des Essens für die richtige Stimmung. Danach gehen wir alle zusammen in die Dorfdisco. Es riecht sehr intensiv nach Gras, der Bass der Jukebox dröhnt in meinen Ohren und das Trommelfell droht zu platzen. An Tanja und Gerda schmeißen sich zwei hübsche Rastamänner heran, während ich von einer Karibin mit einem überdimensionalen Busen in Beschlag genommen werde. Hier in diesem kleinen Dorf ist wirklich was los!

    Von Union Island in die Tobago Cays ist es nur ein Katzensprung: vom Ankerliften bis zum Ankersetzen 90 Minuten. Als wir die Tobago Cays ansteuern, sind wir alle begeistert von der Bilderbuch-Kulisse dieser vier winzigen, unter Naturschutz stehenden unbewohnten Inseln. Wir ankern zwischen Petit Ramon und Petit Bateau. Hinter diesen beiden Inseln liegt das kleinere Island Baradal, rechts von Petit Bateau Jamesby, die kleinste der vier Inseln. Ein Boatboy kommt längsseits und bietet uns Lobster an, die er abends am Strand auf dem Grill zubereiten will. Wir nehmen das Angebot an und verabreden uns für 19 Uhr. Gerry setzt Gerda und mich auf Petit Rameau ab, Andreas, Regina und Tanja fahren zu einem hufeisenförmigen Riff hinter der Insel Baradal, um zu schnorcheln. Gerda erkundet die Insel, ich liege faul im Schatten einer Palme. Gegen 17 Uhr holt uns Gerry mit dem Dingi wieder ab. Die Badeleiter wird ausgebracht und wenig später tummeln wir uns im 25 Grad warmen Wasser. Schnell versinkt die Sonne im Meer, eine tropisch warme Nacht bricht über die kleinen Inseln und die See herein.

    Der Bootsfahrer hat Wort gehalten. Er serviert uns den Lobster auf einem grob zusammengezimmerten Tisch. Der Mond sorgt für das passende Licht. Romantik pur! Doch als wir den Preis für unsere Schlemmerei erfahren, kommen wir schnell auf den Boden der Tatsachen zurück: pro Person umgerechnet 20 Euro für einen halben Lobster ohne alle Zutaten – ein teurer Spaß!

    Einen so herrlich blauen Sternenhimmel kenne ich sonst nur aus dem Gebirge auf über 2.000 Metern. Die Sterne leuchten zum Greifen nah am Himmel, ein leichter Passatwind bringt wohltuende Kühle. Allmählich sinkt der große Wagen am nördlichen Horizont des Himmels und verschwindet, während auf der gegenüberliegenden Seite ganz langsam das Kreuz des Südens erkennbar wird.

    Am nächsten Tag fahre ich gleich nach dem Frühstück auf die Insel Petit Bateau. Am Strand entdecke ich einen kleinen Holztisch, den ich in den Schatten einer Palme stelle, beginne zu schreiben und beobachte nebenher kleine Leguane, die sich in der Sonne aalen. Mit einem Becher Kaffee aus der Thermoskanne lehne ich mich an eine Palme, mein Blick schweift über die vier kleinen Inseln. Die Farben des Wassers reichen von Tintenblau über Smaragdgrün bis zu hellem Türkis, dort, wo es am flachsten ist. Als mich das Dingi um 17 Uhr abholt, gebe ich Gerry lediglich meinen Rucksack mit und schwimme zur „Sunrise" zurück. Die geistige Arbeit hat mir richtig gut getan.

    Mustique und St. Vincent

    Vor vielen Jahren hat ein amerikanischer Multimillionär die Insel Mustique gekauft, um sie parzellenweise mit viel Gewinn weiterzuveräußern. Auf dem fünf Quadratkilometer großen Eiland besitzen Mick Jagger, David Bowie, Raquel Welch sowie Prinzessin Margret von England Villen und führen hier wenige Tage oder Wochen im Jahr ein Robinsonleben in Luxus. Die Insel hat einen eigenen kleinen Flughafen. Wenn die etwa 80 Luxusvillen leer stehen, kann man sie mieten – natürlich zu einem entsprechenden Preis. Ich mache einen kleinen Inselrundgang, um mir einige der Villen der oberen Zehntausend anzuschauen. Am auffälligsten ist ein schneeweißes Gebäude wie aus Tausendundeiner Nacht, hoch oben auf dem Berg gelegen und im arabischen Stil erbaut. Ich komme aus dem Staunen nicht mehr heraus: Das ganze Baumaterial musste mit dem Schiff herangeschafft werden, ebenso die unzähligen Handwerker!

    Weiter geht die Fahrt gen Süden. Wir haben alle Segel gesetzt, den Motor abgeschaltet und machen etwa 6 bis 7 Knoten in der Stunde. Nun kommt St. Vincent in Sicht, der weltweit größte Produzent von Pfeilwurz, einer stärkehaltigen Pflanze zur Herstellung von Computerpapier. Aber hier werden auch Bananen, Ananas, Kartoffeln, Brotfrüchte, Avocados, Kakao, Mangos und Gewürze angepflanzt. Angeblich wurde die Insel von Christoph Columbus auf seiner dritten Westindienreise am 22. Januar 1498, dem Namenstag des heiligen Vincent, entdeckt. Fast auf den Tag genau 500 Jahre später betrete ich nun die 322 qkm große Insel, die etwa 120.000 Einwohner hat. Die Hauptstadt heißt Kingston. Die Insel ist weltweit in die Schlagzeilen gekommen, denn hier wurde der Film „Der Pirat" gedreht. Wir fahren an der Walilabou-Bucht vorbei und erkennen auch die anderen Filmkulissen in etwa 200 Metern Entfernung deutlich. Die Engländer taten sich vor 400 Jahren nicht leicht, diese Insel einzunehmen, denn die einheimischen Kariben leisteten immer wieder erbitterten Widerstand. Eines Tages strandete ein Schiff aus Bequia auf St. Vincent. Die schwarzen Sklaven flohen in die Freiheit. Es entwickelte sich eine Mischrasse, die sogenannten Black Caribs.

    St. Vincent besteht vollständig aus vulkanischem Gestein. Der Sand an den Stränden ist schwarz

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