Tanz der Feuerblüten
Von Janna Ruth
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Buchvorschau
Tanz der Feuerblüten - Janna Ruth
Epilog
Die Melodie des Windes
Schneeweiße Pflaumenblüten regneten auf die sorgsam geharkten Kieselgärten nieder und Prunkbarken glitten anmutig mit ihren prächtigen Gesellschaften durch die weiten Blütenteppiche auf den Karpfenteichen. Der melancholische Klang der Zithern begleitete das sachte Rascheln von Seide und das rhythmische Klopfen von hölzernen Sandalen auf den Stegen. Alle Klänge fügten sich nahtlos zu einer betörenden Melodie zusammen, welche den Palast des Abendrots erfüllte.
Jinnan folgte seinem Cousin Ivoshin und dessen Freunden durch die steinernen Gärten und versuchte ihren Erläuterungen zu folgen.
»Die Betrachtung der Steine dient der Meditation. Dazu kommen wir üblicherweise bei Sonnenaufgang zusammen«, merkte Ivoshin gerade an.
Jinnan befand sich erst seit Kurzem in der Kaiserstadt und noch erschienen ihm viele der Gepflogenheiten merkwürdig fremd. Zweifelnd sah er sich um und fragte: »Wie kommt es, dass das hier Garten genannt wird? Sollten Gärten nicht bepflanzt sein?«
Gutmütiges Gelächter antwortete Jinnan und er spürte Hitze in seine Wangen steigen. Wieder einmal hatte seine provinzielle Herkunft unfreiwillig für Belustigung bei den anderen gesorgt. Als wenn es nicht schlimm genug gewesen wäre, dass seine Seidenrobe von altmodischem Schnitt war und er die falschen Farben für diese Jahreszeit kombiniert hatte.
»Jinnan, es ist ein Steingarten. Das Sinnbild der Überlegenheit des Menschen über die Natur«, wies Ivoshin ihn zurecht und Jinnan vermied es tunlichst, erneut seine Zweifel kundzutun. Sein Vater hatte immer gesagt, dass man die Natur nie unterschätzen dürfe, denn sie besäße eine Wildheit, die den Menschen fremd war.
Der Gedanke an seinen Vater versetzte ihm einen Stich. Es war noch nicht lange her, dass Jinnan ihn hatte begraben müssen, und seine Lehren bestimmten noch immer sein Denken. Aber das hier war nicht die Welt seines Vaters. Der Palast des Abendrots war ein Ort menschlicher Vollkommenheit, der Gipfel ihrer Schöpfungskunst. Kein Unkraut wuchs hier zwischen den Zierpflanzen und kein Algenteppich verunreinigte die Karpfenteiche. Alles hatte seine Ordnung und zeugte von einer Eleganz, mit der sich die Natur nicht vergleichen konnte. Trotz des Schauspiels menschlichen Genies sehnte sich Jinnan nach etwas mit mehr Substanz, als wäre die Perfektion nicht genug.
Ein Misslaut in der Melodie des Palastes erregte Jinnans Aufmerksamkeit und die seiner Freunde. Er ließ den Blick über die Kieselgärten gleiten, bis er eine Dohle erspähte. Sie lag zwischen den Steinen auf dem Rücken und kam nicht auf die Beine. Dabei krächzte sie immer wieder jämmerlich und seine Freunde schüttelten verstimmt den Kopf, als würde die Dohle sie mit ihrer Notlage beleidigen. Ohne dass er sich daran erinnern konnte, einen Plan gefasst zu haben, ging Jinnan geradewegs auf die Dohle zu. Hinter sich hörte er noch tragisches Aufseufzen, doch niemand begleitete ihn.
Die Dohle war ein ganz und gar erbärmliches Geschöpf. Sie besaß kein auffälliges Federkleid, ihr Gefieder war zerzaust und unscheinbar und ihr Gesang war nicht im Geringsten wohlklingend. Mit den schillernden Ziervögeln im Palast hatte diese Dohle nichts gemein und ihr Leid erregte lediglich höfisches Ärgernis. Sie gehörte nicht hierher – genau wie er.
Jinnan kniete sich hin und barg die erbärmliche Kreatur vorsichtig im Ärmel seiner Seidenrobe. Behutsam trug er die Dohle zur Palastmauer und begutachtete dort das kleine Wesen. Kalt war sie, viel kälter als ein lebendes Geschöpf es sein sollte. Unnatürlicher Frost bedeckte ihren Schnabel und die Flügel. Als er sie das erste Mal gesehen hatte, hatte Jinnan gedacht, die Dohle hätte sich vielleicht die Flügel gebrochen. Nun aber entdeckte er, dass sie vielmehr halb erfroren war, obwohl der Frühling so angenehm warm war.
Befangen sah Jinnan sich um, ob ihn jemand beobachtete. Außer seinen Freunden befand sich lediglich eine Gruppe Mädchen in der Nähe, die ihre Aufmerksamkeit jedoch einem Kunstwettstreit unter den Pflaumenbäumen gewidmet hatte. Jinnan schob einen Finger über den Schnabel der Dohle und sandte einen Funken Feuer in die Kreatur. Mit einem Mal lebte der Vogel auf und schlug so wild mit den Flügeln, dass Jinnan erschrak und unbeholfen einen Schritt zurückstolperte. Zweimal kreiste der Vogel um Jinnans Kopf, bevor er sich mit einem Krächzen in die Lüfte erhob und die geordneten Gründe des Palasts hinter sich ließ. Trotz seiner Unscheinbarkeit wohnte dem wilden Flug des Vogels eine untrügliche Eleganz inne.
Der schwere Schritt Ivoshins riss Jinnan aus seiner Betrachtung des Vogelflugs.
»Komm jetzt! Du machst mich noch lächerlich. Schau dir nur den Kies an!« Tatsächlich waren die sorgsam gezogenen Linien im Kies kaum noch zu erkennen, nachdem Jinnans unbedachte Schritte das imitierte Wellenmuster durchbrochen hatten. Beschämt senkte er den Blick und hoffte, dass sein Cousin nicht auch noch bemerkt hatte, dass er etwas Feuerkunde angewandt hatte.
Dem schien nicht so zu sein, denn Ivoshin führte Jinnan nur zu den anderen zurück, welche längst in eine ausschweifende Diskussion über Räucherdüfte vertieft waren. Sie schenkten Jinnan lediglich einen kurzen missbilligenden Blick, bevor Rin fortfuhr: »Man sollte sich niemals an den Düften der Natur orientieren. Denn was wäre besonders daran, wenn man wie der nächste Blütenstrauch röche? Nein, ein Duft der gegenläufigen Jahreszeit ist die richtige Wahl, wenn du eine Dame beeindrucken willst.«
Der Sohn des Ministers für Holzkunde, Kaiji, schüttelte den Kopf und behauptete dagegen entschieden: »Keineswegs sollte man sich eines Duftes bedienen, der ausschließlich eine Nachahmung ist. Wahre Vortrefflichkeit kann nur aus einer erlesenen Komposition von verschiedenen Gerüchen entstehen, wie sie die unvermögende Natur nicht kennt.«
Von solchen Feinheiten verstand Jinnan nur wenig und so schwieg er lieber, um Ivoshin nicht noch ein weiteres Mal zu blamieren.
Mittlerweile standen die Kirschen in voller Blüte und tauchten den Palast in ein zartes Rosa. Wöchentlich genoss Jinnan die große Ehre, mit Mahekouzhen, dem Prinzen des Metalls, zu trainieren. Die kurzen Stunden mit Mahekouzhen waren die einzigen, in denen Jinnan nicht peinlich Acht geben musste, sich angemessen zu verhalten. Sein Vater hatte einst unter dem Prinzen an der Front gedient und Jinnan die Handhabung der Metallkunde gelehrt, welche im Gegensatz zu seiner Feuerkunde von der Gesellschaft verehrt wurde. Nach dem Tod seines Vaters hatte Jinnan es nicht länger in dem großen leeren Haus ausgehalten und war gemäß dem Wunsch seiner frühzeitig verstorbenen Mutter an den Hof gegangen, wie es sich für einen jungen Mann von Stand geziemte. Die Gepflogenheiten des Palasts waren für ihn überwältigend gewesen, aber der Prinz hatte ihn sogleich in Gedenken an Jinnans Vater in seine Obhut genommen.
Der Metallprinz war der Älteste der vier Söhne des Kaisers. Ein Dämon hatte sein Gesicht vollkommen entstellt, sodass der Kaiser ihm seinen jüngeren Halbbruder, den Luftprinzen, als Thronfolger vorgezogen hatte. Mahekouzhen hatte man stattdessen zum Kommandanten der kaiserlichen Garde ernannt. Im Namen des Kaisers reiste er durch das Reich, trieb die Reissteuern ein, lauschte den unsäglichen Sorgen der Bauern und half den Bauernmilizen die Dämonen in ihre Wälder und Berge zurückzutreiben.
Nur wenige Adlige ließen sich herab, ihre Kunde von den Elementen für solch niedere Zwecke zu missbrauchen. Daher war die kaiserliche Garde klein und überschaubar. Selbst Jinnans Freunde belächelten seine Stunden mit dem Metallprinzen, an deren Ende er oft verschwitzt und außer Atem war. Jinnan jedoch sagte der Tanz der scharfen Klingen viel mehr zu als die zahlreichen Kunstwettstreite, an denen seine Freunde Tag für Tag teilnahmen.
»Hervorragende Haltung«, lobte ihn der Prinz nach einer gelungenen Form und Jinnan vernahm das Kichern einiger Mädchen, welche sich in einem Pavillon versammelt hatten. Dem Anschein nach stimmten sie gerade ihre Instrumente. Dabei sahen sie jedoch den jungen Männern auf dem Trainingsplatz zu und tuschelten hinter bunt bemalten Fächern. Ihrer Blicke gewahr widmete sich Jinnan wieder dem gefährlichen Tanz des Prinzen.
Eine Weile umkreisten sie sich, täuschten Schläge vor, aber zogen die Schwerter jedes Mal einen Atemzug, bevor sich die beiden Klingen berührten, zurück. Durch die Kunde über das Metall wurden Schwert und Arm eins und Jinnan passte sich mit Leichtigkeit an die komplexen Finten des Prinzen an.
Mit einem Mal erfüllte ein liebliches Glockenspiel den Garten. Suchend drehte Jinnan den Kopf umher, bis er endlich das Mädchen entdeckte, welches so wunderbar mit dem Wind spielte, dass die an einem hölzernen Rahmen befestigten