Tandem Transalp: Wie ich meine Frau heimlich über das Timmelsjoch lockte
Von Andi Mittermaier
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Über dieses E-Book
Der Autor beschreibt auf sehr persönliche Weise seine Veränderung während dieser drei Abenteuer und zeigt charmant, welche Herausforderungen, aber auch welche Entwicklungspotentiale diese Touren für eine Partnerschaft in sich bergen.
Andi Mittermaier
Andi Mittermaier (Jg.72) ist gebürtiger Münchner und seit früher Kindheit in den Bergen unterwegs. Mit allen Facetten des Bergsports vertraut, verbringt jede freie Minute in der Natur. Er ist ausgebildeter Mountainbike-Guide und Fahrtechniktrainer und liebt das Radeln in seinen Hausbergen. Zusammen mit seiner Frau und seinen zwei Kindern lebt er im Landkreis Rosenheim und startet von dort in viele seiner Abenteuer – bevorzugt natürlich mit dem Mountainbike und mit dem Tandem.
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Buchvorschau
Tandem Transalp - Andi Mittermaier
inspirieren!
Start ins Unbekannte
Sommer 2011
Von Zuhause über die Leutasch und den Reschen in den Vinschgau. Klingt einfach. Ist es das auch?
Unsere erste Transalp mit dem Tandem ist echtes Neuland für uns. Wir waren noch nie mehrere Tage am Stück unterwegs, wir hatten noch nie so viel Gepäck dabei, und wir sind noch nie lange Steigungen gefahren. Klar hätten wir auch, wie viele andere, an der Donau entlang radeln können, doch genau das wollte ich nicht.
Über die Alpen soll es gehen, und das zusammen mit meiner Frau. Zum Start und zur Eingewöhnung, quasi zum Test für Größeres, habe ich mich für die Route über den Reschenpass entschieden. In Alpencrosser Kreisen gilt der Übergang als „light oder „Frauenübergang
. Bei hartgesottenen Bikern ist er die Ausweichvariante für den Schlechtwetterfall. Ich kenne einige, die auf dem Weg aufgeben mussten, und sich Teilstrecken mit dem Bus haben fahren lassen. Selbst dieses Hilfsmittel wäre für uns keine Option gewesen.
Wie bitte willst Du ein Tandem mit dem Bus mitnehmen? Es passt nicht durch die Tür und selbst die Transportvorrichtung, die manch ein Postbus am Heck aufweist, lässt ein Tandem am Boden schleifen. Alles schon getestet.
So wie ich es recherchiert habe, und das sei gleich mal angemerkt, bin ich ein Meister im Routenplanen, sind alle Straßen asphaltiert und es gibt viele Radwege. Besonders auf den Vinschger Radweg freue ich mich am meisten. Viele Wochen habe ich im Vorfeld Landkarten studiert und bin mit Planungssoftware vor meinem PC gesessen. Alles, um mir einen exakten Plan zu machen.
Von zu Hause, also vom oberbayerischen Aschbach, soll es losgehen, und Latsch im Vinschgau soll das Ziel sein. Und falls wir das Ziel erreichen, wie kommen wir dann wieder zurück? Vermutlich mit der Bahn über Bozen und dem Brenner. Hätte sich Kolumbus damals Gedanken über seinen Rückweg gemacht, wäre er mit Sicherheit nicht aufgebrochen. Und ganz so lange wie er wollen wir ja gar nicht wegfahren.
Wir haben ein hochwertiges Tandem und sehr gute Gepäcktaschen. Eine kleinere Testtour, mit leeren Taschen verlief ohne nennenswerte Vorkommnisse. Was die Ausrüstung anbelangt, bin ich schon mal sehr guter Dinge. Wir unternahmen noch einige kurze Tagestouren, um ein wenig Kondition aufzubauen, und vermutlich unser Gewissen zu beruhigen. Die Kinder blieben bei Oma und Opa in Aschbach, und am 11. August 2011 war es dann soweit. Kurz nach zehn Uhr fuhren wir los. Na endlich.
Wir rollen die ersten Meter schweigend auf unserem Tandem. Die Route ist besprochen, und somit ist kein Bedarf für die übliche Frage nach dem Links oder Rechts an der ersten Abbiegung. Es geht an der hohen, grünen Buchenhecke vorbei, und dann links auf die Hauptstraße. Eigentlich ist alles wie immer. Gewohnte Umgebung, die Sonne scheint, und doch ist heute etwas anders. Eine leichte Spannung ist zu spüren, und das Grummeln in meinem Bauch bestätigt mein Gefühl. Ich gehe in Gedanken noch Mal die wichtigsten Punkte der Packliste durch: Ausweis, Geld, Werkzeug, Regenjacke ... Alles dabei. Kurz drauf gebe ich ein: Jetzt ist es soweit!
, von mir und höre ein: Puh - ja - jetzt ist es soweit
, zurück.
Die Tatsache, dass wir heute nicht wieder zurück nach Hause kommen, wird mir bewusst und mein Kopf füllt sich mit Fragen. Haben wir alles Nötige dabei? Hält unser Tandem durch? Haben wir das passende Werkzeug für Pannen? Wie kommen wir mit dem riesen Radl wieder nach Hause? Finden wir ein schönes Zimmer für die Nacht? Wie wird es Mellie ergehen? Hält das Wetter?
Auf uns bekannten Radwegen fahren wir nach Holzkirchen und weiter Richtung Bad Tölz. Nur einmal bleiben wir kurz stehen, um uns zu räkeln, bevor wir nach zwei Stunden in Lenggries im Café sitzen und unseren ersten Cappuccino in der Sonne schlürfen. Die Anfangsspannung ist verflogen und wir genießen die Pause und die Ruhe, und gönnen uns ein Stück Apfelkuchen. Das Radl lässt sich gut fahren, die Beine sind kräftig und noch frisch, der Rücken fühlt sich gut an, nur der Hintern ist nicht so ganz einverstanden und wünscht sich vermutlich lieber einen weichen Sessel. Und obwohl wir keine Eile haben, wollen wir schon bald wieder aufbrechen, wohl wissend, dass wir noch viel vor uns haben, und dies erst der Auftakt ist.
„Jede noch so lange Reise beginnt mit dem ersten Schritt!"
„Tolle Rede", denke ich mir und fange ein wenig das Grübeln an. Gerne hätte ich die Wochen zuvor noch mehr Trainingstouren gemacht, doch die Zeit war knapp und das Wetter oft regnerisch.
Ich habe mir viele Gedanken zur Strecke und zu den Etappen gemacht. Oft genug bin ich die Jahre zuvor schon mit dem Mountainbike in den Alpen unterwegs gewesen. Eine Alpenüberquerung hat viele Unbekannte und ist planerisch immer eine Herausforderung. Dieses Jahr bin ich zum allerersten Mal mit einem Tourentandem unterwegs, und das bedeutet im Vorfeld zusätzliche Unbekannte. Wir haben deutlich schmälere Reifen, als ein Mountainbike, was sich auf Schotterwegen durchaus bemerkbar macht. Da muss ich dann den Lenker sehr gut festhalten und darf auch nur wohl dosiert lenken. Wir haben hinten Gepäcktaschen montiert, die bergauf wie ein Anker wirken. Da habe ich manchmal den Eindruck, als würde sich hinten ein anderer Radler festhalten. Bergab wiederum schiebt das Gewicht zusätzlich an, dass ich selbst bei geringem Gefälle schon ordentlich in die Bremsen steigen darf. Zu was für Problemen das am zweiten Tag führt, erzähle ich später ausführlich.
Schwer einschätzbar ist für mich die Fitness von Mellie. Bei den kurzen Tagestouren hat alles prima funktioniert, doch wie wird es ihr am zweiten und dritten Tag ergehen?
Wenn in der Gruppe einer einen schlechten Tag erwischt, dann fährt er meist langsamer und die anderen warten oben am Pass oder im Gasthof. Auf dem Tandem ist das nicht möglich. Da gibt es nur EIN Tempo, und das gilt es geschickt zu wählen, so dass wir Spaß haben und trotzdem weit kommen. Schließlich wollen wir ja über die Alpen.
Diesmal habe ich keine Ahnung, wie weit wir heute kommen werden. Ich vermute, dass 60 Kilometer gut zu schaffen sind - wünschen würde ich mir 80 Kilometer. Und jetzt, wo wir so frisch in Lenggries sitzen und bereits über 40 Kilometer hinter uns gelassen haben, wird sich mein Wunsch sicherlich erfüllen. Allerdings hatten wir bisher kaum Steigung auf der Strecke.
Mit diesen Gedanken steige ich wieder auf unser Gefährt und wir fahren weiter stets der Isar flussaufwärts folgend bis zum Sylvensteinspeicher. Der Radweg führt dort durch einen Tunnel links der Staumauer, was deutlich angenehmer ist, als auf der viel befahrenen Straße hochzukurbeln.
Nochmal Pause. Trinken, räkeln, mit dem Po wackeln und das übliche Foto. Ich fotografiere Mellie mit Tandem und sie fotografiert mich mit Tandem. Wir haben daher viele tolle Tandembilder und kaum eines, wo wir beide gleichzeitig drauf sind. Mit einem Fotobeweis der gemeinsamen Tour wird es schwer, daher kommt mir der Wanderer auf der Brücke vom Sylvensteinstausee gerade recht. Fluchs wird er als Fotograf verpflichtet und gleich drauf radeln wir weiter.
Ich lenke unsere Unterhaltung in Richtung Essen und ja, ich rede gerne und viel übers Essen. Am Anfang unserer Partnerschaft fiel mir das gar nicht auf, bis Mellie es mir quasi immer wieder aufs Brot schmierte. Tolle Metapher! Und um es vorwegzunehmen, ich habe diese Eigenschaft nicht gestohlen sondern geerbt. Das ist jetzt keine Entschuldigung, sondern eine Erklärung. Mein Vater liebt gutes Essen und kann sich an jede Wirtschaft erinnern, in der er war. Neben Qualität und Quantität der Speise werden Service, Preise und Parkplatzsituation gespeichert. Er kartographiert nicht politisch, oder topographisch, sondern kulinarisch.
Ich frage also Mellie ganz beiläufig und möglichst unauffällig, ob sie denn schon Hunger hat, und ob wir jetzt in Fall oder Hinterriß was essen wollen. Immerhin gab es seit dem Frühstück nur einen Cappuccino mit Kuchen. Und dann die Antwort, die ich befürchtete. Irgendwie bin ich immer noch satt vom Apfelkuchen.
Ich beiße hilflos in einen Müsliriegel und radle weiter.
Das Gefühl im Magen wird besser und ich kann die Landschaft wieder genießen. Es geht an der Isar entlang Richtung Wallgau. Die Straße hier ist mautpflichtig und so fahren fast nur Ausflügler. Das bedeutet allerdings nicht, dass es wenige sind. An diesem herrlichen Sonnentag zieht es viele hierher in diese Idylle. Wir finden eine tolle Stelle, wo die Isar sich in viel kleine Bäche teilt, und machen dort nochmal Pause. Die Sonne glitzert und es duftet nach Wald. Das leichte Rauschen des Wassers beruhigt meinen Herzschlag und genüsslich beiße ich in einen Apfel. Mellie tut es mir nach und wir waten barfuß durchs eiskalte Wasser. Wir torkeln über die spitzen Steine bis hin zu einer Insel. Gar nicht so weit weg von uns erheben sich Zugspitze und Alpspitze über dem Isarschotter. Das sind zwei Lieblingsberge von mir und schnell bin ich Gedanken bei einer meiner letzten Bergtouren.
Traumhaft ist es, die Zeit vergeht, und wir merken zum ersten Mal heute, dass wir körperlich einiges geleistet haben. Unsere Beine sind leicht müde und auch Mellie hat jetzt Hunger. Yes! Na endlich!
Der Apfel hat wohl ein wenig den Appetit angeregt. Die nächste Wirtschaft wird anvisiert und dort gibt es frischen Salat. Herrlich, nachdem heute bislang eher Süßes auf dem Programm stand.
Der Tacho meldet 82 Kilometer und mein Gefühl sagt mir, dass es dringend Zeit wird, eine Herberge zu suchen. Mellie fühlt sich zwar noch gut, nur hat man bei so einer Tour am ersten Tag immer Bärenkräfte. Wir organisieren uns ein Hotelverzeichnis, und weil nichts Ansprechendes dabei ist, beschließen wir, dann doch noch bis Mittenwald zu fahren. Die Strecke dorthin ist flach und außerdem ist es erst früher Nachmittag.
In Mittenwald finden wir ziemlich schnell ein Privatzimmer, das unseren Anforderungen genügt. Preiswert und sauber und mit eigenem Bad. Wir zahlen 25 Euro pro Person mit Frühstück und der mir innewohnende Sparfuchs ist absolut zufrieden.
Melanie: Seine ewige Sparerei geht mir tierisch auf die Nerven. Wenn wir mit den Kindern verreisen, übernachten wir in unserem VW-Bus auf einem Camping-Platz. Wieso um alles in der Welt, können wir es uns jetzt auf der einzigen Reise zu zweit im Jahr nicht gut gehen lassen und ein schönes Hotel buchen? Andis Argumente für ein günstiges Zimmer sind alle schlüssig und die Art, wie er es sagt, lässt keinen Spielraum für Wünsche meinerseits. So füge ich mich zähneknirschend und wähle das Zimmer, das noch halbwegs gut aussieht. Wirklich glücklich bin ich damit nicht.
Das Zimmersuch-Spiel läuft so ab, dass wir das Übernachtungs-Verzeichnis durchsuchen und nach Preis filtern. Die schlechten werden gestrichen und dann schauen wir uns die möglichen Kandidaten an. Da ich ja überall zufrieden bin, solange es trocken ist, entscheidet dann Mellie was wir davon nehmen.
Als langjähriger Low-Budget Reisender weiß ich, was es für Arten von Unterkünften gibt auf dieser Welt. Insofern ist ein Zimmer mit Bett und einem Bad fast schon Luxus - zumindest in meiner Welt. Dass Mellie das anders sieht und empfindet weiß ich, und dass sie am liebsten in ein Wellness-Hotel gehen würde, ist auch klar. Nur finde ich, dass es zu einer Transalp dazugehört, einfach und günstig zu übernachten. So a bisserl Askese ist doch normal,