Dag Hammarskjöld - Die längste Reise ist die Reise nach innen: Eine biografische Skizze mit Tagebuchauszügen.
Von Oliver Kohler
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Über dieses E-Book
Oliver Kohler gelingt ein eindrucksvolles Porträt des berühmten UN-Generalsekretärs - eines engagierten Politikers, wachen Träumers und christlichen Mystikers. Nach seinem Tod fand man seine Tagebücher. Unter dem Titel "Zeichen am Weg" wurden sie weltberühmt. Dieses Buch zeigt durch eine thematische Auswahl die Leitgedanken und das geistige Zentrum eines unkonventionellen Zeitgenossen.
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Rezensionen für Dag Hammarskjöld - Die längste Reise ist die Reise nach innen
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Buchvorschau
Dag Hammarskjöld - Die längste Reise ist die Reise nach innen - Oliver Kohler
Nicht ich, sondern Gott in mir
Will man Dag Hammarskjöld charakterisieren, will man sein Leben beschreiben, wo soll man beginnen? So viele Rollen hat er in seinem nur 56 Jahre währenden Leben gespielt, so viele Aufgaben übernommen: der große Friedensstifter, der UN-Generalsekretär, der stellvertretende Außenminister, der Politiker, der Präsident des Reichsbankdirektoriums, der Wissenschaftler, der kluge Verhandler, der Friedensnobelpreisträger, der Sohn aus wohlhabendem Hause, der Einsame, der Mystiker, der Gottsucher – vielleicht auch: der Verschwörer? Viele Geschichten ranken sich um seine Person, am aufreibendsten die um seinen Tod und am unklarsten, bis heute, die Spekulationen über dessen Ursache.
Abgesehen aber von und mitten in allem politischen Tagesgeschäft und allen diplomatischen Verhandlungen war Dag Hammarskjöld zeitlebens ein zutiefst religiöser Mensch. Das ist es, was mich am meisten beeindruckt am Leben dieses großen Politikers und Philo- oder vielleicht sollte man sagen Theosophen: diese ganz klare und doch immer neu suchende Beziehung zu Gott, sein Glauben, der ihn stets begleitete und der ihm oft so viel zumutete, den er je neu zu fassen und zu begreifen suchte und auf den er all sein Handeln und Denken gründete. Die Tiefe dieser Gottesbeziehung und das grundlegende Vertrauen in Gottes Begleitung und Führung – bei aller erlebten Einsamkeit und allen Zumutungen dieses Lebens – sind gebündelt in dem Satz, den Dag Hammarskjöld in seinem Tagebuch verewigte und der neben den schlichten Lebensdaten seinen Grabstein im Dom von Uppsala ziert: „Icke jag utan gud i mig – „Nicht ich, sondern Gott in mir
. Mit dieser auf die kürzest mögliche Formel gebrachten theologischen Grundaussage, mit diesem Credo seines Lebens macht Dag Hammarskjöld sein ganz eigenes Verständnis eines Lebens im Dienste Gottes und der Menschen deutlich – und steht damit zugleich in der Tradition vieler großer christlicher Kunstschaffender und Theologen. Denken Sie etwa an Johann Sebastian Bachs „Soli Deo Gloria oder an Franz von Assisis Bitte: „Herr, mache mich zu einem Werkzeug deines Friedens.
Wer so von sich weg weist, wer seine Bedeutung so zu relativieren und alle ihm zufallende Ehre auf deren Urheber zu beziehen weiß, ist in der Lage, von sich ab und auf das große Ganze zu sehen – und damit in letzter Konsequenz wirklich Großes zu vollbringen.
Wie seine Rolle im Kongo-Konflikt auch ausgesehen haben mag, welche Umstände schließlich zu seinem Tod führten, ob ein tragischer Unfall, Sabotage oder ein gezielt geplantes Mordkomplott: Dag Hammarskjölds Leben bleibt ein faszinierendes Beispiel einer lebenslangen Gottsuche, eines Lebens im Dienste des Friedens und der Menschen – und ein Beispiel dafür, auf wie vielfältige, manchmal unverständliche und oft ungewöhnliche Weise Gott einen Menschen finden und in dessen Leben wirken kann.
Nikolaus Schneider
Dich wählte der Weg
¹
Aus dem Leben des Dag Hammarskjöld
Wo aber Gefahr ist, wächst
das Rettende auch.
Friedrich Hölderlin
1 Alle Titel dieses Essays finden sich im Tagebuch von Dag Hammarskjöld.
Nur der verdient Macht,
der sie täglich rechtfertigt.
Das Mädchen räkelt sich in der Sonne. Endlich hat sie die Flucht aus der Kleinbürgerlichkeit ihrer Eltern geschafft. Ihre Haut bekommt einen attraktiven hellbraunen Teint. Sie trägt nur einen Hauch von Bikini. Andere im riesigen Pool sind nackt. Eigentlich chillt sie lieber mit Mitschülern. Doch die älteren Herren sind großzügig. Sie lassen sich ihre Blicke und mehr etwas kosten. Allen voran der Ministerpräsident.
Das Mädchen hechelt wie ein Hund. Endlich hat sie das Fluchtgeld zusammen und zwängt sich auf den Kahn des Schleppers. Nirgendwo Schatten. Ihre Haut platzt auf. Den dritten Tag schon treiben sie auf dem offenen Meer. Das überlastete Boot lässt sich kaum manövrieren. Eigentlich wäre sie lieber weiterhin in dem Internat bei den Nonnen aus Europa. Doch die Herren ihres Landes sind grausam. Sie sparen nicht an Gewalt gegen den verabscheuten Stamm. Allen voran der Präsident.
Die beiden jungen Frauen könnten Schwestern sein. Irgendwann strandet das Boot an der Küste Italiens. Die Villen sind nicht weit. Begegnen werden sie sich vermutlich nie. Nahe sind sie sich dennoch. Verantwortungsträger vergehen sich an der Generation Zukunft. Eingesetzt, um in ein besseres Dasein zu führen, verführen sie lieber die ihnen Anvertrauten.
Opfer wird es immer geben. Jede Epoche hat ihr Areal des Unfassbaren, ihren Ground Zero. Vielleicht reißen die momentanen Krisen nicht schonungsloser in Abgründe als jene von gestern und vorgestern. Die Stürme aller Jahrhunderte ähneln sich. Das Gefühl der Fassungslosigkeit entsteht heute aber im Blick auf die Männer am Steuer und auf der Kommandobrücke. Oft gehen sie nicht als Letzte von Bord, sondern als Erste. Ihr Rettungsboot bietet allen Komfort. Sie spielen hoch, aber ohne eigenen Einsatz. Verspielt sind dann eben die Biographien derer, die ihnen vertraut haben, ihnen anvertraut waren. Selbst irgendwann und irgendwie gekränkt, misshandeln sie lieber weiter, statt den Teufelskreis zu zerbrechen. Als Marionetten spüren sie ihre Defizite am wenigsten. Auf ein solches Vakuum an Autorität lauert der Faschismus wie ein ausgehungerter Wolf. Sind die Leitfiguren und Lichtgestalten wie Dominosteine in einem Skandal gekippt, schlägt die Stunde eines neuen Führers. Die selbst fabrizierte Makulierung der Mächtigen ist kein Kavaliersdelikt. Ihr Versagen verschleißt Vertrauen. Der Glamour ihrer Abgänge blendet den Blick auf die wirklichen Untergänge. Ihre Kaltschnäuzigkeit lässt eine Kultur des Miteinanders abkühlen bis zur Erfrierung. Sie setzen aufs Spiel, was ihnen nicht gehört: „eines jeden einziges leben" (Reiner Kunze).² Die Krise der Macht im Einundzwanzigsten Jahrhundert ist vor allem eine Krise der Mächtigen.
Deshalb gilt: aufhorchen, aufmerksam werden und aufsehen, wenn jemand anders handelt, eine Alternative lebt und zu überraschenden Sätzen fähig ist: „Was die ,Elite‘ von der ‚Masse‘ scheidet, ist nur die Forderung nach Qualität. Und dies in einer Verantwortung für alle allen gegenüber und für die Vergangenheit der Zukunft gegenüber, eine Verantwortung, welche eine demütige und spontane Integration im Lieben spiegelt – in dessen unendlicher Perspektive und niemals wiederkehrendem Jetzt."³
Es ist an der Zeit, sich an Dag Hammarskjöld zu erinnern. Er verkörpert eine Alternative. Die Beschäftigung mit ihm ist kein Akt von Denkmalpflege. Er lässt sich nicht wegsperren in die Abteilung für moralische Staatsmänner, an denen Besucher des Wachsfigurenkabinetts in sicherem Abstand vorbeigeführt werden. In ihm kehrt die Kategorie des Angemessenen in die politische Sphäre zurück. Er gibt das Menschenmögliche für die Menschlichkeit. Seine Intelligenz versucht sich an den unlösbaren Konflikten des Globus. Der Schliff eines alten Adelsgeschlechtes dient ihm zur subtilen Taktung einer zielorientierten Diplomatie. Als leidenschaftlicher Leser verhundertfacht er die Linien seines eigenen Horizonts. Die Exzellenz seiner Bildung befähigt ihn, innovativ zu denken und werthaltig zu handeln. Lange bevor sie in der Psychotherapie aus uralten Traditionen neu konturiert wird, lebt er die Achtsamkeit. Seine persönlich konzipierte Neugestaltung eines interreligiösen Meditationsraums im New Yorker UNO-Gebäude und seine Tränen um einen Affen während seiner letzten Mission entspringen derselben Quelle. Nicht die Anzahl der Jahre, sondern ihre Sinnhaftigkeit sind ihm wichtig. Wer sein Leben früh verliert, kann dennoch sein Ziel erreichen. Dag Hammarskjöld hat den Tod akzeptiert und für das Leben gearbeitet. Bis zuletzt. „Noch einige Jahre, und dann? Das Leben hat Wert nur durch seinen Inhalt – für andere. Mein Leben ohne Wert für andere ist schlimmer als Tod. Darum – in dieser großen Einsamkeit – diene allen. Darum: wie unbegreiflich groß, was mir geschenkt wurde, wie nichtig, was ich ,opferte‘."⁴
Ihn zu erfassen, ja, zu verstehen fällt nicht leicht. Unter Bäumen wäre er als Tiefwurzler anzusehen. Vieles bleibt rätselhaft, manches geheimnisvoll. Das macht ihn posthum zur Projektionsfläche mitunter obskurer Weltdeutungen. Ein Glücksfall ist dabei nur, dass er selbst eine Art Logbuch seiner Reise geschrieben hat. Dem tabellarisch erfassbaren Lebenslauf stellt dieses Tagebuch prägende Erfahrungen und leitende Gedanken zur Seite. Radikal bis zur Selbstentblößung, analytisch und fromm, flüstern diese wenigen Seiten die innere Verortung eines Politikers, der das Chaos der Welt eindämmen wollte. Memoiren sind dies nicht, keine Reflexionen und Maximen eines erfolgreichen Politikers, sondern Fragmente unbedingter Menschlichkeit. Events und Erfolge bleiben außen vor. Ein Andeuter, ein Spurensucher und Zeichenleser schreibt darin von sich, als gehe es nicht um ihn. Statt eines Ghostwriters hofft er dabei auf den Geist aus der Höhe, der – im Sinne Augustins – ein unruhiges Herz irgendwann ankommen lässt. Für Dag Hammarskjöld gilt: „Vorbild ist, wer auch tapfer ist vor sich selbst."⁵ Was hat es auf sich mit diesem Globalisierer des Friedens? Wer war dieser Brückenbauer zwischen Staaten und Völkern, der nachts Bücher übersetzte? Wie kam er zu einer Überzeugung wie jener: „Durch Unrecht – niemals Recht. Durch Recht – niemals Unrecht"?⁶
… ein Schimmer Gold in dem Eisengrau
Schweden ist seine Heimat. In der malerischen Landschaft um den Vättersee erhebt sich die Villa Liljeholmen. Dort bringt Agnes Almquist-Hammarskjöld am 29. Juli 1905 ihren vierten Sohn zur Welt. Seine Vornamen vernetzen ihn mit Vorfahren: Dag Hjalmar Agne Carl. Traditionen erweisen sich in dieser Familie als Ressourcen. Die Familie der Mutter entwickelt sich im Spätmittelalter aus agrarischem Milieu. Bald werden aus zinspflichtigen Bauern Männer in leitenden geistlichen Ämtern, Professoren, Abgeordnete des Reichstages und Künstler. Carl Jonas Love Almquist, 1793 geboren, ist ein Virtuose in der Kunst, mit Sprache schöpferisch umzugehen. Dag Hammarskjöld setzt dieses schriftstellerische Erbe