Großmütter und Hebammen: Lengsfelder Geschichten VI
Von Rolf Schlegel und Rolf Leimbach
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Über dieses E-Book
Rolf Schlegel
Prof. Rolf Schlegel ist Emeritus für Zytogenetik, Genetik und Pflanzenzüchtung nach über 50 Jahren Erfahrung in Forschung und Lehre. Er ist Autor von mehr als 200 wissenschaftlichen Publikationen und anderen Abhandlungen, Koordinator interna-tionaler Forschungsprojekte und Mitglied mehrerer internationa-ler Organisationen. Er veröffentlichte bereits erfolgreich fünf Fachbücher in englischer Sprache, herausgegeben von drei amerikanischen Verlagen. Rolf Schlegel diplomierte 1970 auf dem Gebiet der Genetik und Pflanzenzüchtung und promovierte 1973. Die Habilitation (Dr. sc.) folgte 1982. Er war langjährig an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, dem Institut für Genetik und Kulturpflanzenforschung der Akademie der Wis-senschaften in Gatersleben, dem Institut für Getreide und Son-nenblumen-Forschung, Dobrich/Varna, sowie dem Institut für Biotechnologie der Bulgarischen Akademie der Landwirt-schaftswissenschaften tätig; darüber hinaus an verschiedenen wissenschaftlichen Einrichtungen der USA, Brasilien, England, Japan, Russland und anderen Ländern. Seit geraumer Zeit hat er die Ahnenforschung seines Heimatortes Stadtlengsfeld zur Freizeitbeschäftigung gemacht. Dabei entstand eine Datei von mehr als 60.000 Personen-Einträgen aus der mehr als tausendjährigen Historie des Ortes. Die Schicksale der Menschen und deren Leben bieten Stoff für eine Vielzahl von Geschichten und historischen Darstellungen. Diese einem breiten Publikum kundzutun, ist eine neue Passion des Autors.
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Großmütter und Hebammen - Rolf Schlegel
Autoren
Prof. Rolf Schlegel, ist Emeritus für Zytogenetik, Genetik und Pflanzenzüchtung, nach über 40 Jahren Erfahrung in Forschung und Lehre. Er ist Autor von mehr als 200 wissenschaftlichen Publikationen und anderen Abhandlungen, Koordinator internationaler Forschungsprojekte und Mitglied mehrerer internationaler Organisationen. Er veröffentlichte bereits erfolgreich fünf Fachbücher in englischer Sprache, herausgegeben von drei amerikanischen Verlagen. Rolf Schlegel diplomierte 1970 auf dem Gebiet der Genetik und Pflanzenzüchtung und promovierte 1973. Die Habilitation (Dr. sc.) folgte 1982. Er war langjährig an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, dem Institut für Genetik und Kulturpflanzenforschung der Akademie der Wissenschaften, in Gatersleben, dem Institut für Getreide und Sonnenblumen-Forschung, Dobrich/Varna sowie dem Institut für Biotechnologie der Bulgarischen Akademie der Landwirtschaftswissenschaften, Kostinbrod/Sofia tätig, darüber hinaus an verschiedenen wissenschaftlichen Einrichtungen der USA, Brasilien, England, Japan, Russland und anderer Länder. Seit geraumer Zeit hat er die Ahnenforschung seines Heimatortes Stadtlengsfeld zur Freizeitbeschäftigung gemacht. Dabei entstand eine Datei von mehr als 45.000 Personeneinträgen aus der mehr als tausendjährigen Geschichte des Ortes. Die Schicksale der Menschen und deren Leben bieten Stoff für eine Vielzahl von Geschichten und historischen Darstellungen. Diese einem breiten Publikum kundzutun, ist eine Passion des Autors.
Studienrat i. R. Rolf Leimbach war 47 Jahre Lehrer in Stadtlengsfeld. Als Mitglied des Wissenschaftlichen Rates für Unterstufenforschung an der Akademie der Pädagogischen Wissenschaften der DDR beteiligte er sich an der Weiterentwicklung von Lehrplänen sowie Lehrmaterialien für das Fach Heimatkunde. Seine Publikationen in der Fachzeitschrift „Die Unterstufe" befassten sich mit methodischem Experimentieren und der Erziehung zur aktiven Fragehaltung. Er veröffentlichte zahlreiche methodische Handreichungen für den Heimatkunde-Unterricht. Er ist Autor zahlreicher Lehrbücher, Schüler-Arbeitshefte und Unterrichtshilfen für den Heimatkunde- und Sachunterricht. Nach dem Ausscheiden aus dem aktiven Schuldienst intensivierte Rolf Leimbach seine heimatkundlichen Forschungen. Er veröffentlichte Beiträge zur Geschichte des Porzellanwerkes Stadtlengsfeld, zum Schulwesen, über das Kaliwerk am Menzengraben sowie über die Kirche. Weitere Arbeiten befassen sich mit den Hexenprozessen im 17. Jahrhundert, den Ereignissen des Jahres 1848 in der Stadt Lengsfeld, der Brandkatastrophe 1878 und dem Jahr 1945.
Einen besonderen Schwerpunkt bildet die Erforschung der einstigen israelitischen Gemeinde im Heimatort, die zu den größten in Thüringen zählte. Rolf Leimbach ist es ein stetiges Anliegen, die facettenreiche Geschichte seiner Heimatstadt vielen Bürgern und Gästen nahezubringen. Deshalb engagiert er sich im Kultur- und Geschichtsverein mit Vorträgen, Führungen und Ausstellungen.
Vorwort
Man muss wohl erst zum älteren Semester gehören, bevor man die Zeit und Muße besitzt, um sich intensiver mit seiner Heimat und seinen Wurzeln zu beschäftigen. Beide Autoren haben neuerdings das Privileg. Obwohl beide in Stadtlengsfeld geboren wurden, aufwuchsen und zur Schule gingen, haben sich ihre Wege durch das Berufsleben verloren. Erst im Jahr 2011 war es soweit, dass sie sich wieder begegneten. Der eine schon länger befasst mit der Geschichte der Rhön, der andere über die Suche nach seinen Ahnen.
Bereits die ersten Gespräche waren von großem Konsens und individueller Begeisterung geprägt. Es brauchte somit nicht allzu lange, um neue Ideen und gemeinsame Pläne zu gebären. Basierend auf dem bereits angehäuften Fundus an geschichtlichen Daten, Personenbeschreibungen, Fotos sowie schriftlichen Belegen bestand die Frage, wie man die Vielzahl von Informationen einem breiteren Publikum, insbesondere aus Stadtlengsfeld nahe bringt.
Eine Möglichkeit sahen die Autoren in monatlichen Kurzgeschichten, die im Lokalanzeiger „Baier-Bote" veröffentlicht werden. Sehr schnell war aber zu erkennen, dass die schriftstellerische Produktivität der beiden Autoren größer war als man in monatsweisen Publikationen unterbringen kann. Daher rührte der Gedanke, einzelne historische Beiträge in Buchform zu publizieren
Bereits fragmentarische Unterlagen wurden gesichtet, systematisiert und in ein geeignetes Format gestellt. Hinzu kamen eine Vielzahl von persönlichen Kontakten, Recherchen im INTERNET sowie Standesämtern, Kirchenbüchern und alten Gazetten. Das Ergebnis lässt sich sehen. Obwohl es niemals ein Ende gibt, sind bereits mehr als 35.000 Menschen über mehr als tausend Jahre jüngerer Geschichte des Heimatortes in eine elektronische Datenbank eingeflossen. Die dazugehörigen Einzelschicksale bieten Stoff für Generationen.
Die Autoren betrachten ihr Werk als Vermächtnis an die gegenwärtige Generation, Kinder und Enkel. Mögen sie sich ihren Wurzeln bewusst werden, ihren Vorfahren gedenken und die Sammlung eines Tages weiterführen.
Es ist in höchstem Maße interessant zu sehen, woher wir kommen, wie die Geschichte das Wohl und Wehe von Personen beeinflusste sowie Menschen schon immer versuchten, ihre Leben aufzuschreiben und zu dokumentieren.
Nicht die Suche nach LUCA (Last Universal Common Ancestor) trieb uns, sondern die Neugier nach den Wurzeln der Vielzahl von Lengsfelder Bürgern, ihren Familien sowie deren Rolle in der Geschichte. Dabei wird sichtbar wie sich lokale menschliche Populationen vermischen, wie geographische sowie gesellschaftlichen Grenzen überschritten werden, wie Kriege Familien auslöschen, wie Stammbäume enden und andere wachsen oder wie sich Berufe und Namen historisch wandeln.
Deutlich wird zugleich, dass die Mobilität in der Neuzeit immer größer wird und die Familien immer kleiner.
Der sechste Band der Serie von „Lengsfelder Geschichten" ist wiederum eine Auswahl von Artikeln, die neu erstellt wurden. Es war nicht beabsichtigt, eine exakte geschichtliche Abfolge der Beiträge zu gestalten. Es ging vielmehr darum, die Zusammenstellung so zu arrangieren, dass eine möglichst große Aufmerksamkeit erzielt wird. Viele Details sind nicht in die Artikel eingeflossen, weil diese das Leseerlebnis gestört hätten. Diese können aber jederzeit bei den Autoren nachgefragt werden. Abbildungen, Schemata und Fotos dienen einem ähnlichen Zweck. Fußnoten und Quellenangaben wurden auf ein Minimum reduziert. Die Referenzen finden sich in einer an das Ende des Buches verlegten Bibliographie.
Die Autoren
Danksagung
Die Autoren möchten Petra Nüchter und Manfred Wolfram aus Stadtlengsfeld, G. Heidt (†), Dietlas, Helmut und Heidrun Schwarz (Baiershof) für die interessanten Anregungen und Hinweise danken.
Frau Dr. Gisela Schlegel sind wir sehr für die kritische Durchsicht des Manuskripts verbunden.
Inhalt
Autoren
Vorwort
Danksagung
Christianisierung der Rhön
Vom Stummfilm zum Farbfilm – Kino in Stadtlengsfeld
Feuer, Feuer, es brennt
Shanghai Tower nicht ohne Lengsfelder Dankmar Adler
Der gute Ort – Jüdischer Friedhof zu Stadtlengsfeld
Der Deutsche Krieg und Stadt Lengsfeld nahebei
Baiershof – Vorwerk von Lengsfeld
Lengsfelder Hexenprozess aus dem Jahr 1668
Pater Maurus Heidelberger – Amtmann zu Lengsfeld und Wanderer zwischen den Welten
Knüppelkrieg zu Lengsfeld
Hebammen
Bibliographie
Anhang
Christianisierung der Rhön
Rolf Schlegel
Die heidnische Zeit
Im altgermanischen Heidentum verehrte man heilige Orte, Götzen und Gottheiten. Haine oder auch einzeln stehende, recht breitkronige Bäume wurden mit Vorliebe ausgewählt. Der Eiche mit ihren immergrünen Misteln gab man im Tullifeld und Frankonien den Vorzug. Manchmal war es auch ein „gewiehter Born, eine geweihte Quelle. Ein „Quieteborn
gibt es noch immer bei Kaltennordheim. In der Nähe von Stadtlengsfeld, nahe Lenders gibt es den Bilstein, ein erodierter Vulkanschlot. Daneben fließt der „Bilstenborn", der ähnlichen Ritualen diente.
Die Franken
Man geht heute davon aus, dass die Rhön zwischen dem 5. und 8. Jahrhundert von den Franken kolonisiert wurde. Im Jahr 531 besiegte der Frankenkönig Theoderich im Bündnis mit den Sachsen bei Runibergun (Ronneberge bei Burgscheidungen an der Unstrut) die Thüringer. Schon Chlodwig I. hatte die Thüringer im Jahr 491 mit einem gewaltigen und grausamen Heer heimgesucht. [2]
Ziemlich sicher ist, dass mit dem 6. Jahrhundert die Franken das Fuldaer Land und die Rhön besiedeln. Sie kamen zunächst als politische Eroberer. Später waren sie Träger des Christentums und Gründer von Siedlungen. Ortsnamen auf (hus oder huson) deuten auf Gründung in fränkischer Zeit hin. Neben Frankenheim sind die Ortsnamen Völkershausen, Gehaus, Urnshausen, Bernshausen, Hümpfershausen, Friedelshausen, Öpfershausen, Aschenhausen, Erbenhausen beredte Zeugnisse der fränkischen Siedlungsgeschichte.
Es kommt zur weiteren Eingliederung Thüringens in das Fränkisch-Karolingische Reich. Die Karolinger gehen aus den Pippiniden, Langobarden und Bayern hervor. Nach dem Tod von Theoderich IV. im Jahr 737 übernahmen mit Karl Martell Hausmeier und eine längere Folge seiner Nachfahren die Macht der Franken (vgl. Anhang). Die Karolinger starben im 10. Jahrhundert vollständig aus.
Abbildung 1: Ausschnitt aus einer Landkarte „Deutschland unterer den sächsischen und fränkischen Kaisern bis zu den Hohenstaufen". Quelle: K. Spruner von Merz, 1884, aus D. Ramsey Map Collection 2016, modifiziert
Im Jahr 782 führte Karl der Große die fränkische Grafschaftsverfassung ein und ernannte auf dem Reichstag in Lippspringe sächsische Adelige zu Grafen. Die Grenzen einer Grafschaft orientierten sich oft, aber nicht immer an den alten Gaugrenzen. Als Vertreter des Herrschers übte der Graf alle hoheitliche Gewalt aus, denn man unterschied noch nicht zwischen rechtsprechender und verwaltender Instanz. Er hatte somit die Verantwortung für die Rechtspflege, war militärischer Befehlshaber und wachte über die Leistungen öffentlicher Dienste und Abgaben.
Gaue
Die Gauverfassung ist altgermanisch. Karl der Große (747-814) wandelte die Gaue nach und nach in Grafschaften um, d. h. Verwaltungsbezirke, an deren Spitze je ein Gaugraf stand (vgl. Abb. 1). Aus dieser Zeit stammt auch eine Schenkungsurkunde an die Abtei Hersfeld. Der erste von ihnen in der Region war Poppo von Henneberg, verantwortlich für das Grabfeld und somit auch für das Tullifeld. Zur Schlichtung von üblichen Grenzstreitigkeiten hielt er am 20. Februar 825 erstmals in Geismar ein öffentliches Gaugericht für das Tullifeld ab.
Die Henneberger beseelten auf lange Zeit das Feldatal. Sie treten zuerst als Gaugrafen auf und zählen zu den ältesten Geschlechtern Deutschlands. Das Tullifeld geriet im 9. und 10. Jahrhundert in ihren erblichen Besitz. Erpho I. von Neidhardshausen aus ebendiesem Geschlecht erbte um 1130 das Oberamt Fischberg. Nicht für lange. Die Nachkommen Erphos verloren schon 1214 das Oberamt und später den Besitz an Abt Heinrich III. von Fulda und die Frankensteiner.
Letztere behielten ihren Besitz im Feldatal auch nur etwa 100 Jahre. Nach kriegerischen Auseinandersetzungen im Jahr 1295 verloren sie ihn an Fulda. Reste des Besitzes erwarb König Adolf 1317 für 450 Heller. Zum Schluss im Jahr 1326 kam Dermbach an die Fuldaer. Der Abt verlegt damit den Sitz des Amtes von Dermbach in die Burg Fischberg, oberhalb von Diedorf. Dort standen seinerzeit noch andere Zwingburgen, wie die Sachsenburg am Gerstengrund, die Röter- und Hessenburg.
Alle sog. Waldgaue wurden dem Grabfeld angegliedert. In späteren Urkunden erscheinen sie immer wieder als sogenannte Untergaue: Buchonia (Buchenland), Tullifeld (Föhrengau), Baringau (Eibengau), Aschfeld (Eschengau). Die älteste Bezeichnung unserer Heimat stammt somit aus dem Jahr 744, dem Gründungsjahr des Klosters Fulda unter dem Heiligen Sturmius: Tullifeld. Der Name hat sich bis in die Gegenwart erhalten in „Tollfeld oder „Tollifeld
– volkstümlicher Name für den Feldagrund, einschließlich des Ulstertals, insbesondere das Gebiet um Zella und Dermbach. [1]
Christianisierung
Die Christianisierung des nachmaligen Deutschlands verlief in mehreren Schüben. In den römischen Provinzen Germaniens lebten schon im 2. Jahrhundert Christen. Das frühe Christentum dürfte die Völkerwanderungszeit jedoch nur vereinzelt überlebt haben. Ab dem 7. Jahrhundert kamen iro-schottische Missionare auf das europäische Festland¹. Sie wurden im 8. Jahrhundert von angelsächsischen Mönchen abgelöst. Die fränkische Reichskirche war Träger der Christianisierung der Sachsen und der westlichen Slawen im 9. Jahrhundert.
Der erste Versuch im Bereich der Rhön ein der römischen Kirche verbundenes Benediktinerkloster zu errichten, fällt in das Jahr 716. In diesem Jahr schenkte der fränkisch-thüringische „dux" Hetan II. dem angelsächsischen Missionar Willibrord Land bei Hammelburg zur Klostergründung. [7] Aus unbekannten Gründen unterblieb die Gründung aber. Erfolgreich war jedoch die Gründung von Kloster Fulda im Jahr 744 durch Bonifatius (vgl. Anhang 1).
Um die Mitte des 8. Jahrhunderts beginnt die Christianisierung unseres Rhöngebietes, maßgeblich befördert durch die Klostergründungen von Fulda und Hersfeld. In der Schenkungsurkunde Karls des Großen vom 31. August 786 an das Kloster Hersfeld wird zwar Lengsfeld nicht explizit genannt, wohl aber
Abbildung 2: Angeblich ältestes Massivhaus von Stadtlengsfeld (Mitte), die sog. Kemnate, oberhalb des Marktes; Fundamente mit hellem behauenem Sandstein aus dem Mittelalter; später mehrfach umgebaut und renoviert. Quelle: Archiv R. Schlegel, 2015
Orte der Stadtlengsfelder Umgebung, u. a. Steinfeld (später Wölferbütt), Öchsen- und Dietrichsberg, Badelachen, Schlägelbach und die Felda (vgl. Lengsfelder Geschichten II). [3,4] In einem Vertrag von Retzbach (827) wird auch die Meierei „Vahche" (Vacha) erwähnt, die der Fuldaer Abt Ratgar erwarb.
Mit der Gründung des Bistums Würzburg (um 742) begann die