Friedenskinder: Von Angst, Liebe und Tod in der längsten Zeit der unwahrscheinlichen Abwesenheit von Krieg (bislang)
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Über dieses E-Book
Rafael Robert Pilsczek
Der Schriftsteller und Maler Rafael R. Pilsczek, Jg. 1968, schaut in seinen Werken stets in das Leben einzelner Menschen und zieht daraus Schlüsse auf das Leben selbst. Ein bewusster deutscher Europäer, in jungen Jahren Reporter und Journalist, der in fast allen renommierten Medien veröffentlicht hat, zieht der Autor ununterbrochen hinaus in die nahe und weite Welt, um ausgehend von seinen Erlebnissen mehr zu erzählen als von Einzelteilen des Lebens selbst. Studierter Philosoph sowie Literatur- und Politikwissenschaftler, war der Autor auf vielen Feldern erfolgreich. Er hat bislang zwölf Bücher veröffentlicht: Das Fachbuch "Mehr Sein als Schein" (2013), "Wie ich 10 Tausend Menschen nahe kam" (2014), "Friedenskinder" (2015) sowie das Theaterstück "Kriegskinder" (2016). In dem Doppelwerk "Meine West End Story" (2017-2019)) gibt er umsichtige Antworten auf die wohl wichtigste Frage dieser Epoche, ob der Westen an sein Ende gekommen ist. Im Gedicht- und Liederband "Groß werden" (2018) wiederum variiert er das Thema Älter-werden. Der Roman "Mai. Ein junger Mann, der nicht zu halten war" (2019) beschreibt die turbulente Welt nach dem Mauerfall. In seinem Briefroman "Die Anglerin" (2020) erzählt die alte Professorin Renate Szymanski aus ihrem bewegten Leben. "Lance und Joffe. Eine Heldengeschichte" (2021) ist die Familiengeschichte der Biermanskis über drei Generationen und eine Vision davon, wie es wieder Helden in Deutschland bräuchte. Im Thriller "Billie B. Shelter" (2021) schickt der Autor eine mutige Bloggerin nach China, wo sie im Gefängnis ihren Glauben an sich selbst und ihre große Liebe nicht verliert. Sein bislang letztes Buch, der Erzählroman "An der Bar von Rufus" (2022), feiert die Freundschaft unter drei Männern, die wie durch Zufall während einer Kreuzfahrt nach New York aufeinander treffen. Rafael R. Pilsczek, geboren am linken Niederrhein, lebt seit Jahrzehnten in Hamburg. Lesungen führen den Autor seit Jahren durch ganz Deutschland und bis nach Amerika.
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Buchvorschau
Friedenskinder - Rafael Robert Pilsczek
Von Angst, Liebe und Tod in der längsten Zeit der
unwahrscheinlichen Abwesenheit von Krieg (bislang)
von Rafael Robert Pilsczek
mit einem Vorwort von Sven Lehmann
und einem Nachwort von Christopher Johann vor der Brügge
Widmung
In tiefer Dankbarkeit für Siegbert Horbrügger
für seine Verbundenheit mit meinem Leben.
Und somit in großer Dankbarkeit den Menschen,
die uns Frieden in unserem Land schufen in Zeiten,
als die längste Friedenszeit für diese nicht absehbar war.
Über den Autor
Mit dem Buch „Friedenskinder, einer biografisch geprägten Analyse seines Lebens vor dem Hintergrund des Lebens der (west-)deutschen Generationen in Abwesenheit von Krieg, Gewalt und Leid in 70 Jahren Frieden, legt der Hamburger Schriftsteller Rafael Robert Pilsczek sein drittes Buch vor. Auch dieses Mal besticht die Mischung aus genauer Beobachtung des fremden und eigenen Lebens und der Übertragung der Themen ins Generelle. „Friedenskinder
ist 2015 niedergeschrieben worden und auf lange Sicht aktueller denn je, wer aktuelle Nachrichten vernimmt und vergleichend die Düsternis wahrnimmt, die zwischen den Zeilen wie „ein steter Nebel implementiert worden ist, wie der Autor den Grundton von „Friedenskinder
selbst nennt.
Rafael Robert Pilsczek schaut in seinen Büchern in die Welt einzelner Menschen und zieht daraus Schlüsse auf das Leben selbst. Das zeigt sich in „Friedenskinder genauso wie in „Mehr Sein als Schein
, seinem Fachbuch zur modernen Kommunikation aus Sicht von PR-Beratern (2013), und der Liebeserklärung an Menschen und die Begegnungen mit ihnen in „Wie ich 10 Tausend Menschen nahe kam" (2014).
In seinem bisherigen Leben zog der Autor, 1968 am Rande einer Kleinstadt am linken Niederrhein geboren, stets hinaus in die nahe und weite Welt in Europa, Übersee und Arabien, um das stete Rätsel Mensch und damit letztlich sich selbst zu entschlüsseln. In vielen Lebenswelten unterwegs gewesen, als Journalist und Reporter, Politiker, Dozent, Vereinsvorsitzender und heute ein erfolgreicher mittelständischer Unternehmer, vereint Rafael Robert Pilsczek besondere Erfahrungen in sich. Der studierte Literaturwissenschaftler und Philosoph hat aus den vielfältigen Erfahrungen und Fachthemen eine besondere inhaltliche und sprachliche Kompetenz darin entwickelt, die Welt anzuschauen und von ihr zu erzählen.
Fest in der europäischen Aufklärung verankert, versteht sich der Autor als entschiedener Gegenvertreter zur gleichaltrigen Spaßliteratur-Generation. So können alle drei Bücher als Gesamtwerk begriffen werden, da sie zuerst immer von einzelnen Begegnungen und ihrer kommunikativen Nähe zu Menschen ausgehen, die zusammengenommen dann mehr erzählen, als nur von Einzelteilen des Lebens.
Der Autor lebt seit langem im Hamburger Süden. Alle Bücher, herausgegeben von PPR Hamburg & Friends, sind über den Buchhandel, auf iTunes oder Amazon als E-Book und als Printausgabe erhältlich. Hörbücher sind in Aussicht gestellt.
INHALT
Vorwort
Vorwort oder: Eine Kritik
Von Sven Lehmann
Vorwort vom Autor: Eine Einleitung wie in alten Zeiten
Ihr könnt mich mal ruhig in Frieden lesen
Die Epochen, ein Steinbruch
01. KAPITEL
1968: Heimeligkeit in dem Land, in dem ich geboren wurde (keine Täuschung)
Zu Beginn des Schreibens fahre ich in ein Land, das den Krieg so nie erlebt hat
02. KAPITEL
1970er: Eine schon sehr glückliche Zeit
Wir träumten friedlich von Jane Fonda, dem VW-Käfer und Kalifornien – die Bronx war aber auch schon da
03. KAPITEL
1977; 1990; 2001: Vom unbestimmten seltenen Gefühl, vom Terror bedroht zu sein
Es kroch in die Knochen von Kindern und Jugendlichen – und in die Köpfe der Erwachsenen
04. KAPITEL
1988: Abitur-Feier der 100 Westdeutschen, die Bildung geschenkt bekamen; geschenkt bekamen; ein Geschenk erhielten
Was sie waren und was aus ihnen wurde, ist eine fast ethnologische Betrachtung einer Kohorte von allzu braven Deutschen wert
05. KAPITEL
2013: 25 Jahre später: eine Kohorte von Abiturienten; die Amerikaner würden daraus eine Soap-Opera machen oder eine Kitsch-Story, also ich auch
Es war ein junger Mann, der aufbrach in die weite Welt – und heimkehrt in einer schönen Fantasie
06. KAPITEL
1995: Mein gebildeter Freundeskreis sieht nicht in die Zukunft, aber ich wage es: Das schlechte Gewissen des Kapitalismus ist verschwunden
Rübermachen, das taten wir nicht
07. KAPITEL
1999: Eine Reise nach Moskau, in das Land, das meine Verwandten verheerten; verheerten, verstehen wir das?
Mir taten sie nichts
08. KAPITEL
1.1.1990-1.1.2000: Nostradamus‘ Vorhersage-Vision, die – selbstredend – nicht eintraf, und die Große Hoffnung auf das 21. Jahrhundert
Wer Ahnungen hat, sollte nicht zum Arzt geschickt werden
09. KAPITEL
1977: Heißer Herbst in Westdeutschland, war es davor ein heißer Sommer?
Wie der Terror viele erschrak, wiewohl es wenige waren aus heutiger Sicht, und ich ein Kind fern des Terrors war
10. KAPITEL
2001: 9/11 in Harburg, im Weißen Haus, in Kabul: Verwirrungen und Verirrungen; ein Knäuel, das sich kaum lösen lässt
Die ganze Welt in einer kleinen deutschen Familie
11. KAPITEL
1990/1991: USA vs. Ex-DDR. Wie ich im Jahr der Wiedervereinigung im äußersten Westen und im Jahr danach im tiefen Osten zum WOSSI werden wollte, eine menschliche Symbiose vom Westen und vom Osten – und, tatsächlich grandios darin, scheiterte.
Von Marx und Marlboro, Max und Maboro
12. KAPITEL
2008ff: Ein ganz schwaches Kapitel darüber, dass die Banken teilweise zusammenbrachen, und über jemanden, der an das Haushaltsbuch seiner Mutter denkt
Die Bank gewinnt immer, nicht wahr?
13. KAPITEL
1990: Die zärtlichen Cousinen und die Gewaltigen auch: Arnold, Bruce, Sylvester, Mel, u. a. auch: Norris, Van Damme, Lundgren, dann noch ein paar andere Action-Stars
Du hast es gut geschafft, Arnie. Oder?
14. KAPITEL
1986: Vom Erwachsenwerden rechtlich – und das mit Friedrich Dürrenmatts Buch, einem Wein und Zigaretten
Ein Privatissimo
15. KAPITEL
2011: Mein Aufhören mit der Politik war der Beginn eines darüber verschütt gegangenen Nachdenkens über Politik
Zu Anfang eine Begrüßung, die warmherzig war, weil ich ja neu war
16. KAPITEL
1980: Wie die weite Welt in die Teestube hereinbrach: Über Strauß zu schreiben, ist mir fast eine Lust, jetzt
Stoppt-den-der-Kanzler-werden-will-Sticker und andere Kleinigkeiten / Aufgepasst: ein wenig Ironie, ein Mal
17. KAPITEL
2000er bis 2015: Wissen Sie, dass nicht wenige in Brüssel auf ihren Schultern die Last tragen, eine Komplexität von 28 Staaten und zig Regionen alltäglich in Frieden zueinander zu bringen?
Eine Gemeinschaft, eine Gemeinschaft?
18. KAPITEL
1988: Wie ich die DDR hassen lernte und im Auto drei Mal schlief, damit ich kurz mit der DDR-Freundin und Bratschistin Johanna reden konnte: Besuch in Straßburg
Zwei unter Beobachtung
19. KAPITEL
1987 (das erste Jahr meines professionellen Journalismus)-2015: Erste Hinweise zu meiner von mir verlassenen Heimat: dem deutschen Journalismus: Also, eine Wahl hat jeder (Journalist) an jedem Tag – wenn er oder sie sich dazu entscheidet, sich nicht beherrschen zu lassen
Mmh, es gibt Deutsche (darunter Journalisten), die Entscheidungen fällen (können)
20. KAPITEL
2005ff: Als das Business-Netzwerk Xing in mein Leben trat; heute alles Post- Privacy ist, mit Facebook und Co.
Kein Netzwerker, einer im Netz
21. KAPITEL
2000er und 2010er: Wo Menschen in der Hansestadt zusammenkommen und irgendwie furchtbar harmlos sind
Ist Harmlosigkeit eine Tugend oder ein Vorbote von Gefahr?
22. KAPITEL
1983: Als ich Segnung erfuhr und den Totalitarismus empfand, das TOTALE fand und das TOTALE verlor – und fortan in der Erfahrung lebte, wie es schnell geht, sich als ABSOLUT anzusehen
Niemand anderem mehr zuhören als… dem Einzigen
23. KAPITEL
1987: Beim Bundespräsidenten versammelte sich die (besonders ausgewählte) Jugend und die noch immer recht Jungen – bevor sie berühmt wurden und Einfluss nahmen
Der Soldat grüßte
24. KAPITEL
2014-2015: Wie Terroristen schon gesiegt haben, weil Touristen nicht dorthin reisen, wohin sie im Grunde reisen wollen
Spanien, eingetauscht gegen Arabien
25. KAPITEL
1970er ff: Warum denen vorbestimmt ist, die aus gutem Hause kommen, einen besseren Weg zu gehen: Es gibt tatsächlich keine klassenlose Gesellschaft
Bernd und Manuela
26. KAPITEL
1992: Mit der Fernbahn das neue Europa sehen und doch blind bleiben für das neue Gesicht Europas
Grenzen fielen, Grenzen blieben
27. KAPITEL
2003-2013: Was soll ich den Töchtern und Söhnen noch über den amerikanischen Traum erzählen?
Es gibt das Recht auf Glücklichsein, verbrieft auf jeden Fall
28. KAPITEL
2015: Auf das Meer schauend nicht mehr allein das Meer sehend
Fuerteventura, im Club, in einem Resort
29. KAPITEL
1968 bis 2015: Kinder, Kinder – die groß wurden und heute die geringste Geburtenrate Europas verantworten
Eine Generation, die auf den Hund gekommen ist
30. KAPITEL
1986-1990: Der Jugend Verführer oder das Eintauchen in die Welt von Verwirrung und Irrung
Tja, darf ich das sagen
31. KAPITEL
1985: Aufgebahrt, beklagt, beweint, Wache gehalten – das war bereits eine andere biografische Geschichte, nicht die unsere mehr
Vaters Tod
32. KAPITEL
2015 vs. 20xx: Eine Dystopie: Warum soll es auf diesem Platz und auf dieser Stelle friedlich bleiben, wenn das dort nie länger wohl als jetzt währte – und auf vielen Plätzen und Stellen der Welt von rund 200 Staaten heute bereits Geschichte ist?
Ich packe meinen Koffer, im Frieden
33. KAPITEL
1987/1988: Zum Jahreswechsel in der DDR: Aus Sicht von den zuständigen Mitarbeitern des Geheimdienstes zwei junge Kerle aus dem Westen beobachtet, die einfach losfuhren
Kein Lappen, ein Pass
34. KAPITEL
Die letzten Jahrzehnte: Auf einer Weltkarte stecken Pins, die die letzten inneren wie äußeren Kriege anzeigen – eine unvollständige Begehung der Karte, die den Blick auf den Frieden in Westuropa schärft
Des Krieges Zufall, ein falsches Spiel von wem?
35. KAPITEL
2004: Als der Tsunami über uns hereinbrach und die Gewissheit uns entrissen wurde, dass nichts Furchtbares kommen kann
Leben, eine unbekannte Größe
36. KAPITEL
1964ff: Die Wege aus der Kleinstadt führten ihn weit weg, dabei war er im Grunde nicht auf der Flucht
Einer wie keiner
37. KAPITEL
1939-2015: Die Friedenskinder Westdeutschlands sind sehr alt geworden, Eloge auf nur einen von denen
Einer unter sehr vielen, sagt er bescheiden
38. KAPITEL
1983ff: Die Zeit des Erwachens des Bewussteins für die Bedeutung des Holocaust
Nie wieder! und die Sorge, dass dies Gebot schwach würde
39. KAPITEL
1975 bis 2015: Zum Verschwinden und zum Vergessen von Menschen, die einem doch nah waren
Der Abschied trennte uns von den allermeisten
40. KAPITEL
2015 und irgendwie nur sehr kurz davor: Zum Verschwinden und zum Vergessen von berühmten Menschen, die einem doch nah waren
Die konnten es
41. KAPITEL
1968ff: Wie Dunkelheit zu Anfang ein Leben in Sorge prägt – und die Urteilskraft stets unterwandert, der meint, er könne urteilen
Ungebetene Gäste
42. KAPITEL
1995-2011: Zwei, die ein Mahnmal sind, weil sie keine Solidarität erhielten, obwohl wir anderen davon sagten
Einer, der kam, der einer war, der ging
43. KAPITEL
1988ff: Hitler und davor auch ein Bismarck und das deutsche Volk haben gemeinsam Schlimmstes getan. Die Erinnerung verblasst, daher zwei Miniaturen dazu, auch wenn es bei vielen Streit verursacht: Das muss nicht selten sein
Unsere Sklaven
44. KAPITEL
1992: Wie Afrika auf einmal ganz nah wurde, obwohl es für Friedenskinder so fern wie kaum etwas anderes ist
You Won’t Kill Me
45. KAPITEL
1995 bis 2015: Väter aus der Nachbarschaft, die etwas für ihre Familien geschafft haben, was ihre Kinder fast alle anders, nur nicht so schaffen
Eine aussterbende Gattung, der Gatte
46. KAPITEL
1974-1997: Endlich aus dem Bildungssystem entlassen und mit der Frage allein gelassen, was zum Verständnis der Welt geführt hat
Hinterher ist man tatsächlich klüger, ja, hinterher
47. KAPITEL
1945-2015: Der Tag der Befreiung und die Jahrzehnte der unwahrscheinlichen Abwesenheit von Krieg danach
Was für ein Leben dort
48. KAPITEL
1968ff: Das katholische Prinzip des ständigen schlechten Gewissens und die Priester, die dich dann segnen
Ein orgiastisches Gefühl
49. KAPITEL
1988-1990; 2000er: Den Dienst an der Waffe noch mit dem Dienst am Menschen eingetauscht haben zu können
Wir hatten die Prüfung bestanden (bis dorthin)
50. KAPITEL
1980er bis genau Heute: Träumer, Spinner, Überzeugungstäter sind Schimpfworte, die solche im Grunde adeln zu einer Güte, die keinen Ritterschlag benötigt, damit sie ehrenwerte Herren und Damen zu nennen sind
Mann an Deck
51. KAPITEL
Ein Sonderfall
Skizzen von Gedichten
01. Gedicht
Rilkes Saite
02. Gedicht
Ode an die, die frei sind, da sie die Gefängnistüre öffnen und einfach hinaustreten
03. Gedicht
Zwei dicke Männer
04. Gedicht
HipHop aus dem Reihenhaus
05. Gedicht
Dagegen sein sehr, dafür stets bei sich
06. Gedicht
Herr und Dame Ratioportiona
07. Gedicht
Drei Dekaden konstruierter Freiheit in einem dekonstruierten Gedicht
08. Gedicht
Ein Ort für Unreife
09. Gedicht
Der Clown
10. Gedicht
Die schmächtige Haut
11. Gedicht
Mit dem Ende ist das so eine Sache
52. KAPITEL
1990-2015:
Hommage an eine liebevolle Frau in den längsten Zeiten der unwahrscheinlich schönsten Anwesenheit von Geborgenheit, Liebe und Frieden
Schlusswort
Schlusswort von Christopher Johann vor der Brügge
Frieden wertzuschätzen will gelernt sein
Danksagung
Ganze Kerle und eine Deern
Vorworte
Ein Vorwort oder: Eine Kritik
Von Sven Lehmann
du hast mit „Friedenskinder ein weiteres, dieses Mal besonders mutiges Buch vorgelegt. Es hat alles, was zu einem mutigen Buch gehört: sehr viel Persönlichkeit, sehr viel Meinung, Faktisches und Biografisches, Allgemeines und erlebtes Besonderes. Du nennst das Prinzip deines Schreibens die Umsetzung des Prinzips „Pars pro toto
, also die Ableitung des Ganzen (toto) aus der besonderen, einteiligen Erfahrung eines Einzelnen (Pars pro). So nehme ich es mir heraus, an dich und an deine Leserinnen und Leser in Briefform persönliche Worte zu richten, damit ich meinem Anspruch, das richtige Vorwort zu schreiben, gerecht werde, weil auch ich – natürlich – kleinteilige Erfahrungen in meinem Leben gemacht habe und zugleich das große Ganze in meinem Brief versuche in den Blick zu nehmen und in den Griff zu kriegen.
Dein Buch ist ein mutiges Buch, fast schon vermessen, finde ich. Ich erkläre dir gerne, warum es für mich ein mutiges Buch ist. So erscheint es mir so, dass du dich auf ein für dich ungewohntes Terrain begibst, auch wenn du es vielleicht anders sieht. Du schreibst in „Friedenskinder über eines der elementarsten, grundlegendsten Themen überhaupt, die uns Menschen bewegen: „Krieg und Frieden
. Damit wagst du dich auf einen sehr unsicheren Boden, weil es derart bedeutsam ist, und es so viele Meinungen dazu gibt, dass es nur mutig zu nennen ist, diesen Boden zu betreten und eindeutig und laut Position zu beziehen. Und du warst mutig, mich um meine Meinung zu bitten. Damit wendest du dich an einen Freund, der in vielen Äußerungen und der Haltung eines klaren, unmissverständlichen Wortes schon öfter gezeigt hat, dass er dir nicht nach dem Mund redet, sondern zu einem begründet strengen Kritiker in deinem Umfeld geworden ist.
Nun denn, ich erledige die Aufgabe gerne und werde sie so fair und frisch wie möglich und so kritisch wie hart wie nötig halten; ich kann dennoch überhaupt nicht umhinkommen, dir sogleich zu Anfang einen sehr großen, sehr persönlichen Dissens mit deiner Conclusio zum Ausdruck zu bringen. Und damit beschreibe ich einen schon schmerzhaften Unterschied zum Gesamteindruck, den dein Buch bei mir gemacht hat. Denn ich teile deine Meinung, die auf jeder Seite deines Buches mitschwingt und in jeder Unterbedeutung spürbar ist, nicht. Deine immens untergründige Skizze einer Dystopie teile ich ganz und gar nicht. So möchte ich im Grunde den Untertitel deines Buches – Angst, Liebe und Tod in den längsten Zeiten der unwahrscheinlichen Abwesenheit von Krieg, Gewalt und Leid (bislang) –, möchte ich das „bislang verwerfen und im Grunde den Satz ganz und gar umgeschrieben sehen, da ich nicht Anhänger deines „bislang
bin.
Der Anspruch, ein Sachbuch zu sein zum Thema „Krieg oder Frieden", löst dein Buch nicht ein, da es, das liegt an deiner schriftstellerischen Herangehensweise, für mich in so vielen Teilen derart autobiografische Züge trägt, dass es dem Wunsch, ein Sachbuch zu sein, einen großen Abbruch tut. Die hier und dort stärkere und authentische Wirkung, die die autobiografischen Anteile vermitteln, helfen in der Frage, die ich grundlegend im Vorwort aufwerfe, ganz und gar nicht weiter.
Du versuchst die Hauptthese des vorliegenden Buches – nämlich die Unwahrscheinlichkeit und damit das beinahe zwangsläufige baldige Ende der jahrzehntelangen Friedenszeit in der Mitte Europas seit dem Zweiten Weltkrieg – anhand vieler Stationen deines Lebens und vieler deiner Begegnungen mit Menschen von nah und fern zu erhärten. Du behauptest durch das Memorieren von persönlichen, also lediglich dir geschehenen Ereignissen und Erlebnissen mit Menschen, deine These hart zu machen. In Wahrheit schweifst du dadurch in „Friedenskinder wieder und wieder unvermittelt, plötzlich und ohne innere sachliche Logik ab aus dem Blick desjenigen, der die große Weltpolitik und die Weltgeschehnisse zu erklären versucht. Damit geht ein Scheitern einher, das jedem bewusst sein wird, der sich der Mühe unterzieht, dein Buch auf die These des „bislang
zu untersuchen und Gründe dafür zu finden, weswegen es ein „bislang sein solle und nicht ein „weiter so!
, in Frieden in Europa weiterzuleben.
Während das Grundthema bedeutsam ist, wechselst du naiv und einfach so im nächsten Moment hinüber zum Roten Platz in Moskau, dem du ein paar Zeilen widmest, nur weil du irgendwann in deiner Biografie mal dort gewesen bist. Die stete autobiografische Herleitung führt dazu, dass zu oft irgendwelche Dönnekes und Schnackgeschichten vom Niederrhein gelesen werden müssen, die weit weg vom Thema führen. Und im nächsten Moment wechselst du als nur scheinbarer Analytiker, der so kaum einer sein kann, vom Niederrhein nach Moskau nach Nordafrika – und lässt die Leserinnen und Leser auf den vielen Reisewegen wie in der Luft hängen.
So erinnert dein drittes Buch in Stil, Duktus und Aufbau sehr an die Art und Weise, wie du im zweiten Buch „Wie ich 10 Tausend Menschen nahe kam" deine Erinnerungen an deine Begegnungen mit Menschen geradezu zelebriert hast. Für mich ist es so: Im zweiten Buch wie nun im dritten Buch bist du immer dann besonders stark, wenn du uns Leserinnen und Leser mitnimmst in deine Innenwelt, in deine Gedanken, in die Welten, die gemeinhin als die Gefühlswelt eines Individuums beschrieben sind. Die Sequenzen, wie du am Sterbebett deines Vaters ankommst, und auch die Anekdote, wie du von deinem Philosophie-Professor aus dem Studium entlassen wirst oder auch die Begegnung mit einem Fremden nachts im Duisburger Wald, solche Teile deines Buches, in denen du ganz nah bei dir zu sein scheinst, erscheinen mir tief und sinnvoll und bewegend.
Dennoch: Alle drei Beispiele von Geschichten aus deiner Biografie in „Friedenskinder haben jedoch nichts, im Grunde, mit dem großen Thema „Krieg oder Frieden
zu tun. Dass du den Bogen sowieso so weit aufspannst, ist erstaunlich. Damit wird für mich das eigentliche Thema, das große Thema, geradezu verwässert. In „Friedenskinder geht es um Angst, Terrorismus, Diktatur, Freiheit und Unfreiheit, Armut und Reichtum, Gewalt, Flüchtlinge und auch mehrfach um die DDR und die Staatssicherheit. Dann wieder um Naturkatastrophen, Klimawandel, Parteienkritik und Sterbehilfe. Alles das und noch viel mehr, viele, viele große Themen, werden, um ein klassisches Bild zu verwenden, für einen allzu großen Kochtopf zusammengeschnippelt in der vagen Hoffnung, daraus insgesamt einen wohlschmeckenden Eintopf zu kreieren, der gar am Ende die aufgeworfene Leitfrage des Buches beantworten könne. Am Ende gleichwohl erschließt sich mittels dieser Art und Weise einfach überhaupt nicht, warum die Kapitel in „Friedenskinder
sinnvoll zusammenhängen könnten. Auch nach mehrmaligem aufmerksamem Lesen gelingt es mir nicht, die große These belegt, beschrieben und auskömmlich begründet zu bekommen. Ich gehe so weit zu sagen: Selbst die Existenz der Ausgangsthese – das „bislang" in der Abwesenheit von Krieg – findet sich in diesem Buch nicht wieder.
Um es noch einmal deutlich zu formulieren: Oft wird sehr weit ausgeholt, um dann zu kleinen oder gar keinen Schlussfolgerungen zu kommen; oft werden mehr Fragen gestellt, als Antworten geliefert. Du lässt den Leser gern mit sich allein, und es ist zu spüren, dass dies sicher sogar von dir gewollt ist, ein Ziel der Strategie des Aufbaus deines Buches ist. Einige Abschnitte sind, das muss ich sagen, zudem einfach zu lang, zu schwadronierend, verschwurbelt, andere wiederum zu kurz, zu knapp und zu andeutend, sodass du den Leser am Haken von ein paar hingeworfenen Sätzen schlicht verhungern lässt.
Mir bleibst du am Ende der Lektüre einzelner Kapitel schlüssige Fakten und wissenschaftliche Belege schuldig, als dass ich dir folgen könnte oder als dass ich dir folgen wollte. Denn: In den meisten Staaten überhaupt (fast zwei Drittel) hat es seit dem Zweiten Weltkrieg keinen Krieg mehr gegeben, die Kriegstoten der letzten 70 Jahre sind um den Faktor drei bis vier kleiner (Gott sei Dank), als alleine der Zweite Weltkrieg an Toten hervorgebracht hat, und das als nur ein Hinweis bei der heute achtmilliardenfachen Möglichkeit, dass sich Menschen auf dieser Erde heute umbringen täten im Verhältnis von einer Bevölkerungsanzahl von 2,5 Milliarden zur Mitte des 20. Jahrhunderts.
Auch die von dir ausgemachten Signale die auf ein Ende der Friedenszeit hindeuten – einmal ist die Harmlosigkeit der Vorbote der Gefahr, einmal ist es die wachsende Komplexität heutiger Strukturen, die Zusammenbruch brächten, ein anderes Mal sind es schlichte Ahnungen, die dich und andere vielleicht befallen haben – alle diese Signale taugen einfach nicht dazu, einer wissenschaftlichen Betrachtung zu deinem großen Thema und deinem „bislang" Stand zu halten. Das Suggerieren etwa, dass die Abwesenheit von Krieg mathematisch berechenbar zum Untergang führe, dass Krieg quasi statistisch gesehen auf europäischem Boden schon überfällig wäre, erinnert doch stark an die Wettleidenschaft der Engländer, will ich zynisch antworten, die für alles und jeden eine Quote stellen – während das wirkliche Leben doch alles andere als ein Glücksspiel ist…
Du säst, das werfe ich dir vor, somit Furcht als unterschwelliges Paradigma, wo gar keine vonnöten ist. Es bleibt der Beigeschmack dazu, dass etwas geradezu herbeigeredet werden soll. Ist es wirklich die Quintessenz eines Mannes in fortgeschrittenem Alter, der die Welt mehr als manch Jüngerer geschaut hat, oder ist es die Folge eines älter gewordenen deutschen Europäers, der sich in der Welt umgeschaut hat auf der fast sehnsüchtigen Suche nach Krieg und Frieden?
Was ich mich in den Tagen der Beschäftigung mit dem Buch und dem bestellten Vorwort wirklich gefragt habe, ist, was dein Antrieb, lieber Rafael, für dieses Buch war? Einer, der nur den Frieden in seinem Leben kennt, schreibt über seine Angst vor dem Krieg? Warum schreibt er – also du – nicht über die Gnade des Friedens, die er erleben darf (und auch weiter erleben wird)? Einer, der nur für sich schreibt und sich nicht um die Meinung anderer schert, warum schreibt er zugleich dazu, sich so zu fürchten wie kaum ein anderer?
Mir scheint, das Buch ist, was es ist und wohl auch sein soll, die vermeintlich groß angelegte Exegese eines doch sehr schmalen Deutschen vom Niederrhein. Du machst dich mit deinem Werk angreifbar, und du weißt es auch, dass es so sein wird, und genau deshalb darf ich hier kritisch kommentieren und mich als ersten Kritiker begründen.
Was das vorliegende Buch sehr wohl leistet, ist eine Herleitung zur eigenen Leser-Biografie. „Friedenskinder" nimmt uns mit auf eine Reise in 70 Jahre deutsch-deutsche Nachkriegsgeschichte. Das Buch von dir hat mir mehr als einmal Anstoß gegeben, über die eigenen Erfahrungen, Erlebnisse und Erinnerungen aus meiner eigenen Biografie eines Westdeutschen ebenfalls im fortgeschrittenen Alter nachzudenken, bewegen wir uns doch in derselben Kohorte einer Generation, wie du es so schön formuliert hast. Mehr als nur einmal habe ich mit der Suchmaschine Google und dem Online-Lexikon Wikipedia zu bestimmten von dir aufgezählten Momenten und Meilensteinen der deutschen Geschichte mir noch mehr Hintergrundinformationen eingeholt und mein Wissen so auf schöne Weise aufgefrischt.
Dafür, lieber Rafael, gebührt dir Dank, wie ich finde.
Wie überhaupt die Vermischung deiner eigenen Erlebnisse mit den geschichtlichen Ereignissen (seien es große oder kleine) mir über weite Strecken – das möchte ich doch auch benennen – als sehr gelungen erscheint. Wenn an demselben geografischen Ort einmal über die Banalität und Belanglosigkeit der 100 Abiturienten der Heimatstadt berichtet wird und dann wieder über die vergessenen Grabsteine und Steinstelen unserer Altvorderen dort, dann ist das, das meine ich, schlicht und schön, großes Kino. Es ist genau diese Mischung, die das Buch am Ende dann kurzweilig zu lesen macht. Die virtuelle Abi-Feier im Hamburger Atlantic Hotel als Racheakt zu fantasieren, ist sicherlich ein Highlight – und ich weiß jetzt, dass Ruhm von Roomservice kommt und ich dafür Udo und dir Dank sagen kann.
Ich habe dir einen Brief geschrieben, weil ein Brief für mein Anliegen, kritisch auf dein Buch antworten zu wollen, eine schöne persönliche Form geblieben ist, wie ich denke. Möge sich, auch das ist wahr, jede geneigte Leserin und jeder geneigte Leser eine eigene Meinung nach der Lektüre deines Buches gebildet haben.
Am Ende, so kenne ich dich, bin ich mir sicher, dass du trotz allem, was du aufgeschrieben hast, ein überzeugter Europäer und ein zufriedener Friedensanhänger bist. Die gute Nachricht meines Vorwortes zu „Friedenskinder" habe ich daher bis zum Schluss an dieser Stelle aufbewahrt:…
…der Frieden wird uns auch noch weiter erhalten bleiben.
Vorwort: eine Einleitung wie in alten Zeiten
Ihr könnt mich mal ruhig in Frieden lesen
Freitag, der 3. Juli 2015
Ich bin ja bescheuert, gleichwohl mag ich genau das an meinem Leben. Ich bin ja bescheuert, diesen so unscheinbaren Ort als Ort ausgewählt zu haben, wo ich meine Einleitung, mein Vorwort schreiben will. Stefanie, eine Bekannte, die ich bisher nie von Angesicht zu Angesicht traf, eine Frau, übrigens, die mit Ochsenblut-rotnagellackbewehrten Füßen auf dem Online-Profil-Foto für sich wirbt, Stefanie schickt kurz, bevor ich an diesem Freitagnachmittag aufbreche, per WhatsApp den Ort an mich, wo sie, die Stewardess aus Süddeutschland, sich grad aufhält: Ich kann es genau sagen, wo sie jetzt ist, weil es die Moderne und das GPS möglich gemacht haben.
Stefanie ist ein liebenswertes Phantom, das offenbar in seinem Leben auch irgendwie lieber etwas anderes als Flugbegleiterin sein will und daher anfängt, Bücher zu produzieren, wie ich es mit dem vorliegenden Büchlein „Friedenskinder" zum nun dritten Mal zum Abschluss bringe. Sie ist ein Phantom für mich, das nie dort ist, wo ich gerade bin. Sie ist physisch gesehen in diesem Moment genau 9.225 Kilometer östlich von mir entfernt. Es ist in Längen- und Breitengraden genau bestimmbar. Sie ist weit, weit weg, sie war der aufgehenden Sonne entgegengeflogen, während ich in die untergehende aufbrechen will. Sie ist im tiefen Osten der Welt, während ich in meiner norddeutschen Heimat – Hamburg – alles zusammenpacke, damit ich auf meine kleine Reise aufbrechen kann. Stefanie ist in diesem Moment in der Hauptstadt Japans, in einem Stadtteil von Tokio, dessen Namen ich nicht verstehe.
Warum nur, das frage ich mich in diesem Moment, als die WhatsApp-Nachricht von ihr aus Tokio bei mir in Hamburg auf dem Smartphone ankommt, warum nur fahre ich in diese von mir erwählte, wenig glamouröse westdeutsche Stadt und warum bin ich nicht – ob bei den einen oder den anderen, die ich dort kenne –, warum, verdammt noch mal, bin ich nicht in Tokio, Shanghai, Singapur, obwohl auch das möglich wäre? Warum nicht im Glitzer, im Schein und im besten Gefühl in meinem über alles geliebten Manhattan, Union Square, was auch möglich wäre? Warum nicht auf nach Berlin, wo wahre Freunde sind, wo erlebte Geschichte für mich ist, wo ich mich immer so fühle, als hätte der Tag keine Nacht, das gar preiswerter zu erreichen ist als die Städte im Ausland?
Warum nicht mal nach Rio de Janeiro reisen zum Schreiben, wo ich noch nie gewesen bin, nach Kolumbien, wo die ist, von der ich vor vielen Jahren eingeladen worden war, oder warum nicht jetzt zu meinem Freund David B. nach Paris reisen, zu Jordi G. nach Spanien, zu Daddy und seiner Freundin nach Hawaii, wo sie heute sind? Warum nicht einfach zu Stefanie nach Tokio fliegen, dass ich sie endlich LIVE, also von Angesicht zu Angesicht kennenlerne nach den zurückliegenden Jahren des virtuellen, also nicht-physischen Kommunizierens? Warum nicht? Die Zeiten heute sind so, dass ich – wir – es könnten, reisen überallhin, an Orte weit, weit weg.
Warum ist man wo zu welcher Zeit? Auch das ist ein Basis-Ton meines Büchleins, die ewige Frage, wo ein Mensch wann an welchem Ort zu welcher Zeit warum ist. Und vor allem: Wo ist man zur rechten Zeit? Während Stefanie als Stewardess durch die ganze Welt reist, von hier und dort Nachrichten an mich sendet, FLÜGGE ist, fliehend und vielleicht nie ankommend, ist es mir die ständige, mich bedrängende Frage meines Lebens, wo denn ich zur rechten Zeit, verdammt noch mal, sein sollte. Es ist mir tatsächlich wichtig geworden, nicht dort zu sein, wo ich sein muss, weil die Eltern das wollten oder weil der Beruf mich dorthin ruft. Es ist mir wichtig geworden zu überlegen, wo ich und meine Engsten RICHTIG sind.
Ja, ich weiß. Viele sind dort geblieben, wo sie groß geworden sind. Viele sind dort hingegangen, wohin sie eine Liebe oder der Beruf hingebracht hat. Ja, ich weiß, es ist heute ein gutes Land –…
…mir ist es gleichwohl wichtig, immer gewesen, TATSÄCHLICH alles dafür zu tun, dass Leute wie ich FREIWILLIG und VERNUNFTGESTEUERT im Sinne des Aufklärers Immanuel Kant aufgestellt sind, dass ich und meine Engsten frei und vernünftig entscheiden, ganz am Ende ganz alleine entscheiden, WO und WANN ich und sie unser einziges Leben – mein, ihr einziges Leben – verbringen wollen. So ist es Deutschland geworden, wo ich geblieben bin, und zwar nicht allein deswegen, weil ich dort geboren und groß geworden bin und weil dort mein Leben MICH gefunden hätte. Es ist so, tatsächlich, dass ich frei und vernunftgesteuert das Leben in diesem Land gesucht habe. Warum? Auch davon, warum, erzählt mein Büchlein.
Es ist VOR ALLEM ANDEREN so, dass ich ein Kind des Friedens bin; ein Mensch, der in Abwesenheit von Krieg, Gewalt und Leid bis heute gelebt hat. Wie wir heißen, wie wir genannt werden? Noch gibt es keinen Namen im öffentlichen Bewusstsein für diese. So habe ich mir den Namen selbst gewählt, für Leute wie mich, für meine Generation …
…Friedenskinder. (Klingt lakonisch, ich weiß, es passt gleichwohl gut.)
Einer, der sich so nennt, hat in Abwesenheit von Krieg, Gewalt und Leid etwas Besonderes erfahren dürfen. Wie das so ist, ein Friedenskind zu sein, ist vor allem das Thema des Büchleins. Was es bedeutet, ein Friedenskind zu sein.
Meine Generation, Leute wie ich, wir sind FRIEDENSKINDER.
Ein Kind von Eltern, die den Krieg als Kinder noch erlebt haben und den Hunger nicht stillenden Geschmack der Steckrüben-Suppe kannten. Ein Kind von Großeltern, die den Großen Krieg miterlebt und mitgemacht und erst ermöglicht haben und Tod so sehr als alltäglichen Begleiter kannten, sodass der Tod bei vielen keine besonderen Gefühle mehr hervorrief. Ein Kind bin ich von Verwandten, die früh in ihrem Leben in ANWESENHEIT von Krieg, Gewalt und Leid gelebt haben und Krieg, Gewalt und Leid über ANDERE früh und mehrfach gebracht hatten. Ich dagegen darf in Frieden leben seit einer unendlich langen Zeitspanne.
Es ist tatsächlich so, und das ist das besondere Thema meines Büchleins, dass diese (west-) deutsche Generation und auch ein Teil ihrer Eltern in der historisch gesehenen längsten Zeit der eigentlich in historischer Sicht sehr unwahrscheinlichen Abwesenheit von Krieg, Gewalt und Leid gelebt haben. So wissen es die kundigen Historiker der europäischen Geschichte zu erzählen, so künden die kundigen Chronisten davon, die dieses Europa erzählen, so berichten es die alten und sehr alten Geschichten, Urkunden, Belege, dass auf DIESEM Boden – auf europäischem Boden – noch jede Generation ihren Krieg, ihre Gewalt und ihr Leid erlebt hat, Kinder, Frauen, Männer. Wer Europa als eine Fläche großen Ausmaßes versteht und als eine Fläche, auf der immer viele Stämme, Völker und Menschen gelebt haben, der wird diese Fläche in diesem Sinne historisch-kritisch ansehen und mir zustimmen müssen.
Wer den Ort historisch-kritisch anschaut, wo er wohnt, auf den kleinen Fleck schaut in Westdeutschland, dann die Fläche in Frankreich, in England, schon nicht mehr in Ostdeutschland, schon nicht mehr in Südosteuropa, nach Polen, Tschechien usw., darüber hinaus nach Spanien, Portugal, Griechenland usw., darüber hinaus noch weiter weg schaut, der muss diesen Fakt anerkennen, dass wir wirklich Friedenskinder sind und dass wir als Friedenskinderenkel in einer derart langen Zeit der Abwesenheit des SCHLIMMSTMÖGLICHEN, was sich Menschen antun – Krieg –, leben, dass es nur ein…
…dass es im historischen Vergleich nur ein Wimpernschlag der Geschichte ist. Dass ein Leben 70 Jahre lang in Frieden (in Westdeutschland) eine Zeitspanne ist, die weder die Eltern noch die Großeltern noch wir selbst haben voraussehen können. Dass es Frieden hier bei uns gibt bis heute, ist eine Tatsache und ein Umstand – der nun mehr und mehr und in immer größeren Umdrehungen immer mehr in…
…in Gefahr seiner Dauerhaftigkeit gerät. Gerät? Ja, in Gefahr gerät. Seit rund fünf Jahren laufe ich herum und frage Menschen, von kleiner und von großer Bedeutung, Abgeordnete des Deutschen Bundestages, Wirtschaftsführer, Milliardäre und Verkäuferinnen beim Discounter in meiner Nachbarschaft, ob sie es auch spüren, dass die Umdrehungen stärker werden. Dass die Ereignisse schneller werden. Dass es mehr Sorgen gibt. Dass…. die Gefahr wirklicher wird, diese ABWESENHEIT zu verlieren. Während ich zu Anfang, vor fünf Jahren, fast immer verlacht wurde ob meiner Frage, merke ich, dass es Jahr um Jahr anders geworden ist; von Monat zu Monat und von Jahr zu Jahr bin ich LEIDER immer weniger einsam geworden in meinem unheimlichen Gefühl, dass die Umdrehungen der Zeit schneller werden als davor und dass die Zeiten des Friedens zu einem Ende kommen könnten. So ist es kaum ein Wunder, dass ich ausgerechnet in diesem Jahr dieses Büchlein vorlege.
Und ist es nicht verwunderlich, dass ich meinen Ort, um mein Vorwort zu schreiben, nicht in Berlin suche, nicht in München, Frankfurt, nicht in Stockholm, nicht in Paris oder London. Es ist kaum verwunderlich, dass mich meine Reise in eine recht kleine Stadt führt. Diese Äcker, diese Wälder dort, die Wiesen, die Felder dort haben etwas zu erzählen, denke ich mir, dass GRÖSSER ist als das, was ich an anderen Orten zu meinem Thema vorfände. Diese Fläche im Westen Deutschlands, im Landstrich Westfalen gelegen, irgendwo im Nirgendwo, irgendwie überraschend, irgendwie OHNE Bedeutung, diese Fläche passt thematisch doch gut. Dorthin reise ich jetzt. Die Reise zu meinem Vorwort führt mich über Hamburg, Bremen, Osnabrück in nur wenigen Stunden Autofahrt auf der A 1 in die Stadt…
…Münster.
Münster ist der Ort, den ich an zwei Tagen, am Samstag und am Sonntag, untersuchen will mittels eines historisch-kritischen Skalpells, damit es ein Vorwort zu meinem Büchlein „Friedenskinder" ergibt, welches gehaltvoll in das Buch einführt und die dortigen Aussagen ergänzt. Was ist geschehen in Münster, dass ich diese Stadt am Rande des Randes eines großartigen Europas und einer überhaupt vibrierenden Welt erwählt habe? Wer weiß es noch?
Ich auf jeden Fall bin ja bescheuert, dorthin – nach Münster – zu reisen, gleichwohl mag ich das an meinem Leben, derart bescheuerte Sachen zu tun…da diese SACHE, diese ANGELEGENHEIT für mich alles andere als bescheuert ist, wie ich mir selber zeigen will, als ich mich auf den Weg mache.
Es ist 17:51 Uhr an diesem Freitagnachmittag, als ich auf die A 1 auffahre. Es geht los. (Start Me Up.) Hi, Stefanie, notiere ich auf WhatsApp. Ich grüße dich in Tokio, schreibe ich kurz. Ich warne dich kurz, dass ich mein neues Büchlein mit dir beginne. Warne dich davor, dich an dieser Stelle und an diesem Platz einzubinden. Als Rechercheur und als Kundiger der deutschen Geschichte werde ich dorthin fahren. Mein Handwerkszeug als Rüstzeug ist so, wie ich es gelernt habe, so schreibe ich: hingehen, hinschauen, hinhören, nachdenken, hinschreiben, selbst Zeuge sein. Meine Art, schriftstellerisch in diesem Büchlein zu arbeiten.
Während der Anreise in die Heimat meiner Kindheit, Nordrhein-Westfalen, dem bevölkerungsreichsten Bundesland in Deutschland, geht es vorbei an Feldern, Wiesen, Äckern, Wäldern, an Grün und fast Türkis, an Flächen, wo es friedlich wirkt und schön. Es geht vorbei an Flächen, auf denen Getreide wächst und Landschaftskulturen gepflegt werden. Während ich immer wieder nach rechts und links auf die Landschaft Niedersachsens und dann des Nordens von Nordrhein-Westfalen schaue, entdecke ich in mir das andere Bild dieser Landschaft. Ich führe mir vor Augen, während ich recht langsam fahre, nie schneller als 140 Stundenkilometer, wie es damals war in der Zeit, über die ich lernen will. Wie es war, als vor 300 Jahren Heere durch diese Landschaft zogen; wie es war, als Söldner und Soldaten einfielen und blieben und verheerten und den Menschen Krieg, Gewalt und Leid brachten; wie es war, als die Heere dort standen, in großer Anzahl, 10 Tausend in einem Heer, 20 Tausend in einem anderen Heer; wie sie von den Bauern und den Handwerkern die Steuern eintrieben; wie die Heeresführer den Hof beanspruchten, Tiere beanspruchten, Kinder, Männer und Frauen nahmen, als wären sie ein Gut, das durch Rüstung und Schwert kostenfrei gekauft werden könnte, als wäre es das Normalste von der Welt.
Ich stelle mir vage, sehr weit weg vor, wie dort in den Landstrichen Dorf um Dorf, Stadt um Stadt von Banden, marodierend, eingenommen wurden; wie sie blieben und was sie taten; dass ihre Taten unerzählt und kaum dokumentiert, eben nicht in der Geschichtsschreibung breit und tief bewahrt wurden; wie sie lynchten, mordeten, vergewaltigten, schunden, versklavten, vertrieben, die Landstriche je nach Stärke und Kraft beherrschten; wie sie davonzogen, wenn sie es wollten; wie sie blieben, wenn sie es wollten; wie andere Heere kamen, falls das jeweils andere Heer geschlagen und vertrieben worden war; …
…wie diese Fläche im Dreißigjährigen Kriege dreißig Jahre lang in Unfrieden und in steter Anwesenheit von Krieg, Gewalt und Leid lebte. Vorbei an heutigen pittoresken Landschaftsgemälden fahre ich und stelle mir auch rückblickend die Kriegsgemälde des damaligen Krieges vor, wären sie damals bereits für die Nachwelt gemalt worden. In der Zeit, in der im 17. Jahrhundert ganze Landstriche verheert wurden. Wo genau, von wem, wie, wann, wissen wir nicht und werden wir nie erfahren. Bekommen Reisende, frage ich mich, die nach Münster aufbrechen, dies erzählt oder in Münster selbst, was dort war, der Abschluss des Westfälischen Friedens, der 30 Jahre Krieg beendete, nachdem die Gesandten fünf Jahre darüber ebendort in Münster verhandelt hatten? So ist das, über heutige Friedenskinder zu schreiben, auch ein Versuch zurückzuschauen, als Krieg STETIG war, eine PFLICHT, ein VERHÄLTNIS, eine WIRKLICHKEIT. Und Münster als Symbol einer anderen Wirklichkeit aufsuchen, die nicht allein von Krieg erzählt, sondern von Frieden.
1945 endete der Zweite Weltkrieg, 1989 fiel die Mauer, die Deutschland geteilt hatte. In Westdeutschland herrscht seit 1945 Frieden, also die Abwesenheit von Krieg, Gewalt und Leid. Seit 1989 ist das Ende einer gewalttätigen Diktatur tatsächlich auch