Ikarus oder geflügelter Affe: Konnte der Mensch fliegen?
Von Rolf Schlegel
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Rolf Schlegel
Prof. Rolf Schlegel ist Emeritus für Zytogenetik, Genetik und Pflanzenzüchtung nach über 50 Jahren Erfahrung in Forschung und Lehre. Er ist Autor von mehr als 200 wissenschaftlichen Publikationen und anderen Abhandlungen, Koordinator interna-tionaler Forschungsprojekte und Mitglied mehrerer internationa-ler Organisationen. Er veröffentlichte bereits erfolgreich fünf Fachbücher in englischer Sprache, herausgegeben von drei amerikanischen Verlagen. Rolf Schlegel diplomierte 1970 auf dem Gebiet der Genetik und Pflanzenzüchtung und promovierte 1973. Die Habilitation (Dr. sc.) folgte 1982. Er war langjährig an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, dem Institut für Genetik und Kulturpflanzenforschung der Akademie der Wis-senschaften in Gatersleben, dem Institut für Getreide und Son-nenblumen-Forschung, Dobrich/Varna, sowie dem Institut für Biotechnologie der Bulgarischen Akademie der Landwirt-schaftswissenschaften tätig; darüber hinaus an verschiedenen wissenschaftlichen Einrichtungen der USA, Brasilien, England, Japan, Russland und anderen Ländern. Seit geraumer Zeit hat er die Ahnenforschung seines Heimatortes Stadtlengsfeld zur Freizeitbeschäftigung gemacht. Dabei entstand eine Datei von mehr als 60.000 Personen-Einträgen aus der mehr als tausendjährigen Historie des Ortes. Die Schicksale der Menschen und deren Leben bieten Stoff für eine Vielzahl von Geschichten und historischen Darstellungen. Diese einem breiten Publikum kundzutun, ist eine neue Passion des Autors.
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Buchvorschau
Ikarus oder geflügelter Affe - Rolf Schlegel
7. Bibliographie
2. Geflügelte Fabelwesen
Schon die ältesten menschlichen Kulturen kannten sie. Bei Skulpturen, Zeichnungen und Felsritzungen kamen nicht nur Darstellungen von Tieren und Menschen, sondern auch von anthropozoomorphen Mischwesen, d. h. aus Kombinationen von Mensch und Tier vor. Diese Darstellungsform hält bis in die ägyptische Hochkultur an, in der die Götter als Humanoide mit Tierköpfen dargestellt wurden.
Im archäologischen Sprachgebrauch werden abweichend vom allgemeinen Sprachgebrauch als „Monster" Mischwesen bezeichnet mit Tierkörpern und Tierköpfen (z.B. Greif oder Drachen), meist aber Tierkörper mit menschlichem Köpfen wie die der Sphinx (Menschen und Löwenkörper), Zentauren (Menschen und Pferdeleib) oder Meerjungfrauen (Frauen und Fischunterleib). Im ägyptischen Altertum war die Sphinx das Abbild des Sonnengotts. Die Völker der Hethiter, der Assyrer und der Phönizier übernahmen den Sonnengott als geflügelten Löwen oder Stier. Später trat dieser auch als weibliche Skulptur auf. Bei den Griechen begegnet man dem Sonnengott vor allem in der kretisch-mykenischen Zeit mit aufgerichteten Flügeln und mit kretischem Haarschmuck.
Bei den Akkadern von Mesopotamien des 3. Jahrtausends v. Z. ist „Pazuzu" ein böser Dämon, der gehörnt, vierfach geflügelt, mit fratzenhaftem Gesicht, Löwentatzen sowie Adlerfüßen und mit dem Stachel eines Skorpions dargestellt wird. Er gilt als Sohn des obersten der akkadischen Dämonen, Hanpa. Pazazu bringt Stürme (aus Südost) und Kälte, Krankheiten und plagt die Frauen während der Schwangerschaft.
Steinzeitlichen Zeichnungen stellen ganz vereinzelt Dämonen, also tierköpfige Mischwesen dar. Auf einem Lochstab aus dem Abri Mège in der französischen Dordogne finden sich zwischen Pferden, Vögeln und Schlangen auch drei Wesen mit menschlichen Beinen und ziegenartigen Köpfen. Lochstäbe bestehen meist aus Geweihstücken von Ren oder Hirsch, seltener aus Elfenbein. Sie wurden bei einer Gabelung abgeschnitten und im dicken Bereich durchbohrt. Sie dienten eventuell als eine Art Kommandostab oder als Werkzeug. In der Höhle von Altamira (Spanien) fand man ein nach Menschenart aufgerichtetes Wesen mit Vogelkopf, menschlichen Armen und menschlichem Phallus, aber den Füßen eines Bären. Die Altamira-Höhle wurde im Zeitraum von 16.000 v. Z. bis zum Einsturz des Eingangs 11.000 v. Z. genutzt.
Im Glauben zahlreicher Völker geht man davon aus, daß vor langer Zeit, langer Zeit, als die Welt noch unberührt war und es fast keinen Unterschied zwischen Wasser und Himmel gab, viele verschiedene Kreaturen und Vögel zwischen den Welten lebten. Schaut man genauer hin, konnte man geflügelte weibliche Fabelwesen mit langen, verwobenen Haaren umher schweben sehen. Diese sagenumwobene Fabelwesen kennt man heute als geflügelte Sirenen. Laut HOMER (ca. 1.000 v. Z.), der die älteste literarische Überlieferung der Sirenensage lieferte, lockten die auf einer Insel wohnenden, liebliche Sirenen, Seefahrer nicht nur durch ihre bezaubernde Stimme an, sondern vor allem durch ihre Fähigkeit, alles auf Erden Geschehende zu wissen und offenbaren zu können. In der griechischen Mythologie gab es auch das geflügelte Pferd „Pegasus". Es konnte aus der Luft die Chimäre mit seinen Pfeilen erlegen. König IOBATES freute sich darüber so sehr, daß er dem BELLEROPHON seine Tochter zur Frau gab.
Einst soll der Riese TYPHON der Erdentiefe entstiegen sein, der den Göttern Angst einjagte. Sie nahmen allerlei Truggestalten an und flohen an die Gestade des Nils. Damals verwandelte sich ZEUS in den gehörnten Anführer einer Schafherde, ARTEMIS in eine Katze, der schnelle HERMES in einen geflügelten Ibis, HERA in eine schneeweiße Kuh, APHRODITE in einen Fisch.
Abb. 1: Die Zeichnung der geflügelten, göttlichen oder gottgleichen ISIS (um 1.360 v. Z., nach MICHEL 2004; Darstellungen von geflügelten Engeln kommen nicht aus dem Christentum; sie sind bedeutend älter und können in allen möglichen Religionen gefunden werden; erste Darstellungen wurden um 2.250 v. Z. in Mesopotamien auf einem Rollsiegel gefunden; ihren Weg nach Ägypten fanden die Engel, dann um 1.500 v. Z.
Nahe der angeblich ältesten Stadt der Welt, Damaskus (arab.: Dimaschq al-Quds, Syrien) zeigen Funde aus Ugarit und Ebla Steinplastiken von geflügelten Fabelwesen aus der hethitischen Epoche. Die Hethiter waren ein kleinasiatisches Volk, das im 2. Jahrtausend v. Z. auch in Syrien und Palästina politischen und militärischen Einfluß hatte. Ihre Hauptstadt war die meiste Zeit Hattuša, das heutige Boğazkale (Türkei).
Jerusalem ist ein anderer Ort von ähnlicher Bedeutung. Es ist der Ort auf der Welt, der für sich den Anspruch erheben kann, die Welt geprägt bzw. verändert zu haben. Hier standen einst die zwei Tempel des Judentums, hier fanden das Martyrium CHRISTI und seine sog. Auferstehung statt und hier war es, wo MOHAMMED seine wundersame Nachtreise auf dem Buraq, dem geflügelten Fabelwesen, in den Himmel antrat. Hier liegen auch die Schauplätze des Alten und des Neuen Testaments. Diese Stadt stellt das Hauptheiligtum der Christen, Juden und Moslems (nach Mekka und Medina) dar.
Der Engel (griech. ángelos = Bote) ist ein Geistwesen, das im monotheistischen Juden- und Christentum sowie im Islam durch Gott geschaffen wurde und diesem untergeordnet ist (vgl. Abb. 1). In den Mythen Babyloniens und aus den heiligen Schriften des Zoroastrismus sind ähnliche Mittler zwischen Gottheit und Welt zu finden. Bildliche Darstellungen zeigen diese „Engel" geflügelt. Geflügelte Mischwesen im Persischen Reich und in Ägypten zeigen Wesen, die zur heiligen göttlichen Sphäre gehörten. Manchmal werden auch die in polytheistischen Religionen zu findenden gottgleichen, aber nicht göttlichen Wesen, die das Überirdische vermitteln können, mit Engel übersetzt oder verglichen, so z. B. Deva, die indischen Götter und Halbgötter.
Oft werden Engel als geschlechtslose Wesen verstanden, obwohl zumindest einige von ihnen als Jünglinge oder junge Männer beschrieben werden, z. B. jene vom leeren Grab JESU oder auch die in Sodom erscheinenden Engel des Alten Testaments. Die Bibel (Sacharja 5,9) kann durchaus dahingehend interpretiert werden, daß es weibliche Engel gibt. Auch läßt sie den Schluß zu (1. Kor 11,10), daß männliche Engel anfällig für weibliche Reize der irdischen Frauen im Gottesdienst sind. Diese somit zu emotionalen Reaktionen fähigen Engel stehen jedoch im Konflikt mit der Vorstellung vom Engel als „reines Wesen". Der Bibel kann man immer wieder die menschlichen Schwächen ihrer einstigen Schreiber entlocken!
„Lóng", der Drache, ist das wohl bekannteste Fabelwesen Chinas, wenn nicht des gesamten ostasiatischen Kulturkreises. Das in der Mythologie Chinas sehr oft vorkommende Wesen ist – im Gegensatz zu den europäischen Drachen – eher mit einer Gottheit als mit einem (böswilligen) Dämon zu vergleichen. Der Drache, oder besser gesagt, die verschiedenen lokalen Drachengottheiten (in Flüssen, Seen, Buchten oder Brunnen) werden auch noch heute, besonders in ländlichen Gegenden, angebetet, um beispielsweise Regen zu erbitten. Allerdings waren nicht alle Drachen gutartig. Gefürchtet war u. a. der schwarze Drache der Flut, der für Überschwemmungen und Stürme verantwortlich war.
Das erste Vorkommen des Drachenmotivs zusammen mit „Fenghuang" (einem Phönix-ähnlichen Vogel) rührt aus der Zeit der streitenden Reiche (480–221 v. Z.). Drache und Fenghuang waren vermutlich Symbole für das Kaiserpaar, für Himmel und Erde gewesen. Dort begegneten jene Symbole den China erobernden Mongolen. Sie übernahmen sie bei ihren weiteren Eroberungszügen in den Fernen und Nahen Osten. Für die Kunst Vorderasiens ist das Drachenmotiv erst eine Erscheinung des 13. Jahrhunderts. Eines der ersten Beispiele für die Übernahme des Motivs findet sich auf einem tauschierten Metallbecken in Nordsyrien. Ab diesem Zeitpunkt zeigt sich das Motiv Drache und Fenghuang in stilisierter Form auf Teppichen und anderen Gegenständen.
Der „Drache ist ebenso ein schon früh in den germanischdeutschen Sprachraum eingeführtes Wort (althochdt. = traccho, angelsächs. = draca, altnord. = dreki), das den geflügelten Drachen meint. Diese Ungeheuer sind meist als geflügelte Schlangen dargestellt. Beispiele sind das nachts ausfliegende Ungeheuer, dem BEOWULF gegenüber stand (aus dem altenglischen „Codex Cotton Vitellius
, der um 1000 n. Z. geschrieben wurde) oder der Drache,