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KYRA
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eBook880 Seiten12 Stunden

KYRA

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Über dieses E-Book

Vor mehr als 40 000 Jahren findet der Neandertaler Arget ein Objekt, das bis in die heutige Zeit für Aufregung sorgt. Im Verlaufe der Jahrhunderte interessieren sich immer mehr Menschen für diesen Gegenstand, der nur deshalb im Besitz der Nachfahren verblieb, weil er das Aussehen eines daumengroßen Kieselsteins hat.
Wer ist Agnat, der in allen Zeitebenen versucht in den Besitz des Steins zu gelangen?
Weshalb interessiert sich die Kirche seit Jahrhunderten für den geheimnisvollen Ort am Fuße des Hügels?
Kyra die vorerst Letzte der Ahnenreihe geht den Fragen und Geheimnissen, die sich um sie und ihre Familie ranken, auf den Grund.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum3. Feb. 2014
ISBN9783847622796
KYRA

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    Buchvorschau

    KYRA - Herbert Weyand

    Kapitel 1

    Die Kräfte, die im Kiesel stecken

    Der Grotenrather Autor Herbert Weyand las in seinem Heimatort … (Aachener Zeitung)

    Geilenkirchen-Grotenrath. Aktuell ist fast ganz Grotenrath eine Baustelle. Zumindest gilt das für die Corneliusstraße. Doch bald wird auch das Geschichte sein, der dann glatte Asphalt lässt dann nur in den Gedanken Raum für die jetzt sandigen und unebenen Wege. Wie war das früher, wer weiß noch, wie es früher war?

    Diese Frage stellte sich vor einigen Jahren auch der aus Grotenrath stammende Autor Herbert Weyand. Und dazu zog er durch den Ort, befragte die „Ureinwohner" und kam mit einem wahren Berg an frischem Material nach Hause.

    „Eigentlich habe ich versucht, eine Chronik über den Ort zu schreiben, erzählt er bei der Autorenlesung in der alten Schule seines Heimatortes. „Doch das war Wahnsinn. Also packte er das Zeug weg, ab ins Archiv. Im Mülleimer landeten die Aufzeichnungen jedoch nie. Und als er 2006 eine schwere Krebserkrankung überwand, packte ihn die Thematik erneut. Doch keine Chronik, sondern ein ganz besonderer Roman sollte es werden.

    Ein Roman, den anzustoßen, ein kleiner schwarzer Kiesel reichte. Dieses mysteriöse Mineral spielt die Hauptrolle in seinem Erstling „Der Traumstein". Die Kräfte, die im Kiesel stecken, versuchen von der Menschwerdung über Jahrtausende bis hin zur Neuzeit all jene zu entdecken, die ihn in Händen hielten.

    Und Kyra ist die Letzte des uralten Stammbaums, die sich der Geschichte des Kiesels annimmt. … oder auch solches, das nur noch vom Hörensagen her zu erkennen ist, wird bei Herbert Weyand zu lebendiger Geschichte …

    Winterschlaefer

    … kurzum Herber Weyands Werk hat in mir eine wahre Gedankenflut entfacht, dass der Platz hier nicht ausreichen würde, all das niederzuschreiben, wozu es etwas zu sagen gäbe.

    Meine vorzügliche Hochachtung vor dem außergewöhnlichen Tiefgang dieses Werkes, das an Gedanken- und Ideenfülle kaum zu übertreffen ist.

    Einige erklärende Worte:

    O. a. Artikel (auszugsweise wiedergegeben) wurde zu meinem Roman „Der Traumstein" verfasst.

    Kyra ist „Der Traumstein, überarbeitet und ergänzt, um die Geschichte des Druiden Kendric.

    Zu dem Jäger des Steins, Agnat, gesellt sich Markus, der mit einer anderen Intension an dem Geschehen interessiert ist.

    Vor mehr als 40 000 Jahren findet der Neandertaler Arget ein Objekt, das bis in die heutige Zeit für Aufregung sorgt. Im Verlaufe der Jahrhunderte interessieren sich immer mehr Menschen für diesen Gegenstand, der nur deshalb im Besitz der Nachfahren verblieb, weil er das Aussehen eines daumengroßen Kieselsteins hat.

    Wer ist Agnat, der in allen Zeitebenen versucht, in den Besitz des Steins zu gelangen?

    Weshalb interessiert sich die Kirche seit Jahrhunderten für den geheimnisvollen Ort am Fuße des Hügels?

    Kyra die vorerst Letzte der Ahnenreihe geht den Fragen und Geheimnissen, die sich um sie und ihre Familie ranken, auf den Grund. Sie stößt auf Unglaubliches und steht vor der Frage: „Muss die Schöpfungsgeschichte neu geschrieben werden?"

    2013

    Kyra eine junge Frau mit besonderen Eigenschaften.

    Mittlerer Größe, blondes Haar und bezwingende blaue Augen.

    Martin Kyras Vater. Ein gedrungener behäbiger Typ, wie seine männlichen Vorfahren. Er hat die größten Probleme mit seiner außergewöhnlichen Tochter klarzukommen, im Gegensatz zu

    Britta Kyras Mutter, die etwas besser mit ihrem Kind zurechtkommt. Eine gut aussehende Frau, die Bewegung in Martins Leben bringt.

    Andy ein außergewöhnlicher Mann und Wissenschaftler, der sich sofort in Kyra verliebt, aber Probleme mit Kyras Alter und der außergewöhnlichen körperlichen Entwicklung hat. Anfang dreißig, sportlich, dunkles zum Pferdeschwanz gebundenes Haar.

    Wolf wie der Name es sagt, ein Wolf. Ein außergewöhnliches Tier, das sich jeweils dem Menschen anschließt, der im Besitz des Steines ist.

    -40 000 v. Chr.

    Arget der Steinzeitmensch und vielleicht erste Alkoholiker findet den Kiesel und wird mit

    Byrda einer Vertreterin der Homo sapiens zum Begründer der heutigen Menschen.

    250 n. Chr.

    Knut lebt in der Römerzeit und stellt sich mit seinen nie erwachsen werdenden Brüdern

    Kunolf und

    Konrad gegen die Römer.

    Kendric der Druide sieht als Erster die Gefahr, die den Menschen droht.

    800 n. Chr.

    Hermann der aufgrund seiner besonderen Befähigungen zum Rodungsfreien wird und den Grundstein zu dem Dorf legt, in dem Kyra heute lebt. Ein ebenso behäbiger, brummiger und gedrungener Typ, wie sein Nachfahre Martin.

    Henrietta seine Frau.

    1400 n. Chr.

    Gerd ein Bauer, der Schwierigkeiten mit der Kirche bekommt, weil sich die Geschichten, die um seine Familie ranken, nicht erklären lassen.

    Gertrud seine Frau

    1600 n. Chr.

    Peter ein weiterer Vorfahre Kyras der als Schöffe in seiner Zeit wirkt.

    Kathryn seine Frau.

    In allen Zeiten

    Wolf als Begleiter des Menschen.

    Hein der nicht greifbare und neugierige Chronist.

    Agnat das ewig Böse?

    Markus der Mönch.

    Der Hügel

    Die Höhle

    Die Quelle

    Die lang gezogene Mulde

    Kapitel 1 40 000 v. Chr.

    Heiß brannte die nachmittägliche Sonne auf die urwüchsige Landschaft. Der Falke kreiste lautlos am Himmel und sah auf das zerklüftete Gelände, durch das sich der Fluss, wie ein Wurm schlängelte. Am westlichen Ufer begann die Felswand, auf deren Plateau der Laubwald die Erde bedeckte. Der Raubvogel machte einen trägen Flügelschlag und sah in der Ferne die spiegelnde Fläche des Hochmoores, durchbrochen von Gras- und Laubinseln. An den Rändern lockten trügerische Sandflächen zur Rast. Eine weitere Veränderung der Flügelstellung ließ ihn gleiten. Die zweibeinigen Wesen auf dem Waldboden, die unbeholfen jagten, störten ihn nicht.

    Die Meute hetzte ihn johlend vor sich her. Gutturale, kehlige Laute begleiteten die Hatz. Mühelos durchbrachen sie das Unterholz und Gestrüpp des Waldes, die Schmerzen der Dornen nicht achtend. Das Blut rauschte in den Ohren des Mobs. Sie wollten nur ihn.

    Arget stolperte. Blut rann aus der klaffenden Fleischwunde über dem rechten Auge. Mühsam gelang es ihm, das Gleichgewicht zu halten. Der linke Arm baumelte herunter. Arget war es gewohnt, die Hände zur Unterstützung der Bewegung, zu nutzen. Schwerfällig torkelte er voran. Die rechte Hand trug einen dicken Ast mit knotigem Ende, aus dem Steinspitzen herausragten. Seiner Stützen beraubt, hüpfte er in bizarren Bewegungen durch das Buschwerk. Hinzu kamen die an seiner Kleidung, mit Fellschnüren, befestigten Steinwerkzeuge, die seine Flucht erschwerten, wenn nicht unmöglich machten.

    Arget und seine Verfolger waren Fischer und Jäger. Der Siedlungsplatz ihres Stammes lag an einem kleinen, aber reißenden Fluss, der aus Südwesten kommend durch das Tal floss. Eigentlich kein richtiges Tal. Nach Westen erhob sich die Steilwand und nach Osten stieg die Landschaft leicht wellig an. Vom Plateau, über ihren Wohnhöhlen, betrachtet, wand er sich wie ein Wurm durch die Landschaft. Seit Generationen lebten sie dort und … solange der Wasserlauf die tägliche Nahrung gab, würden sie dort verweilen.

    Das Wetter begünstigte die jagende Meute. Die Sonne brannte vom Himmel, die Luft lag schwül und feucht über der Landschaft. Einer der seltenen warmen Winde wehte aus Südwesten. Das flache Wasser des Hochmoores dampfte und sättigte die Atmosphäre mit Feuchtigkeit, die schwer auf den Bronchien lag. Ohne Scheu wühlten oder scharrten Hasen, Wildschweine und Hühnervögel im niedrigen Gestrüpp. Sie blieben von den Jägern unbeachtet.

    Das gejagte Wild hatte keinen Blick für seine Umgebung. Schweiß, mit Blut vermischt, tropfte vom Knochenwulst in seine Augen und trübte die Wahrnehmung. Der Gejagte war mehr Mensch als Tier, mit groben Gesichtszügen, in dem die Öffnungen der Nase direkt in den Kopf führten. Ihm fehlten Stirn und Kinn. Die Haare klebten strähnig und blutig am Kopf. Den stämmigen Körper bedeckten zottige dunkle Haare. Der sowieso schon schleppende unrhythmische Gang ließ den Oberkörper, durch die Verletzungen, in noch stärkeren Bewegungen vor und zurückschwingen. Der rechte Arm ruderte mit dem Knüppel, um das Gleichgewicht des Körpers zu halten.

    Die Verfolger kamen mit jedem Schritt näher. Eine Frage von Minuten, bis sie ihn hatten. Falls die Jäger ihn bis zur Quelle nicht erlegt hatten, war er fürs Erste gerettet. An dem heiligen Ort wurde jegliche Kampfhandlung unterbrochen. Die Große Mutter bestrafte jeden, der sich nicht daran hielt. Er musste also lediglich über die Lichtung kommen. Die Sicherheit lag unmittelbar vor ihm. Mit einer letzten Anstrengung warf Arget sich nach vorn und … stolperte. Vorbei … jegliche Chance vertan.

    Einen Moment später standen die Verfolger über ihm und starrten mit kalten Augen, auf ihn hinab.

    Argets gesunde Hand krallte in den Sand und wühlte in Todesangst tief hinein, um Halt zu finden. Unbewusst packte er einen kleinen Stein.

    Der Schlag durchzuckte seinen Körper und zog die Muskeln zusammen, um sich sofort wieder zu lösen … in schier endloser Wiederholung. Spastisch zuckend wälzte er hin und her. Dann hielt der Körper inne und lag still. Die Gedanken lösten sich. Das war also der Tod. Ganz anders, als in seiner Vorstellung. Die Schmerzen verschwanden und wurden durch Wohlbehagen in Körper und Gedanken ersetzt.

    War er schon bei der Großen Mutter?

    Nein … die Stimmen der Stammesgenossen murmelten furchtsam Beschwörungen. Also musste er noch sein.

    Arget zog die Gedanken wieder in den Körper und hob vorsichtig den Kopf. Seine Verfolger lagen auf dem Boden und bedeckten die Augen.

    Eine Chance? Eingedenk der Verletzungen versuchte er vorsichtig, aufzustehen. Welch ein Wunder … seine Schmerzen waren verschwunden und auch der linke Arm wieder beweglich. Druck und Schmerz im Kopf lösten sich in Luft auf.

    Was war geschehen? Fassungslos und zaghaft schlich er zur Quelle … jeden Augenblick darauf gefasst, einen Schlag über den Kopf oder einen Speer in den Rücken zu bekommen. Nichts dergleichen geschah. Er war in Sicherheit.

    Arget schlürfte gierig das kühle Nass, das Mutter Erde freigiebig aus ihrem Leib entließ.

    Dieser Platz an der Quelle gefiel ihm seit je her. Daran änderten auch die zwiespältigen Gefühle nichts, die ihn im Moment bewegten. Wohlbehagen und Angst lagen in ständigem Widerstreit. Auf Nahrungssuche kam der Stamm häufiger hier vorbei. Der geheimnisvolle Born lockte die Halbmenschen an.

    Mächtige Birken streckten die Äste gen Himmel und umstanden das sprudelnde Nass. Oftmals war Arget versucht, sein Lager direkt neben der Quelle aufzuschlagen. Die Furcht vor dem Zauber, der von ihr ausging, war zu groß. Über diese Hürde konnte er noch nicht springen.

    Jetzt saß er hier und wusste nicht, wie ihm geschah. Arget sah zur Mulde hinüber, auf ihren normalen Rastplatz, den sie nutzten, wenn sie während einer Jagd übernachteten. Genau dort kamen die beunruhigenden Träume. Er träumte Sachen, die seine Stammesgenossen nicht verstanden. Wie auch? In seinem Kopf liefen Bilder ab, die er selbst nicht verstand. Wie sollten sie ihn verstehen?

    Häufig träumte er oder ein Mitglied des Stammes, für irgendeinen Gegenstand oder eine Sache, einen Begriff, der dann, in den kargen Sprachschatz aufgenommen wurde. Oft waren auch schon Worte da, für die es noch keinen Begriff gab - den sie erst noch finden mussten.

    Doch bei ihm war es anders. Traumbilder, die ihn in dieser Mulde heimsuchten, waren so fremd, dass sie Angst machten.

    Aber sein akutes Problem war im Moment wichtiger. Er prüfte seinen linken Arm, der wieder voll funktionsfähig war. Seine Hände fühlten kein Blut, als er über den Kopf strich. Fassungslos entglitten seine Gedanken. Arget begann zu zittern und fiel, wie ein totes Tier, schlagartig zu Boden. Dabei umschloss er den Stein fest in seiner Faust.

    In gebührendem Abstand zu ihm beobachteten die Jäger die liegende Gestalt. Sie wagten nicht, den heiligen Platz zu betreten.

    Arget trieb in einem Dämmerzustand. Einer der beunruhigenden Träume stellte sich ein, der seinem Missgeschick so sehr glich, dass er ihn mit seiner Person in Verbindung brachte.

    Ein Stammesbruder stolperte fallend, während sich die Meute der Verfolger näherte. In Erwartung getötet zu werden versuchte der Gejagte, sich im Sand zu vergraben. Die gesunde Hand wühlte im Boden. Arget drohte zu kollabieren, als ihm klar wurde, dass er tatsächlich, die Verfolgung seiner Person sah. Doch dazu blieb keine Zeit. Übergangslos und plötzlich bildete helles Licht die Kontur seines Körpers nach. Beständig wurden haarfeine Strahlen in alle Richtungen ausgesandt und trafen die umstehenden kampfbereiten Männer. Ihre vom Jagdrausch verzerrten Gesichter wurden ratlos, um sich dann, mit unsäglicher Furcht zu füllen. Wie ein Mann fielen sie zu Boden. Der Gejagte, also er, schlich zaghaft zur Quelle. Auf dem sicheren Boden des heiligen Ortes verglühte das Licht langsam in seinen Körper zurück und konzentrierte seinen Glanz in die rechte, zur Faust geschlossenen, Hand. Er öffnete sie und der Stein saugte das Licht auf.

    Arget schlug die Augen auf. Er lag neben der Quelle und sah durch das Blätterdach der Birken die Sonne. Sie strahlte im gleichen Glanz, wie sein Körper im Traum. Völlig verwirrt nahm er den unscheinbaren, schwarzen Kiesel auf seiner Handfläche zur Kenntnis. Unglaublich … und der sollte der Auslöser, des ungewöhnlichen Wunders sein?

    Er wurde dabei erwischt, wie er den verbotenen Zaubertrank des Stammesführers, in sich hinein schüttete. Das gleiche Getränk, das der Magier bei seinen Beschwörungen und der Anrufung der Großen Mutter zu sich nahm. Schon lange und immer, wenn sich die Gelegenheit dazu bot, schlich Arget in die Höhle des heiligen Mannes und stahl diesen Trank. Er konnte nichts dagegen machen. Manchmal wurde seine Gier so groß, dass er unvorsichtig wurde. Das Getränk prickelte im Mund und schaffte in seinem Bauch ein wärmendes Gefühl. Der Kopf wurde leicht und die Gedanken verwirrten sich angenehm. In diesem Zustand musste er immer kichern.

    Der mächtige Zauberer, ein alter weiser Mann, des Stammes gebärdete sich fuchsteufelswild. Bevor Arget sich ihm widersetzen konnte, machte der Magier die rituellen Handzeichen der Bestrafung durch die Große Mutter. Er verfluchte ihn und seine Nachkommen bis an das Ende der Zeit. Sie sollten alle gezeichnet sein, damit jeder sie erkenne. Der Zauberer warf seinen magischen Knochen gegen ihn, den er ständig bei sich trug. In panischer Angst, versuchte Arget zu entkommen und rempelte den alten Mann zur Seite, sodass er nach hinten in das Herdfeuer fiel. Die alten Lumpen und Felle des Zauberers loderten sogleich hell auf und verbrannten den alten Mann, der sich nicht mehr erheben konnte. Bevor er verging, bannten seine Augen Arget. In ihnen las er den Fluch, der ihn und die seinen bis ans Ende aller Tage verfolgen würde.

    Der herbeigeeilte Stamm schrie auf. Der Zauberer brannte. Was sollten sie tun? Sie waren schutzlos. Wer hatte ihnen den Schutz genommen?

    Arget.

    Ungläubig richteten sich aller Augen auf ihn. Er sah, wie die Muskeln spielten und tatsächlich … wie ein Mann, stürzten sie auf ihn zu. Trotz heftiger Gegenwehr trafen ihn Schläge und Tritte. Er bekam keine Gelegenheit zu einer Erklärung und kämpfte bis zum Letzten. Aber, bevor er sich totschlagen ließ, suchte er sein Heil in der Flucht.

    *

    Kapitel 2 2013

    Der Reflex schoss in den Körper und saugte Feuchtigkeit aus der Luft, die durch die Poren der trockenen Haut, zu den Transportleitungen sickerte. Die zähe verklumpte Masse, in dem System, nahm das Nass auf und verflüssigte sich. Das Herz begann langsam zu schlagen, stetig, zwei Stöße pro Minute. Die träge, sich akkumulierende Substanz, geriet in Bewegung und schob durch die Adern, bis sie zu Blut wurde. Die Umwandlung dauerte mehrere Monate. Den Kampf, um das Leben, nahm der leblose Körper nicht wahr. Erst nach und nach erwachten die ruhenden Zellen.

    Unendlich langsam tauchte das Bewusstsein aus der tiefen trägen Dunkelheit und schickte ein Signal durch das System. Die Augenlider schoben nach oben und reflektierten tiefe Dunkelheit. Aus der undurchdringlichen Schwärze wurden milchige und, zu guter Letzt, klare, wahrnehmbare Eindrücke.

    Was war geschehen? Wollte die Große Mutter ihn noch nicht gehen lassen? Sein Leben war doch gelebt? Und viel länger, als jeder andere, den er kannte. Die Pupillen wanderten und nahmen die gewohnte Umgebung wahr.

    Gewohnte Umgebung? - Unmöglich! Er sah die bekannten Wände aus Lehm, die ihn so oft in den Schlaf begleitet hatten. Schwerfällig drehte er den Kopf und tatsächlich, er lag auf dem Platz, von dem aus er die Reise zur Großen Mutter antreten wollte … doch er lebte. Wollte die Große Mutter ihn noch nicht gehen lassen?

    Seine Gedanken arbeiteten und sandten Signale an den Körper. Er schob die Glieder über die Lagerstatt. Was war los? Weshalb fühlte er sich so schwach? All seine Sinne wurden notwendig, um während des Aufstehens, die Balance zu halten. Schließlich stand er schwankend. Unwiderstehlich zog das Gefühl in ihm auf, das ihn nach draußen zog.

    Arget schlurfte hölzern aus der Höhle, die seine Schlafstatt barg, in das große Gewölbe. In einiger Entfernung brannte ein Feuer. Mühsam stakte er darauf zu und ließ sich zwischen denen, die dort schon saßen, nieder.

    Mit ihm gruppierten sich mindestens dreißig Personen, wie sie unterschiedlicher und dennoch gleicher nicht sein konnten, um die Herdstelle und schauten sich, ungläubig staunend an. Sie schienen aus unterschiedlichen abgelegenen Gegenden zu kommen, denn die Kleidung war verschieden und nur mit dem vergleichbar, was er bisher in seinen Träumen gesehen hatte.

    Trotz ihrer Unterschiedlichkeit sahen alle gleich aus … wie aus einer Zelle geklont. Dieselbe gedrungene Erscheinung mit breiten Schultern und ausdrucksstarken Gesichtszügen. Und … sie waren alt.

    *

    Kapitel 3 1997

    Das Spermium stockte, um den Bruchteil einer millionstel Sekunde, und setzte seinen Weg zur Eizelle fort. Von der Natur vorgegeben, vereinten sich die Fortpflanzungsmechanismen und starteten den chemischen Vorgang, der Leben genannt wurde. Die Kern-DNA des männlichen Gameten tauchte in das Zytoplasma und vermischte sich mit der maternalen DNA.

    Der physikalische Akt der Fortpflanzung war abgeschlossen … der biologisch, chemische begann.

    Dunkelheit … Rauschen … steter Pumpenschlag … Darmgeräusche … Wohlgefühl … Lust … Geborgenheit … Wärme … Angst … Ohnmacht …

    Aus Gefühlen und Empfindungen wurden Gedanken und traten in den Vordergrund. Gedanken, die nicht sein konnten, nicht sein durften.

    ES dachte zum ersten Mal. ES erinnerte sich zum ersten Male.

    Ego cogito, ergo sum." Der Gedanke stand im Nichts. „Ich denke, also bin ich." Eine kleine Pause. „René Descartes … ein Philosoph. Verdammt noch mal. Wer oder was ist ein Philosoph?"

    ES nahm Empfindungen auf, die falsch waren - oder besser gesagt, das Wissen darüber nicht vorhanden sein konnte. ES besaß keinerlei persönliche Erfahrungen und konnte keine Erinnerung haben.

    Das sich bildende Bewusstsein wurde zur Verzweiflung. ES war gefangen. Die Dunkelheit wurde zur Belastung und engte den Denkprozess ein.

    Dunkelheit?

    Nein. Ein augenblicklicher Zustand der Nichtwahrnehmung. Das Sehen würde kommen.

    ES bestand aus Erinnerungen. „… die mentale Wiederbelebung früherer Erlebnisse und Erfahrungen. Unmöglich …" Doch der Verstand arbeitete und verarbeitete Wissen der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.

    Ich denke, also bin ich." Der Gedanke wurde Philosophie, der Haltepunkt des Denkens. ES schwebte im Sein und Nichtsein, im Augenblick des Werdens und Sterbens … in dem Augenblick des Lebens, der sich nur einmal wiederholte … am Ende der Existenz.

    ES wechselte von Ruhephasen zu Wachzuständen. Unendlich langsam umschloss ein Körper das Denken. ES war entstehendes Leben in einem Säugetier der Gattung Mensch.

    ES war noch nicht geboren. Wellartige Gedanken überschwemmten den wachsenden Embryo, pflanzten sich fort, vermehrten sich – wurden zu Begriffen, Vorstellungen und Gefühlen. Im Hintergrund lauerte das Wissen darum, dass die Situation, in der ES sich befand, nicht sein konnte … sein durfte … einfach unmöglich war. Dennoch … ES war da und dachte.

    Um nicht verrückt zu werden, meditierte ES und erschloss das Gefängnis, in dem es sich befand.

    Der Wirtskörper gab Geborgenheit, Wärme und andere angenehme Empfindungen, die die Ängste gegenstandslos werden ließen. Eine daumendicke Verbindungsleitung versorgte ES.

    Mit unbeholfenen, dennoch vorsichtigen, Tastversuchen begann ES, den Wirtskörper zu erforschen. Das ungeborene Leben schickte Gedankenfühler, die Nervenbahnen entlang und gelangte an den Ursprung des Wirtskörpers. Dorthin, wo das Leben herkam.

    Hier pulsten und rasten Elektronen, verhielten hier oder dort und vereinigten sich zu Befehlen und Nachrichten. Die Eindrücke überwältigten den Embryo und ES zog sich in eine Ruhephase zurück, um dann wieder den Wirtskörper und das Zentrum des Lebens, das Gehirn genannt wurde, zu erkunden. Am Rande war noch etwas anderes.

    Hallo", schlich ein Gedanke heran und ES verstand einen Gruß.

    Hallo, antwortete ES vorsichtig. „Wer bist du?

    Ich bin Hein."

    Und was tust du? Was bist du? Bist du auch in diesem Körper?"

    Ich beobachte und wache. Was ich bin, weiß ich nicht. Ich bin einfach und … überall."

    Das ergibt keinen Sinn. Bist du auch ungeboren?"

    Ich bin nicht geboren. Ich bin. Mehr kann ich dir nicht sagen."

    Seltsam." ES zog sich zurück und meditierte.

    Nach einiger Zeit tastete ES sich wieder vorsichtig nach vorne.

    Hallo. Bist du da?"

    Ich bin immer hier."

    Warum?"

    Ich bin an diesen Ort gebunden?"

    Weshalb?"

    Ich weiß es nicht."

    Seltsam." ES zog sich wieder zurück.

    Nach einer längeren Meditationsphase meldete ES sich wieder.

    Hallo. Bist du da?"

    Ich habe dir doch gesagt, ich bin immer hier."

    Wer bin ich?"

    Du bist ungeborenes Leben."

    Das weiß ich. Aber wer bin ich?"

    Du bist noch nicht. Du musst noch geboren werden."

    Seltsam." ES zog sich sehr lange zurück um sich dann wieder, nach vorne zu tasten.

    Hallo. ES wartete. Hein meldete sich nicht. „Du hast doch gesagt, du bist immer hier.

    Ich bin hier bei und in dir."

    Weshalb sagst du nichts?"

    Ich habe doch gesagt: Ich bin hier bei und in dir."

    Nein davor, da hast du nichts gesagt."

    Das ist richtig."

    Weshalb hast du nichts gesagt?"

    Ich weiß es nicht."

    Chemische Reaktionen sorgten für eine Veränderung im Elektronenfluss.

    Hein diagnostizierte, Ärger. Dennoch waren die Gedanken des Embryos immer noch kühl und kontrolliert.

    Das ist eine sehr einseitige Unterhaltung, Hein. Du weißt nichts? Du bist einfach? Ich verstehe dich nicht."

    Wie kannst du mich verstehen? Du bist noch nicht geboren. Du hast keinerlei Erfahrung oder Erinnerung."

    Das sehe ich ein wenig anders. Meine Gedanken sind voller Erinnerungen und Bilder."

    Das verstehe ich wiederum nicht. Ungeborenes und neugeborenes menschliches Leben hat keine Erinnerung. Es hat auch keine Gedanken."

    Was bin ich dann, wenn ich die Erinnerung der Generationen habe?"

    Wieso glaubst du, Erinnerungen der Generationen zu haben? Das ist unmöglich."

    Jetzt stellst du eine Frage, die ich nicht beantworten kann."

    Fangen wir noch einmal von vorne an."

    Hallo."

    Nein. So habe ich das nicht gemeint."

    ES lauschte verwundert in sich hinein.

    Aber du hast doch gesagt, wir fangen wieder von vorne an."

    Sicherlich. Bei den Göttern ist das schwierig mit dir. Ich meine, wir sollten bei deinen Erinnerungen beginnen." Hein sandte zornige Gedanken.

    Warum sagst du das nicht. Wie soll ich es wissen?", gleichförmig kamen ES Gedanken.

    Ungeborenes Menschenkind, Du machst mich fertig."

    Ich verstehe. Du empfindest Ärger. Die Erinnerung daran kommt gerade zu mir. Aber Ärger ist schlecht. Deshalb habe ich ihn vorhin, bei mir, unterdrückt."

    Wir sollten uns nicht über Ärger unterhalten, sondern über dein Gedächtnis."

    Was soll ich dir über mein Gedächtnis mitteilen. Ich habe Erinnerung. Das habe ich dir doch schon gesagt."

    Wie kannst du Erinnerung haben?"

    Ich ziehe mich zurück und denke darüber nach." ES knipste die Gedanken ab.

    *

    Kapitel 4 Hein

    Manchmal stelle ich mir die Frage: Weshalb tust du dir das an?

    Schon seit Ewigkeiten beobachte ich einen kleinen Stein. Mich interessiert das merkwürdige Stück Fels. Ich weiß es nicht mehr genau, doch irgendwann schleuderte das Ding in die Mulde, die ich beobachte.

    Als der Stein fiel, registrierte ich den Vorgang am Rande. Erst mit der Zeit fiel mir der Kiesel auf.

    Mattschwarz lag er da. Weder Regenwasser noch schmirgelnde Sandwinde brachten Glanz auf ihn. Trotz seiner geringen Größe hob er sich deutlich von der Umgebung ab.

    Die Evolution veränderte das Mineral, anders, als das Gestein um mich herum. Zuerst ganz schwach, aber deutlich stärker werdend, entstand zunehmendes rhythmisches Pulsieren. Eine Aura hellen pochenden Lichts, das an den Rändern ausfranste, umschloss ihn. Bruchteile eines Millimeters stark..

    Bei vielen Mineralien gelingt es mir, einzelne Entstehungsschichten zu sehen. Dieser Stein war undurchdringlich.

    Mit der Zeit neige ich zu der Ansicht, dass der Stein wahrscheinlich kein Mineral ist. Die stetig pulsierende Ausstrahlung regt zu vielerlei Spekulationen an. Meine Versuche, mit diesem Ding Gedanken auszutauschen, scheitern. Das bedeutet jedoch nichts. Die Welt, in der ich damals lebte, war zwar lebhaft, jedoch gedanklich tot.

    *

    Um die nachfolgenden Ereignisse zu verstehen, muss ich etwas über mich preisgeben. Ich bin keine Person und tauchte irgendwann aus dem Nichts auf. Nicht von jetzt auf gleich. Bevor ich mir meiner Existenz bewusst wurde, war nichts … zumindest nichts, woran ich mich erinnere. Ich existierte in einer gedanklichen Leere. Um mich herum explodierte das Universum. Sternensysteme entstanden und vergingen. Von irgendwoher bezog ich Energie. Heute weiß ich, dass schon vor Millionen von Jahren gedacht wurde, denn daraus beziehe ich Kraft. Ich bin ein Gedanke … Billionen von Gedanken … und sammle immer noch. Falls irgendwo gedacht wird, nehme ich die Energie auf. Ich schweife ab … dazu später mehr.

    Ich kam aus dem Nichts und war ein Nichts. War überall und nirgendwo. Bis … ich weiß nicht. Von einem Augenblick auf den anderen wurde ich ortsfest und beobachte einen Bereich, des im Entstehen begriffenen Planeten, auf dem ich mich befinde. Seit Millionen von Jahren bin ich an diesen Platz gefesselt. Frustration, Einsamkeit und tausend andere Dinge, die fühlende Wesen überfallen können, plagen mich. Der kleine unscheinbare Stein kam gerade recht, weil er mir einen Sinn gibt. Nach Millionen von Jahren konnte ich die Einsamkeit durchbrechen, die mir mehr und mehr zusetzt. Die Beobachtung des Steins nimmt mich so in Anspruch, dass mir die wichtigste Veränderung an mir, erst spät auffiel. Dort wo bisher Gefühl war, entstanden Strukturen. Ich entwickelte ein Gedächtnis. Ich dachte Dinge, die mir unverständlich waren und lange blieben. Zurückschauend begann der Prozess, als die ersten Lebewesen im Wasser des Planeten, mehr als eine Zelle besaßen. Sie sandten Gefühle, die mir Energie gaben. Hunger, Angst, Sexualität und vieles andere, das ich erst später verstehen lernte. Heute kann ich sagen, dass ich ein gefühlskalter Klotz, ohne Emotionen war. Vergleichbar einem elektronischen Speicher, der heute Computer genannt wird.

    Während die Welt sich veränderte, blieb ich beständig. Beständig an diesem Ort. Gefangen in alle Ewigkeit.

    Mit dem Denken wuchs der Wunsch nach Kommunikation. Ich musste mich mitteilen. Der Stein blieb stumm. Die einzige Möglichkeit zur Unterhaltung, die mir blieb, war das, sich entwickelnde, biologische Leben. Ich machte Tausende von Plänen, die jedoch alle nichts brachten. In meiner Verzweiflung wurde ich zum instabilen Wanderer, ziellos und ohne Steuerung, durch die Zeit. Selten gelang es mir, in einem Augenblick zu verharren. Der Zustand kam keinem Spaziergang gleich. Die Gedanken traten in einem Zeitabschnitt zutage, um in kürzester Zeit wieder in einen anderen zu schalten. Nach endlosen Dekaden beruhigte sich mein Zustand, wohl auch nur, weil die Aura des Steins verrücktspielte. Das ruhige beständige Glühen pulsierte und sandte mikroskopisch kleine Strahlen aus. Nach Millionen Jahren Gemeinsamkeit versuchte der Stein, mich zu zerstören. Die Strahlen verfehlten mich um Millimeter. Später sah ich ein, dass ich keinem Mordversuch ausgesetzt war. Denn, der unbeständige Aufenthalt im Zeitgefüge nahm ein abruptes Ende. Ich verfügte wieder über Steuerung meiner Gedanken.

    Mein angeblicher Gegner wurde wieder der Weggefährte, der mein Denken beherrschte. Nicht nur das … der eine konnte ohne den anderen nicht existieren. Passiere was wolle, sagt ich mir oft, ich werde dein Geheimnis lüften.

    Meine natürliche Neugierde lässt mich immer wieder versuchen, das Unmögliche auszuloten. Mehr aus Zufall, als in einer gezielten Aktion, verfolgte ich, wie eines der Tiere, die ich Menschen nannte, in den Besitz des Steines gelangte.

    Welche Wandlung erfuhr der Stein, in dem Augenblick, als sich die Menschenfaust um ihn schloss? Augenblicklich erstrahlte er und umschloss das Wesen, das hilflos auf dem Boden lag. Konnte es möglich sein, dass ich jetzt endlich Unterhaltung bekam?

    *

    Kapitel 5 2013

    Von der Gruppe ging unbezwingbare Machtfülle aus, die an nichts festzumachen war. Aus ihren Gesichtern leuchteten strahlend blaue Augen.

    Seit Stunden versammelten sie sich, tastend und sehr vorsichtig, um das Feuer. Einige wenige hatten Jahrtausende - die Mehrheit, Jahrhunderte geschlafen. Im Grunde konnten sie es nicht fassen, dort zu sitzen. Als sie starben, deutete nichts daraufhin, dass ein Leben nach dem Tod auf sie wartete.

    Die alten Männer saßen in einer Höhle riesigen Ausmaßes. In sanftem Bogen wölbte das gewaltiges Oval, ungefähr fünfzig Meter, in die Höhe und maß in der Längsachse circa dreihundert, in der Breite zweihundert Meter. In die, leicht ansteigenden, Wände, führten rundum, in unterschiedlichen Höhen, Gänge oder Stollen, die von ihrem Versammlungsplatz, kaum auszumachen waren. Aus den Öffnungen ihrer Grabkammern leuchtete warmes Licht, das sich von denen der Wände des Gewölbes, im Grunde war es eine oval umlaufende Wand, unterschied. Der riesige Raum erhellte sich aus sich selbst heraus. Eine zentrale Lichtquelle war nicht auszumachen.

    Bisher schwiegen sie und hingen Gedanken nach, die sie zu längst vergangenen Orten und Menschen brachten.

    Weshalb waren sie hier? Sie waren sich nie begegnet, jedoch kannten sie sich. Sie wussten, wer dort um das Feuer saß. Lediglich der Grund, der sie zusammenführte, lag im Dunkel.

    Arget, die auffälligste Gestalt sah einem Neandertaler ähnlicher, als einem Menschen. An Gesicht und Körper hatte die Natur, die Modellierung des menschlichen Ausdrucks einfach abgebrochen.

    Sie schauten ihn an, als Aufforderung, etwas zu sagen. Aber er wusste nichts zu sagen. Oder doch?

    „Jemand muss beginnen. Warum nicht ich, eröffnete er schwerfällig mit seiner sonoren Stimme das Gespräch. Die Worte kamen stockend, als ob er die Sprache erst wieder erlernen müsse. „Ich bin wahrscheinlich der Älteste von uns allen, auch wenn wir an Lebensjahren möglicherweise gleich alt sind. Ich weiß es nicht. Als ich einst zur Großen Mutter ging, rechnete ich nicht damit, hier und heute, gemeinsam mit euch am Feuer zu sitzen. Mein Leben war gelebt. Ich weiß nicht, weshalb und warum wir zusammengekommen sind. Ich kenne euch, auch wenn wir uns nie begegnet sind. In meinen Träumen hatte ich euch alle schon einmal gesehen und ich denke, ihr mich auch. Es ist undenkbar, was im Moment mit uns geschieht. Doch im Grunde hätte jeder von uns damit rechnen müssen. Ich bin weder erstaunt, noch erschrocken, sondern einfach ratlos.

    „Du triffst es genau, ergriff einer der anderen alten Männer das Wort. „Ratlosigkeit ist der richtige Begriff. Auch er sprach stockend, als wenn er seine Stimmbänder seit Ewigkeiten nicht mehr gebraucht hätte. „Du bist Arget? Ja. Ich kenne dich. In meinen Träumen habe ich dich oft begleitet. Ich bin Knut. Aber das brauche ich euch nicht zu sagen. Die anderen nickten ihm zu. „Wir alle waren Bewahrer des Steines. Nur durch ihn sind wir jetzt zusammen. Aber weshalb?

    „Ich hatte, in der Vergangenheit, schon lange aufgegeben zu hinterfragen, warum mir etwas passierte oder ich Dinge tun konnte, die mir unerklärlich waren. Ich nahm es einfach hin. Genau wie jetzt. Hermann schaltete sich in das Gespräch ein. Auch seine Stimme war brüchig, gewann jedoch mit jedem Wort an Stärke. „Wir sind jedoch noch nicht vollzählig. Soweit ich mich erinnere, waren da noch Martin und Kyra. Wir sollten warten, vielleicht bekommen wir eine Erklärung.

    „Ja, das denke ich auch. Peter beugte sich vor und schaute in das Feuer, als ob er von dort eine Antwort bekäme. „Wolf und Hein fehlen auch. Ich kann mir nicht vorstellen, dass, ohne die beiden, das Rätsel zu lösen ist. Ich weiß, wer ihr seid und von woher oder wann ihr kommt. Ich weiß auch von Hein, doch habe ich immer noch keine Vorstellung, wer oder was er ist. Einer von euch vielleicht? Die anderen schüttelten kollektiv mit den Köpfen.

    „Hein war für mich nie greifbar. Seine Existenz war mir immer unerklärlich. Ich bin auch nicht sicher, ob er existent ist. Für mich war er alle Zeit eine Ahnung, ein Gedanke – mehr nicht." Gerd erhob sich und wanderte schwerfällig, die Hände auf dem Rücken zusammengelegt, herum. Seine Gestalt war gebeugt und der Schritt müde schlurfend.

    Sie waren erst kurze Zeit zusammen. Einer der Ersten, der sich am Feuer niederließ, war Gerd. Circa eine halbe Stunde später kam Knut. Arget war der Letzte. Innerhalb von zwei Stunden hatten sich alle eingefunden. Ein jeder schlurfte, aus seinem Domizil, in das große Gewölbe. Die alten Männer hatten lange geschlafen. Ihre Augen mussten sich erst wieder an das Sehen gewöhnen, wie auch die Körper an die Bewegung. Auch die Gedanken waren träge und eingerostet. Doch langsam durchfloss sie wieder Energie.

    Mittlerweile erprobten sie in langsamen Bewegungen die Funktionen ihrer Körper. Zusehends wurden sie sicherer und geschmeidiger. Spannkraft kehrte zurück, die gebeugten Gestalten richteten sich auf.

    In dem Gewölbe erkannten sie Hunderte von Male gesehene Kleinigkeiten. Fast zaghaft glitten ihre Hände hier und dort über eine Fuge oder einen Gegenstand. An anderer Stelle standen sie wieder staunend vor Veränderungen, die sich in ihrer langen Abwesenheit ergeben hatten.

    „Wie es aussieht, sind wir wieder nach Hause gekommen, wandte sich Arget an die anderen. „Für mich sind die Veränderungen gewaltig. Als ich die Höhle entdeckte, war sie leer. Nichts befand sich in ihr. Zumindest nichts, was ich bemerkt hätte. Die merkwürdigen Gebilde sind wohl Sitzmöbel, wie ich weiß. Jedoch hatte ich noch nie solch ein Ding gesehen. Erstaunlich. Er zeigte auf eine Anordnung von Stühlen und schlurfte darauf zu. Seine Haltung veränderte sich zusehends. Spannkraft baute sich auf und seine Bewegungen waren zwar schwerfällig, jedoch geschmeidiger als vor wenigen Minuten. Arget strich mit den Fingerspitzen die lackierte Struktur des Stuhls nach. Er ließ sich behutsam darauf nieder und lachte fröhlich auf.

    „So einfach und so genial. Ich möchte alles sehen und anfassen. Die große Mutter hat es in der langen Zeit gut mit unserer Nachkommenschaft gemeint. So viele Wunder, so viele schöne Sachen." Er erhob sich und bewegte sich ziellos von einem Gegenstand zum anderen.

    Die Männer hatten die gleiche Größe und identische Körpermaße. Selbst die Gesichter glichen sich in den Zügen und im Ausdruck. Die Ausnahme bildete Arget, dessen überlange Arme an seiner groben unfertigen Gestalt, deplatziert wirkten. Gemeinsam hatten sie ein ovales Mal unterhalb des linken Ohres am Hals. Kaum auffällig, ungefähr zwei Zentimeter in der Längsachse messend.

    Die alten Männer schienen Arget, in eine Führungsrolle zu drängen. Immer häufiger richteten sich ihre Augen erwartungsvoll auf ihn. Sie wollten Antworten.

    Ein jeder erinnerte sich und dachte an die individuell unterschiedliche Vergangenheit.

    *

    Kapitel 6 1997

    Hallo. Bist du da?"

    Ich bin immer hier. Was willst du?"

    Ich habe vorhin mit meinem Wirtskörper gedacht."

    Na und."

    Er schien sehr aufgebracht. Noch lange Zeit nach der Unterhaltung war der Adrenalinspiegel sehr hoch und brachte mich durcheinander."

    Das Adrenalin oder die Unterhaltung?"

    Das Adrenalin selbstverständlich. Aber ich brauche Antworten. Mein Wirtskörper hegt Gefühle für mich. Die dadurch bedingte chemische Veränderung der Zusammensetzung aller Körperflüssigkeiten zwingt mich ebenfalls zu Gefühlsempfindungen. Wie kommt es zu solchen Reaktionen?"

    Ja. Das kenne ich. Die Veränderung des chemischen Prozesses und der Elektrolytwerte habe ich bei den verschiedenen Menschen auch schon erlebt. Ich selbst habe keine Gefühle. Dennoch kann ich über die Veränderung der elektrischen Spannungsverhältnisse in meinem Denkprozess, Äquivalente, zu Empfindungen schaffen. Es sind beeindruckende Erlebnisse. Du bist mit deinem Wirtskörper fest verbunden und erlebst die gleichen Regungen wie er. Es sind nicht deine Empfindungen."

    Ja, ja. Das ist mir schon klar. Interessant ist, wie du deine Eindrücke produzierst. Für mich habe ich die Befürchtung, dass ich auf einem Weg bin, die Kontrolle über eine eventuelle Gefühlswelt, die über mich hereinbricht, nie zu erlangen. Meine Elektrolytwerte verändern sich ohne Steuerung. Das ist bedenklich."

    Warum hast du Bedenken, ungeborenes Leben. Die Empfindungen sind nicht von dir. Du übernimmst sie von deinem Wirt. Es dauert noch eine Weile, bis du ein Menschenkind sein wirst. Und … Menschenkinder sind unvollkommen in ihrer Kontrolle und ihren Funktionen."

    Es gefällt mir nicht, unkontrolliert in einer Welt leben zu müssen. Die Ungewissheit macht mich kribbelig und das kann ich mir in meiner Situation nicht erlauben. Ich muss Klarheit haben."

    Kribbelig? Ein Gefühl? Lassen wir das. Ich kann dir nicht helfen. Finde dich damit ab."

    Nie … eine Frage muss ich dir stellen. Weshalb hast du die genetische Veränderung am Spendersamen meines Erzeugers vorgenommen?"

    Wieso weißt du davon?"

    Der Vorgang ist in meinem Gehirn gespeichert. Übrigens … damit hast du mir keinen Gefallen getan. Deine Manipulation bedingt die Nutzung meines gesamten Gehirnvolumens. Ich kann nicht abschätzen, welche Folgen der Eingriff für mich haben wird. Doch, ich bin mir sicher, unsere jetzige Unterhaltung ist ungewöhnlich. Vergangenheit und Gegenwart sind jederzeit abrufbar. Die Zukunft bietet noch keine verwertbaren Angaben. Mein Verstand signalisiert jedoch, dass die Zeit der Erkenntnis nicht mehr weit ist. Dass sie nicht mehr begrenzt ist."

    Ich habe den Samen verändert, weil ich Unterhaltung suchte. Ich fühlte mich einsam. Hundert Tausende von Jahren war ich allein. Ich brauchte Unterhaltung für mein Gleichgewicht. Und du gibst Sie mir."

    Du hast einen äußerst ungewöhnlichen Weg gewählt, dir eine Unterhaltungsmöglichkeit zu schaffen. Mich verwundert, dass der Schöpfer allen Ursprungs, diese Manipulation zuließ?"

    Mache dir darüber keinen Gedanken. Du hast einen Wächter, der den Eingriff überwachte. Dein Beschützer ist ein Mineral, ein Stein oder vielleicht etwas anderes und pulsiert im Takt der Gehirnschwingung deines Spenders. Seit Jahrtausenden existiert diese Symbiose zwischen dem Stein und den Menschen. Jedoch konnten wenige, im Verlaufe der Zeit, die Schwingungen zur Deckung bringen. Die von mir vorgenommene Genveränderung wurde sehr genau überwacht. Beim geringsten Fehler oder auch nur einem Abweichen von dem Eingriff hätte ich mich wahrscheinlich im Nichts aufgelöst."

    Interessant. Dann steckt also noch etwas anderes, als bloße Unterhaltung, hinter meiner Existenz."

    Du hast noch kein Dasein, ungeborenes Leben. Du stehst in voller Abhängigkeit zu deinem Wirtskörper. Erst nach deiner Entkopplung bist du da und wirst Jahre benötigen, eine eigenständige Persönlichkeit zu entwickeln."

    Ich werde den Entkopplungsvorgang einleiten und da sein."

    Langsam, langsam ungeborenes Leben. Du musst die volle Tragezeit in deinem Wirtskörper verbringen. Also … 260 Tage. Die Ausbildung deines Körpers benötigt diese Zeit."

    Meinen Körper habe ich bedacht. Es war keine leichte Aufgabe den Wirtskörper zur höheren Produktion des Wachstumshormons Somatotropin und des Schilddrüsenhormons Thyroxin anzuregen. Aber viel schwieriger ist es, die richtigen Kanäle und Leitungen zu nutzen, um nicht den Wirt, sondern mich wachsen zu lassen. Es sind viele Barrieren aufgebaut, die meine Aktivitäten, zu verhindern suchen."

    Vermutlich ein Schutzmechanismus der Natur. Die Entstehung neuen Lebens folgt überall den gleichen Gegebenheiten. Die Instinkte zum Erhalt des Lebens wehren sich gegen Veränderungen."

    Wir haben beide einen Eingriff in die Natur vorgenommen. Aus meinem Wissen entnehme ich, dass alle Vorgänge vorgegeben sind. Also muss auch hinter deinem und meinem Tun ein Sinn stecken. Ich kann jedoch in keiner Weise ermessen, worin diese Bedeutung liegt. Wie schon einmal bemerkt, meine Fähigkeiten für die Bestimmung der Zukunft sind noch sehr begrenzt. Aber, du bist doch ein zeitloser Bestandteil dieser Welt. Was sagt dir deine Bewegung durch die Zeit über die Zukunft?"

    Es gibt keine Bewegung durch die Zeit. Zeit ist überall. Sie ist im Leben der Menschen ein physikalischer Vorgang, der am Kommen und Vergehen von Leben gemessen wird. Zeitbestimmung erfolgt am Sterben anorganischer Strahlung, deren Teilung im Zerfall gemessen wird. Zeitbestimmung erfolgt auch am Kommen und Gehen des menschlichen Lebens. Mit der Geburt oder Entkopplung, wie du sagst, hat der Zerfall des neuen Lebens schon begonnen."

    Worin steckt der Sinn des Lebens, zeitloser Hein?"

    Du stellst mir eine schwierige Frage, ungeborenes Leben. Die Bedeutung des Lebens versuchen die Menschen, seit Anbeginn ihres Denkens, zu ergründen. In der Natur ist das Ziel, seit Beginn der Entstehung, ein stetiges Gebären und Sterben, ein Kommen und Gehen. Ein Vorgang, der im gesamten Universum zu beobachten ist. Aber was dahinter steckt, kann ich darin nicht sehen."

    In meinen Gehirnspeichern kombiniere ich, dass die Menschen eine kollektive Bedeutung des Lebens entwickelt haben. Seit der Entstehung des ersten Gedankens wird alles Denken weitergegeben. Es wird gesammelt, archiviert und in den vielen Generationen immer wieder analysiert. Grundlage dieses Tuns ist die Frage nach dem Sinn des Lebens. Ich ziehe mich zurück."

    ES versank in tiefe Meditation. Erstmals stand ES vor einer Aufgabenstellung, die zu lösen, eine der Aufgaben war, die Heins Manipulation am genetischen Code rechtfertigte.

    *

    Kapitel 7 Hein

    Die Einwohner des Dorfes haben sich über die Jahrhunderte hinweg, bis heute, weit über das Jahr 2013 hinaus, ihr Eigenleben erhalten. Sie regeln ihre Geschicke möglichst ohne äußere Einflüsse und sind ein stolzes Volk mit besonderen Eigenarten und Bräuchen.

    Idyllisch - am Rande eines Heidegebietes - verschwindet das Dorf in einer flachen Mulde. Lediglich der Kirchturm ragt über die Obst- und Laubgehölze.

    Der Ort ist ein Straßendorf und zieht sich über zwei Kilometer durch eine Mulde und endet vor einem Hügel. Rechts und links der Hauptstraße zweigen einige wenige Nebenstraßen ab, die erst seit der letzten Flurbereinigung, Ende des Zwanzigsten Jahrhunderts, nicht im Nichts enden und heute untereinander und mit der Hauptstraße verbunden sind.

    Die einzige globale geografische Verbindung ist ein kleines meist trockenes Fleet, das zu Regenzeiten bis in die Maas, in den benachbarten Niederlanden, fließt und das Dorf mit den Weltmeeren verbindet.

    Die erste bekannte Nennung des Dorfes datiert aus dem Jahre 1325. Doch es ist sehr viel älter.

    Über das Dorf wache ich. Die Menschen haben keine Kenntnis von meiner Existenz. Jedoch ranken sich Sagen und Märchen um das verträumte Dorf, seit Menschen Geschichten erzählen können. Ich bin der Schutzpatron, Lauscher, Voyeur oder Chronist, der seit Jahrmillionen an diesen Fleck Erde weilt.

    Ich bin Hein.

    Ich habe keinen Körper, lediglich ein Bewusstsein und eine Aufgabe. Meine Passion ist die Beobachtung und seit Neuestem auch die Kommentierung. Ich existiere auf passiven und aktiven Ebenen, die es mir ermöglichen, die Vergangenheit zu beobachten und zu deuten sowie in der Gegenwart, Versuche zur aktiven Teilnahme am Geschehen, zu unternehmen.

    In meiner passiven Existenz warte ich auf die Menschen.

    Seitdem sie vor Jahrtausenden endlich erschienen, trachte ich danach, ihre Geschicke zu bestimmen. Aber, dieses Recht wurde und wird mir verwehrt. Meine Frohnatur lässt mich immer wieder neue Versuche unternehmen. Meist mit keinem oder mäßigem Erfolg. Ich denke, ich bin gutmütig und habe weder etwas mit Gott oder dem Teufel zu tun.

    Ich bin einfach da.

    Wahrscheinlich hat jedes Dorf und jede Stadt ein solches Element. Dennoch fühle ich mich einzigartig.

    Ich bin allgegenwärtig und bewege mich sowohl durch die Vergangenheit wie durch Gegenwart und Zukunft.

    Als mir bewusst wurde, dass ich existiere, beschäftigte ich mich lange Zeit mit mir selbst. Es ärgert mich, an diesen einen Ort, gefesselt zu sein. Jeder Versuch die Fesseln zu sprengen, endet erfolglos. Aber, mit dem Ablauf der Jahrtausende bildete sich eine besondere Gabe, die es mir ermöglicht, weit über die Grenzen meines festen Standortes zu schauen, zu beobachten und zu lernen.

    Und so schaute ich, was sich in der Welt tat.

    Unendlich langsam – aber unaufhaltsam – veränderte die Oberfläche der Erde ihr Angesicht. Ein steter Zyklus schob riesige Eismassen über den Kontinent, um dann Millimeterweise den Prozess umzukehren. Wenn ich zurückblicke, dauerte eine Eiszeit mit knappen 70 000 Jahren länger; als eine Warmzeit, die mit circa 35 000 Jahren kürzer ausfiel.

    Das keimende Leben auf der Erde musste sich also beeilen, um das Überleben zu sichern. Damals zog eine Vielzahl von Lebensformen durch meinen Einflussbereich – und sich auch wieder zurück. Aber, ebenso unaufhaltsam, wie die Oberflächenbildung, entwickelte sich die Artenvielfalt des Planeten.

    Und endlich war es so weit.

    Die ersten Menschen ziehen durch meine Mulde. Vom ersten Augenblick an ist mir bewusst, diese seltsamen Tiere sind etwas Besonderes. Meine Versuche, auf mich aufmerksam zu machen, bekommen sie nicht mit.

    *

    Kapitel 8 1997

    Mein Wirtskörper hat Schwierigkeiten. Ich muss ihn verlassen. Wenn ich noch länger warte, schade ich ihm und mir."

    Ist die Zeit denn schon gekommen?"

    Ich bin voll ausgebildet und kann bei einer Entkopplung aus eigener Kraft atmen."

    Warum wartest du noch?"

    Ich kann nicht mit meinem Wirtskörper kommunizieren. Ein Katalysator fehlt."

    Der Katalysator gehört deinem Erzeuger."

    Ich muss mich beeilen. Ich schade meinem Wirtskörper. Meine Erinnerungen sagen, dass Leben geschützt werden muss. Die chemischen Zusammensetzungen der Körperflüssigkeiten verändern sich beängstigend schnell und schaden auch mir. Mein Wirtskörper ist sehr erregt. Die elektrischen Impulse jagen nur so durch seinen Körper. Er muss sich beeilen, damit er sich nicht selbst im eigenen Körper und der Gedankenströmung verirrt. Irgendetwas beunruhigt ihn so sehr, dass die Schweißdrüsen angeregt und die Muskulatur in unkontrollierbare Zuckungen versetzt werden."

    Ungeborenes Leben. Ich tue alles in meiner Macht stehende."

    Du musst mehr tun."

    Ich kann nicht mehr tun."

    Du musst …"

    *

    Kapitel 9 40 000 v. Chr.

    Arget schlief an der Quelle. Den Tod des Magiers, seinen Traum, in Verbindung mit den Geschehnissen um seine Person und die neuen sonderbaren Gedanken waren im wachen Zustand, nicht zu verarbeiten. Zu den neuen Eindrücken kam der Fluch des Zauberers, der sehr ernst zu nehmen war. Häufiger starben verfluchte Stammesbrüder. Sie fielen, wie vom Blitz gefällt, tot um oder wurden von wilden Tieren angegriffen und zerfleischt.

    Was wollte der alte Mann mit seinem Fluch? Ganz langsam erwachte Arget. Erschrocken fuhr er hoch. Doch … keine Gefahr. Die Stammesbrüder lagen in sicherem Abstand zu ihm; schnarchten und furzten.

    Seine Gedanken überschlugen sich. Wie ein Wurm, fraßen sich Empfindungen und Begriffe in sein Gehirn, die er nicht verstand. Er dachte Sachen, die er nicht kannte.

    Ängstlich ließ er den Blick wandern und tatsächlich … da lag der Stein im Sand. Seine Hand glitt zögerlich darauf zu und fasste ihn an. Schwache angenehme Empfindung strömte in ihn. Sein Körper kribbelte wohlig. Die verkrampften Muskeln wurden locker und genussvoll dehnend nahm er die neuen Gefühle auf.

    Der Stein war nicht besonders groß. Ungefähr, wie eine Daumenkuppe. Wie sollte er ihn bearbeiten?

    Die Überlegung rückte in den Hintergrund, weil neue Eindrücke in den Vordergrund traten. Veränderungen in der Zeit und durch die Zeit. Die Mulde und die Lichtung werden sich im Verlaufe der Zeit verändern. Er wusste nicht weshalb, ahnte jedoch, wie.

    Ein weiterer Gedankensprung. Wie war es vor seiner Flucht?

    Sein Bewusstsein spielte ihm einen Streich. Wieso saß er hier?

    Tief in seinem Inneren hatte er Kenntnis davon, dass er sich vorwärts bewegen, weiter und weiter laufen sowie der Nahrung folgen musste. Der feste Platz seines Stammes am Fluss war nur vorübergehend. Wenn die lange kalte Zeit kam, mussten sie wandern.

    Arget hatte Erinnerung daran, dass der Wandertrieb mit den schwierigen Verhältnissen seines Lebensraumes zusammenhing. Alles, was sein Stamm zum Leben brauchte, musste er der Natur gewaltsam entreißen.

    Er konnte nicht begreifen, dass diese Gedanken in seinem Kopf waren. Bisher war es immer so gewesen, dass ein Bild in seinem Denken einen Drang auslöste. So musste er jagen oder Werkzeuge suchen oder sich auf Wanderschaft begeben.

    Aber jetzt war es anders. Die vielen Bilder in seinem Kopf. Keines machte Sinn oder löste Zwang beziehungsweise eine Handlung aus. Sie waren da. Aber er konnte sie keinem mitteilen, da ihm und den anderen die Worte dafür fehlten.

    Die Jahreszeiten wurden durch den Lauf der Sonne bestimmt, und wenn es kalt wurde, musste er sich in seine Höhle zurückziehen. Er wartete oft sehr lange, bis es wieder warm wurde.

    Die Gedanken, die er nicht denken wollte, strengten an.

    Unruhe weckte Arget. Der Stamm wollte, dass er den heiligen Ort verließ. Im Grunde musste er die Jagd fortsetzen. Für sein Vergehen verdiente er den Tod. Das war eben so.

    Aber er wollte nicht. In ihm sträubte sich alles, die Flucht fortzusetzen. Er blieb einfach auf dem Boden sitzen und machte dem Stamm klar, dass er noch keine Lust hatte. Die Männer knurrten und drohten zur Quelle.

    Letztendlich lagen sie murrend im Sand und beobachteten ihn. Dreizehn kalte Augenpaare registrierten jede seiner Bewegungen. Argets wundersame Rettung und die Heilung seiner Verletzungen konnte auch ein Signal der Großen Mutter sein. Sie dachten daran, wie er häufig kichernd und torkelnd über den Lagerplatz lief und mit jedem, seinen Schabernack trieb. Auch die vielen Begriffe, die er ihnen dann gab. Seine Zunge schien in diesem Zustand besonders beweglich und formte Laute, die schwierig nachzuahmen waren. Wenige Stunden nach einem solchen Anfall war er wieder normal … sofern man von normal denken konnte, wenn jemand mit schmerzverzerrtem Gesicht herumlief. Kopfschmerzen … die Große Mutter mutete ihm zu viel zu. Die Gedanken des Stammes waren in diesem Moment kollektiv. Deshalb sahen sie zum gleichen Zeitpunkt den Stein, der vor Arget im Sand lag.

    Ein pechschwarzer, ebenmäßig geformter und glatter Kieselstein … matt … reflektierte keinerlei Licht und nicht größer, als die obere Kuppe eines Daumens. Hypnotisiert lag ihr Blick darauf. Doch … ein Stein … nicht als ein Stein.

    Ein fürchterliches Geräusch riss sie aus der Lethargie. Arget stimmte einen seiner berüchtigten atonalen Gesänge an. Seine ehemaligen Nachbarn und Freunde betrachteten ihn mehr ärgerlich, als verblüfft – auch mit ängstlicher Neugierde. Sie waren vieles von ihm gewohnt. Er galt als sonderbarer Kauz, mit verrückten Ideen und Gedanken. Aber? … einen Zaubergesang stimmte man nicht ohne Grund an.

    Argets Hände hoben sich gegen den Himmel. So elegant, wie seine Statur die Bewegungen zuließ, wiegte der Oberkörper. Die gleichmäßige Bewegung hypnotisierte die Stammesbrüder, die dem inneren Zwang gehorchend, die Bewegungen nachahmten und schwerfällig begannen, den Quellbereich zu umtanzen.

    Arget umfasste mit beschwörenden überlieferten Bewegungen den Stein und hob ihn über seinen Kopf.

    Die Tanzenden stockten. Was machte er denn jetzt schon wieder? Ein Werkzeug oder eine gar eine Waffe, war daraus nicht zu bearbeiten. Zu klein und das falsche Material.

    Ein Sonnenstrahl, der mittlerweile tief stehenden Sonne, durchbrach oberhalb der Mulde die Baumwipfel und traf das Mineral. Aus der Schwärze des Steines schossen haarfeine reflektierende Sonnenstrahlen und trafen die tanzenden Menschen. Ein plötzlicher Windstoß ließ Äste und Blätter der Birken gespenstig gegeneinanderstoßen und rauschen.

    Die Gruppe fiel gemeinschaftlich zu Boden und verdeckte die Augen. Was sie nicht sahen … konnte sie auch nicht sehen.

    Argets Entsetzen sahen sie nicht. Aus seiner Brust entwich ein tiefer knurrender Schreckenslaut.

    Aufgeschreckt durch das Geräusch schoben die Stammesgenossen die Finger auseinander und sahen, was nicht sein konnte: Argets Körper wurde von einer Aura hellen Lichtes umfasst.

    Arget bewegte die Hände in bizarren Mustern durch die Luft und unterband die aufkeimende Panik der Gruppe. Fasziniert betrachteten sie ihn. Der Oberkörper wiegte leicht und die Bewegungen seiner langsam kreisenden Arme, beruhigten die Männer.

    Erneut hob Arget zu einem beschwörenden Gesang an. So sehr die Melodie den Ohren schmerzte, die Macht der Töne dämpfte die Angst. Zwangsläufig wiegte die Horde hin und her.

    Abrupt endete der Gesang. Berechnend beobachtete er seinen Stamm. Waren sie ihm mittlerweile wohlgesonnen? Konnte er es wagen, den sicheren heiligen Platz zu verlassen?

    Das Risiko war zu groß. Der Gedanke kam aus dem Nichts. Ein Versuch war es wert. Er hob seinen Kiesel in die Luft und machte das Zeichen für Zauber.

    Nein … das brachte nichts. Aggressiv stampften seine Kontrahenten mit den Füßen auf den Boden und machten Anstalten, die Bannlinie zu überschreiten. Für solch einen kleinen Stein einen Zaubergesang zu verschwenden, war Lästerung der großen Mutter. Dazu noch kurz hintereinander der Zweite – und wiederum für den wertlosen Stein, aus dem er kein Werkzeug fertigen konnte.

    Zaubergesänge waren wichtig und regelten das tägliche Leben. Für alle Situationen des Lebens gab es einen Zauber. Aber er durfte nicht nutzlos verschwendet werden, sonst wurde er wirkungslos. Häufig hingen davon Leben und Tod ab. Langsam und unaufhaltsam zog jedoch die Unsicherheit in ihr Denken. Das Licht? Wirkte etwa der Trank des Magiers? Hatte der Tod des Zauberers eine besondere Bedeutung?

    Die Angst hielt sie davon ab, auf den heiligen Platz zu stürzen. Unschlüssig standen sie herum.

    Argets Gesicht strahlte entrückt, als wenn ihm größtes Glück zuteilwurde. An seinem Hals, dort wo ihn der magische Knochen des Zauberers getroffen hatte, entstand ein Mal in der Form des Kiesels. Mit seinen Empfindungen wurde es sichtbar. Das Zeichen nahm einen zartrosa Farbton an, pulsierte jedoch zu einem dunklen Rot, als wolle es jeden warnen, sich mit dem Gezeichneten abzugeben.

    Die Truppe zog sich ein wenig mehr zurück. Er wurde ihnen unheimlich.

    Während dessen wurde Arget von den unterschiedlichsten Empfindungen überschwemmt. Glück, Wohlbehagen, Tatendrang und vieles mehr, das er nicht in Gedanken fassen konnte … denen er jedoch genussvoll seinen Körper und Geist überließ. Langsam schloss er seine Hand zur Faust. Diesen Stein wollte er nicht mehr hergeben.

    *

    Kapitel 10 Hein

    Viele Jahrtausende, während der letzten großen Eiszeit, bewegte sich kein Mensch durch die Mulde. Weitere 10 000 Jahre beobachte ich das Schmelzen der Eismassen im ewigen Zyklus. Mehrere Tausend Jahre später wühlen sich die abfließenden Wassermassen durch die Urstromtäler der Erdoberfläche und verändern sie.

    Auch die kleine Mulde - über die ich wache - veränderte sich im Laufe der Jahrtausende. Sie hat aber letztendlich, fast die gleiche Form behalten, die sie zu Zeiten Argets hatte.

    Während der gesamten Dauer habe ich den Weg des Steines, auf der Flucht vor dem ewigen Eis, im Auge behalten.

    Tief im Süden Europas beobachte ich seinen Puls als schwaches Licht. Das Gefühl von Schmerz durchzieht mich, wenn mir die Trennung, von meinem Weggefährten, bewusst wird. Es dauert Ewigkeiten, bis die Lebenslinien eines der Besitzer wieder im gleichen Rhythmus mit dem Stein schlagen. Aber der Kontakt ist aufgrund der großen Entfernung unmöglich.

    Immer wieder fordere ich, mit aller Konzentration, die mir zur Verfügung steht, die Träger auf, in die Gegend der Mulde, zurückzukehren.

    Aber, der Stein bewegt sich, vielleicht jede fünfte oder sechste Menschengeneration, unbedeutend nach Norden.

    Einige Male - im Verlaufe der Jahrtausende – kommt Hoffnung in mir auf.

    Denn, immer wieder ziehen, von Südosten oder Südwesten kommend, Menschen vorüber. Sie machen jedoch nie Rast - halten nicht einmal an.

    Ich beobachte sie und stelle fest, dass sie sich, mit fortschreitender Zeit, verändern. Es gibt langschädelige und rundköpfige, groß und klein gewachsene Menschengruppen. Der Knochenwulst über den Augen ist fast vollständig verschwunden und ein Kinn prägt sich heraus.

    Etwas jedoch hat sich nicht verändert. Die Menschen sind Jäger und Fleischesser geblieben.

    Ich sehe es an den Jagdwaffen und Werkzeugen der vorüberziehenden Horden. Die Faustbeile mit der einseitigen Schneide sind, bis auf eine ausgewogenere Balance, ähnlich denen, die auch Arget benutzte. Die steinernen Spitzen und die anderen Werkzeuge sind feiner gearbeitet, haben sich jedoch wenig verändert.

    Mit der Evolution wandert der Kiesel langsam aber stetig wieder nach Norden.

    Ich bin mir nicht sicher, ob ich es schon einmal erwähnt habe … meine Gedanken sind überall zur selben Zeit, am selben Ort … Der Zeitpunkt, den die Menschen, als früher bezeichnen, ist nicht mehr genau zu definieren. Einst lebten sie zeitlos wie ich. In der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Sie begannen zu denken. Dazu benutzen sie einen kleinen Teil des Körpers, der heute Gehirn genannt wird. Zunächst wussten sie nicht, womit sie dachten. Die Menschen begannen sich von den Tieren zu unterscheiden und suchten einen Halt, um die Bürde des Denkens zu meistern. Zuerst war die Sonne … sie gab Licht und den Antrieb zum Leben. Dann die Erde … die Mutter … die das Leben wachsen ließ. Die Luft … das Wasser … und letztendlich das Feuer. Sie begriffen, wie die Elemente im Einklang wirkten, und schufen Bauwerke, die sich daran orientierten. Weil sie die physikalischen Gesetze nicht verstanden, wurde der Glaube geboren. Unbeeindruckt davon blieben die Träger des Kiesels. Nicht, dass sie nicht glaubten. Sie wussten immer … da war noch etwas. Dieses Wissen gab Sicherheit.

    Doch, ich greife vor. Für die Menschheit dieses Planeten beginnt das Leben jetzt.

    *

    Kapitel 11 1997

    Nein, es war kein Hirngespinst. Dieses Frankensteinungeheuer fiel ihm schon auf, als er auf den Beamtenparkplatz fuhr. Der Typ war auch nicht zu übersehen, denn er überragte alles. Seine Bewegungen waren unbeholfen und schwerfällig. Der Riese sah aus, als wenn er aus Einzelteilen zusammengesetzt worden wäre. Er strahlte Gefahr aus. Seine Körperhaltung signalisierte: Sprecht mich nicht an oder …

    Martin Steinmetz musste in Geilenkirchen einige Dinge erledigen. In der Gerbergasse kam ihm der Mann entgegen und musterte ihn frech von oben bis unten. Nahe der Sparkasse war er schon wieder da. Zunächst machte er sich keine Gedanken. Geilenkirchen war nicht so groß, als dass man bei einem Besorgungsgang nicht immer wieder den gleichen Menschen begegnete. Am Marktplatz, und als er von dort unter der Rathausüberführung, in Richtung Bücherei ging, wurde klar … der Hüne verfolgte ihn.

    In der Stadtbibliothek erhoffte er sich, alte Dokumentationen, einsehen zu können, die ihm vielleicht Aufschluss darüber geben konnten, was es mit den Unterlagen auf sich hatte, die er beim Stöbern in der Kate gefunden hatte. Die Bibliothekarin verschaffte ihm Einsicht ins Stadtarchiv.

    Eine kleine grob gezimmerte Holzkiste, die ihm bis dahin nicht aufgefallen war, gab ihm Rätsel auf. Sie enthielt alte Papiere. Ein prickelndes Gefühl verhinderte, dass er sie in die Papiersammlung gab. Er hob die oberen Seiten ab, die ungewöhnlich grob strukturiert waren, ab und fand darunter Pergamente sowie dünnes beschriebenes Leder. Der größte Teil war ihm unverständlich. Zwar in lateinischen Buchstaben geschrieben, jedoch in unterschiedlichen Dialekten und … eben Latein.

    Die letzten Wochen bargen viele beängstigende Überraschungen. Es geschahen so viele merkwürdige Dinge, sodass er lieber sichergehen wollte.

    Erst vor wenigen Tagen hatte Martin, Mike, einem Kollegen seiner Studienzeit, den Stein, zwecks Überprüfung, an ein Berliner Institut geschickt.

    Sie standen per Mail in lockerem Kontakt.

    . . . halte mich für verrückt oder auch nicht. Mit mir und um mich herum geschehen außergewöhnlich Dinge, die ich mir nicht erklären kann. Sie scheinen mit einem Stein, in Zusammenhang zu stehen, den ich, seit ich denken kann, in allen Lebenslagen bei mir trage. Seit einigen Wochen gerät mein Leben aus den Fugen. Über die geheimnisvollen Kräfte und die vielen ausgefallen Sachen, die sich um mich herum abspielen, will ich endlich Bescheid wissen. Versuche alles. Egal was es kostet", hatte er ihm geschrieben.

    Und nun diese Begegnung. Der Mann war nicht abzuschütteln. Er fasste sich ein Herz und ging auf ihn zu. Jedoch bevor er den ersten Schritt tun konnte, hielt ihn ein Gedanke nicht nur zurück, sondern zwang ihn, zum Auto zu gehen und nach Hause, zu fahren.

    Dort erwartete ihn die Postbotin mit einem Einschreiben. Fügung des Schicksals oder Zufall? Endlich kam Bewegung um das Geheimnis des Steins.

    Martin erinnerte sich der Geschichten, die im Familienkreis erzählt wurden. Egal, um was es ging, das Mineral spielte immer eine Rolle. Er könnte Bücher damit füllen. Beharrlich hielt sich die Überzeugung, dass der Stammbaum der Familie in die Anfänge der Menschheit zurückreichte, und der Stein ursächlich damit in Zusammenhang stand. Auf die, mit dem Stein verbundenen, Gefahren ging niemals jemand genauer ein. Eigentlich wollte Martin die kuriosen Geschichten abtun. Doch einige Ereignisse in seinem Leben, belehrten ihn eines Besseren. Der Kiesel wurde mehr als ein Talisman – er war die Stütze und der Halt seines Lebens.

    *

    Jemand schaute über seine Schulter. Ach ja: Britta.

    Martin hatte sie vergessen. Als er sich auf den Weg nach Geilenkirchen machte, bat er sie, auf ihn zu warten.

    „Es ist wirklich unglaublich." Britta griff zum Ordner und zog daran, um den Inhalt, genauer betrachten zu können. Martin jedoch hielt mit beiden Händen fest.

    „Komm schon, sagte sie. „Ich will doch auch sehen, was dich so aus dem Häuschen bringt.

    „Ja, ja. Gleich", knurrte er abwesend, drehte sich weg und schaute weiterhin gebannt auf die Papiere.

    Auf dem Tisch lag der zerrissene große braune Umschlag mit den Poststempeln eines Briefzentrums in Berlin. Der aufgedruckte Absender besagte, dass er, von einem renommierten geologischen Institut, den Weg in Martins Haus gefunden hatte.

    Die Spannung im Raum war fühlbar.

    Langsam blätterte Martin, während Britta ihm über die Schulter sah, den Ordner durch und begann wieder und wieder von vorn.

    Sie versuchte ebenfalls hineinzuschauen, konnte jedoch, aufgrund ihrer Kurzsichtigkeit, nicht viel erkennen. Auf die Idee, ihre Brille aufzusetzen, kam sie nicht.

    „Jetzt ist aber Schluss. Ich will endlich wissen, was Sache ist." Sie wurde langsam sauer.

    „Hier schau dir das an. Was hältst du davon?" Martin hielt ihr irritiert ein Foto hin. Er hatte sich noch nicht an die Zweisamkeit gewöhnt.

    Britta hielt das Bild auf Armeslänge von sich. Es zeigte einen pechschwarzen matten Stein auf einer weißen Unterlage. Er war ungefähr so groß wie Martins Daumenkuppe und sah nach nichts aus. Halt ein kleiner Stein, ein Kiesel.

    „Na und. Ein Kieselstein. Willst Du mir jetzt deine Steinsammlung zeigen? Sag schon. Was ist Besonderes an diesem Stein?"

    Martin nahm ein zweites Foto.

    „Schau dir dieses Bild auch an."

    Das gleiche Foto, in gleichem Blickwinkel. Mit einem Unterschied. Der Stein strahlte intensives kaltes, weißes Licht über das Bild hinaus. Die klare Abgrenzung der Ränder des Fotos hob den Stein, immer noch matt und schwarz, als Quelle des Lichtes, deutlich hervor. Die Unveränderlichkeit des Steines gab ihm spirituelle Macht.

    „Die erste Fotografie entstand unter normalen Umständen – Beleuchtung und so weiter, erklärt Martin, „und die Zweite, mit einer speziellen Röntgenkamera. Der Stein strahlt auf dem Röntgenbild. Die Expertise erklärt, dass die Strahlung, weder radioaktiv noch elektronisch ist. Weiter kann sie nicht definiert werden. Die Möglichkeiten des Instituts sind erschöpft.

    „Und was erstaunt dich daran so?", bemerkte Britta nüchtern.

    Er schaute sie an, als hätte sie nicht mehr alle Tassen im Schrank.

    „Der Stein gibt eine Strahlung ab. Verstehst du das nicht? Hast du schon einmal gehört, dass ein Kiesel strahlt? Hier wurde eine Röntgenspektralanalyse durchgeführt. Er wurde einer Röntgenstrahlung ausgesetzt, um über die Absorption oder Reflexion, eine spektrale Zerlegung vorzunehmen.

    Aber, du weißt ja noch nicht alles.

    Die Wissenschaftler in Berlin haben den Kiesel in vielen Versuchen getestet, um

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