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Der Seelenbanner von Ishkra
Der Seelenbanner von Ishkra
Der Seelenbanner von Ishkra
eBook536 Seiten7 Stunden

Der Seelenbanner von Ishkra

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Über dieses E-Book

Ein Kontinent in einer Welt, die mittelalterlich bis früh-neuzeitlich anmutet. Es gibt mehrere Königreiche und das Kaufmannsreich Ishkra. In den Randgebieten leben unabhängige Stämme, Naturvölker und diverse magische Wesen.
Der Magier Roduan ist auf der Suche nach der Unsterblichkeit. Sein Gehilfe Ivan kann die Aura von Menschen sehen, die eine sogenannte Urseele tragen. Gemeinsam finden sie heraus, dass diese Seelen der Schlüssel zur Unsterblichkeit sind. Sie begeben sich auf eine gefährliche Reise durch den Kontinent, um Menschen zu finden, die Träger solcher Urseelen sind.
Doch es sind unruhige Zeiten, denn es herrscht Krieg zwischen den Reichen und ein Machtkampf zwischen den Fraktionen der Magier erschüttert die Welt . . .
Werden Roduan und Ivan genügend Seelenträger finden, um das magische Ritual der Extraktion vollziehen zu können? Und kann Roduan die Unsterblichkeit erlangen?
SpracheDeutsch
HerausgeberChiara-Verlag
Erscheinungsdatum20. März 2022
ISBN9783961272761
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    Buchvorschau

    Der Seelenbanner von Ishkra - Tankred Kiesmann

    Titel

    Der Seelenbanner von Ishkra

    Tankred Kiesmann

    Impressum

    Copyright:

    Jahr: 2022

    Lektorat: Annemarie Werner

    Covergestaltung: Sabrina Gleichmann

    Landkarte: Lisa Reim-Benke

    Verlagsportal: www.vss-verlag.de

    Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie.

    Das Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verfassers unzulässig.

    Vorwort und Danksagung

    Die Unsterblichkeit hat mich schon immer fasziniert. Highlander, Vampire oder mythologische Götter, es gibt so viele Gestalten in Kunst und Literatur, die je nach Sichtweise mit dieser Eigenschaft gesegnet oder geschlagen sind. Es sind praktische und philosophische Fragen mit ihr verbunden. Kann man die Ewigkeit überstehen, ohne irgendwann an der Langeweile zu verzweifeln? Bietet das Leben immer wieder genügend neue Reize? Ist die Unsterblichkeit eines Vampirs echte Unsterblichkeit? Schließlich kann man ihn pfählen und vernichten. Macht das Bewusstsein über die Möglichkeit der endgültigen Zerstörung ihn nicht doch zu einem langlebigen Sterblichen? „Verney, der letzte Mensch von Mary Shelley und „Alle Menschen sind sterblich von Simone de Beauvoir greifen den Aspekt der „unkaputtbaren" Unsterblichkeit auf, ein Ideal, das auch der Protagonist dieses Buches, der Magier Roduan, anstrebt. Ob er sein Ziel erreicht, das wird sich am Ende dieses Buches zeigen. Bis die Geschichte die in diesem Buch vorliegende Form angenommen hat, musste ich einige Hürden überwinden und konnte mich dabei auf ein tolles Netzwerk verlassen. Mein Freund Kolja und meine Frau haben als Testleser fungiert, wertvolle Hinweise sowie Vorschläge geliefert und mir immer den Rücken gestärkt. Meinem Verleger Hermann Schladt bin ich zu Dank verpflichtet, weil er in meinem Werk ein Potenzial gesehen und es zur Veröffentlichung angenommen hat. Annemarie Werner hat als Lektorin für den letzten Feinschliff gesorgt. Und nicht zuletzt haben Sabrina Gleichmann als Cover Designerin und Lisa Reim-Benke als Kartengestalterin dafür gesorgt, dass es auch visuelle Eindrücke der neu geschaffenen Welt von Ishkra und seinen Nachbarländern gibt.

    Tankred Kiesmann

    Rattenberg, März 2022

    Verdammte Seelen

    Isenia, nördlich der Stadt, 1. Tag im Monat der Ähre im Jahre 452 nach Überwindung der Feuerdrachen

    Die Ruine des alten Tempels lag mitten im Wald. Sträucher, Farne, Kletterpflanzen und kleine Bäume wucherten überall. Die Natur hatte sich im Laufe der Jahrhunderte das Terrain vollständig zurückerobert. Die Sonne des Herbstnachmittags schien mit voller Kraft. Ein leichter Wind brachte die grünen Blätter in Bewegung und sorgte vielerorts für ein stimmungsvolles Spiel von Licht und Schatten.

    Indira liebte diesen Ort. Hier hatte sie sich das erste Mal heimlich mit Sidon getroffen und Liebesschwüre ausgetauscht. Auch jetzt noch suchten sie die Ruine häufig für ein paar ungestörte romantische Stunden auf, obwohl ihre Hochzeit schon längst beschlossene Sache war. Sie kam aber auch gern allein hierher, um ihren Gedanken nachzuhängen.

    Der Wald gehörte zum Land der Fellesis, Sidons Familie. Der Tempel war aus einer Zeit, in der es viele wilde Stämme gab und noch viel mehr Götter angebetet wurden. Er war klein und schlicht gestaltet. Eine erhöhte Fläche von etwa zehn mal zwölf Schritten erreichte man auf allen vier Seiten über fünf Steinstufen. An den Längsseiten waren jeweils drei in Zerfall begriffene Säulen erhalten, teils mannshoch, teils nur Stümpfe. Im Zentrum stand ein massiver Steinblock mit einer schalenförmigen Vertiefung in der Mitte, der als Altar gedient hatte. An der hinteren, nördlichen Stirnseite ragten die Überreste einer Statue auf. Es war die Darstellung eines Kriegers, dem an der linken Körperseite eine Kopfhälfte und der Arm fehlten. Der rechte Arm war an den Körper angelegt und trug ein Schild, auf dem die Andeutung einer nicht mehr lesbaren Inschrift zu erkennen war. Der Boden wies vielerorts Risse und Bruchstellen auf. Sträucher und Bäume wuchsen aus den Spalten. Um die Säulen und die Statue wanden sich Efeugewächse, nur der Steinaltar behauptete sich gegen das wuchernde Grün.

    Indira erklomm die vorderen Stufen und schritt langsam zum Altar. Beim Näherkommen stutzte sie. In dem Becken waren dunkle Flecken zu erkennen, die bei ihrem letzten Besuch noch nicht da gewesen waren. Vorsichtig strich sie mit ihrer Hand über die braunroten Muster. Sie waren trocken. Indira schluckte. Sie war sich sicher, dass es sich um Blutflecken handelte. Aber was hatte das zu bedeuten? Hatte hier jemand ein Opferritual abgehalten? Wurde der Tempel wieder genutzt?

    Sie sah sich prüfend um und entdeckte in Richtung der Statue ein paar weitere Flecken auf dem Boden. Indira ging dieser Spur nach. Neben der Skulptur hielt sie inne und nahm den Wald in Augenschein. Weiter vorn schien sich jemand brachial einen Weg durch das Gestrüpp gebahnt zu haben. Mit einer leichten Beklemmung, aber von ihrer deutlich stärkeren Neugier getrieben, folgte sie der kleinen Schneise.

    Nach etwa zwanzig Schritten hielt sie erschrocken den Atem an.

    An einem Baum saß ein alter Mann, die Beine weit von sich gestreckt. Er war gekleidet in einen edlen Kaftan, der nur noch in Fetzen am Oberleib hing. Er war blutüberströmt, Brust und Hals waren aufgerissen. Der Kopf war zur Seite gesackt. Auf seinem weißen Haarschopf saß ein Rabe, der sich an dem Auge des offensichtlich Toten gütlich tat.

    Indira konnte ein Aufstöhnen nicht unterdrücken und schlug sich die Hand vor den Mund. Der schwarze Vogel flatterte erschrocken davon. Sie zwang sich zur Ruhe und näherte sich der Leiche. Der Mann war sicherlich schon einige Zeit tot. Was vom Gesicht übrig war, hatte eine wächsern-bläuliche Färbung. Der Greis kam Indira bekannt vor, aber erst mit dem zweiten genaueren Blick erlangte sie Gewissheit, und sie erkannte ihn.

    „Bei Habitreju, das ist Orson", entfuhr es ihr. Was hatte der Großonkel ihres Verlobten hier nur gewollt?

    Die Wunden an Hals und Brust sahen aus wie von aasfressenden Raubtieren oder Raben hinterlassen. Die Blutspuren im Tempel deuteten darauf hin, dass Orson schon vorher Verletzungen davongetragen hatte, sich dann bis zu diesem Baum geschleppt hatte und hier gestorben war. Ob er die ersten Verwundungen einem tierischen oder einem menschlichen Mörder zu verdanken hatte, ließ sich nicht sagen. Indira fiel eine schwarz gefärbte Stelle unter dem Auge auf, an dem sich eben noch der Rabe zu schaffen gemacht hatte. Was war das? Erneut stieg das beklemmende Gefühl in ihr hoch, aber auch diesmal siegte wieder ihre Neugier. Vorsichtig streckte sie die rechte Hand aus, um die dunkle Stelle zu berühren. Kaum ertasteten ihre Finger die Haut in Orsons Gesicht, löste sich die Färbung von dem Antlitz des Toten und manifestierte sich in einer kleinen Wolke, die blitzschnell in Indiras vor Staunen geöffneten Mund huschte.

    Indira blinzelte kurz und musterte das Gesicht des Greises nochmal intensiv. Die schwarze Farbe war verschwunden. Mit einem Mal kamen ihr Zweifel, ob sie diese dunkle Stelle wirklich gesehen hatte oder ob sie von ihrer eigenen Wahrnehmung genarrt worden war.

    Sicher war sie sich allerdings bei der Tatsache, dass sie schleunigst nach Isenia zurückkehren musste, um Sidon und seiner Familie von ihrem Fund zu berichten.

    In den Eisbergen von Dyria, nördlich des Eiswassers, 7. Tag im Monat des Kohls im Jahre 453 nach Überwindung der Feuerdrachen

    „Das hier ist gut, brummte Voromir, „ich denke, hier kann man was aufbauen. Er ließ seinen Blick über die Umgebung schweifen und schaute sich zwischendurch immer wieder prüfend die Gesteinsbrocken an, die er in seinen klobigen Händen hielt.

    Seine Gefährten nickten zustimmend. Barofir und Godahar waren Brüder, was man ihnen auch ansah. Beide waren sie von kräftiger, gedrungener Gestalt mit breiten Schultern und muskulösen Oberarmen, die von dicken Felljacken verborgen wurden. Ihre struppigen schwarzen Haare lugten unter Fellmützen hervor. Buschige Augenbrauen wucherten oberhalb der dunkelblauen Augen in wettergegerbten Gesichtern, die mit fleischigen Nasen und lang gewachsenen Vollbärten Wildheit ausstrahlten. Barofir war der etwas Ältere, beide waren aber über zwanzig Jahre jünger als Voromir. Auch er hatte die typische Statur eines Dyrianers aus dem Bergvorland, dem Menschenschlag, der seit Generationen mit dem Bergbau verbunden war. Alle drei hatten sie jeweils eine Spitzhacke auf dem Rücken, die eine Mischung aus Waffe und Werkzeug war. Eine Seite war als Hacke ausgebildet, die andere als Streitaxt. Darüber hatten sie eine Armbrust geschnallt.

    „Ich glaube, dass wir hier sowohl Eisen- als auch Kupfererz abbauen könnten, führte Voromir weiter aus. „Nach der Beschaffenheit der Steine und der Felswand sollten wir hier einen Stollen treiben können, in dem wir hauptsächlich Eisenerz holen könnten. Und zweihundert Schritt weiter unten sollten wir einen Kupfererzstollen planen. Er steckte zwei der Gesteinsbrocken in seine große Umhängetasche und strich sich nachdenklich durch seinen grauen Vollbart.

    Sie standen an einer braunroten Felswand, die sich etwa zweihundertfünfzig Schritte in die Höhe erhob und sich eine Drittelmeile in leichter Krümmung hinzog. Die Felsformation bildete die Nordseite eines nach Osten offenen Talkessels. Die Südwand, knapp eine Viertelmeile gegenüber, hatte eine graue Färbung und war deutlich zerklüfteter, einige Spalten in der Wand schienen sogar tief in den Berg einzuschneiden. Sie sahen aus wie Klamms, in das Gestein getriebene Wege, die ins Unbekannte führten. In Richtung Westen ging der relativ ebene Untergrund, auf dem sie gerade standen, nach etwa dreihundert Schritten in einen mittelsteilen Anstieg über, der knapp eine halbe Meile weiter auf einen Bergkamm zulief. Im oberen Teil unterhalb des Kamms waren einige weiße Flecken zu sehen, erste Ausläufer des Permaschnees der Eisberge.

    „Wir könnten da vorn, relativ mittig auf dem Plateau, die Umschlagstation einrichten, meinte Barofir, „wir brauchen zwei Förderbänder von den Stollenausgängen kommend. Und Platz genug für Hütten ist auch da.

    „Genau, stimmte Voromir zu, „wir müssen nur für den Transport von hier weg sorgen. Wir haben gute zwei Tagesmärsche von Gilesia bis hierhin gebraucht. Mit Ochsenkarren kann es doppelt so lange dauern. Wir müssen zwei oder drei Raststationen einrichten und mir fallen mindestens vier Stellen ein, wo wir wegetechnisch etwas verändern müssen, damit Ochsenkarren passieren können.

    Godahar wiegte zweifelnd den Kopf und zählte seine Finger ab. „Also mir fallen mindestens sieben Stellen ein. Und ich frage mich, was machen wir eigentlich im Winter? Wir sind gerade am Anfang vom Kohl-Monat. Es sollte also sonniger Herbst sein, aber ich finde es hier jetzt schon verdammt kalt. Und ich habe den Eindruck, dass es diesen Monat noch schneien kann. Er zeigte auf die Schneeflecken unter dem Bergkamm im Westen. „Und wer weiß, wie lange der Schnee im Frühling liegen bleibt. Vielleicht können wir hier nur sechs Monate arbeiten.

    „Mag sein, meinte Voromir, „wir müssen hier halt in sechs Monaten so viel Erz fördern, dass wir die Öfen in Gilesia ein ganzes Jahr best...

    Ein Schrei unterbrach ihn. Ein paar Sekunden war absolute Stille. Dann folgte ein zweiter Schrei, lang anhaltend, laut und rau.

    Die drei Gefährten sahen sich fragend an.

    „Was war das? Barofir fand zuerst seine Stimme wieder. „Ist Grindir etwas passiert?

    Godahar schüttelte den Kopf. „Nein, er wollte dort hinten jagen. Er deutete Richtung Osten, wo sich der Talkessel öffnete. „Die Schreie kamen aber von dort. Mit seiner rechten Hand zeigte er nach Südwesten. Die beiden anderen folgten seinem Blick zu einer der breiteren Spalten in der gegenüberliegenden Felswand. „Lass uns nachschauen, was das war."

    Voromir fasste Godahar an den Arm. „Das könnte gefährlich sein", warnte er mit eindringlicher Stimme.

    Godahar sah ihn verwundert an. Dann schnallte er seine Armbrust vom Rücken, nahm die Spannwippe vom Gürtel und spannte die Waffe. „Wenn wir hier eine Mine betreiben wollen, müssen wir die Gefahren kennen, die hier lauern", erwiderte er dabei. Er löste einen Bolzen vom Gürtel und legte ihn auf. Dann sah er die anderen herausfordernd an.

    Barofir zögerte nicht lange und machte seine Waffe ebenfalls schussbereit. Voromirs Miene drückte Zweifel aus, aber schließlich spannte er seine Armbrust auch. Gemeinsam näherten sie sich der Felsöffnung.

    Godahar hatte die Führung übernommen. Er steuerte die Spalte nicht direkt an, sondern suchte zunächst den Schutz der Felswand, um sich seitlich an die Öffnung heranzutasten. Vorsichtig lugte er um die Ecke.

    Er konnte etwa zwanzig Schritte weit sehen, dann machte der Gang einen Knick nach links. Der Felsspalt bot bequem drei Männern nebeneinander Platz. Der Boden war übersät mit Geröll, ließ sich aber begehen. Vereinzelt zeigten sich sogar ein paar genügsame Pflanzen. Godahar gab seinen Begleitern ein Zeichen, ihm lautlos zu folgen, und pirschte sich bis zu dem Knick vor. Wieder schaute er vorsichtig um die Ecke und hielt den Atem an.

    Das Wesen, das er in zehn Schritt Entfernung erblickte, ließ sich am ehesten als eine Mischung aus Bär und Mensch beschreiben. Es war etwa doppelt so groß wie ein Mann und am ganzen Körper mit braunem, zotteligen Fell bedeckt. Es trug einen ledernen Lendenschurz und eine Schärpe aus dem gleichen Material über die linke Schulter. Der Kopf und das Gesicht waren ebenfalls behaart, aber die Züge wirkten menschlich. Das Wesen hatte eine platte, breite Nase und ein flaches Maul. Es stand aufrecht und hielt in seinen Vorderpranken, die wie überdimensionierte Hände aussahen, eine tote Jagdbeute, wie sie Godahar noch nie gesehen hatte. Es schien eine Raubkatze zu sein, mit weißgelbem Fell und etwas größer als ein Schautiger, den er mal in der Arena von Arbesia hatte bewundern dürfen. Das Tier hatte im Gegensatz zu einem Tiger allerdings ein fliehendes Hinterteil. Sein Kopf war blutüberströmt. Sein Jäger beschnüffelte die Großkatze und grunzte zufrieden. Am Boden lag eine riesige Streitkeule, an der frische Blutspuren zu erkennen waren. Godahar zog sich zurück und ließ Barofir und Voromir kurz um den Knick schauen.

    Voromir zuckte sofort zusammen und sah Godahar erschrocken an. Lautlos formten seine Lippen ein Wort, welches er mehrmals wiederholte. ‚Troll‘, las Godahar schließlich. Er nickte grimmig und gab stumm ein Zeichen zum Rückzug. Als Barofir sich umdrehte, schrammte seine Spitzhacke mit lautem Schaben an der Felswand entlang.

    Die drei Gefährten erstarrten. Sie hörten, wie in dem Felsengang etwas Massiges zu Boden plumpste. Dann näherten sich schwere Schritte.

    „Angriff", presste Godahar gerade noch zwischen seinen Lippen hervor, da kam der Troll schon um die Felsecke und war über ihnen.

    Er erwischte Godahar, bevor dieser seine Armbrust in Anschlag bringen konnte. Ein wuchtiger Schlag mit der Keule hob Godahar von den Füßen und schleuderte ihn seitlich gegen die Felswand. Ehe er noch denken konnte, dass ihm sicher mehrere Rippen gebrochen waren, prallte er mit der Schläfe an die Wand und sackte in sich zusammen. Voromir war als zweiter dran. Er schaffte es zwar noch, die Armbrust abzuschießen, war dabei aber so hektisch, dass er den Troll nur am Arm streifte. Brüllend stürzte sich der riesige Gegner auf Voromir und hieb mit der Keule auf ihn ein. Krachend landete die Waffe auf Voromirs Kopf und zerschmetterte ihn. Barofir hatte sich unterdessen drei Schritte entfernen und in eine günstige Schussposition bringen können, zielte in der Hektik jedoch nicht gut genug. Er traf den Troll aber immerhin in die rechte Schulter. Danach schmiss er die Armbrust weg und riss seine Spitzhacke vom Rücken. Sein Gegner registrierte den Treffer zwar, hielt jedoch nur kurz inne und wechselte die Keule in die linke Hand, um Barofir dann zu bedrängen. Dieser versuchte, mit der Axtseite der Hacke die Hiebwaffe seines Widersachers zu umgehen und dessen linken Arm zu verletzen. Dies gelang ihm auch, als der Troll zu einem seitlichen Schlag ausholte. Er brachte dem Riesen eine Fleischwunde am Unterarm bei, wurde aber von der Kraft des folgenden Keulenschlages von den Beinen gerissen. Der Troll ließ seine Keule fallen und ergriff Barofir. Er presste dessen Arme an den Oberkörper und hob ihn mit beiden Händen hoch. Barofir war vollkommen bewegungsunfähig, hielt mit der rechten Hand allerdings immer noch seine Spitzhacke umklammert.

    „Hey Troll!" Godahar hatte ein paar Augenblicke gebraucht, um seine Benommenheit zu überwinden. Er hatte sich seine noch gespannte Armbrust gegriffen, die neben ihm zu Boden gefallen war und einen neuen Bolzen von seinem Gürtel gefingert. Jetzt lehnte er sitzend und vor Schmerzen keuchend an der Felswand und visierte den Troll an. Der Riese drehte sich zu ihm um und hielt Barofir wie einen Schild vor seiner Brust. Ein tiefes Knurren entrang sich der Kehle des Trolls. Mit verzerrtem Gesicht, es war nicht zu sagen, ob vor Zorn oder Schmerz, tapste er langsam auf Godahar zu. Der hatte Mühe, die Armbrust zu halten, aber er zwang sich mit aller Kraft, sie nicht abzusetzen. Als der Troll sich direkt vor ihm aufgebaut hatte, konnte er kurz einen tödlichen Schusspfad an Barofir vorbei ausmachen. Er drückte ab.

    Mit Schrecken sah er, wie eine kleine Seitwärtsbewegung des Trolls seinen Bruder wieder in die Schussbahn brachte. Der Bolzen zerfetzte Barofirs linke Halshälfte, hatte aber auf die kurze Distanz immer noch genügend Kraft, sich auch in den Hals des Gegners zu bohren. Der Riese schrie auf und ließ Barofir direkt auf Godahar fallen, der unter dem Aufprall laut aufstöhnte. Er spürte, wie die Hacke seines Bruders in seine rechte Hüfte eindrang. Der Troll griff sich unterdessen gurgelnd an den Hals. Godahar war kurz davor, ohnmächtig zu werden, da hörte er links neben sich ein Klacken und einen Sekundenbruchteil später sah er, wie ein Armbrustbolzen sich durch die Schläfe des Trolls in dessen Kopf bohrte. Der Riese brach über ihm zusammen. Godahar schrie vor Schmerz laut auf, als durch das Gewicht des massigen Fleischbergs die Spitzhacke weiter durch seine Hüfte getrieben wurde.

    „Verdammtes Schlamassel", hörte er wie durch einen Nebel Grindir sagen.

    Dann verlor er endgültig das Bewusstsein.

    Gilesia am Eiswasser, 12. Tag im Monat des Kohls im Jahre 453 nach Überwindung der Feuerdrachen

    Grindir atmete auf. Endlich erkannte er den Rauch der Verhüttungsöfen von Gilesia. Angesichts des diesigen Wetters bedeutete das, dass der Rest der Wegstrecke jetzt überschaubar war. Er schätzte, dass es vielleicht noch eine Stunde dauerte.

    Der Marsch hatte extrem lange gedauert. Es war ja schließlich auch kein Zuckerschlecken, einen Verletzten auf einer Liege hinter sich herzuziehen. Noch dazu ging es dem Verwundeten immer schlechter.

    Er würde diese Bilder nie vergessen.

    Grindir war der einzige Jäger unter den Vieren, als solcher war ihm die Aufgabe zugefallen, für Nahrung zu sorgen, während die Anderen die Beschaffenheit der Felsen und ihre Eignung für den Bergbau untersuchen sollten. Er war schon einige Stunden ohne Erfolg durch das Gelände gestreift, als er diese beiden seltsamen Schreie hörte. Sie kamen aus der Richtung, in der er seine Gefährten zurückgelassen hatte.

    Sofort hatte er seine Beine in die Hand genommen und war zurückgeeilt. Die Entfernung war nicht groß, aber er hatte letztendlich ein paar Augenblicke zu lange gebraucht, um die Felsspalte ausfindig zu machen, in der seine drei Kameraden auf den Troll getroffen waren. Zehn Sekunden früher und er hätte den Riesen vielleicht schon erwischt, ehe er Voromirs Schädel zertrümmerte. Aber es half nichts. So hatte er auch noch mit ansehen müssen, wie Godahar unglücklicherweise Barofirs Kehle durchlöcherte, bevor er – Grindir – dem Troll den finalen Schuss versetzen konnte.

    Godahar hatte überlebt mit einer Platzwunde am Kopf, wahrscheinlich einer Gehirnerschütterung und mindestens sechs gebrochenen Rippen. Die schlimmste Verletzung war jedoch die zerfetzte rechte Hüfte. Grindir wusste nicht, ob vielleicht auch innere Organe betroffen waren, jedenfalls hatte sich die Wunde schwer entzündet. Der Wundbrand hatte sich in den letzten beiden Tagen stark entwickelt, und Godahar schwankte zwischen Schmerzen und Delirium. Er konnte kaum selbstständig essen und trinken.

    Grindir hatte aus den Spitzhacken und Armbrüsten seiner Gefährten eine Liege gebastelt, die er mit den Fellen des Trolls und der Schneehyäne sowie mit Barofirs und Voromirs Kleidung gepolstert hatte. Das bisschen Holz, welches er von den kargen Sträuchern im Gebirge einsammelte, brauchte er zum Feuermachen. Er hatte sowohl das Fleisch der Raubkatze als auch das des Trolls probiert und war zu dem Schluss gekommen, dass die Hyäne besser schmeckte. Sie lieferte ihm genügend Proviant für den Rückweg.

    Grindir fluchte. Er hatte sich von Godahar noch die Ergebnisse der Felsuntersuchung beschreiben lassen. Er musste schließlich den Ältesten Bericht erstatten, falls er seinen Kameraden nicht lebend nach Gilesia zurückbrachte. Voromirs Steinproben waren sicherlich wichtig und vielversprechend, aber es wäre doch verdammt riskant, in einer solchen Gegend eine Bergbausiedlung aufzubauen. Trolle und Schneehyänen waren schlimme Feinde und wer wusste schon, welche gefährlichen Wesen dort sonst noch ihr Unwesen trieben. Grindir war ein erfahrener Jäger, er hatte zwar als Junge ab und zu mal in den Minen ausgeholfen, aber seine Bestimmung war die Jagd. Er versorgte die Arbeiter und Handwerker mit Fleisch. Seit knapp zwanzig Jahren durchstreifte er die Gegend und verdiente seinen Lebensunterhalt mit dem Erlegen von Tieren. Er war in dieser Funktion ein anerkanntes Mitglied der Gemeinschaft von Gilesia. Er kannte viele der Gefahren, die in den Wäldern lauerten, und er wusste um einige der Bedrohungen, die in den fast waldlosen Bergen warteten. Seine Dienste waren immer häufiger gefragt, wenn es um Exkursionen in die Gebirgsregionen ging, um neue Abbaugebiete zu erschließen.

    Er hatte schon mehrmals Schneehyänen gesehen und ihm war bewusst, wie sie jagten. Sie kamen lautlos und stellten ihrer Beute gnadenlos effektiv nach. Trolle hatte er bisher noch nicht erlebt. Voromir hatte einst von einer derartigen Begegnung berichtet. Das war allerdings vor langer Zeit weit im Südwesten von Dyria geschehen, wo die Berge nicht Eisberge, sondern Kaarstberge hießen. Wenn ein Troll eine Schneehyäne nur mit einer Keule erlegen konnte, dann sagte sein grobschlächtiges Äußeres wenig über seine Fähigkeiten aus. Die großen, tapsig wirkenden Wesen mussten schnell, leise und äußerst geschickt sein. Er schauderte. Sie hatten ja auch etwas Menschliches. Er hatte sich die Keule und die Kleidung des Riesen genau angeschaut. Sie mussten intelligent sein. Er hatte dem Troll den Kopf und die Hand abgeschnitten, weil er glaubte, dass die Ältesten ein plastisches Bild von der Gefahr brauchten.

    Grindir wusste, dass weiter im Süden, wo die Winter kürzer waren, die Bergbausiedlungen schon tiefer in das Gebirge hineinreichten. Er hatte Erzählungen gehört, dass dort auch Trolle zurückgetrieben wurden. Nun ja, er würde berichten und warnen.

    Godahar stöhnte wieder. Grindir wandte sich um. Der Verwundete hatte die Augen offen und schien recht klar zu sein.

    „Hey, Godahar. Es dauert nicht mehr lange und wir sind in Gilesia. Dann kannst du deine Frau und deinen kleinen Sohn in die Arme schließen." Die Worte sollten aufmunternd wirken, aber Godahars einzige Antwort war ein weiteres Stöhnen. Er schien jedoch verstanden zu haben und schloss die Augen.

    Grindir grummelte und setzte seinen Weg fort. Er hatte für den Rückweg doppelt so viel Zeit gebraucht, wie er mit der Gruppe für den Hinweg benötigt hatte, obwohl es jetzt hauptsächlich bergab gegangen war.

    Ein paar Minuten später konnte er schon die ersten Häuser ausmachen. Gilesia war ein großes Bergbaudorf, in dem nur wenige der etwa tausend Bewohner nicht mit der Arbeit in den Minen zu tun hatten.

    Als er den Dorfrand erreichte, winkte er ein paar spielende Kinder zu sich heran. „Hey Korir, wandte er sich an einen etwa zehnjährigen schwarzhaarigen Jungen, „kannst du bitte zum Heiler laufen und ihn zu Godahars Hütte schicken? Er ist schwer verletzt und könnte sterben. Der Angesprochene nickte mit großen Augen und sauste davon.

    Grindir setzte seinen Marsch fort. Es war kurz nach der Mittagszeit und recht still. Die meisten Leute waren bei der Arbeit oder in ihren winzigen Häusern.

    Godahars Hütte war ein kleiner schlichter Holzbau. Es gab eine klobige Tür und ein paar schmale Fenster. Grindir atmete tief durch, bevor er zaghaft anklopfte. Er hasste das, was jetzt kommen würde. Schritte näherten sich, die Tür öffnete sich, und er stand Godahars Frau Firna gegenüber.

    Grindir schämte sich ein wenig dafür, dass er jetzt Erleichterung verspürte. Den ganzen Rückweg hatte ihm auf dem Magen gelegen, wie unangenehm es sein würde, Godahar in seinem schlechten Zustand zuhause abzuliefern und die Todesnachrichten der beiden anderen Gefährten zu überbringen. Es war tatsächlich schlimm gewesen, Firnas erstarrten Gesichtsausdruck zu sehen und ihr Wehklagen zu ertragen, als sie sich auf ihren Mann stürzte, weil sie ihn zunächst für tot hielt. Die Stimmung schlug dann in Hoffnung um, als sie merkte, dass Godahar noch lebte, erhielt aber mit der Ankunft des Heilers wieder einen Dämpfer, als der den Wundbrand freilegte. Die Nachricht von Barofirs Tod, der keine eigene Familie hatte, sorgte schließlich für zusätzliche Trauer. Es war eine Berg- und Talfahrt der Gefühle, der sich Grindir in der Hütte ausgesetzt sah. Dabei überwogen die Täler, die Firna jedoch tapfer zu verbergen suchte, weil sie den vierjährigen Godahar, den gleichnamigen Sohn ihres Mannes, nicht beunruhigen wollte. Der Kleine begriff zwar, dass sein Vater in einer ernsten Lage war, aber er erfasste sicherlich noch nicht die volle Tragweite. Nachdem sich der Heiler ein Bild von Godahars Zustand gemacht und keine Fragen mehr an Grindir hatte, hatte jener sich aufgemacht, um Voromirs Frau zu informieren. Voromir hatte neben der Ehefrau noch zwei erwachsene Söhne, von denen einer in Gilesia lebte. Auch das Überbringen dieser Nachricht war unangenehm gewesen. Jetzt hatte er aber alle traurigen Pflichten erledigt und fühlte sich seltsamerweise besser. Er war wieder zu Godahar zurückgekehrt, um zu hören, was der Heiler zu tun gedachte.

    Firna und ihr Sohn saßen an Godahars Lager und hielten seine Hände. Die Ehefrau schluckte schwer. Es war ihr anzusehen, wie sie mit den Tränen kämpfte.

    „Ich kann kaum Hoffnung machen. Auch wenn der Heiler leise zu Grindir sprach, drang seine Stimme in jeden Winkel der einfachen Hütte. „Du hast soweit alles richtig gemacht, aber der Wundbrand ist nun einmal gekommen, und er ist soweit fortgeschritten, dass man nichts mehr ausrichten kann. Er wird wohl heute noch sterben. Wenigstens kann sich seine Familie noch von ihm verabschieden.

    Grindir schaute verlegen zu Boden. Dann beobachtete er, wie der junge Godahar auf das Lager seines Vaters kletterte und ihn zärtlich auf die Stirn und den Mund küsste. Was Grindir nicht sah, war die kleine schwarze Wolke, die dabei von den Lippen des älteren Godahar in die Mundöffnung des Sohnes strömte. Was er aber sehr wohl registrierte, war, wie sich der Junge aufrichtete, seine Mutter mit großen Augen ansah und mit heller Kinderstimme sagte: „Mama, ich glaube, Papa ist tot."

    Sirgos-Stadt, 18. Tag im Monat des Stiers im Jahre 457 nach Überwindung der Feuerdrachen

    Der Priester war wütend. Den ganzen Tag musste er sich immer wieder um diese Jammergestalt von einem Bauernmädchen kümmern, die nicht in der Lage war, die Folgen ihres törichten Tuns zu ertragen. Darum hasste er seine Arbeit hier. Die Frauen hier strotzten nur so vor Einfältigkeit, Leichtsinn und anderen Untugenden. Was mussten diese leichtfertigen Schlampen sich auch mit dahergelaufenen Bauernlümmeln abgeben und schwängern lassen? Die Dummheit dieser Gören war schier unendlich und hier in diesem Heim sollten die Priester immer wieder die Dinge geraderücken.

    Was konnte er dafür, wenn Triebhaftigkeit und fehlende Intelligenz auch mit den erprobtesten Methoden nicht heilbar war? Wozu verrichteten sie hier ihre Arbeit, wenn selbst ordentlich gesetzte Prügel zu keinerlei Einsicht und Besserung führten? Er beschleunigte seinen Schritt, um schneller zu der Kammer zu gelangen, in der das Mädchen wimmernd auf ihre Niederkunft wartete. Leicht schnaufend erreichte er die Tür, öffnete sie und trat mit unverhohlenem Ärger ein. Mit stechendem Blick nahm er die Schwangere ins Visier, die sich vor Schmerzen auf dem einfachen Lager am Boden wand. Rasch schloss er die Tür.

    Augenblicke später schrie das Mädchen. Sie hielt sich unter Zuckungen ihren dick gewölbten Bauch. Ihre dunkelblonden, fettigen Haare waren verschwitzt und hingen ihr in nassen Strähnen ins Gesicht. Die ebenfalls anwesende Hebamme hatte Tücher und heißes Wasser vorbereitet und versuchte auf Knien, beruhigend auf die werdende Mutter einzureden, hatte aber keinen Erfolg. Die Schwangere schrie sich die Seele aus dem Leib. Die Geburtshelferin sah den Priester an und wartete darauf, dass dieser etwas sagte.

    „Wie lange wird es noch dauern?", fragte er laut und ungeduldig.

    „Das ist schwer zu sagen, kam die Antwort, „sie hat jetzt schon seit acht Stunden Wehen. Es kann jeden Augenblick so weit sein, kann aber auch nochmal so lange dauern.

    Der Priester schnaubte. Er zog eine Grimasse. „Kannst du das Kind holen? Ich habe nicht ewig Zeit."

    Die Hebamme schüttelte den Kopf. Während das Schreien ihrer Patientin in ein lautes Stöhnen überging, bemerkte sie, dass der Geistliche sich kaum noch im Zaum halten konnte. Der Lärm und das Gezeter des Mädchens zerrten an seinen Nerven.

    „Warum nicht?, schrie er die Geburtshelferin an. „Kann denn hier niemand vernünftig seine Arbeit machen?

    Drohend trat er an die Schwangere heran. Die Hebamme hob die Arme und wollte den Priester beschwichtigen, reizte ihn dadurch aber nur noch mehr. Er holte mit der rechten Hand aus und versetzte ihr eine Ohrfeige. „Ihr sollt tun, was man euch sagt, und zwar anständig und ordentlich und ohne Widerworte, wütete er. Dann trat er das Mädchen mit aller Wucht gegen den Bauch. „Und du sollst endlich deinen verdammten Bastard aus deinem verdammten Leib herauspressen. Du bist eine Schande. Kurz verstummte die Schwangere, aber mehr vor Schreck als vor Schmerz, dann setzte das Schreien erneut ein. Der Priester holte zu einem zweiten Tritt aus und traf die junge Mutter an derselben Stelle. Sie schrie weiter und verfiel in heftige Zuckungen. Plötzlich ergoss sich ein starker Blutschwall aus ihrem Unterleib.

    Die Hebamme blieb stumm, aber ihr vorwurfsvoller Blick zum Geistlichen sagte mehr als tausend Worte. Sie arbeitete jetzt fieberhaft. Sie wischte das Blut fort, sah, dass es unvermindert weiterfloss und dass sie aktuell nichts tun konnte, um die Blutung zu stillen. Sie entschied sich, das Mädchen leicht im Rücken zu stützen und ihm Hilfestellung zu geben, sie zum Pressen zu animieren. Wenige Augenblicke später war ein kleiner blutiger Kopf zwischen den Beinen der Schwangeren zu sehen. Die Geburtshelferin sah sich machtlos dem Blutfluss gegenüber und musste hinnehmen, dass das Mädchen zusehends schwächer wurde. So konzentrierte sie sich zunächst darauf, das Kind sicher auf die Welt zu befördern. Als die Schultern des Babys zum Vorschein kamen, konnte sie es greifen. Die Pressbemühungen der jungen Mutter erlahmten jetzt vollständig, und sie wurde ohnmächtig. Der Hebamme blieb nichts anderes übrig, als das Kind nun ohne Unterstützung des Mädchens aus ihrem Leib zu ziehen.

    Hastig nabelte sie den Säugling ab. Sie rieb die kleine Tochter trocken, wickelte sie schnell in ein Tuch und legte sie am Arm der Mutter ab, bevor sie sich dieser wieder zuwandte. Die Lagerstatt war vollgesogen mit Unmengen von Blut, das Gesicht der jungen Frau war aschfahl, und sie regte sich nicht mehr. Die Hebamme versuchte, am Hals der Mutter den Puls zu fühlen, konnte aber nichts erspüren.

    Vorsichtig hob sie mit dem rechten Daumen das linke Augenlid der jungen Mutter an und blickte in ein klares grünes Auge. Die Geburtshelferin war kurz irritiert, weil Tote üblicherweise einen anderen Anblick boten. Sie ließ das Lid los und beobachtete etwas Ungewöhnliches. Es war wie eine kleine schwarze Nebelwolke, die aus dem Augenwinkel der Mutter ausströmte. Das Auge brach in dem Moment, als die Wolke vollständig entwichen war. Der dunkle Nebelschwaden huschte blitzschnell in Richtung des Babys und drang in dessen leicht geöffneten Mund ein. Das Kind schlug prompt seine Augen auf, die vom gleichen Grün wie die der Mutter waren, und schrie den Begrüßungsschrei aller Säuglinge, die nach ihrer Geburt einem neuen Leben in einer fremden Welt entgegensehen.

    Die Hebamme starrte das Baby ungläubig an, dann hob sie den Blick zum Priester. Dieser schien den Vorgang mit der Wolke nicht bemerkt zu haben. Er war immer noch erregt, wirkte aber groteskerweise mit dem Verlauf der Geburt sogar zufrieden.

    „Na also, meinte er, „ein Problem hat sich erledigt, und um die Kleine sollen sich die Schwestern vom Waisenhaus kümmern. Auf dass aus ihr ein besserer Mensch wird als aus ihrer Mutter.

    „Was schaut ihr mich so glotzäugig an?, fuhr er die Hebamme an, „Eure Arbeit ist erledigt. Habt ihr einen Vorschlag, wie das Mädchen heißen soll?

    Die Hebamme schüttelte ihre Verwunderung ab und überlegte kurz.

    „Ja, antwortete sie dann, „ich habe einen Vorschlag. Ardalia ist ein schöner Name.

    Der Priester nickte. „Gut. So soll es sein. Noch ein Problem weniger. Sie wird Ardalia heißen."

    Ishkra, nordwestliche Todeswüste, 21. Tag im Monat des Schafs im Jahre 463 nach Überwindung der Feuerdrachen

    „Es ist verdammt heiß hier", fluchte Harib Wochar und nahm einen tiefen Schluck aus seiner Wasserflasche.

    Sein Begleiter grinste. „Habt Ihr etwas anderes erwartet, als wir uns entschlossen haben, im Sommer durch die Todeswüste zu reiten, junger Herr?"

    Harib sah den Führer mürrisch an. „Ich weiß nicht. Ich kenne sonst nur den üblichen Karawanenweg. Und da ist es nicht so heiß."

    „Ihr sprecht wahr, erwiderte Erduan, „dafür, dass wir nur etwa hundert Meilen südlich der Karawanenroute reiten, sollte der Klimaunterschied eigentlich deutlich geringer sein. Warum ist eine Wüste eine Wüste?

    „Sagt Ihr es mir. Ihr seid der Ortskundige."

    „Aber Ihr seid derjenige, der eine Ausbildung mit Privatlehrern genossen hat."

    Harib musterte seinen Führer erneut. Das Grinsen in dem von der Sonne tief gebräunten Gesicht war verschwunden, die schwarzen Augen blitzten jedoch verdächtig. Seinen Kopf hatte er wie alle Mitreisenden mit einem voluminösen hellen Kopftuch umschlungen, welches auch den Hals und die Seiten mit bedeckte. Die ausgeprägten Krähenfüße, die Harib trotzdem gut erkennen konnte, waren ein Zeichen dafür, dass der Mann, der wohl gut vierzig Jahre alt war, gerne lachte.

    „Meister Erduan, was habe ich Euch getan, dass Ihr mich immer wieder provozieren müsst? Ihr solltet am besten wissen, dass man in der Schule nicht nur für das Leben lernt. Na ja, vielleicht lernt man schon für das Leben, aber wenn, dann für ein anderes als in der Wüste."

    Erduan lächelte wieder. „Wohl wahr, Harib. Nehmt zur Kenntnis, dass ich gern mit Euch diskutiere. Ihr scheint mir ein wenig anders geraten zu sein als die typischen Kaufmannssöhne."

    Harib verdrehte die Augen. „Also, zurück zum Thema. Warum ist die Wüste eine Wüste?"

    Erduan überlegte. „Das ist schwer zu sagen. Ich bin jetzt seit zwanzig Jahren Karawanenführer, hauptsächlich natürlich auf der Standardroute zwischen Manorios und Kral. Aber etwa einmal im Jahr verschlägt es mich in die Wüste. Aus unterschiedlichen Gründen ..."

    Harib nickte. Den aktuellen Grund kannte er bestens.

    „Was ich sagen kann, ist, dass die Wüste wächst. Es geht langsam, und das Grenzgebiet zum fruchtbaren Land weiter nördlich ist nicht scharf umrissen. Ich würde sagen, dass sich in der Zeit, in der ich das Land bereist habe, die Wüste um etwa zwei Meilen nach Norden ausgebreitet hat. Erduan machte eine kurze Pause. „Die Wüste zeichnet sich durch fehlenden Regen aus. Es regnet hier nie. Woher wissen die Regenwolken, dass sie ein immer größer werdendes Gebiet aussparen müssen?

    „Glaubt Ihr, dass es hier vor mehreren hundert Jahren vielleicht gar keine Wüste gab?"

    Erduan zuckte mit den Schultern. „Schon möglich. Ich glaube jedenfalls, dass es irgendwo einen bösen Keim geben muss oder gegeben hat, der Cerunnia ihrer Macht beraubt hat. Vielleicht etwas Magisches, damit es sich gegen die Göttin behaupten konnte. Aber vielleicht auch etwas Menschliches. Schaut Euch an, was sie in Krodian treiben. Das Abholzen des Dschungels wird zu nichts Gutem führen."

    Harib überlegte. „Wieso stellt Ihr Euch dann in den Dienst der Kaufleute? Sie sind es doch, die die Rodungen oder auch den Bergbau befeuern."

    „Die Menschen müssen leben, mein Herr. Auch ich. Ein paar Dinge müssen sein, aber ein paar Dinge sind auch zu viel."

    „Wie macht Ihr es, dass Ihr Euch in der Wüste zurechtfindet?", wechselte Harib das Thema.

    „Ich kenne die Übergangsregion zwischen Wüste und fruchtbarem Land recht gut. Dort gibt es sehr viele landschaftliche Orientierungspunkte. In der Wüste gibt es die nicht. Da ist das einzige, an dem Ihr Euch orientieren könnt, die Sonne. Die ist aber sehr verlässlich. Auch wenn man nie wirklich weiß, wo man genau ist, kennt man doch immer die Himmelsrichtungen. Wenn man sich also alle fünf bis sechs Tage mal einen Tag Richtung Norden hält, dann kommt man in bekanntes Gebiet, kann Wasser aufnehmen, sich orientieren und sich danach wieder in die Abgeschiedenheit der Wüste zurückziehen."

    „Warum reiten wir nicht gleich durch die Übergangsregion, wenn es dort Wasser gibt?"

    „Aus zwei Gründen. Erstens ist das Gelände deutlich unwegsamer, man kommt langsamer voran, weil die Uharus nicht durchweg laufen können und man teilweise Umwege nehmen muss. Zweitens gibt es ab und zu Räuberbanden, die es genau auf solche Karawanen wie unsere abgesehen haben. Klein und nicht schwer bemannt."

    Unwillkürlich drehte sich Harib um, um ihre Karawane in Augenschein zu nehmen. Erduan hatte recht. Der kleine Handelszug bestand insgesamt aus fünfzehn Uharus. Erduan und er selbst ritten vorneweg, dann folgten fünf der praktischen Reittiere mit Handelswaren und ihren Reitern. Den Abschluss bildete eine Eskorte von acht ishkrischen Soldaten mit ihren Tieren. Harib verzog leicht die Mundwinkel, wenn er an ihre Ware dachte. Sämtliche Pack-Uharus waren mit grendischen Schmiedewaren beladen, die er in Manorios erstanden hatte. Die Erzeugnisse waren zwar durchaus wertvoll, rechtfertigten aber nicht wirklich die Wahl der Geheimroute durch die Todeswüste. Die eigentlich wertvolle Fracht war in seinem eigenen Gepäck verborgen. Es waren zwei volle Beutel mit erlesensten Roh-Edelsteinen aus Grendua, auf die er keinen Zoll bezahlt hatte, und die seiner Familie in Kral ein üppiges Geschäft versprachen.

    Harib wandte sich wieder nach vorn. Nun ritten sie schweigend nebeneinander. Der junge Kaufmann liebte es, auf Uharus zu reiten. Diese Tiere waren einfach Geschenke der Götter. Sie sahen aus wie eine Mischung aus Pferd und Kamel, hatten von beiden aber nur die positiven Eigenschaften. Sie waren etwas breiter gebaut als Reitkamele und hatten kräftigere Beine und größere Hufe, die im Sand nicht einsanken. Ihre Kopfform glich der von Pferden, war nur leicht kürzer. Sie hatten ein krauses Fell und einen kurzen knochigen Schwanz, der ihnen einen exzellenten Gleichgewichtssinn verlieh. Selbst wenn sie vollbepackt waren, erreichte man mit Uharus die doppelte Reisegeschwindigkeit wie mit Pferden, und man war immer noch anderthalbmal schneller als mit Reitkamelen unterwegs. Ihre Fortbewegungsart war ein langgestreckter Trab, den sie tagelang durchhalten konnten. Dabei spürte der Reiter kaum eine Bewegung, man glitt förmlich dahin. Harib hatte gelernt, dass diese Tiere erst vor etwa fünfzig Jahren erstmals gezüchtet worden waren. Die Familie Fellesi aus Isenia hatte das Monopol auf die Uharu-Zucht. Sie verkauften nur unfruchtbare und kastrierte Exemplare und waren dadurch reich geworden. Karawanen wurden durch Uharus dreimal so schnell wie mit Ochsenkarren. Die Tiere waren der Traum eines jeden Händlers und Logistikers, wenn sie nur nicht so teuer wären.

    Es ging auf den Abend zu. Die Sonne stand schon fast exakt im Westen und zeichnete lange Schatten in den Sand vor ihnen, da gewahrte Harib einen hellen Reflex etwa eine halbe Meile schräg rechts voraus. Er schaute genauer hin, konnte aber auf die Entfernung nur einen undeutlichen weißen Fleck im hellbraunen Sand ausmachen.

    „Was ist das da?", fragte er Erduan und zeigte zu der hellen Stelle.

    Erduan spähte angestrengt in die angedeutete Richtung und zuckte mit den Schultern. „Ich

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