Mahlzeit(en): Biblische Seiten von Essen und Trinken
Von Sabine Bieberstein, Ulrike Bechmann, Anneliese Hecht und
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Buchvorschau
Mahlzeit(en) - Sabine Bieberstein
Bieberstein
ZUM THEMA
Von Einzelesserinnen, Gemeinschaftsgärtnern und Lebensmittelretterinnen
Ein Blick auf Essen und Trinken heute
Simone Birkel
„Sage mir, was du isst und ich sage dir, wer du bist!" Wohl kaum hat es in den industrialisierten Ländern eine größere Auswahlmöglichkeit an Essen gegeben als heute: vegetarisch, vegan, organisch, probiotisch, fair, laktose- oder glutenfrei – die Frage um die richtige Ernährungsweise wird mancherorts fast schon zur religiösen Grundsatzfrage. Während die eine sich kaum Gedanken darüber macht, was sie zu sich nimmt, will der andere durch seine Ernährung die Welt retten. Ein Grund mehr, die Ernährungsgewohnheiten der Menschen von heute in den Blick zu nehmen.
Gemeinsame Mahlzeiten strukturieren den Tag. In einer von Jahreszeiten und körperlicher Arbeit geprägten landwirtschaftlichen Gesellschaft hat sich in unseren Breitengraden über Jahrhunderte hinweg das gemeinsame Essen dreimal täglich mit Frühstück, (warmem) Mittagessen und Brotzeit/Vesper als Regel herausgebildet. Erst durch die einsetzende Industrialisierung verschoben sich Essgewohnheiten und Essgemeinschaften, das gemeinsame Essen in der Familie fand zunehmend abends statt. In unserer modernen Gesellschaft dagegen ist bei der (familiären) Nahrungsaufnahme die Unregelmäßigkeit die Regel. Schon sehr früh ernähren sich die unterschiedlichen Familienmitglieder außer Haus in Kita, Schule und am Arbeitsplatz. Gemeinsame Essenszeiten in der Familie sind aufgrund einer Vielzahl an Terminen selten geworden, wir haben uns zu situativen Einzelessern und Einzelesserinnen entwickelt. Wir essen alleine oder in zufälliger Gesellschaft an wechselnden Orten, oft beiläufig und hastig, für eine sorgfältige Zubereitung von frischer Nahrung fehlt in der Regel die Zeit und zunehmend auch die Kenntnis. Fertiggerichte und globale Einheitsgerichte wie Pizza, Pasta und Döner bestimmen unsere Ernährung mit den bekannten Folgen von Eiweiß- und Zuckerüberschüssen sowie den typischen Folgeerkrankungen von einseitiger Ernährung.
Essen als Ritual: Mehr als Nahrungsaufnahme
Wenn Essen mehr sein soll als reine Nahrungsaufnahme, dann gilt es, eine neue Achtsamkeit für lebensbedeutsame Momente im Laufe des Tages und des Jahres zu entwickeln. Eine gemeinsame Esskultur kann sich nur entwickeln, wenn wir die Lebensmittel als solche auch wahrnehmen und wertschätzen. Dazu gehört auch die Kenntnis der richtigen Zubereitungsart und das Wissen um den echten, nicht mit künstlichen Aromen erzeugten Geschmack. Als Gegentrend zum standardisierten Fast-Food entwickelte sich die sogenannte Slow-Food-Bewegung, die traditionelle und damit meist zeitaufwändig zubereitete Gerichte wieder in den Mittelpunkt rückt. Guter Geschmack braucht eben seine Zeit, um sich entfalten zu können. Dabei kommt das auf den Tisch, was gerade in der Region Saison hat, es wird also das verzehrt, was vor Ort oder in einem regional überschaubaren Umkreis wächst. Hier gewinnen auch die traditionellen Möglichkeiten der Haltbarmachung wie Einkochen wieder neu an Bedeutung. Wenn Ernährung in den traditionellen Jahreskreis eingebunden ist, können sich auch neue Rituale beim Essen entwickeln. Das kann, je nach Situation, ein gemeinsames, ausgedehntes Frühstück am Wochenende beispielsweise nach dem Besuch des Wochenmarktes sein, der vielerorts noch oder wieder angeboten wird. Andere entdecken neu die in der katholischen Tradition vorgegebenen fleischfreien Tage, zu denen übrigens neben dem Freitag auch der Mittwoch gehört. Die Idee eines Veggiedays ist also nicht neu, nur gewinnt sie angesichts neuerer Erkenntnisse der Nahrungsmittelproduktion und ökologischer Faktoren wieder neu an Bedeutung.
Vegetarische Grundordnung: Vision und Wirklichkeit
Der Trend, sich vegetarisch oder sogar vegan zu ernähren, ist insbesondere bei jungen Menschen deutlich feststellbar. Aus unterschiedlichen Gründen nehmen Menschen weder Fisch, Fleisch und Wurstwaren oder andere tierische Erzeugnisse zu sich. Für die einen sind es die unwürdigen Lebensbedingungen und damit das Mitleid mit den Tieren, die auf unserem Teller landen. Der Grünen-Politiker Anton Hofreiter, bekennender Fleisch-Esser, ist der Meinung, dass, wer Fleisch isst, dieses auch selbst schlachten und zerlegen können müsse. In der Tat wird dadurch wieder bewusst, wo das Fleisch herstammt, was bei verarbeiteten Wurstwaren wie Salamisticks oder Chicken-Nuggets, die in Pappschachteln liegen, weniger der Fall ist. Hausschlachtungen, die in ländlichen Regionen auch bei uns lange Zeit üblich waren, finden sich heute kaum mehr. Es gibt auch immer weniger Metzger oder Metzgerinnen, die dieses Handwerk einer ganzheitlichen Verarbeitung von Tieren verstehen. Erfreulich ist aber die Tatsache, dass auf diese Tradition von engagierten Starköchen und -köchinnen wie Jamie Oliver zumindest wieder hingewiesen wird.
Andere entscheiden sich zum Verzicht auf Fleisch und Wurstwaren wegen der schlechten Energie- und Ökobilanz, die die Fleischproduktion mit sich bringt. So wird je nach Fleischsorte bei einem Steak etwa so viel Energie verbraucht wie für eine 200 km lange Fahrt mit dem Auto. Insbesondere die Herstellung von Rindfleisch ist aufgrund der Methanproduktion sowie des enormen Flächen- und Wasserverbrauchs äußerst klimaschädigend. So werden nach einem Bericht in der Wochenzeitung „Die ZEIT" für ein Kilo Rindfleisch bis zu 49 Quadratmeter Fläche und 15 000 Liter Wasser benötigt. Außerdem entstehen dabei 27 Kilogramm des Klimagases Kohlendioxid. Die Schädigungen, die die Produktion von einem Kilo Kartoffeln verursacht, sind dagegen fast zu vernachlässigen.
Aus diesen Gründen erscheint es auch aus heutiger Sicht konsequent, eine vegetarische Grundordnung, wie sie in Gen 1,29–30 grundgelegt ist, anzustreben. Wie jedoch die hitzige Diskussion um die Einführung eines vegetarischen Tages zeigt, ist das Thema Fleischgenuss hochpolitisch und emotional aufgeladen. Es geht also darum, einen Kompromiss zu finden. Visionäre Ansätze legte hier die „Studie zukunftsfähiges Deutschland" bereits 2008 vor, die in Übereinstimmung mit der Deutschen Gesellschaft für Ernährung zu einem gesundheitlich wie ökologisch verträglichen Fleischkonsum von 300 g Fleisch pro Woche rät. Dies ist eine Empfehlung für Menschen, die sich bislang nicht vorstellen können, sich vegetarisch oder vegan zu ernähren. Aber auch für diejenigen, die sich für eine vegetarische oder vegane Lebensweise entschieden haben, stellt sich die Frage, wie und wo sie ihre Nahrung beschaffen.
Neue Wege bei Produktion und Einkauf
Das Wissen um die Herkunft und Zusammensetzung der Lebensmittel gewinnt angesichts zunehmender Allergien, Lebensmittelunverträglichkeiten und Pestizidrückständen neu an Bedeutung. Viele Verbraucher und Verbraucherinnen beschäftigen sich wieder mehr mit der Herkunft und den Produktionsbedingungen von Lebensmitteln. Neben den bereits bewährten regionalen Wochenmärkten oder Gemüsekisten, die einmal in der Woche von landwirtschaftlichen Betrieben geliefert werden, gibt es auch neue Nischen der Nahrungsmittelproduktion. Neu zu beobachten ist beispielsweise das urbane Gärtnern, also der Anbau von Obst und Gemüse mitten in der Stadt. In vielen Städten finden sich mittlerweile Menschen, die auf Brachflächen oder notfalls auch in übereinandergestapelten Kisten eigenes Gemüse und Salat anbauen. Da viele nicht mehr wissen, wie Gemüse richtig gezogen wird, der Wunsch nach selbst produzierten Produkten aber zunimmt, organisieren sie sich in neuen Gemeinschaften, in denen dies gelernt werden kann. Im Idealfall endet das gemeinsame Gärtnern auch im gemeinsamen Kochen, das dann wiederum die oben beschriebenen neu entwickelten Rituale rund um das Essen entstehen lässt.
Ein weiterer Trend ist die Bewegung einer gemeinschaftlich getragenen Landwirtschaft. Verbraucherinnen und Verbraucher schließen sich mit Landwirtinnen und Landwirten zusammen und entscheiden gemeinsam, was angebaut wird. Dadurch werden nicht nur der Gewinn und die Ernte aufgeteilt, sondern auch das Produktionsrisiko. So gelingt es, auch kleinbäuerliche Strukturen zu erhalten, die in einer industriellen Nahrungsmittelproduktion keine Überlebenschance hätten. Die beteiligten Menschen hingegen unterstützen die kleinbäuerliche Landwirtschaft und können so mitgestalten, wie und was angebaut wird. Selbstbestimmung und Unabhängigkeit sind also für Produzierende und Verbrauchende die Motivation, sich in landwirtschaftlichen Solidargemeinschaften (SoLaWi) zusammenzuschließen. Dabei wird das Anbaurisiko auf viele Schultern verteilt und die Produktionskosten werden gemeinschaftlich getragen. Dafür erhält die Gemeinschaft die landwirtschaftlichen Produkte je nach Betrieb: Eier, Fleisch, Gemüse, Mehl, Molkereiprodukte etc. Für die Landwirte hat dies den Vorteil, dass die anfallenden Kosten im Voraus finanziert und planbar werden. Der Ertrag wird geteilt, die Gesellschafter und Gesellschafterinnen bekommen frische, saisonale und regionale Produkte und erhalten die ländlichen Betriebe und damit die regionale Kultur.
Verpackungsfrei als Ideal
Allerdings ist es vielen Menschen aus den unterschiedlichsten Gründen nicht möglich, den Alltag mit selbst produzierten Lebensmitteln zu bewältigen oder sich einer solidarischen Landwirtschaft anzuschließen. Wie eingangs beschrieben, geht mit der situativ-individuellen Nahrungsaufnahme ein enormer Aufwand einher. Essen sollte immer, überall, sofort und auch gut portioniert und verpackt greifbar sein. Während früher das Einschlagpapier oder die Brotzeitbüchse selbstverständlich waren (und bei manchen glücklicherweise immer noch sind), hat sich die Verpackungsindustrie auf Bedürfnisse der Konsumierenden eingestellt. Insbesondere in Großstädten bestehen Lebensmittelläden oft aus meterlangen Regalen mit unterschiedlichsten fertig portionierten, in Plastik verpackten Produkten zum Mitnehmen. Gegessen wird dann in der Mittagspause im Park oder am Arbeitsplatz. Die Problematik um Kunststoffrückstände in Lebensmitteln durch sogenanntes Mikroplastik und die Plastikflut in den Weltmeeren sind bekannt. In Deutschland hat mittlerweile der Einzelhandel darauf reagiert und bietet Plastiktüten nur noch gegen Gebühr an. Doch selbst diese Maßnahme führt nicht zu einer Verringerung des Gesamtplastikaufkommens, weil die erfolgreiche Reduzierung der Plastiktüten durch die oben beschriebene Zunahme der portionierten Einzelverpackungen mehr als wettgemacht wird. Auch hier hat sich als Gegentrend die sogenannte Ohne-Bewegung entwickelt, wobei das „ohne für „ohne Plastik
steht. In bestimmten Läden können Lebensmittel wieder in selbst mitgebrachte Behältnisse abgefüllt werden, was außerdem den Vorteil hat, dass nur so viel eingekauft wird, wie