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Die neue Arktis: Der Kampf um den hohen Norden
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eBook215 Seiten2 Stunden

Die neue Arktis: Der Kampf um den hohen Norden

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Über dieses E-Book

Wem gehört der Nordpol? Der Run auf die neue Arktis.
Die Arktis, einst das ferne Land ewigen Eises, steht im Zentrum aller Debatten über den Klimawandel. Doch was Ökologen beunruhigt, ist für andere der Startschuss zu einer ungehemmten Ausbeutung der letzten unberührten Naturräume. Denn das Schmelzen von Gletschern und Packeis verkürzt die Schifffahrtsrouten und macht Bodenschätze im Wert der gesamten US-Wirtschaft zugänglich. Russland gewinnt bereits 85 % seines Erdgases aus der Arktis; ein chinesisches Unternehmen plant in Grönland die weltgrößte Mine für Uran und seltene Erden. Und längst ist auch die Militarisierung der Arktis in vollem Gange. Schon jetzt ist die Gefahr nuklearer Zwischenfälle höher als zur Zeit des
Kalten Krieges. Industrieller Fischfang, aber auch ein ungebremster Naturtourismus bedrohen die Lebensgrundlagen der Inuit.
SpracheDeutsch
HerausgeberFolio Verlag
Erscheinungsdatum24. Sept. 2019
ISBN9783990371008
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    Buchvorschau

    Die neue Arktis - Marzio G. Mian

    Inuit-Weisheit

    General Sommer

    Wenn Niels Sakariassen einmal in dem Grab bestattet wird, das er in seinem Gemüsegarten ausgehoben hat, dann hat der Baumgeist gewonnen. Und die Minengiganten haben verloren.

    Im Jahr 2009 hatte Niels sein Häuschen gerade fertig gebaut, als die australische Greenland Minerals and Energy (GME) bei Kernbohrungen auf der Kvanefjeld-Hochebene die weltweit größte Lagerstätte für Uran und Seltene Erden entdeckte – die achtzehn chemischen Elemente, die die globalisierte Welt für Supraleiter, Magnete, Handys, Glasfaser- und militärische Hochtechnologie so dringend braucht. Niels’ Haus fällt unter den roten, blauen, gelben und grünen Holzfertighäuschen, die wie zufällig zwischen den Felsen hingestreut sind, auf. Es ist das einzige in Narsaq aus Betonblocksteinen. Es steht am Ortsrand, auf einer Anhöhe, die sanft zum Meer hin abfällt und einen spektakulären Ausblick auf eine der erhabensten, unberührtesten Landschaften unserer Erde bietet. Auf eine Landschaft von unfassbarer, schwindelerregender Schönheit, die mich geradezu verwirrt. Kann das Stendhal-Syndrom etwa auch durch Naturerlebnisse ausgelöst werden? Vielleicht rührt mein Unwohlsein aber auch nur daher, dass sich kein passendes Gefühl für diese Landschaft einstellen will. Der Hang endet an einer Bucht nordöstlich von Narsaq, mit Hunderten von Eisbergen, die sich vom Inlandeis gelöst haben und mit unerbittlicher, sturer Trägheit in den indigoblauen Golf treiben, wo sie sich zu einer Art tiefgefrorenen Megastadt übereinanderschieben: Wolkenkratzer, Fabriken, Minarette und Kathedralen aus Eis. Immer wieder wird die Stille von Dröhnen und Donnern zerrissen: Dann brechen ganze Eiswände ab, die in der Ferne so riesig aussehen wie die Kreidefelsen von Dover oder die Pfeiler von Notre-Dame. Die einstürzenden Klippen lösen kleine Tsunamis aus und bei Tausenden Vögeln einen Sturm der Entrüstung. Dann suchen die gekalbten Eisberge nach einem neuen Gleichgewicht; sie überschlagen sich manchmal oder schwanken stundenlang hin und her. Dabei verändern sie ihre Form; wo das Eis schmilzt, entstehen türkisfarbene und an der Schwimmlinie aquamarinblaue Risse, die vor der grauweißen Wand, die sich über ihnen erhebt, umso stärker leuchten. Schließlich zieht das Gewölk weiter westwärts, Richtung Horizont. In der Dämmerung liegen die Eisberge zartrosa da; der Lichtkranz, der sie umgibt, erzählt vom Leben. Von Vergänglichkeit. Und auch Gewalt. „Grönland!, rief der Maler Rockwell Kent, als er in einem ähnlichen Eisfjord Schiffbruch erlitt, „mein Gott, wie ist die Welt so schön!

    Niels hat in sein Haus ein besonders großes Fenster eingebaut. Wenn er zu Hause an Walross-Stoßzähnen schnitzt, möchte er den Ausblick genießen. Nördlich der großen Bucht endet die grönländische Eiskappe, als weißer Keil am bergigen Horizont, ein massiges, strahlendes Etwas, ein weißer Lavastrom, der aus einem bröckelnden Krater quillt. Dahinter erstrecken sich Tausende Quadratkilometer Eis: bis zum Nordpol, dem Nabel der Arktis im Reich des Kleinen Bären. „Auch meine Kinder und Kindeskinder sollen hier noch leben können, sagt Niels. „Es ist ein glückliches Leben voll unbezahlbarer Momente. Kein anderes Leben könnte erfüllter und niemand zufriedener sein als ich. Der Blick aus den schmalen Augen verrät, wie sehr er sich nach einer Bestätigung sehnt.

    Seit der Klimawandel in Grönland deutlich zu spüren ist, hat Niels schon sechs verschiedene Kartoffelsorten angebaut. Jährlich erntet er bis zu 600 Kilo, genug für Familie und Verwandte. Außerdem pflanzt er Rhabarber, Broccoli und Kohl. Und vor allem kleine Bäume, eine Miniaturbaumschule mit niedrigen Koniferen und Sträuchern aus der Familie der Weidengewächse, wie sie heute hauptsächlich in der amerikanischen Tundra wachsen. Hier in der Gegend wurde der Bestand ab der Zeit um 900 von einer Wikinger-Siedlung geplündert, um fünfhundert Jahre später mit der letzten Glazialzeit ebenso endgültig zu verschwinden wie sie. In Grönland gibt es heute keine Bäume mehr – bislang. Aber er denke vorausschauend, sagt Niels, er könne den Atem des Ortes spüren, mit dem Wind sprechen, das Licht entziffern. „Statt Bauholz aus Dänemark zu importieren, könnten wir selber Bäume anpflanzen, besonders hier im Süden. In zwanzig Jahren könnten wir autonom sein. Während er das sagt, läuft er aufgebracht über den abschüssigen, unebenen Boden zwischen seinen Bäumen und streicht über das spärliche Blattwerk, als verabschiede er sich von einer Herde auf dem Weg zur Schlachtbank. Ganz offensichtlich besteht zwischen den Blättern und seinen erdverschmierten Händen eine tiefe, bedrohte Verbundenheit. Nervös, mit hängenden Schultern geht der Inuit vor mir her, dreht sich ab und zu um und blickt mich aufgewühlt an. Seine gutturale Sprache klingt beinah wie ein Röcheln. „Alle denken nur an die Minen und sagen, dass wir nur durch sie schnell von Dänemark unabhängig werden können. Doch wozu, wenn unser Leben dann von den Minenkonzernen diktiert wird, wir Gifte einatmen und unsere Seele verlieren?

    Als Niels von den Minenplänen erfuhr, pflanzte er sofort ein Wäldchen und beschwor die Baumgeister. Das Grün sollte den Blick auf den Kvanefjeld-Berg verstellen, ein schamanischer Ritus, um die drohende Realität, den Beginn der Förderung, zu vertreiben. Und die Bäume haben gehorcht: Steht man hinter den Zweigen, kann man den Berg nicht mehr sehen. Ähnlich verhielten sich die Menschen bei der Belagerung von Sarajewo, als sie es vermieden, zum Jahorina-Gebirge hinaufzuschauen, um nicht von den serbischen Scharfschützen bemerkt zu werden. Wenn man das Böse nicht anblickt, hofften sie, würde es einen übersehen.

    Doch die Investitionen und logistischen Vorarbeiten von GME sind gewaltig. So erstreckt sich zwischen Bucht und Talanfang mittlerweile ein vier Fußballfelder großer Hangar, und zudem ist die Regierung in der Liliput-Hauptstadt Nuuk (sechzehntausend Einwohner) entschlossen, den „historischen Schritt zu wagen. Darum hat Niels die Baumgeister noch bei einer anderen Angelegenheit um Hilfe gebeten. Gemeinsam mit seinen Söhnen machte er ein weiteres handtuchgroßes Gartenstück urbar und hob es drei Meter tief aus. „Wenn ich eines Tages hier begraben werde, habe ich gewonnen und liege in meiner geliebten Erde. Wenn sie aber wirklich mit den Förderarbeiten beginnen, verlassen wir Narsaq – und Grönland. Dann werde ich in der Fremde sterben. Ich kann nicht zusehen, wie unser Planet ausgerechnet von meinem Land weiter vergiftet wird. Wie viele andere könnte Niels Narsaq schon bald verlassen, denn die Unterschrift unter den Vertrag scheint so gut wie ausgemacht. Auch, weil die grönländische Regierung GME erlaubte, die Umweltverträglichkeitskriterien mehrfach nachzubessern, um die Genehmigung und Konzessionsvergabe gegenüber einer allerdings ohnehin schwachen Opposition durchzusetzen. Laut Unterlagen der GME, die im September 2018 von der Tageszeitung The West Australian veröffentlicht wurden, hält Grönland die Mine mittlerweile für umweltverträglich: Sie soll 2020 in Betrieb gehen. Die Aussicht auf die Freigabe des Kvanefjeld-Komplexes hat die chinesische Shenghe Resources Holding, selbst bereits ein Gigant beim Abbau Seltener Erden, dazu bewogen, im Sommer 2018 die Mehrheit an der ursprünglich australischen GME zu erwerben, die nun als Greenland Minerals firmiert. Nach den Plänen der Gesellschaft soll an der dann eisfreien Bucht zudem ein Hafen entstehen, von dem aus riesige Schüttgutfrachter mit radioaktiver Ladung in Richtung China auslaufen.

    In Narsaq geht es um nicht mehr und nicht weniger als den weltgrößten Uran-Tagebau, ausgerechnet in Grönland, der „letzten Welt". Doch was in dem malerischen Örtchen passiert, steht für weit mehr. Grönland würde endgültig seine Einzigartigkeit und seine Unschuld verlieren, die es fernab der Menschheitsgeschichte über Jahrmillionen bewahren konnte. Lange war Grönland fast so weit weg wie der Mond. Doch jetzt könnte es zu einem neuen Afrika werden, zum Kongo des Nordens.

    Der Nordpol zieht mit seiner magnetischen Anziehungskraft anscheinend auch die eklatantesten Widersprüche der Moderne an. Einerseits muss dieser Landstrich am teuersten für den Klimawandel bezahlen, andererseits eröffnen sich genau dadurch gigantische Möglichkeiten: neue Eroberungsgebiete, Machtchancen und Seehandelsrouten, ausgefallene Tourismusziele, ambitionierte Erschließungsprojekte, die Wohlstand versprechen, unendliche, noch unergründete Forschungsfelder auf dem Weg zum Fortschritt. Die Folgen der menschlichen Hybris sind hier besonders deutlich zu spüren: Der dramatische Kampf mit dem unvermeidlichen Gegenspieler wird genau hier ausgetragen. Und es geht um viel. Laut United States Geological Survey liegen in der Arktis Öl- und Gasvorräte im Wert von 18 Billionen Dollar, das entspricht der Gesamtwirtschaftsleistung der USA; 40 Prozent aller fossilen Brennstoffe und 30 Prozent aller natürlichen Ressourcen der Welt lagern dort. Aber klimatische Veränderungen, so eine Nature Climate Change-Studie vom März 2017, sind nur zu 30 bis 50 Prozent dafür verantwortlich, dass das Eis dort schmilzt. Den Rest besorgt der Mensch durch den Verbrauch fossiler Brennstoffe. Der Wettlauf um die vom schmelzenden Eis freigelegten Schätze wird mittlerweile mit einer halsbrecherischen Geschwindigkeit ausgetragen. Und das Eis wird immer dünner; es bröckelt, zieht sich zurück und verschwindet.

    Das Epizentrum der Vorgänge, die derzeit das Gleichgewicht unserer Erde bedrohen, liegt in Grönland, in Kalaallit Nunaat. Das Land der Kalaallit ist zwei Millionen Quadratkilometer groß, zu 85 Prozent von Inlandeis bedeckt, und seine sechsundfünfzigtausend Einwohner fänden alle in einem größeren Fußballstadion Platz. Es ist das neue Eldorado, verschwindet jedoch immer schneller. „Wenn das Eis bricht, erkennt man, wer Freund und wer Feind ist", sagte Angu zu mir, ein junger Robbenfänger aus Upernavik, im Nordosten des Landes, wo man jetzt schon im März nicht mehr mit Hundeschlitten fahren kann, weil sich das Packeis in unpassierbaren Morast verwandelt.

    Die Arktis, ein Ort nackter, erbarmungsloser Wahrheiten, verrät viel über uns. Sie erzählt von unserer Heuchelei und Überheblichkeit, ist aber auch spektakulärer Schauplatz unseres unaufhaltsamen Eroberungs- und Machtwillens: Die letzte Schlacht unseres langen, leidenschaftlich geführten und blutigen Kriegs gegen die Natur könnte hier geschlagen werden. Doch obwohl sich diese Region doppelt so schnell erwärmt wie die übrige Welt und die zerstörerische Kraft der Erderwärmung sich dort gerade mit voller Wucht entfaltet, hört und liest man davon seltsamerweise wenig. Man sollte eigentlich meinen, dass sich dort alle Ingredienzien für einen spannenden Abenteuerroman über unser Leben auf dieser Erde finden, doch Daten und Fakten dringen nur bruchstückhaft und nebulös zu den Betroffenen durch. Das gab es nicht einmal bei den Punischen Kriegen. Vielleicht hört sich das Ganze zu sehr nach Fantasterei, nach einem Ereignis vom anderen Stern an, scheint zu weit weg, um uns überhaupt etwas anzugehen. Wir haben doch ganz andere Probleme, glauben wir, Probleme direkt vor unserer Haustür wie die Flüchtlinge, die über unser altes, mitgenommenes Mittelmeer kommen. Wieso sollte denn ausgerechnet eine Eiswüste, eine für die Menschheitsgeschichte bislang völlig unerhebliche Fläche am Rande der Welt, eine Landschaft ohne Raum und Zeit plötzlich Geschichte schreiben und die Weltbühne betreten? Und wenn das Nordpolarmeer das neue Mittelmeer wäre, an dem sich das Schicksal entscheidet, mit dem alles steht oder fällt?

    Die Arktis ruft, die Erde antwortet. Und umgekehrt. Forscher amerikanischer, britischer, dänischer und norwegischer Universitäten haben, wie sie kürzlich in einer Gemeinschaftspublikation erläuterten, durch Bohrungen in Zentralgrönland jetzt den Umfang der Bleiemissionen bestimmt, die zwischen 1100 v. Chr. und 800 n. Chr. an die Luft abgegeben wurden. Die Spitzenwerte fielen in die Blüteperioden des Römischen Reichs, in die Zeit also, als die für die Geldherstellung erforderlichen Bergwerke und Silberschmieden besonders aktiv waren. Unter Augustus kam es zur Pax Romana, aber auch zur ersten Welle von Schwermetallen in der Atmosphäre.

    Jeder Eiswürfel, der in Grönland schmilzt, trifft unsere Zivilisation wie ein Stein, wird zur tödlichen Wassergranate auf Europas Feldern, zum glühenden Staub in unseren Städten und zur Feuersbrunst in unseren Wäldern. Die Arktis ruft, die Ozeane antworten.

    Grönland verliert seit 2011 jährlich 375 Milliarden Tonnen Eis – einen Würfel von acht Kilometern Kantenlänge oder 400 Millionen olympische Schwimmbecken. Wenn nur die beiden größten, am stärksten schmelzenden Gletscher im Nordosten, Zachariae Isstrom und Nioghalvfjerdsfjorden, zu Wasser würden, stiegen die Meeresspiegel schon um einen Meter. Wenn ganz Grönland abschmilzt, um acht.

    Die größte Insel der Welt besteht aus gefrorenem Süßwasser, dem einzigen Überbleibsel der letzten Eiszeit. Einst war nicht nur Grönland von kilometerhohen Gletschern bedeckt, sondern ein Großteil der nördlichen Erdhalbkugel. Vor zehntausend Jahren schmolz das meiste Eis – in Kanada, Skandinavien, Neuengland und im Norden des amerikanischen Mittelwestens. Nur Grönland blieb bis heute eisbedeckt. Das Land hat die Form einer Schüssel, mit Bergen ringsherum und Innen einem Gefrierschrank voller Eis. Wie es darunter aussieht, ist noch immer ein Rätsel: Grönland ist möglicherweise gar keine Insel, sondern nur eine Inselgruppe, die vom Eis zusammengehalten wird. Vielleicht besteht der Schüsselboden hauptsächlich aus Meerwasser.

    Das grönländische Inlandeis hat sich seit hundertfünfzigtausend Jahren Schicht für Schicht durch Schneefall aufgebaut: Unter enormem Druck wird aus Schnee Eis. Wie mir Wissenschaftler einer amerikanischen Klimastation der Gegend erzählten, stammen die Bäche, die ich in der Region Thule mit Jägern durchquerte, von Eis, das beinah bis zur Zeit von Julius Cäsar zurückreicht, als der Norden noch am Ärmelkanal begann. In seiner Mitte ist das Inlandeis über drei Kilometer tief und so schwer, dass sich darunter die Erde verformt hat und das felsige Grundgestein mehrere Tausend Meter in den Erdmantel gedrückt wird. Das Inlandeis beeinflusst durch seine Anziehungskraft die Verteilung der Weltmeere. Doch in den letzten Jahren ist es aus seinem nacheiszeitlichen Winterschlaf erwacht. Zu Weihnachten 2016 war es im abgelegenen, unbewohnten äußersten Nordosten Grönlands leicht über 0 Grad. Und in Mailand 3 Grad minus. Als diese Daten im Überwachungszentrum der NASA in Goddard, Maryland, eingingen, hat man die Wissenschaftler aus ihrem Weihnachtsurlaub geholt und eine Notstandssitzung einberufen. Es galt allerdings weniger zu erklären, als erst einmal zu verstehen. „Ohne den menschengemachten Klimawandel lässt sich dieses Ausnahmeereignis nicht erklären, sagte Friederike E. L. Otto von der Universität Oxford. Im Jahr 2017 lagen die Arktistemperaturen der warmen Jahreszeit an vierzig Tagen über dem Durchschnitt, 2016 gab es fünfundzwanzig „Ausnahme-Tage.

    Wenn ein Gletscher von der Größe Grönlands schmilzt, macht das alle bisherigen Erkenntnisse zu Makulatur. Das Inlandeis verändert sich auf eine für uns unvorhersehbare Weise, mit bislang noch nie beobachteten Mechanismen, ein Neuland für Glaziologen, Geologen, Ozeanografen und Meteorologen. Wir wissen zwar fast alles über das Ende der Dinosaurier, aber die Verflüssigung einer Insel der Größe von Texas, obwohl von zweihundert Satelliten in Echtzeit und von zigtausend Wissenschaftlern, davon allein viertausend in den USA, genauestens beobachtet, gibt uns Rätsel auf. Die

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