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Mein Vater, der Krieg, der Tod – und ich ...: Totentanz und Requiem
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Mein Vater, der Krieg, der Tod – und ich ...: Totentanz und Requiem
eBook217 Seiten2 Stunden

Mein Vater, der Krieg, der Tod – und ich ...: Totentanz und Requiem

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Über dieses E-Book

1923 wurde Gert Bastian in München geboren. Der spätere General der Bundeswehr, der sich ab 1980 in der Friedensbewegung engagierte, wurde 1992 tot in seiner Wohnung aufgefunden, wo er erst seine Lebensgefährtin Petra Kelly und dann sich selber erschossen hatte. Sein Sohn Till, Jahrgang 1949, setzt die Erinnerung an seinen Vater und an dessen trauriges Schicksal in Bezug zur Entwicklung der GRÜNEN, bei denen einst eine pazifistische Überzeugung überwog, während sie seit 1999 (Außenminister Joschka Fischer) eine deutsche Beteiligung an Kriegen in aller Welt keineswegs ablehnen.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum22. Dez. 2022
ISBN9783969406137
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    Buchvorschau

    Mein Vater, der Krieg, der Tod – und ich ... - Till Bastian

    ERSTER AKT:

    DER ALTE MANN –

    MIR FREMD UND NAHE

    1. Oktober 1992:

    STUFEN

    Er hatte sich heute, an diesem seinen allerletzten Tag (wovon er aber jetzt rein gar nichts wusste) … hatte sich also schon sehr früh am Morgen, noch vor sechs, an seinen Schreibtisch gesetzt, das war eigentlich ganz normal bei ihm, das tat er öfters, und manchmal lächelte er höhnisch dabei, weil er ja wusste, dass die Ärzte das „senile Bettflucht" nennen. Nun gut, mit neunundsechzig … Wie auch immer, er erledigte derart früh und ungestört dann je und je schon einen möglichst umfänglichen Teil seiner privaten Korrespondenz, mit Vorliebe jene Briefe, in denen er bissig-bösartig zu werden pflegte (und wenige waren das nicht) – ein Schriftwechsel, an dem er sich immer wieder, wider besser Wissen, klammheimlich herzhaft freute; Briefe, die ihn selbst, der sich wenig Illusionen über die eigene Lage gestattete, immer öfter an das Kläffen eines alten, rheumatischen Hundes erinnerten, der böse hinter dem Ofen lauert und mit der Schnauze grimmig gegen jeden losfährt, der ihm zu nahe kommt, bei allem Gebelfer freilich unfähig zu jedem wirklichem Biss … Briefe waren das allermeist, von denen SIE besser gar nichts oder jedenfalls nur möglichst wenig wissen wollte, und ganz gewiss nichts en detail.

    Heute also, an diesem trüben Oktobertag, der eben erst herandämmerte, heute morgen machte er es ebenso, hatte sich also heute morgen wieder einmal sehr früh, noch vor sechs, an seinen Schreibtisch gesetzt, trotz der späten Rückkehr gestern (eigentlich heute, denn es war ja lange nach Mitternacht gewesen) – freilich fiel es ihm, warum auch immer, etwas schwerer als sonst, noch etwas schwerer, wie ja so vieles arg beschwerlich geworden war in letzter Zeit, belastend, beklemmend sogar – aber das durfte man sich nicht anmerken lassen, bloß nicht, nur nichts anmerken lassen, auch wenn es eben – wie bereits betont – immer schwerer fiel. Alles. Aber keinesfalls etwas spüren lassen davon … SIE durfte es nicht merken, sie vor allem. Da es IHR immer schlechter ging, rapide schlechter, sollte sie wenigstens nicht spüren, wie miserabel es jetzt (und schon lange) um ihn selber stand. Anders durfte es gar nicht sein – ganz selbstverständlich nicht. Das wäre sonst… was wäre es sonst? Nein, es kam gar nicht in Frage. Keine Schwachheiten! Keineswegs, keinesfalls!

    So setzte er sich also auch heute wieder an seine uralte elektrische Schreibmaschine, in diesem kleinen, lächerlich kleinen Arbeitszimmer – mit Ausblick auf die Wendeplatte am Ende der kurzen Sackgasse in diesem spießigen Neubauviertel, wo in den Vorgärten, zwischen den übersichtlich zurechtgestutzten Buschgruppen, die Amseln schrien, wie gerne hätte er da manchmal mit einer Ladung Schrot …

    Aber nichts da! Keinerlei Schwachheiten! Und im gut eingeübten Zwei-Finger-Such-System hämmerte er seinen Mitteilungsdrang in die Maschine hinein: erst einen Brief an die Frau in München, das musste ja sein und war auch irgendwo gut und richtig so – wenngleich mühsam – und notwendig zudem, denn der Feiertag stand vor der Tür, das verzögerte die Postzustellung, der Brief musste noch somit heute noch raus, am besten per Eilboten, er würde noch heute Vormittag zu dem kleinen Postamt gehen und sich dort wieder einmal über das Schneckentempo der Beamten ärgern, die hinter dem Schalter in Katalogen blätterten und nicht einmal aufblickten, wenn man an die Glasscheibe trat.

    Aber wie er nun jeden einzelnen Buchstaben kräftig in die Maschine hackte (er tat dies immer in einer Manier, als ob die Tastatur ihm ganz persönlich feindlich gesonnen sei und als ob er sie für diesen Widerstand abzustrafen habe) … da wurde es ihm plötzlich klamm dabei, so eng, es war, als trüge er eine bleischwere Weste, die plötzlich schrumpft und immer schwerer wird und – und – und was war das? War das sein Infekt, er schrieb ja gerade darüber, über diese lästige Erkältung; schon gestern hatte er sich hundeelend gefühlt auf der langen Rückfahrt von Oranienburg, aber es war ja völlig unmöglich gewesen, das zu zeigen, natürlich, denn SIE hatte wieder unter den heftigsten Kopfschmerzen gelitten, das war ja schon fast der Normalzustand, mittlerweile. Und diese Ängste – mittlerweile … fast … ja, fast!

    Heute war es fast noch schlimmer als gestern. Noch schlimmer. Aber er riss sich zusammen, wie so oft, eigentlich immer, obwohl ihn gerade das – wie immer – irgendwo schmerzte wie eine Art Seitenstechen; er litt arg darunter, dass seine Fürsorglichkeit (Ritterlichkeit, so nannte er es wohl auch des Öfteren, meist um sich selber Mut zuzusprechen) immer so sprachlos sein musste, aber anders konnte er es eben nicht, allenfalls in Briefen, da konnte er sich bisweilen lange dahinverströmen und wunderte sich dann manchmal selber hinterher, dass sie ihm so kindlich geraten waren, jedenfalls die Briefe an SIE. Die vor allem. Manchmal war es ihm, als ob sich da etwas an ihm, in ihm offenbarte, was er nie so recht gekannt hatte an sich, was er nie hatte kennenlernen dürfen, und was dann sonderbare Schleichwege nach draußen fand. Seltsam. Aber sei’s drum.

    Nun denn: Er fühlte sich jetzt, fühlte sich heute Morgen schlicht beschissen, wie ärgerlich, das brachte den ganzen Tagesablauf durcheinander, was tun? Die Tür zum Garten hatte er bereits geöffnet, natürlich nicht ohne die Alarmanlage vorher auszuschalten – Gott, war das ein Leben. Er stand also in der Tür, pumpte die feuchte Morgenluft in sich hinein, stützte sich mit der Hand an den Rahmen, lehnte den Kopf gegen das kühlende Glas, ohne große Erleichterung zu spüren. War das ein Leben. Eigentlich kein Leben mehr, aber es musste ja sein, es würden auch wieder bessere Tage kommen, das war ganz gewiss. Oder zumindest wahrscheinlich. Jedenfalls durfte noch gehofft werden … dass es zu Ende wäre mit all der Antichambriererei, diesem an alle Türen-Klopfen, Bittsteller-Sein --- Lästig. Nein, widerlich. Müssen wir das denn? Ja, wir müssen. Es ist nun einmal so, es haben uns so viele im Stich gelassen. Fast alle. Schweinebande … Er atmete noch einmal tief durch, kehrte dann, ein paar Stufen hinauf, an seinen Schreibtisch zurück. Keine Schwachheiten! Doch der Aufstieg fiel ihm nicht leicht, nicht bloß des gebrochenen, schlecht verheilten Beines wegen, nein, es war anders, der Atem ging ihm heute so schwer. Alles war irgendwie schwieriger heute – so wie bei seinem Fahrradergometer, wenn man mit einer Drehung an der Schraube den Widerstand verstellt und dann heftiger strampeln muss. Da hat also einer an meiner Lebensschraube gedreht, sagte er sich und versuchte zu grinsen, was ihm nur halb gelang, so was, Unverschämtheit. Das kann ich mir doch nicht bieten lassen …

    Wieder ins Bett? Kommt nicht in Frage. Also wieder an den Schreibtisch zurück … Es kotzte ihn zwar an, alles, all dieser Kram, all diese Lappalien, aber was sein muss, muss sein. MUSS SEIN! Dienst ist Dienst und Schnaps ist Schnaps. Er steckte den Brief an die Frau, die immer noch seine Frau war, in einen Umschlag, legte ihn neben sich auf den kleinen Schreibtisch – nochmals überschlug er vorweg den Tagesablauf, all die Briefe, die er jetzt noch schreiben wollte und dass er heute, am 1.10.1992, dann auch noch zur Post musste, damit wenigstens dieser eine Brief, der nach München, morgen noch zugestellt werden kann, der 3. Oktober ist ja ein Feiertag. Neuerdings. Blödsinn. Aber es ist eben so … Auf dem Rückweg Brötchen holen. Faxpapier muss noch bestellt werden. Dann in die Apotheke, die Medikamente … Irgendwo lag der Zettel, den sie ihm gestern Abend noch geschrieben hatte, darauf all die kleinen Aufträge, die sie ihm immer wieder erteilte und die auszuführen sie selber schon längst nicht mehr in der Lage war. Noch einmal nachlesen, ob ich nichts übersehen habe …

    Mitten in das Planen hinein drängte sich, wie Unkraut – kurz, aber eher oberflächlich – noch die Erinnerung an die gestrige Fahrt. Wieder so eine Nacht-und-Nebel-Aktion, ob das wohl je ein Ende finden mochte … In einer Raststätte hatten sie gegessen, zunächst schweigend, jeder ein Steak, frostige Stimmung, mit ihren großen Kinderaugen hat sie ihn angestarrt: Ich habe wieder solche Angst, dass Du mich verlassen … – hatte den Satz nicht mehr beendet mit bereits tränenüberfluteter Stimme, um Gottes willen, hatte er sich gedacht, bloß jetzt nicht DIESE Szene, NICHT SCHON WIEDER, und zum xxxyyysten Mal hatte er etwas gemurmelt, was ohnedies keiner von ihnen beiden mehr glaubte, was aber dennoch beruhigend klang. Was kann der Mensch alles glauben, wenn er muss. SIE brauchte diese Angst, es war für sie wie ein Kitt, ein Bindemittel, aber eines, das für ihn jede Bewegung lähmte, dabei wollte er ja gar nicht weg, hatte es doch oft genug versprochen und dabei sogar ernst gemeint, das war nicht bei all seinen Versprechen so, keineswegs, aber manchmal war es ihm ernst, tödlich ernst, und jetzt war das so ein Fall. Warum bloß, zum Teufel, warum nur glaubte sie, immer wieder neue Beteuerungen von ihm erzwingen zu müssen, dessen war er so verdammt überdrüssig. Es hatte genug davon, übergenug. Quälerei all das, so sinnlos, so fehl am Platze. Überhaupt …

    Jetzt schlief sie dort oben, schlief erstaunlich fest wie immer, das konnte noch lange dauern. Um zehn Uhr wecken, das war das Übliche. Er selber, der Frühaufsteher, atmete schwer. Noch einmal hinunter in den Garten, Luft schnappen? Plötzlich war da ein Schmerz in der Brust, der fühlte sich an wie ein platzender Knoten, der schwoll an und pulsierte, sägte an den Rippen und zerbiss den Brustkorb von innen, ein gemeiner Schmerz, hinterhältig wie ein Partisanenüberfall. Es ist nicht wahr, dass man in solchen Situationen das Leben an sich vorüber ziehen sieht, alles Unsinn, das ist eine kitschige Postkartenlüge, das war schon damals nicht so gewesen, als ihn die MG-Garbe erwischt hatte, an der Ostfront (wie war das damals gewesen … aber nein, nein; bloß nicht sich an Details verzetteln, jetzt nicht!), NEIN, verdammt! das war auch jetzt nicht so, nichts „zieht vorüber, auch jetzt nicht – auch jetzt nicht, wo es ihm sofort klar wurde, dass alles auf Messers Schneide stand, aber nein, auch wieder nicht, das Messer hatte schon geschnitten, tief hineingeschnitten, mitten hinein, dass es nur so klaffte und er dachte mit plötzlicher Heiterkeit (seltsam!) an jenen lächerlichen Zettel, den er so sorgsam in seiner Brieftasche verwahrt hatte, „Was tun bei Herzinfarkt?, und er wusste genau, was es jetzt zu tun galt, nämlich NICHTS von alledem, denn für all das, was da stand, war es ja längst zu spät und es war wieder so wie im Krieg, damals, dass nämlich dann, wenn der Tod nahe ist, sich das Leben plötzlich zusammenzieht wie in einen einzigen Brennpunkt hinein und der sagt Dir dann, was Du zu tun hast wenn Du noch kannst, weil es einfach getan werden muss, und das einzige, was Du Dir noch erhoffst, ist, dass die Kraft noch reicht dazu. Alles verdichtet sich. Er hatte das immer wieder bei Kameraden gesehen, die, mit zerfetzter Haut und gesplitterten Knochen, all ihre letzten Kräfte einzig noch darin versammelten, im letzten Moment eine Haftmine an den Feindpanzer zu kleben, fertig, den Zündmechanismus betätigt, ratsch! – RATSCH!, und das war es dann, und plötzlich wurde alles hell und zerstob in Atome, der Panzer ebenso wie der sterbende Mann daneben, bravo!, und er hatte damals, als junger Pionier, oft darüber nachgedacht, was das für ein Gefühl sein müsse, in einer solchen letzten Anspannung, in einem solchen letzten Triumph die ganze Welt in Funken zerspringen zu lassen. Grandios … Natürlich, AM ENDE war die Tat! Am Ende …

    Der Schreibtisch schwankte, als er sich ungelenk erhob, Einiges polterte zu Boden, es kümmerte ihn nicht mehr, was das sein mochte, warum auch. Er tastete sich zu dem Regal in der Ecke hinüber. Dort! Er nahm den Derringer aus der kleinen Schachtel, die er hier im Arbeitszimmer verwahrt hatte, im Regal, hinter den Büchern. Eine kuriose Waffe. Doppelläufig. Großkalibrig. Zwei Schuss. Wie alle seine Waffen hatte er auch diese immer scharf geladen, immer, immer, SIE hatte das stets gewusst, aber nie darüber gesprochen, es war eine seiner wenigen Eigenheiten, die sie stets fraglos akzeptiert hatte… jaja, das waren gewiss nicht eben viele gewesen. Also, dieser Derringer, Kaliber .38 – in Garmisch-Partenkirchen hatte er ihn gekauft, muss wohl 1962 gewesen sein, im Schlafzimmer der Parterrewohnung hatte er damals eine ganze Waffensammlung verstaut, von der Winchester bis zur Kalaschnikow, und wenigstens diese handlichen Restbestände hatte er sich nie abschwatzen lassen, niemals, zum Glück,

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