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Das stille Leben des Adriaen Coorte
Das stille Leben des Adriaen Coorte
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eBook141 Seiten1 Stunde

Das stille Leben des Adriaen Coorte

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Über dieses E-Book

Amsterdam 1682. Der junge Maler Adriaen Coorte schwängert die Tochter seines Lehrmeisters Melchior d’Hondecoeter , der ihn daraufhin zwingt, sie zu heiraten. Als das Kind bei der Geburt stirbt, fühlt sich Coorte von seiner Heiratspflicht entbunden und flieht über Nacht aus der Stadt.


Coorte beginnt ein neues Leben auf der Insel Walcheren in Zeeland und findet dank seiner Liebe zur Küchenmagd Hendrikje zu sich selbst.


Aber die Schatten seiner Amsterdamer Vergangenheit holen Coorte ein und zwingen ihn, sich ihnen zu stellen.


 


Ein Roman über den erst im 20. Jahrhundert wiederentdeckten Maler Adriaen Coorte, der von den Kennern mittlerweile auf einer Reihe mit Rembrandt, Hals und Vermeer gestellt wird.

SpracheDeutsch
HerausgeberDAO Press
Erscheinungsdatum10. Okt. 2019
ISBN9789925762729
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    Buchvorschau

    Das stille Leben des Adriaen Coorte - Peter Devaere

    1681

    Kapitel 1

    Im frühen Sommer 1682 brach der Maler Adriaen Coorte seine Lehrzeit bei Melchior d’Hondecoeter vorzeitig ab und floh aus Amsterdam. Er hatte fast vier Jahre im Atelier des Spezialisten für Jagdstillleben verbracht und war im Laufe der Zeit zu einem seiner begabtesten Schüler aufgestiegen. Gerade in der Darstellung der pflanzlichen Natur konnte ihm keiner das Wasser reichen. D’Hondecoeter hatte ihm das Malen von Blättern, Blumen, Disteln und Früchten auf seinen eigenen Gemälden anvertraut, weil er insgeheim erkannte, dass ihm Coorte darin überlegen war. Bald ergab sich eine klare Arbeitsteilung. D’Hondecoeter malte seine Enten, Gänse, Fasanen, Tauben, Pfauen und Rebhühner, Coorte malte die ganze Natur drum herum. Das Atelier D’Hondecoeter wurde ein erfolgreiches Unternehmen.           

    In Malerkreisen wurde gemunkelt, dass Coorte es auf Isabel, die einzige Tochter D’Hondecoeters, abgesehen hatte und abgeblitzt war. Aber niemand konnte das Gerücht bestätigen. Coorte war eine schlanke und hochgewachsene Erscheinung mit einem hübschen Gesicht, das traurig durch braune Locken hindurch in die Welt blickte. Sein Talent war unbestritten. Coorte hatte diesen leicht arroganten Blick, der sich an den hochgezogenen Mundwinkeln zeigte. Es war der Ausdruck, für den manche Frauen schwach wurden. Es gab in Amsterdam einige, die ein Auge auf ihn hatten. Aber Coorte war scheu. Er war in seinem Verhältnis zu Frauen sogar ungeschickt. Von Natur aus wortkarg, schien er in Anwesenheit von Frauen nur zu stammeln, wenn er überhaupt etwas sagte. Lieber flüchtete er in seine Kammer und las Bücher.

    Nachdem er geflohen war, behaupteten einige Gesellen im Atelier, Coorte hätte das Wichtigtuerische der Kaufmannsstadt Amsterdam gehasst. Er hasste den ungebrochenen Glauben an eine glänzende Zukunft der Sieben Vereinigten Provinzen. Er hasste den Prunk mancher Stadthäuser und die teuren Kleider ihrer Bewohner. Und er hasste die Sujets, die sie bei den Malern bestellten. Die Prunkstillleben mit reichgefüllten Tischen, die Selbstgenügsamkeit der Porträts mancher Kaufleute. Es war der Ausdruck ihrer Sucht nach Luxus und der Zurschaustellung ihres Reichtums. Vor allem hasste er die riesigen Darstellungen der Offiziere der Schützenkompanien. Er hasste die Porträts der Regenten und der Adeligen. Es waren Gemälde, die in ihrer Monstrosität Ausdruck des Größenwahnsinns geworden waren. Ein kleines Land, das man auf der Weltkugel kaum finden konnte, war komplett größenwahnsinnig geworden, sagte er. Und er, Coorte, war ausgebildet worden, um diesem Größenwahnsinn mit seinem Pinsel Ausdruck zu verleihen.

    Schließlich hasste er die Jagdsujets, an denen er im Atelier D’Hondecoeter beteiligt war. Er wusste genau, wohin all dies führen würde. Er würde sein Meisterstück malen. Man würde ihm die Mitgliedschaft in der Lukasgilde erteilen. Und dann würde er sein eigenes Atelier haben und eines Tages selber Lehrlinge beschäftigen. Und dann würden die Amsterdamer Kaufleute kommen und genau die gleichen Sujets von ihm verlangen, die sie sich von D’Hondecoeter wünschten: Jagdstillleben, prunkvolle Tafel voller Weingläser, Wildfleisch, exotischem Obst und Fische. Er hatte all das auf sich zukommen sehen und allein schon vor der Vorstellung dieser Zukunft hatte es ihm gegraut.

    Niemand hatte aber damit gerechnet, dass Coorte eines Tages verschwinden würde. Er war schweigsam, aber verlässlich. D’Hondecoeter selbst hatte die Hoffnung, dass er seinen begabten Schüler nach dem Meisterabschluss noch einige Jahre an das Atelier binden könnte.

    Im Morgengrauen eines warmen Junitages hatte Coorte mit seinen Habseligkeiten die Treckschute nach Haarlem bestiegen. Es war ein flaches Schiff, von Pferden gezogen. Es transportierte die Reisenden auf Kanälen von Stadt zu Stadt. Die Mitreisenden beachteten den stillen jungen Mann kaum. Er schien in seinen Mantel gehüllt schweigsam vor sich hin zu träumen. Sie aßen und tranken während der Reise und warfen die Essensreste in den Kanal. Sie zündeten ihre Pfeifen an, deren Rauch sich bald bis in die letzte Ecke des Innenraums verteilte. Coorte konnte den Rauch nicht ausstehen und hatte sich einen neuen Platz im unbedachten Teil ausgesucht, wo die schmutzige Wäsche der Amsterdamer gestapelt war. Sie war für die Bleichen in Haarlem bestimmt. Coorte beobachtete den schweren Tritt der Zugpferde, von denen das Schiff auf dem Leinpfad getreidelt wurde.

    Als die Treckschute nach einigen Stunden Haarlem erreichte, wechselte Coorte auf die Schute nach Leiden und gelangte schließlich über Delft nach Rotterdam. Dort musste er fast eine Woche warten, bis er einen Platz auf einem Linienschiff bekam. Es würde ihn in zwei Tagen und Nächten auf die Insel Walcheren in Zeeland bringen. Als das Schiff nach einer ruhigen Überfahrt die Hafenstadt Vlissingen erreichte, ging er an Land und bezog ein Zimmer bei seinem älteren Bruder Jacob Michiel, der in einem Stadthaus in Middelburg wohnte. Coorte war dreiundzwanzig Jahre alt. Er würde die Insel bis zu seinem Tod nicht mehr verlassen.

    Kapitel 2

    Seit seiner Rückkehr weigerte er sich über seine Lehrzeit in Amsterdam Auskunft zu erteilen. Sobald das Thema nur angeschnitten wurde, überfiel ihn eine düstere Stimmung, als wäre schon die Nachfrage eine Beleidigung. Irgendwann vermieden seine Geschwister, das Wort Amsterdam in seiner Anwesenheit auch nur in den Mund zu nehmen.   

    Coorte war geflohen. Er war geflohen vor dem Tod. Vor dem Kindestod im Mutterleib von Isabel.

    Er hatte sich mit ihr verabredet, als ihr Vater in der Taverne saß oder mit seinen Kunsthändlerfreunden durch die Stadt zog. Er traf sie morgens in aller Frühe, als die ganze Familie noch schlief. Coorte, der Abgeklärte, der Asket, war ein Liebender geworden. Einer, der dem Wahnsinn der Leidenschaft verfallen war. Sein Geschlecht regte sich, wenn er nur an Isabel dachte. Er versuchte sich zu mässigen, aber es gelang ihm kaum. Und dann war es geschehen. Er hatte die junge Frau in einer Nacht in ihrem Schlafgemach aufgesucht und war erst gegen Morgengrauen zu seiner Stube geschlichen. Als er eines Tages von Isabel vernommen hatte, dass sie von ihm schwanger war, war ihm erst nach und nach klargeworden, was passiert war. 

    D’Hondecoeter hatte getobt, aber er hatte Coorte nicht aus dem Atelier herausgeworfen, weil er ihn brauchte. Er konnte es sich nicht leisten, seinen talentierten Naturmaler loszuwerden. Er war ein Mann, der täglich auf den Knien laut betete, bevor er ins Bett stieg. Er hatte von Schande gesprochen. Coorte habe seine einzige Tochter entehrt und nun müsse er sie heiraten. Seitdem hatte er kein Wort mehr mit Coorte gesprochen. Er hatte die Anweisungen für die Bilder über einen Lehrling geben lassen. Es hatte Coorte verletzt und er sei noch wortkarger geworden als er es eh schon war. D’Hondecoeter hatte ihm verboten, vor der Hochzeit auch nur in die Nähe seiner Tochter zu kommen. Er hatte eigens eine Magd angewiesen, Tag und Nacht auf Isabel aufzupassen und dafür zu sorgen, dass kein Mann und schon gar nicht Coorte in ihre Nähe kam. Coorte war nächtelang durch Amsterdam geirrt und hatte sich sogar einer Hure hingegeben, um die Raserei in seinem Körper zu beruhigen. Der Gedanke an Flucht war ihm damals zum ersten Mal gekommen. D’Hondecoeter war immer weniger im Atelier aufgetaucht und wenn er kam, roch er nach den Tavernen im Jordaan, in denen er seine Zeit verbrachte. D’Hondecoeter trank.

    Als dann der Tag gekommen war, an dem Isabel das Kind bekommen sollte, hatte Coorte erst spät erfahren, dass es im Mutterleib gestorben war. Er hatte den ganzen Tag draußen vor D’Hondecoeters Haus auf die Nachricht gewartet. Die Hebamme war spät erschienen. Sie hatte es eilig gehabt und hatte in wenigen Sätzen die schreckliche Totgeburt geschildert. Sie war vor der Entscheidung gestanden, das Leben des Kindes oder das der Mutter zu retten. D’Hondecoeter hatte sich für seine Tochter entschieden, nachdem er in Eile herbeigerufen worden war. Und somit hatte er sich für den Tod der Frucht entschieden.

    D’Hondecoeter hatte sich nicht entschieden. Die Natur hatte es. Die Frucht war bereits im Bauch Isabels gestorben. Die Hebamme hatte die tote Frucht aus der Gebärmutter holen müssen. Sie war zu gross gewesen. Viel zu gross, hatte die Hebamme gesagt. Sie hatte einen Haken, eine Schere und mehrere Zangen eingesetzt. Zuerst hatte sie den Kopf von der Frucht getrennt. Nur mit grossen Mühen hatte sie ihn durch den Geburtskanal herausholen können. Anschliessend hatte sie mit der Zange die Arme und Beine vom Rumpf abgetrennt. Den restlichen Leib hatte sie in mehreren Teilen zerstückelt, damit sie auch sie durch den Geburtskanal herausholen konnte. Isabel hatte die eingeleitete Geburt überlebt. Sie hatte aber viel Blut verloren und hatte während der Operation mehrmals das Bewusstsein verloren, was den Eingriff unnötig erschwert und verlängert habe.

    Coorte hatte schweigend zugehört und war bei jeder Einzelheit, die die Hebamme ihm anvertraut hatte, immer mehr erstarrt. Schliesslich war er in tiefer Verzweiflung zu seiner Stube geschlichen. Er hatte seine Habseligkeiten gepackt und war in den frühen Morgenstunden in die Treckschute nach Haarlem gestiegen. Er hatte das Gefühl gehabt, als sei er selber zerstückelt worden. Als hätte man ihn in Stücke zerschnitten und in einen toten Nebenarm der Amsterdamer Kanäle geworfen.

    Kapitel 3

    Die Familie Coorte verfügte über einen Landsitz an der Nord-Westküste der Insel Walcheren, in der Nähe des Ortes Oostkapelle. Das Herrenhaus aus roten Backsteinen lag erhöht am Rande der Dünen und hatte große Fenster. Man konnte weit auf die Ländereien und benachbarten Landsitze blicken. Reiche Kaufleute aus Vlissingen und Middelburg hatten in der Nachahmung Versailles ausgedehnte Ziergärten anlegen lassen. Schnurgerade Alleen führten auf Springbrunnen

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