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Kaana: Wagen und Reiter
Kaana: Wagen und Reiter
Kaana: Wagen und Reiter
eBook472 Seiten7 Stunden

Kaana: Wagen und Reiter

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Über dieses E-Book

Kaana – Wagen und Reiter
Es mag sein, dass es Welten gibt, die auf eine andere Art geschaffen wurde, als die unsere. Doch es mag sein, dass auch dort Menschen und Tiere leben, die den unseren sehr gleichen.
Das Hiron – Gebirge dient einem ganz besonderen Menschenschlag als Heimat. Jäger, Krieger und Handwerker und einer von ihnen ist Joshara. Josharas Kunst ist durch das Eisen, den Stahl und die Esse begründet und das macht ihn selbstbewusst. So legt er sich eines Tages mit seinem Clansvater an und muss kurz darauf fliehen. Er beschließt hinaus aus den Bergen ins grüne Land zu fliehen, dorthin wo die Wagen der Sippen durch das Meer aus Gras ziehen, wundervolle Pferde züchten, ihre Rinder hüten und ununterbrochen Krieg einander und gegen die Städte führen. Dort erhofft er sich als Schmied eine Zukunft, denn die Reiter der Sippen, die sich ob ihrer Traditionen Kentauren nennen, haben möglicherweise einen hohen Verschleiß an guten Waffen. Nichts bedeutet dem Volk der Steppe mehr, als vollendete Reitkunst und die perfekte Beherrschung ihrer Waffen.
Josharas Flucht führt ihn zum Wagen der 4. Sippe, die unter der Führung Kazars einen verzweifelten Kampf darum führt, die verloren gegangene Ehre wieder zu gewinnen.
Joshara gelingt, was nie zuvor jemandem gelungen ist. Er wird ein Teil der Steppe, er wird in die 4. Sippe aufgenommen und entwickelt sich zum Reiter und Krieger. Sein Weg führt in bis in das legendäre Kampfspiel Bus-Ka-Shi wo er bis unter die besten Reiter der Steppe gelangt. Erst ganz am Ende findet er in Kazars Sohn Joel doch noch seinen Meister und Bezwinger.
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum24. Juni 2017
ISBN9783745081893
Kaana: Wagen und Reiter

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    Buchvorschau

    Kaana - Rudolf Jedele

    Wagen und Reiter

    Titel Seite

    Flucht aus den Bergen

    Das Volk Kaana

    Neue Wagen

    Das Legat

    Herren

    Thing

    Bus-Ka-Shi

    Rudolf Jedele

    Wagen und Reiter

    Kaana, Band- Nr.1

    Kaana

    Band 1

    Wagen und Reiter

    Impressum

    Texte: © Copyright by Rudolf Jedele

    Umschlag:© Copyright by Rudolf Jedele

    Verlag:HCC UG (haftungsbeschränkt)

    Parkstraße 53

    87439 Kempten

    Druck:epubli ein Service der

    neopubli GmbH, Berlin

    ISBN 978-3-****-***-*

    Printed in Germany

    Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

    Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

    Flucht aus den Bergen

    Das Hiron - Gebirge ragt als ein gewaltiges Massiv auf, das sich mit seinen schneebedeckten Gipfeln bis in die Wolken des Himmels erhebt und einen schier unüberwindlichen Grenzwall zwischen das Land im Süden und das Land im Norden legt. 

    Aus der Ferne betrachtet ein unwirtliches Land, schroff und abweisend und jeder Art von Leben scheinbar feindlich gesinnt. Doch wenn man, von Süden oder Osten kommend, die ersten Pässe erst einmal überwunden hatte, entdeckte man, dass es zwischen diesen Bergriesen sehr wohl auch angenehme Plätze gab und jede Menge Leben. Angepasstes Leben zwar, starkes Leben, aber auch Leben im Überfluss.

    In den Tiefen der wasserreichen Täler standen dichte Wäldern die hauptsächlich aus Eichen, Buchen, Ahorn und Espen bestanden, dort lebte jede Art von Hoch- und Niederwild, die man sich nur vorstellen konnte und auch an Raubzeug war kein Mangel. Die Bären waren riesig, die Wölfe groß und stark. Der silberne Löwe bot in seiner Geschmeidigkeit einen prächtigen Anblick.

    Die Bäche und Flüsse waren voll von Fischen, aber auch Krebse und Reptilien gab es im Überfluss.

    Die Vielzahl der Vögel war beeindruckend, ebenso ihre Farbenpracht.

    Stieg man höher, wurde aus dem Laubwald erst Mischwald, dann Nadelwald und je höher man kletterte, desto niedriger und spärlicher wurde der Bewuchs. Auch die Welt der Tiere veränderte sich, je höher man stieg. Die Raubtiere wurden weniger und das Tierreich wurde mehr und mehr und bis hinauf ins ewige Eis von Mufflons und Steinböcken, von Gämsen und wilden Ziegen beherrscht.

    In den Tälern und auf den unteren Hängen lebten aber nicht nur Tiere und Pflanzen, hier gab es auch Menschen. Nicht viele und sie lebten in kleinen Gemeinschaften, in Clans, weit verstreut in Höhlen und aus Holz und Stein gebauten Hütten, die ebenfalls eher Höhlen als richtigen Häusern glichen.

    Auch die Menschen waren dem Leben in den Bergen bestens angepasst. Selten mehr als mittelgroß, schlank und drahtig und von oftmals geradezu unfassbarer Zähigkeit. Vor allem aber waren sie bei aller Drahtigkeit mit großer Kraft ausgestattet.

    Die Menschen der Berge hatten schwarzbraunes bis schwarzes Haar und sie alle sahen einander auf den ersten Blick sehr ähnlich. Erst, wenn man genauer hinsah, erschlossen sich einem die durchaus vorhandenen individuellen Unterschiede.

    In den Bergen lebte man im Wesentlichen von der Jagd und man musste wohl weit laufen, ehe man irgendwo bessere Jäger fand, als bei den Clans der Berge. Die Menschen Hirons lebten abgeschieden von allen Handelsplätzen der bekannten Welt und hatten vermutlich gerade deshalb in mancherlei Bereichen die Handwerkskunst auf ein erstaunlich hohes Maß entwickelt. Insbesondere ihre Waffen für Jagd und Kampf waren von allerbester Qualität, aber auch alle Werkzeug und wundervoller Schmuck kam aus den Werkstätten der Clans.

    Der Handel mit der Außenwelt wurde fast ausschließlich vom Anführer eines Clans – dem Clansvater – übernommen und zumeist war dieser Clansvater ein Mann ohne nennenswerte eigene Fertigkeiten. Doch als wichtigster Händler eines Clans waren seine Funktion und damit auch seine Position im Laufe der Generationen so wichtig geworden, dass er unverzichtbar schien. Aus dieser Unverzichtbarkeit aber schöpfte ein Clansvater auch Macht und nicht immer wurde die Anhäufung von Macht auch zum Wohle eines Clans eingesetzt.

    In seltenen Fällen konnte es geschehen, dass ein besonders begabter Handwerker oder Künstler seine Erzeugnisse auch selbst auf den Markt brachte, was von seinem Clansvater aber immer nur ungern gesehen oder – wenn möglich - auch unterbunden wurde. Doch manche waren stur genug sich durchzusetzen und so kamen ab und zu auch etwas Aufklärung und neue Impulse in den Bergen an.

    Die Rollen der Geschlechter waren ganz klar verteilt. Männer gingen auf die Jagd oder übten ein Handwerk aus und versorgten so die Familie. Frauen waren in ihrer Entfaltung auf den heimischen Bereich begrenzt und man sah es nicht gerne, wenn sich eine Frau oft und lange außerhalb ihres Heims aufhielt. Die Gefahr, dass eine Frau außerhalb ihres Heims entführt wurde, war einfach zu groß.

    Ebenso waren die Formalien der Bindungen von Männern und Frauen aneinander ganz klar geregelt. In den meisten Clans war das Verhältnis von Männern zu Frauen so ausgewogen, dass man beinahe von einem eins zu eins – Verhältnis ausgehen konnte. Aus diesem Grund war es für einen Jäger oder Handwerker üblich, nur eine Frau zu haben und mit dieser auch monogam und wenn möglich treu zusammen zu leben. Selten hatte eine Familie mehr als zwei Kinder. Wer drei hatte galt als vermögend, wer mehr als drei Kinder aufziehen konnte, denn nannte man reich. Töchter waren wertvoller als Söhne, denn Töchter brachten eine Mitgift, während Söhne nur Kosten verursachten.

    Ein Mann und eine Frau taten sich nur selten aus Liebe zusammen und wenn, dann war es meist der Mann, der solche Gefühle empfand. Man tat sich zusammen, weil man hoffte gemeinsam leichter zu leben, als allein. Deshalb bildeten die meisten Paare Nutzgemeinschaften du zum Nutzen gehörte nun mal auch die Fortpflanzung und zur Fortpflanzung der Sex. Gefühle wie Zuneigung waren dazu nicht unbedingt erforderlich.

    Die Regeln des Zusammenlebens waren uralt und von den Ahnen aus dem Tiefland, der Steppe mitgebracht worden.

    Eherner Fluch

    Joshara war auf der Flucht. Er floh vor seinen eigenen Leuten, er floh aus seinem eigenen Land und aus seinem bisherigen Leben. Er floh in eine ungewisse Zukunft und das Ziel seiner Flucht war durch eine nahezu vergessene Legende bestimmt worden.

    Joshara war ein echter Mann der Berge. Seine Heimat war das Hiron – Gebirge, doch nun war er auf der Flucht und im Begriff die Welt, in der er geboren worden war, für immer zu verlassen.

    Niemand wusste zu sagen, was nördlich des Hiron – Gebirges lag, man kannte nur das Land im Süden. Dort lag zunächst Kaana, die Steppe.

    Ein weites, fruchtbares Grasland, von zahllosen Bächen und Flüssen durchzogen, durchbrochen von kleinen Hainen und ausgedehnten Wäldern, die Heimat zahlloser Wildtiere, die in riesigen Herden und starken Rudeln, aber auch als wilde und gefährliche Einzelgänger das Land durchwanderten.

    Ein Land, das von einem regenreichen Frühjahr, einem langen und heißen Sommer, einem milden Herbst und einem klirrend kalten und sturmreichen Winter genauso geprägt wurde, wie von seiner Unnahbarkeit gegen alles, was nicht Kaana war.

    Die Steppe begann am Fuß des Hiron – Gebirges. Im Osten begrenzte die Wüste von Zeparana die Steppe, im Süden war es der mächtige Strom Maron. Im Westen aber endete Kaana im Nirgendwo, denn niemand war jemals so weit gereist, dass er das Ende der Steppe erreicht hätte. Man munkelte, dass dort ein gewaltiges Wasser lag, ein Ozean, in dem sich fürchterliche Ungeheuer tummelten und von dem man allein schon deshalb besser weg blieb.

    Die Steppe wurde beherrscht vom Volk Kaana, den Reitern der Steppe.

    Josharas Ziel war es, von den Bergen hinab zu steigen, die Steppe zu erreichen und sich dem Volk Kaana anzuschließen, denn die fast vergessene Legende besagte, dass vor unendlich langer Zeit die Bewohner der Berge aus der Kaana herauf gewandert waren, um eine neue Bestimmung zu finden. Die Wurzeln der Bergbewohner lagen also in der Steppe.

    Joshara hatte sein Nachtlager unter einer ziemlich weit auskragenden Felswand aufgeschlagen, die ihm ein wenig Schutz vor der Witterung bot. Obwohl der Winter schon fast zu Ende war und der Fön und damit der Beginn der Schneeschmelze jeden Tag eintreffen konnten, schneite es seit Tagen wie verrückt und Joshara war sogar froh um diesen Schnee. Verfolger waren hinter ihm her und diese würden sich schwer tun, seiner Spur zu folgen, wenn ständig Neuschnee darüber lag. Zum ersten Mal seit mehr als dreißig Tagen hatte Joshara an diesem Abend ein kleines Feuer angezündet und nun brieten zwei, auf Stecken gespießte, magere Kaninchen über der Glut. Die lieben Tierchen waren ihm praktisch in die Hände gesprungen und Joshara hatte einfach nicht nein zu diesem Zufall sagen können. Er wagte es ein Feuer zu machen, denn er war sich sicher, dass nur noch eine der beiden Verfolgergruppen hinter ihm her war und er war sich auch sicher, dass sein Vorsprung mehr als einen Tagesmarsch betrug.

    Neben den Kaninchen stand ein kleiner Topf auf der Glut und in diesem Topf brodelte heißes Wasser, in das Joshara Moosbeeren, Flechten und ein paar dürre Blätter von Sträuchern geworfen hatte, um sich eine Art Tee zu brauen.

    So genoss er an diesem Abend einen dreifachen Luxus, wie er ihn seit Beginn seiner Flucht nur selten hatte genießen können.

    Der Tee war fertig, Joshara schöpfte sich einen Becher voll ab und stellte den Becher zum Abkühlen in den Schnee neben sich, dann beobachtete er weiterhin, wie die beiden Kaninchen langsam zu garen begannen.

    Wie jeden Abend holte ihn die Erinnerung ein, sobald sein Körper etwas zur Ruhe kam.

    Eigentlich war Josharas Leben in ganz geregelten Bahnen verlaufen. Er war als Sohn eines angesehenen Jägers im Clan der Wolfshöhle aufgewachsen und hatte sich, ungeachtet aller Warnungen in die schöne Tochter des Nachbarclans verliebt. Azawa zählte zu den schönsten jungen Frauen des Clans und es war ihm tatsächlich gelungen, sie zu seiner Gefährtin zu machen. Mehr noch, er schaffte es mit ihr – welch ungebührliche Fruchtbarkeit – drei wundervolle Töchter zu zeugen. Töchter aber waren in den Clans der Berge ihr Gewicht sozusagen in Gold wert.

    Joshara war also reich gewesen. Märchenhaft reich sogar. Doch trotz seines Reichtums hatte er nie abgehoben. Er war ein würdiger Sohn seines Vaters als Jäger geworden. Einer der besten Jäger seines Clans, doch weit mehr als die Jagd, hatte ihn schon immer alles interessiert, was man aus Metall herstellen konnte, deshalb hatte er auch das Handwerk des Schmiedes erlernt. Schon in jungen Jahren hatte man von ihm als dem besten Schmied gesprochen, der jemals den Menschen der Berge geboren worden war. So war aus Joshara schon sehr früh ein weit und breit geachteter und geschätzter Mann geworden, dessen Wort man auch außerhalb seines Clans hörte. Ein Mann und ein Künstler des Schmiedehandwerks, dessen Ruf sogar bis hinunter in die Wüstenstadt Zeparana gedrungen war. Als derart geachteter und wichtiger Mann war er auch bereits zweimal in der Stadt gewesen, doch ein drittes Mal, so sagte er immer wieder, zog es ihn nicht dorthin.

    Josharas Leben war immer gut gewesen, doch das änderte sich grundlegend, als er eines Tages auf der Suche nach Erzen durch die Berge gestreift war und eine Entdeckung machte. Eine Entdeckung, die einfach so vieles, fast alles über den Haufen warf, was ihm in seinem bisherigen Leben wichtig gewesen war. Er fand einen Gesteinsbrocken, der keinem Material glich, das er bis dahin in den Händen gehalten hatte. Ein etwa faustgroßer Brocken, der ihm durch Zufall in die Hände geraten war. Schon das Gewicht des Steins sagte ihm, dass es sich wohl um metallhaltiges Gestein handeln musste, um Erz. Er untersuchte den Brocken näher und erkannte, dass sich ungewöhnlich viele dünne Adern durch den Stein zogen, die – obwohl eigentlich von einem ungewöhnlichen rotbraun - sehr rasch einen silberhellen Glanz bekamen, wenn man ein wenig daran herum kratzte.

    Joshara tat nach einigem Überlegen mit dem Stein das, was er auch mit jedem anderen Erzbrocken getan hätte:

    Er warf ihn am Abend in sein Feuer und hoffte, dass die Glut die unterschiedlichen Materialien des Erzes trennen würde.

    Seine Überlegung war richtig gewesen, denn am nächsten Morgen fand er in der Asche die Schmelze eines silbern glänzenden Metalls, das bedeutend härter war, als alles, was er je zuvor in seinen Händen gehalten hatte. Joshara hatte das Eisen entdeckt.

    Joshara war, wie es sich für einen guten Handwerker geziemt, sofort von seiner Entdeckung begeistert. Er sammelte eine größere Menge von den rotbraunen Steinen, die an dieser Stelle reichlich herum lagen und machte sich auf den Weg nach Hause. Er schmolz das Erz und trennte Mineralien und Metall voneinander und hielt zwei Tage später einen doppelt faustgroßen Klumpen reinen Eisens in seiner Hand. Ohne zu zögern begann er das Material als Schmied zu sehen und versuchte es zu bearbeiten. Nach einigen Tagen und vielerlei Experimenten hatte er es geschafft, aus einem Teil des Metallklumpens eine Messerklinge zu formen und dann, als er diese neuartige Klinge geschärft hatte, besaß er ein Messer, das allen anderen Messern, die er bis dahin aus Bronze und Messing hergestellt hatte, bei weitem überlegen war.

    Joshara war begeistert von seiner Entdeckung und zugleich wurde ein einsamer Mann aus ihm.

    Zwei Jahre lang sprach er mit niemand über seine Entdeckung und auch nicht über die damit verbundenen weiteren Erfindungen. Er versuchte und experimentierte immer weiter und dann, nach gut zwei Jahren - Joshara war mittlerweile knapp über zwanzig Sommer alt – hatte er gelernt, wie er durch heißeres Feuer und die Beigabe von Mineralien immer besseres Eisen machen konnte und er nannte dieses Eisen ab sofort Stahl. Danach begann er diesem Stahl andere Metalle beizumischen und nun konnte er harten und spröden Stahl herstellen oder auch weicheren und geschmeidigen Stahl, ganz nach Bedarf. Er lernte, dass man weichen Stahl besser schärfen konnte, als harten und dass der harte Stahl die Schärfe besser hielt als der weiche. Aber in vielen Fällen stellte eine Verbindung aus hartem und weichem Stahl die optimale Lösung dar.

    Am Ende seiner Experimentierzeit besaß er eine Reihe von eisernen Waffen und Werkzeugen. Er hatte mehrere Messer, darunter ein wundervolles Jagdmesser dessen Klinge fast eine Elle lang war, zwei ebenso lange Speerspitzen, zwei Dutzend Pfeilspitzen, eine Axt und ein prächtiges, langes, gerades und zweischneidiges Schwert geschmiedet. Dazu einige äußerst effektive Werkzeuge, von einer hauchdünnen und extrem spitzen Nadel beginnend bis zu einer stabilen Zange, mit der man auch weiß glühende Metallteile aus der Schmiedeesse holen und zur Bearbeitung auf den Amboss legen konnte.

    Der Stahl, so hatte er entdeckt, war weitaus härter und zugleich viel zäher als Bronze je sein konnte. Stählerne Klingen konnte er viel dünner ausschmieden und danach so scharf schleifen, dass er seinen Bart mit ihnen rasieren konnte, ohne auch nur einen einzigen Kratzer in seiner Haut zu hinterlassen. Doch wenn er unachtsam war, schnitt er sich mit diesen Klingen und die Schneide durchtrennte seine Haut und sein Fleisch so schnell und so tief, dass er rasch lernte, seine Waffen nur noch mit allergrößter Vorsicht zu benutzen.

    Er zeigte niemand, was er in seiner Werkstatt hergestellt hatte. Er bewahrte das Geheimnis, denn eine düstere Ahnung sagte ihm, dass dieses Wissen und Können ihm möglicherweise nicht nur Freude und Freunde bescheren würde. Er konnte sich durchaus vorstellen, dass sowohl unter den Schmieden als auch unter den Clanführern wegen eiserner Waffen und Werkzeuge große Spannungen entstehen konnten und er konnte sich auch vorstellen, dass diese Spannungen sogar über die enge Welt des Hiron – Gebirges hinaus schwappen und selbst in Zeparana noch für Unruhe sorgen mochten. Zu Überlegen war jedes einzelne, aus Eisen hergestellt Stück der bislang gebräuchlichen Bronze.

    Wer weiß, wie lange er das Geheimnis noch für sich bewahrt hätte, wäre da nicht etwas Schicksalhaftes geschehen, das sein Leben noch mehr auf den Kopf stellte und schließlich aus den Fugen kippte.

    Joshara streckte sich und ließ seine Gelenke knacken, denn die kauernde Pose, mit der er an seinem Feuer saß, tat seinen von der langen und unglaublich mühsamen Flucht überanstrengten Muskeln, Bändern und Sehnen nicht besonders gut. Er griff nach dem Spieß mit den Kaninchen und probierte. Noch ein wenig Geduld musste er aufbringen, das Fleisch war noch nicht ganz durch. Dann veränderte er seine Position, suchte sich eine neue, vielleicht etwas bequemere Stellung und verfiel wieder ins Grübeln, kehrte zurück in seine jüngste Vergangenheit.

    Im vergangenen Sommer war die Frau an der Seite des Clansvater Kirgis bei einem Steinschlag ums Leben gekommen.

    Kirgis war zwar schon ein relativ alter Mann, schon beinahe sechzig Jahre alt, doch sein Appetit auf junge Frauen war ungezügelt. Jung und schön, anders wollte er es nicht haben. Die aktuell Schönste unter den jungen Frauen des Clans aber lebte in Josharas Haus. Azawa hatte zwar schon drei Töchtern das Leben geschenkt, doch kein Mann, der sie gehen, stehen, sich bewegen sah, konnte sich ihrer sinnlichen Ausstrahlung entziehen. Es hatte im Clan schon oft Raufereien Azawas wegen gegeben, denn Josharas Gefährtin wusste nur zu gut um ihre Wirkung auf Männer und sie genoss es über alle Maßen, diese immer wieder einzusetzen, auszuprobieren, wie weit die Männer ihretwegen gehen würden. Joshara fand das Verhalten seiner Gefährtin zwar als lästig, er war aber auch nicht gewillt, sie ohne weiteres wieder herzugeben. So lernte er im Laufe der Zeit zu kämpfen und Azawa zu behalten.

    Doch dann, am Schluss verlor er sie doch. 

    Kirgis lüsterne Blicke waren nach dem Tod seiner eigenen Gefährtin fast zwangsläufig auf Azawa gefallen und bereits im Spätsommer, nur einen Mond nach dem Tod seiner eigenen Gefährtin, hatte Kirgis einen seiner erwachsenen Söhne zu Joshara geschickt und die sofortige Herausgabe Azawas mitsamt ihren Töchtern verlangt.

    Diese Forderung war für Joshara absolut unannehmbar, denn gerade die drei Töchter stellten einen wesentlichen Teil seines Vermögens dar. Ihre Mitgift würde schon bald kommen und dann hatte er ausgesorgt bis ans Ende seiner Tage. Das konnte er nicht einfach so verschenken.

    Der Clansvater aber pochte auf sein Recht, er war den Bräuchen der Bergwelt entsprechend der uneingeschränkte Herr über den gesamten Clan und konnte nach Gutdünken über die Menschen seines Clans und über ihre Fähigkeiten und Besitztümer verfügen. Ein guter Clansvater nutzte diese Privilegien niemals, aber Kirgis war kein besonders guter Clansvater. Er bestand auf seinen Rechten.

    Es kam, wie es kommen musste, Joshara verlangte einen Zweikampf und wäre bei einem Sieg über den Alten selbst zum Clansvater geworden. Kirgis nahm den Kampf an, aber er ließ sich durch seinen ältesten Sohn, einen im gesamten Gebirge gefürchteten Raufbold und Schläger vertreten. Auch das war eines der Vorrechte, die ein Clansvater besaß. Kirgis Sohn wählte einen Kampf mit dem Schwert und so wurde Josharas Klinge zum ersten Mal in aller Öffentlichkeit präsentiert.

    Der Kampf war nur kurz, denn Josharas Gegner mit seinem einseitig geschliffenen Bronzeschwert hatte nicht den Hauch einer Chance gegen Joshara eiserne Klinge. Mit blitzschnellen Hieben zerschlug der Schmied die Waffe seines Gegners in kleine Stücke und am Schluss, als dieser immer noch nicht aufgeben wollte, schlug er ihm mit einem fast beiläufig wirkenden waagrechten Herumschwingen seines Schwertes den Kopf von den Schultern.

    Das Entsetzen unter den Beobachtern war ungeheuer. Sofort kamen die Worte von böser Magie und einer Hexenklinge auf und Josharas Sieg wurde nicht anerkannt. Azawa und ihre Töchter verließen Josharas Haus und zogen in die Hütte des alten Clanvaters.

    Joshara blieb trotz allem bei seinem Clan. Wohin hätte er denn auch gehen sollen, war doch dieser Clan alles, was er als Heimat kannte. Aber seine Position wurde rasch immer schwieriger und dann unhaltbar, denn Azawa erzählte Kirgis schon während der ersten Nacht in seinem Bett von Josharas neuartigen Waffen und Werkzeugen und weckte eine enorme Gier in dem alten Mann.

    Eisen, so begriff Kirgis bedeutete Macht.

    Mit Eisen konnte er seine Herrschaft über das ganze Hiron – Gebirge ausdehnen und sein Herz schlug höher, als er für einen Moment an all die schönen, jungen Frauen dachte, die er dann haben konnte. Er ließ gleich am nächsten Morgen Joshara rufen und verlangte die bedingungslose Herausgabe aller Geheimnisse, die Joshara um das Eisen, seine Herstellung und Verarbeitung besaß als Wiedergutmachung für den Tod seines Sohnes. Alle Schmiede des Clans sollte von Joshara eingeweiht werden und danach sollte der Clansvater als einziger das Recht haben, zu entscheiden, wer Eisenwaffen herstellen und wer sie tragen durfte und wer nicht.

    Joshara begriff die Gedankengänge des Alten nur zu gut. Er sah den Machthunger in dessen Augen glitzern und deshalb lachte er dem alten Mann ins Gesicht. Dann erklärte er:

    „Ich habe deinen Sohn in einem anständigen und ehrlichen Zweikampf besiegt und der gesamte Clan war Zeuge davon, dass ich offen und ohne Heimtücke gekämpft habe. Weshalb also sollte ich Sühne leisten? Und ehe du die Geheimnisse des Eisens bekommst, beiße ich mir die Zunge ab. Du bekommst nicht mehr alles, wonach dir der Sinn steht, alter Mann!"

    Nie hatte ein Mann des Clans so mit dem Clansvater zu sprechen gewagt und nie hatte ein einfacher Jäger und Handwerker den Clansvater einfach wie einen dummen Jungen stehen lassen und war davon gegangen. 

    Deshalb beschloss Kirgis den Schmied zu brechen.

    Schon am nächsten Tag berichteten die Menschen des Clans davon, dass Kirgis während der Nacht nicht nur Azawa bestiegen und auf eine Art geritten hatte, wie sie es von Joshara nicht gewohnt war, sondern auch Josharas älteste Tochter Simala. Das Mädchen war noch keine zehn Sommer alt.

    Joshara schäumte und tobte, doch er konnte nichts dagegen tun.

    Wenige Tage später aber erhielt er aus dem Haus des Clansvater die Nachricht, dass Kirgis sich auch die siebenjährige Malvi und die achtjährige Tingua in sein Nachtlager geholt hatte und sie zu seinen Gefährtinnen gemacht hatte.

    Damit war Joshara jede Basis entzogen, seine Töchter zurück zu gewinnen und sie mit einer guten Mitgift einem anderen Mann zu geben. Kein Mann würde eine Mitgift für eine Gefährtin geben, die in solch jungen Jahren von einem Mann wie Kirgis bestiegen worden war.

    Joshara zerbrach tatsächlich. Aber anders, ganz anders, als Kirgis erwartet hatte.

    Eines Abends, kurz vor Sonnenuntergang stand er plötzlich vor dem Haus des Clanvaters. Er war vollständig bewaffnet und er forderte den Alten erneut zu einem Zweikampf heraus. Kirgis hatte aus verschiedenen Gefährtenschaften vier Söhne. Einen hatte Joshara bereits getötet, die drei anderen überlebten die Herausforderung des Schmiedes ebenfalls nicht. Joshara richtete ein in den Bergen nie erlebtes Blutbad an.

    Die drei Söhne des Alten starben zuerst. Danach drang er in das Haus von Kirgis ein und brachte Azawa und seine drei Töchter um und zu guter Letzt hackte er Kirgis die rechte Hand ab und kastrierte ihn.

    Danach verschwand er in der Nacht und seine Flucht begann.

    Wieder veränderte Joshara seine Sitzposition, dann probierte er die Kaninchen und fand, dass sie gar waren. Er aß beide Kaninchen restlos auf, dann legte er sich in seine Felle, deckte sich zu und schloss die Augen. Doch schlafen konnte er nicht. Wieder einmal nicht…

    Seit jenem Abend, da er am Haus des Clansvater zum Berserker geworden war, hatte er nur noch wenig geschlafen. In der Nacht nach dem er sieben Menschen ermordet und einen alten Mann verstümmelte, hatte auch seine Flucht begonnen. Er war geflohen, weil ihm von den Menschen des Clans ein geradezu unglaublicher Hass entgegen schlug. Die Menschen sprachen immer wieder von der Hexenklinge aus weißem Eisen, in der angeblich alles Böse aus dem Wesen ihres Erzeugers gefangen war und man sprach von Joshara dem Mörder. Selbst seine bislang besten Freunde wandten sich von ihm ab und wurden zu unversöhnlichen Feinden. Es gab kaum eine Behausung im Clan, in dem kein Werkzeug oder keine Waffe aus Josharas Werkstatt zu finden gewesen wäre. Jetzt lagen alle diese Waffen und Werkzeuge im Dreck, so als wollten die Menschen des Clans mit nichts mehr etwas zu tun haben, das aus Josharas Hand stammte.

    Seit jenem Vorfall war er Tag für Tag durch die Berge gezogen und hatte keine Ruhe mehr gefunden.

    Kirgis Macht als Clansvater war ungebrochen. Die Verstümmelung seines Körpers durch den wütenden Schmied hatten ihn eher noch unberechenbarer werden lassen, als er es zuvor schon gewesen war und sein glühender Hass raubte Joshara selbst auf viele Tagesreisen Entfernung hin fast den Atem. Kirgis hatte zwei Jagdgruppen, zwölf gute und junge Männer, hinter ihm her gehetzt und die Jäger waren durch den Clansvater, aber auch von den Ereignissen vor und in dem Haus von Kirgis förmlich fanatisiert worden. Joshara verkörperte in ihren Augen seit jenem Abend das Böse schlechthin und das Böse musste um jeden Preis ausgerottet werden.

    Zwei Jagdgruppen, ein Dutzend Jäger waren wie hungrige Wölfe und hatten ihn kaum mehr zur Ruhe kommen lassen.

    Egal wie schnell er gelaufen, wie hoch er geklettert und wie tief er gesprungen war, es war ihm nie gelungen, seine Verfolger abzuschütteln oder wenigstens einen halbwegs beruhigenden Vorsprung heraus zu holen. Selbst als er kopfüber in einen Wasserfall von mehr als hundert Schritt Fallhöhe gesprungen war, hatte dies nicht dazu geführt, dass seine Verfolger die Jagd aufgaben. Sie wollten sicher sein, dass er tot war und solange sie seinen Leichnam nicht vor sich liegen sahen, ließen sie in ihren Bemühungen nicht nach.

    Zugleich waren von Kirgis Boten zu allen umliegenden Clans gesandt worden, die von den Ereignissen zwischen Kirgis und Joshara berichteten und die Menschen vor dem bösen Metall warnte, mit dem Joshara sich ausgestattet hatte.

    Für Joshara gab es keinen Platz mehr bei den Menschen des Hiron – Gebirges, an den er seinen Kopf hätte legen können, um ein wenig zu ruhen. Er hatte auf der Flucht und unter dem Druck der ununterbrochenen Verfolgung und Lebensangst geradezu abenteuerliche und aberwitzige Strecken zurückgelegt. Sein Körper musste Leistungen erbringen, die eigentlich unmenschlich waren und er litt unter der Einsamkeit und der permanenten Angst gefangen zu werden. Wann und wo auch immer er sich eine Pause gönnte, packte ihn die Müdigkeit, doch wann immer er der Müdigkeit nachgab und die Augen schloss, schreckte gleich darauf wieder hoch um festzustellen, dass seine Verfolger wieder ein Stück näher gekommen waren, aufgeholt hatten und Joshara setzte seine Flucht in rasender Eile fort.

    Doch selbst wenn er für kurze Zeit genügend Abstand zwischen sich und die Verfolger gebracht hatte und sich eine etwas entspanntere Rast gönnen konnte, fand er keine Erholung. Sobald er während einer solchen Rast in einen unruhigen und nervösen Schlaf fiel, wurde er von bösen Träumen verfolgt. Er sah Kirgis Söhne sich in ihrem Blut wälzen und er sah Azawas Kopf davon fliegen. Er sah die angsterfüllten Augen seiner Töchter, die zu ihm aufblickten, während er ihnen sein Jagdmesser über die schmalen Kehlen zog.

    Dann wachte er in Schweiß gebadet auf und sehnte den nächsten Tag, den nächsten Sonnenaufgang herbei, um wieder loslaufen und dadurch auf andere Gedanken kommen zu können.

    Erst in den letzten beiden Tagen hatte sich eine Änderung zu seinen Gunsten ergeben. Joshara hatte beobachtet, dass sich auch bei seinen Verfolgern mehr und mehr Müdigkeit zeigte. Besonders die zweite Gruppe war in diesen Tagen langsamer geworden und fast einen halben Tagesmarsch zurück gefallen. Die Zange, die ihn ständig zu zerquetschen drohte, war zerbrochen und Josharas Chancen verbesserten sich dadurch ein wenig.

    Die letzte Nacht hatte er unter der Gratlinie eines Bergkamms verbracht und als er am Morgen den Steilhang hinter sich betrachtete, erkannte er, dass er eine grandiose Falle vor sich hatte. Der Gämsenwechsel, dem er nach oben gefolgt war, schlängelte sich in unendlichen Windungen die Bergflanke herauf und an der Stelle, an der er soeben stand, befand sich eine Mulde im Fels, die voll losen Gerölls war. Das Beste aber war, dass die Mulde an der Hangseite eine Art Ausfluss besaß, der jedoch von einem großen Stein verschlossen war. Joshara hielt es für durchaus denkbar, dass sich das gesamte Geröll ziemlich rasch auf den Weg nach unten machen würde, wenn es ihm gelang, diesen einen Stein zu lösen. Joshara fällte mit seiner Axt eine zähe Krüppelkiefer und konnte sich einen kurzen aber starken Hebel herstellen, mit dessen Hilfe er den großen Brocken tatsächlich soweit lösen konnte, dass er durch einen kleinen Stoß im richtigen Moment herausbrechen, zu Tal donnern und eine gewaltige Lawine aus Erdreich, Geröll und massivem Felsgestein hinter sich herziehen musste.

    Sein Entschluss stand rasch fest. Er hatte es satt, immer nur davon zu laufen wie ein verschrecktes Kaninchen. Seine Jäger sollten begreifen, dass sie eine Beute jagten, die sich zu wehren verstand, vielleicht brachen sie die Jagd dann ab. Er wartete geduldig, bis die erste Verfolgergruppe auf dem Steig unter ihm auftauchte und er wartete lange genug, um den maximalen Erfolg seiner Falle sicherzustellen. Als die Lawine kam, hatten die Verfolger keine Möglichkeit mehr, dem herabstürzenden Felsbrocken und den nachfolgenden Gesteinsmassen auszuweichen.

    Der Erfolg war durchschlagend. Das Geröll in der Mulde war wirklich überraschend locker gelegen und die Mulde entleerte sich so rasch, dass er um Haaresbreite selbst mit in die Tiefe gerissen worden wäre. Im letzten Augenblick schaffte er es, auf den festen Rand der Mulde zu springen und von dort aus beobachtete er, wie die Lawine die gesamte erste Gruppe seiner Verfolger wie eine Riesenfaust ins Tal fegte. Keiner der sechs überlebte, dessen war er sich sicher. Die Bestätigung bekam er, als später die zweite Gruppe auftauchte und nach kurzem Umsehen damit begann, die sechs Leichen zu bergen und sie auf der Spitze des Hügels unter aufgeschichteten Steinen zu begraben. Sie verbrachten einen ganzen Tag damit und als sie die Verfolgung wieder aufnahmen, hatte es Joshara zum ersten Mal geschafft, sich einen größeren Vorsprung zu erlaufen.

    Dann, in der Nacht zum nächsten Tag kam der Schnee.

    Innerhalb kurzer Zeit fielen fast drei Fuß Neuschnee und es war bereits typischer Frühjahrsschnee. Nass und schwer legte sich die weiße Pracht über alle Matten, Wege und Pfade und machte den Untergrund glatt und schmierig, jeder Schritt an einem Abhang entlang wurde lebensgefährlich und Josharas Flucht wurde nahezu unerträglich verlangsamt. Doch seine Verfolger hatten mit denselben Problemen zu kämpfen und das sie mittlerweile fast einen ganzen Tag auf Joshara verloren hatten, befanden sie sich noch in höheren Regionen als er und ihr Weg war noch weitaus gefährlicher als seiner. Außerdem hatte die dicke Schneedecke Josharas Spuren gründlich verwischt. Joshara hatte sich umgedreht und zurück geblickt. Hinter ihm waren nur eine makellos weiße Flächen zu sehen, nicht der kleinste Hinweis, dass jemals ein Mensch seinen Fuß in diese Gegend des Gebirges gesetzt hatte. Joshara entspannte sich etwas und beschloss, dass er sich wieder einmal eine Rast gönnen konnte. Er sah sich um und einen Überhang im Berg, eine große Felsklippe, unter der er nun in seinen Fellen lag, mit fast ganz geschlossenen Augen in die Flammen seines kleinen Feuers starrte und dabei versuchte die Bilder des Todes von sich fernzuhalten. 

    Ein hoffnungsloses Unterfangen.

    Kaum hatte er die Augen geschlossen und seinen Gedanken gestattet, sich von den Sorgen und Nöten der Flucht abzuwenden, waren die Bilder wieder da. 

    Doch sie hatten sich verändert.

    Es waren jetzt seltsamer Weise nicht mehr die Gesichter von Azawa und seinen Töchtern, die ihn umtanzten. Sein Geist hatte also den Tod dieser Menschen verarbeitet.

    Um Azawa tat es Joshara auch nicht wirklich leid, denn sie hatte ohne das geringste Zögern und Grundlos ihn und sein Geheimnis verraten. Damit war bei dem alten Mann die Gier nach Macht, nach noch mehr Macht, geweckt worden. Azawa war ihm, der ihr mehrere Jahre lang ein bequemes und schönes Leben ermöglichte, in den Rücken gefallen und sie hatte es auch nicht verstanden, ihre Töchter vor den geilen Klauen des Alten zu schützen. Azawa hatte den Tod streng genommen verdient, obwohl Joshara bedauerte, dass ausgerechnet er zu ihrem Richter geworden war.

    Auch um seine Töchter trauerte er nicht, denn er wusste, welches Schicksal ihnen durch die Geilheit und die Rachsucht des Clansvater beschieden gewesen wäre. Kirgis Tat hatte einen Fluch auf sie geladen. Kein Jäger der Berge hätte die Mädchen Zeit ihres Lebens jemals angefasst. Sie wären Ausgestoßene geworden, Menschen ohne Bindung an einen Clan oder eine Familie. Er hatte richtig gehandelt, als er sie tötete.

    Die Gesichter der Söhne von Kirgis waren es, die ihm zu schaffen machten und ihn nicht zur Ruhe kommen ließen. Ihre anklagenden Blicke, ihre hilflose Angst, als sie erkennen mussten, mit welch überlegenem Gegner sie sich eingelassen hatten. Ihre Angst vor den Schnitten und Stichen der eisernen Klinge in Josharas Hand, die Furcht vor dem Unbekannten. Sein Schwert, so empfand Joshara es, hatte die Seelen der drei Männer eingesaugt und nun tobten sie sich am Träger des Schwertes aus.

    Joshara fragte sich allen Ernstes, ob das Metall daran Schuld hatte oder einfach die Tatsache, dass man in den Bergen zwar als Jäger aufwuchs, doch niemals als Krieger. Es gab keine Kriege in den Bergen. Dazu waren die Clans zu klein und lebten unter zu schwierigen Umständen.

    Joshara lag lange wach. Das Feuer war längst herunter gebrannt und erloschen, seine Augen suchten außerhalb der überhängenden Felsklippe den Nachthimmel nach Sternbildern ab, in der Hoffnung in diesen vielleicht Trost und Ablenkung von den Bildern des Todes zu finden. Der Himmel war aber dicht bewölkt, kein einziger Stern war zu sehen und dann begann es wieder zu schneien.

    War es der Tanz der Schneeflocken, die in Josharas Gehirn plötzlich Entspannung einkehren ließen? War es die Gewissheit, dass er in dieser Nacht ganz sicher nicht mit einem Angriff seiner verbliebenen Verfolger rechnen brauchte?

    Was immer es war, plötzlich schlief Joshara doch ein. Er schlief tief und fest. Den Schlaf eines Handwerkers in einer festen und sicheren Behausung, nicht den seichten Schlaf des Jägers und Flüchtlings.

    Preis der Freiheit

    Als Joshara in der Morgendämmerung des nächsten Tages erwachte, fühlte er sich frisch und stark wie lange nicht mehr. Er sah unter der Felsklippe hinaus auf einen bleigrauen Himmel, an dem schwere graubraune Wolken dahin zogen, die noch weiteren Schneefall verkündeten. Er überlegte sich, ob er seinen Weg bei einem solchen Wetter überhaupt fortsetzen konnte und kam zu dem Ergebnis, dass er einen weiteren Ruhetag unter diesem Überhang einlegen würde. Einen Tag oder wenn es sein musste auch mehrere Ruhetage, denn auch seine Verfolger konnten in diesen unglaublichen Massen schweren, nassen Frühjahrsschnee nicht in den Bergen herum steigen und nach ihm suchen. Sie würden in ihrer Beweglichkeit ebenso eingeschränkt sein, wie er selbst.

    Joshara kroch aus seinen Fellen, suchte in den Büschen unter der Felsklippe dürres Reisig und brennbares Holz, dann fachte er sein Feuer wieder an und kroch in die Felle zurück. Er blieb bis weit in den Tag hinein einfach in seinen Fellen liegen, denn dort hatte er es angenehm warm und trocken und verbrauchte praktisch keine Energie. In seinem Teetopf schmolz er Schnee und hatte damit genug zu trinken. Sein Körper dankte ihm für diese Erholungsphase, in dem er mit einem immer wiederkehrenden Schlafbedürfnis reagierte. Erstaunlicherweise gelang es ihm jetzt, bei Tageslicht, weitaus besser, die Bilder der toten Söhne Kirgis aus seinem Kopf zu verbannen und so brachte er mehrere Schlafphasen hinter sich und nach jeder dieser Phasen fühlte er sich frischer und stärker. Doch dann, im Laufe des Nachmittags, begann Joshara unruhig zu werden. Er spürte, dass sich das Wetter änderte. Es hatte aufgehört zu schneien, die Wolkendecke war aufgerissen und nun konnte er unter dem Überhang hervor einen makellos hellblauen Himmel erkennen. Die Bäume an den Berghängen hingegen wirkten schwarz und bedrohlich und es blies ein leichter Wind von der Steppe herauf, der deutlich wärmer war als alles andere, das er in den letzten fünf Monden gespürt hatte.

    Der Fön war gekommen und ohne sich groß anzustrengen, konnte er zusehen, wie der warme Südwind den Schnee schmolz und in beängstigender Geschwindigkeit schwinden ließ.

    Drei Tage lang blies der Fön und es wurde von Tag zu Tag wärmer. Am dritten Tag war der gesamte Schnee bis weit hinauf unter die Gipfel weggetaut und überall begann bereits junges Gras durchsetzt mit Frühlingsblumen und blühenden Kräutern zu sprießen. Die Berge hatten sich über Nacht mit einem lindgrünen Schleier überzogen und es wurde allerhöchste Zeit, dass er seine Flucht fortsetzte.

    Er brach unmittelbar nach Sonnenaufgang auf und erreichte im Verlauf eines einzigen Tages eine Stelle, die er unschwer als das erkannte, was sie auch tatsächlich war.

    Hier war die Grenze des Hiron – Gebirges. Seine Flucht ging langsam aber sicher zu Ende. Nur noch ein einziges, aber gewaltiges Hindernis war zu überwinden:

    Eine nahezu senkrecht abfallende Wand, schroff und wild und gefährlich. Sie dehnte sich sowohl nach Osten als auch nach Westen aus und in keiner Richtung konnte er ein Ende oder einen etwas einfacheren Abstieg erkennen.

    Er blickte über die Kante der Felswand hinunter und sah vielleicht tausend Schritte unter sich eine Geröllhalde, die vermutlich noch einmal um die tausend Schritte hinunter führte und erst dort unten, am Fuß

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