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Halbblut
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eBook535 Seiten6 Stunden

Halbblut

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Über dieses E-Book

Menschen und Elfen - ein Krieg seit Jahrtausenden. Zwischen den verfeindeten Rassen steht das kleine, unterdrückte Volk der Halbelfen. Als Elijana bei einem verbotenen Ausritt auf den geheimnisvollen Jarno trifft, ahnt sie schnell, dass sie eine schicksalhafte Begegnung gemacht hat. Doch nie hätte sie damit gerechnet, dass ausgerechnet Jarno sie verraten würde ... Eine Geschichte über den verzweifelten Kampf um Freiheit.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum11. Okt. 2016
ISBN9783738087642
Halbblut

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    Buchvorschau

    Halbblut - Thomas Kadlubek

    1 PROLOG

    Halbblut

    Von

    Thomas Kadlubek

    Der Kontinent Arlas, benannt nach Arla, dem mächtigsten Gott der Menschen, lag seit

    Jahrtausenden im Krieg. Niemand kannte noch Geschichten aus der Zeit, in der Menschen

    und Elfen friedlich oder gar freundlich miteinander gelebt hatten. Zu schlechten Zeiten

    bekämpften die Völker dieser Erde sich über Jahrhunderte. Zu guten Zeiten, wie dieser, zogen

    sie sich in ihre Länder zurück und blieben einander fern.

    Den Menschen gehörte der größere Teil von Arlas, denn in vielen Kriegen hatten sie die

    zahlenmäßig unterlegenen Elfen langsam in die Wälder im Norden zurück getrieben. Ein

    reißender Fluss, der das ganze Land zu teilen schien als wären es zwei, bildete die Grenze

    über die ganze Länge des Landes. Das Gesetz der Menschen besagte, dass kein Elf die Grenze

    übertreten durfte, sonst erwartete ihn Gefangenschaft, Folter und schließlich der Tod.

    Denn Elfen, so wusste man, waren gefährliche Wesen. Äußerlich den Menschen ähnlich,

    wenn auch größer und körperlich stärker, verfügten sie über Kräfte, mit denen sie einen

    Menschen ins Unglück stürzen konnten. Ihre Augen waren schwarz, ihre Haut weiß und kalt,

    und es hieß, sie würden ihr eigenes Leben verlängern können, indem sie Menschen töteten,

    und die gestohlenen Jahre des Gestorbenen mit dämonischem Zauber auf ihre Zeit

    aufrechneten. Sie waren in der Lage, die Gedanken von Menschenfrauen zu bezwingen, und

    sie nach ihrem Willen zu lenken.

    Sie glaubten nicht an die drei Gottheiten Arla und seine Frauen Nanas und Kensayi, sie

    beteten nicht und verursachten durch diesen Frevel immer wieder Katastrophen wie

    Erdbeben, Wirbelstürme, Dürreperioden oder Überschwemmungen, unter denen die

    Menschen mit ihnen zu leiden hatten. Elfen planten unentwegt an Verbrechen, mit denen sie

    den Menschen schaden konnten, denn sie verlangten nach der vollständigen Gewalt über die

    Erde Arlas, die sie selbst als „Nandah" bezeichneten.

    Manchmal geschah es, dass gerade in der Nähe der Grenzen oder alter Wälder Menschen – oft

    waren es Kinder - spurlos verschwanden, entführt von den lebensgierigen Elfen.

    Und manchmal sendeten sie wilde Tiere wie blutrünstige Einhörner und Drachen, die die

    Männer angriffen und töteten und die Menschen schwächten.

    In der Vergangenheit war es häufig geschehen, dass Elfenmänner Menschenfrauen in ihren

    Bann gezogen – oder schlicht mit Gewalt geschändet hatten – und die dadurch entstandenen

    Wesen - dämonische Bastarde, 'Halbelfen' - hatten die Aufgabe, die ganze Reinheit der

    Menschen langsam auszurotten, indem sie ihr unseliges Blut langsam mit den Blutlinien der

    Menschen vermischen sollten, bis es irgendwann keine reinen Menschen mehr geben sollte,

    sondern allein noch Elfenblut regierte.

    König Gerog war ein guter und gerechter König, der sein Volk bis zum einfachsten Mann

    liebte und schützte. Die Aufgabe, verdammte Bastardkinder zu enttarnen und zu verurteilen,

    machte ihm schwer zu schaffen, denn kaum eine Frau gab ihren Halbling gerne her. Viele

    flehten oder kämpften gar um das Leben der unseligen Kinder, schrieen und jammerten, wenn

    man sie ihnen wegnahm und manch eine war durch die Hexerei so geblendet, dass sie gar

    wahnsinnig wurde oder den Freitod suchte. Da König Gerog schon als Kind im Thronsaal

    seines Vaters Mitleid mit den armen Frauen hatte, tat er in seiner Amtszeit kaum etwas so

    gewissenhaft, wie die Grenzen zu überwachen, damit es möglichst gar nicht erst soweit kam,

    dass sich menschliches mit elfischem Blut mischen musste.

    König Gerog war jung König geworden. Sein Vater war gestorben, als er selbst gerade

    fünfzehn Jahre alt gewesen war. Er hatte schon während seiner Schulzeit verantwortungsvoll

    über sein Land reagiert, war seinen Pflichten vom ersten Tage nachgekommen und hatte

    darüber hinaus seinem Privatleben oder gar einer Familiengründung lange wenig Beachtung

    geschenkt.

    Selbst mutterlos von Ammen großgezogen, kam ihm die Suche nach einer Frau erst in den

    Sinn, als er langsam daran dachte, sein Königreich irgendwann einem Sohn vererben zu

    müssen. So fiel die Auswahl einer Frau schnell, pflichtbewusst und rational. Eine schöne Frau

    sollte es sein, mit ordentlichen Abstammungspapieren über fast tausend Jahre zurück. Er

    heiratete Ellen an seinem 40. Geburtstag, neun Monate später kam sein erster Sohn Frede,

    sein Kronerbe, zur Welt.

    Hatte König Gerog bisher ausschließlich seine Arbeit geliebt, so erfüllte ihn das Vaterherz mit

    Freuden, an Kinderlachen konnte er kaum genug bekommen, nahm es ihm doch für einen

    Moment die Bilder der Bastardsvernichtung, die ihn so oft verfolgten. Nur wenige Jahre

    später hatte ihm Ellen einen zweiten Sohn – Viktor - geschenkt, dann verstarb sie bei der

    Geburt des dritten Kindes, einem Mädchen, Elijana.

    Elijana war König Gerogs schönste Freude und seine größte Sorge zugleich. Schon als Baby

    zeigte dieses Kind sich aufgeweckt und aktiv wie kein Zweites. Ihre Amme tat kaum etwas

    anderes, als sie im Schlossgarten herum zu tragen und ihr alles zu zeigen, um ihren

    Wissenshunger zu befriedigen, wenn sie das lebenshungrige Kind nicht gerade an der Brust

    hatte.

    Das Mädchen begann früher zu laufen und zu sprechen als ihre Brüder, und nicht selten lief es

    der Dienerschaft einfach davon, um nach einer schier endlosen Suche, die alle viel Nerven

    kostete, lachend aus einem Versteck zu hüpfen.

    Wie alle ihre Brüder hatte sie des Vaters Leidenschaft für Pferde geerbt und schon mit drei

    Jahren bekam sie ihre ersten Reitstunden auf dem kleinsten Pony, welches im ganzen Land zu

    finden war. Mit vier Jahren trabte sie alleine durch den Schlosspark und mit sechs Jahren ritt

    sie ihren Brüdern lachend davon.

    Elija, wie sie genannt wurde, bekam von ihrem Vater immer was sie wollte, nie blieb ein

    Wunsch ihr verwehrt. Doch machte der König sich regelmäßig Sorgen über ihren enormen

    Freiheitsdrang, denn die Schlossmauern wurden ihr rasch zu eng und die gemeinsamen

    Ausritte mit Begleitern langweilten sie. Doch erst an ihrem fünfzehnten Geburtstag erlaubte

    er ihr, alleine auszureiten, und dies auch nur, wenn sie nach Süden ritt, wo sich schmucke

    Bauerndörfchen inmitten hügeliger Wiesenlandschaften einfügten, das Land weit

    überschaubar war und wo seit vielen Jahren keinem Menschen mehr etwas zugestoßen war.

    Die Uralten Wälder, etwas nördlich der Stadt, blieben für Elija verboten.

    Und vermutlich war es genau das, was diese Gegend für Elija so besonders interessant

    machte. Nachdem sie im Süden kilometerweit jedes Dörfchen gesehen, jedes Gehöft besucht

    und jede Wiese überquert hatte, beschloss sie an einem taufrischen Sommermorgen, nach

    Norden zu reiten.

    2 Ein Einhorn im Wald

    Zunächst war die Gegend nicht anders, als die, die Elijana schon kannte. Doch umso weiter

    sie ritt, umso weniger Häuser und Menschen passierte sie, und als sich der Wald in geringer

    Entfernung schwer und schwarz vor ihr zeigte, hatte sie zum ersten Mal in ihrem Leben das

    Gefühl, wirklich alleine zu sein. Elija durchführ ein angenehmer Schauer. Um von anderen

    Menschen, die möglicherweise daher kommen würden, nicht gleich als Prinzessin Elijana

    erkannt zu werden, zog sie die Kapuze ihres dunklen Mantels über ihren in unzähligen Farben

    zwischen goldblond und kastanienbraun gesträhnten Locken tief ins Gesicht. Sie gab ihrer

    eleganten Fuchsstute Mari die Zügel frei und trieb sie in einen zügigen Galopp. Das Pferd

    schnaubte erfreut und schien bester Dinge auf den Wald zuzugaloppieren.

    Elija wusste, dass sie sich auf die Instinkte ihres Pferdes verlassen konnte – kein Pferd würde

    freiwillig in eine Gefahr rennen, beruhigte sie sich und genoss den verbotenen Ritt.

    Viel schneller als sie es erwartet hatte, erreichte sie den Wald und umso näher sie gekommen

    war, umso weniger bedrohlich wirkte er. Die gigantischen Bäume, alte und weise Geschöpfe,

    standen weit auseinander und ließen ihrer Stute genug Platz um problemlos galoppieren zu

    können. Ehe Elija den Waldrand aus den Augen verlor, hatte sie bereits einen kleinen Weg

    gefunden, dem sie ein Stück folgte.

    Die Natur war atemberaubend. Winzige Tautropfen glitzerten auf jeden grünen Blatt,

    Sonnenstrahlen durchleuchteten die Baumkronen und schienen im darunter liegenden

    Schatten fangen zu spielen. Ab und an kreuzte ein kleines Waldtier Elijas Weg, das größte

    Tier, dem sie begegnete, war ein junger Fuchs, der sie aus runden Augen ehrfurchtsvoll

    anstarrte, als sie in einigen Metern vorbei ritt.

    Nur langsam schien der Wald finsterer zu werden, die Bäume standen enger und ihre Kronen

    wurden dichter und ließen weniger Licht und Wärme hindurch. Doch erst als sie erste

    Nebelschwaden durchritt, die sich wie Geisterscharen langsam und ohne einen Windhauch

    bewegten, konnte Elija verstehen, warum die Menschen diesen Wald als unheimlich

    bezeichneten. Doch immer noch führte der gut bereitbare Weg tiefer hinein und ihre Stute

    trabte ohne zu zögern weiter, und so genoss das Mädchen den sanften Schauder ihrer leichten

    Nervosität und ritt weiter bis sie an eine Gablung kam, wo der Weg sich teilte. Ohne lange

    darüber nachzudenken wählte sie den linken Weg, als käme der andere für ihren Ausritt

    überhaupt nicht in Frage.

    Elija wunderte sich ein wenig über ihr Verhalten. Sie war immer schon wankelmütig

    gewesen, und konnte sich nie leicht entscheiden. Immer nagten Zweifel an ihr – wenn sie den

    einen Weg wählte, könnte der andere nicht etwas Interessanteres für sie bereithalten? Dieser

    linke Weg schien fast nach ihr zu rufen, es gab scheinbar gar keine Alternative.

    Der Wald schien sich zu verändern. Waren die Bäume vor einigen Metern noch

    moosbewachsen und feucht, wurde der Boden plötzlich knochentrocken und die

    Baumstämme schienen verdörrt und schimmerten silbrig, als wären sie von einer dünnen

    Schicht flüssigem Metall übergossen. Elija sah nach oben. Das dichte Geäst schien ein festes

    Dach zu bilden, die Zweige sich zu umarmen und ineinander zu flechten. Doch an diesem Ort

    hatte kein Baum mehr ein Blatt, dabei war es fast Sommer und jeder andere Baum, den Elija

    kannte und an dem sie vorbei geritten war, stand in voller Blüte. Elija hatte das Gefühl, die

    silbernen Monde würden den Wald schwach beleuchten, dabei schien über diesem Dach aus

    Geäst eindeutig die Sonne - doch kein Lichtschein fand hindurch, und allein die

    schimmernden Bäume schienen unnatürliches Licht zu spenden. Das Zwielicht schien zudem

    noch zu verblassen, es wurde immer dunkler.

    Und es war ruhig, unheimlich ruhig.

    So sehr Elija sich umsah und lauschte, sie konnte an diesem Ort keine Spur eines Tieres

    erkennen, keinen Vogel, nicht einmal Insekten. Nichts außer dem Hufschlag Maris auf dem

    trockenen Boden war zu hören.

    „Wollen wir lieber umkehren?", fragte sie ihre Stute, und erschrak, weil ihre Stimme viel

    lauter war, als sie es beabsichtigt hatte. Doch Mari schnaubte nur leise und trabte unbeirrbar

    weiter geradeaus, als würde sie zielstrebig auf ihren Stall zulaufen.

    „Mir gefällt es hier nicht, lass uns umkehren!", forderte Elija sie fast flüsternd auf und

    versuchte zu wenden, doch sie hatte keine Chance, das sonst so folgsame Pferd lief einfach

    weiter und störte sich nicht an ihrer Reiterin, so sehr diese auch an den Zügeln zog und sie in

    entgegen gesetzte Richtung zu treiben versuchte. Elija wurde von einer Panik ergriffen, die

    sie nicht verstehen konnte – fast wäre sie vom Pferd abgesprungen und weggerannt.

    Mit einem Mal wurde der Weg vor ihr wieder heller und Elija gab nach und ließ Mari laufen.

    Nur wenige Meter führte der Pfad noch zwischen diesen gespenstischen Bäumen hindurch,

    dann fand sich Elija plötzlich von der Sonne geblendet auf einer Lichtung wieder. Staunend

    ließ sie ihre Stute anhalten und sah sich um.

    Eine derart wundersame Lichtung hatte sie noch nie gesehen. Sie war fast kreisrund und klein,

    nur etwa 20 Schritte im Durchmesser, und der merkwürdige, silbrige Wald umschloss sie

    komplett, wie die festen Mauern das Schloss umgaben, in dem sie lebte. Der Boden war von

    jungem, weichen Gras und unauffälligen, kleinen Blüten verschiedener Farben bewachsen

    und die Sonne schien völlig schattenlos im Zenit dieser Lichtung und wärmte Elijas Körper,

    so dass sie sofort das Bedürfnis verspürte, ihren Mantel abzulegen.

    Elija war sich ziemlich sicher, dass dies ein besonderer, vielleicht sogar heiliger Ort war und

    sie stieg ehrfurchtsvoll ab und deutete eine Verbeugung an, auch wenn ihr nicht klar war, vor

    wem oder was. Sie hätte einen Schrein erwartet, einen Tempel, oder zumindest eine Statue

    der Götter – doch da war nichts als das Gras, umschlossen von den, bis auf den Pfad, der

    hinein führte, scheinbar undurchdringlichen Baummauern.

    Sie spürte einen seltsamen Respekt vor diesem Ort und fühlte sich, als würde sie beobachtet

    werden. Was auch immer hier war, es hatte eine gewisse Macht, war deutlich bemerkbar, aber

    es machte ihr keine Angst.

    Es war bedrohlich, aber nicht akut gefährlich – zumindest nicht für sie und nicht in diesem

    Moment.

    Elija erinnerte sich daran, dass sie das gleiche Gefühl schon einmal verspürt hatte. Damals

    war sie mit ihrem Pony ihrem Begleiter ausgerissen und war an einem harmlosen kleinen

    Wäldchen einem großen Rudel Wölfen begegnet. Sie war erst acht Jahre alt gewesen, und

    hätte mit ihrem Pony keine Chance gegen die Raubtiere gehabt. Doch das Rudel war satt, es

    hatte kein Interesse an einer Jagd auf das Kind. Sie hatten sie nur beobachtet. Neugierig und

    interessiert, und Elija hatte fasziniert und voller Ehrfurcht vor dem Augenblick zurück in

    gelbe Augen gesehen.

    Elija hätte es nicht gewundert, wenn genau diese Wölfe plötzlich auf die Lichtung gekommen

    wären. Doch sie war alleine mit ihrem Pferd, welches sich ebenfalls staunend umsah, und nur

    zögerlich an dem zarten Gras zu knabbern begann. Völlig alleine, nicht einmal eine Biene

    oder eine Ameise schien sich hierher zu verirren. Selbst Mücken, zu dieser Jahreszeit wirklich

    überall anzutreffen, schien es an diesem Ort nicht zu geben.

    Und dann trat plötzlich etwas aus dem Unterholz. Elija dachte zuerst an ein Reh, doch dann

    erkannte sie mit Faszination und Erschrecken zugleich, dass es ein junges, dunkelgraues

    Einhorn war. Im ersten Moment war sie versucht auf ihr Pferd zu springen und so schnell sie

    konnte davon zu reiten. Einhörner konnten enorm gefährlich sein. So schön sie auch waren,

    mit dem Körper eleganter, schlanker Pferde und ihrem silbrigen oder schwarzen Horn auf der

    Stirn, sie waren im Gegensatz zu Pferden reine Fleischfresser und meist enorm hungrig.

    Elija blieb im Gegensatz jeder Vernunft unbeweglich stehen. Ihr war selbst nicht klar, ob sie

    starr vor Schreck oder gebannt vor Faszination war, sie schaute das Wesen nur an, wie es mit

    nervös spielenden Ohren langsam auf die Lichtung trat und zu ihr zurück sah. Mari schnaufte

    nervös, machte aber selbst keinen Fluchtversuch, auch sie schien einfach nur abzuwarten, was

    nun passieren würde.

    Elija wusste nicht viel über Einhörner (außer, dass man besser die Flucht antrat, sollte man je

    einem begegnen), aber ihr war sofort klar, dass dieses Tier noch sehr jung war. Es war sehr

    klein und hatte den staksigen Körper eines knapp halbjährigen Fohlens. Seine Augen waren

    dunkel und groß, Schweif und Mähne schienen noch aus weichem Flaum zu bestehen und die

    Beine wirkten überdimensional lang und zerbrechlich. Es schien selbst verunsichert was es

    nun tun sollte. Misstrauisch blickte es Elija und ihre Stute an, wirkte jedoch nicht feindselig

    oder gar aggressiv. Nach einer Weile der Unbeweglichkeit wurde es mutiger, trat ein paar

    Schritte nach links und ein paar nach rechts, nicht ohne das Mädchen aus den Augen zu

    lassen, immer bereit, die Flucht anzutreten.

    Elija erinnerte es an ein hungriges, junges Pferd, dass auf seinen Stalljungen wartete, der das

    Futter bringen würde. Sie griff in ihre Manteltasche und zog ein in Stoff gewickeltes

    Schinkenbrot heraus, eine kleine Mahlzeit wie sie sie häufiger mitnahm, wenn sie länger

    ausritt.

    „Hast du Hunger?", rief sie dem Einhornfüllen leise zu, nahm eine Brotscheibe ab und hielt

    sie dem Wesen entgegen. Das Fohlen schnupperte, schnaubte und stampfte nervös mit den

    Vorderhufen; unschlüssig was es nun tun sollte. Nach wenigen Augenblicken siegte offenbar

    der Hunger über den Argwohn, es kam langsam und zögerlich näher, bis es nur noch den

    Kopf ausstrecken musste, um die Brotscheibe in Elijas weit ausgestreckter Hand zu erreichen.

    Mit geblähten Nüstern zog es den Geruch des Brotes ein, dann schoss es urplötzlich vor,

    schnappte an ihrem Körper vorbei nach der anderen Hand und preschte mit dem Schinken im

    Maul ein paar Meter davon.

    Elija schlug das Herz bis zum Hals, sie war fest davon ausgegangen, von dem Einhorn

    angegriffen, oder zumindest gebissen zu werden. Auch Mari hatte gescheut und war erst ein

    paar Schritte weiter stehen geblieben. Erleichtert lachte sie auf, als ihr klar wurde, dass das

    Fohlen sich lediglich den Schinken aus ihrer Hand geschnappt hatte.

    „Oh nein wie dumm von mir, schalt sie sich selber. „Du magst natürlich kein Brot, oder?

    Das Fohlen wieherte hell und wagte sich noch einmal näher.

    „Ich habe nichts mehr für dich, nur noch das Brot", erklärte Elija bedauernd und ließ das

    junge Einhorn vorsichtig an ihren Handflächen schnuppern.

    ‚Mich wirst du hoffentlich nicht fressen wollen’, fügte sie in Gedanken hinzu.

    Das Einhörnchen schien daran nicht zu denken, es schnupperte, wand sich dann leicht

    enttäuscht ab, sah sich noch ein paar mal wie suchend um und trabte dann davon.

    „Warte doch!", rief Elija sanft, doch das Tier war bereits im Unterholz verschwunden.

    Das Mädchen blieb für einen Moment regungslos zurück und konnte kaum glauben, was sie

    erlebt hatte. Ein Einhorn hatte ihr aus der Hand gefressen. An diesem Ort schien das nicht

    einmal ungewöhnlich. Mit leicht zitternden Knien kletterte sie in den Sattel ihrer Fuchsstute.

    Es beunruhigte sie etwas, noch einmal durch den unheimlichen Wald reiten zu müssen, doch

    wieder blieb Mari völlig gelassen und ruhig, und so riss Elija sich zusammen und versuchte,

    sich einzubilden, dass das merkwürdige Aussehen der Bäume hier überhaupt nichts zu

    bedeuten hätte.

    Dennoch war sie erleichtert, als der Wald wieder normal auf sie wirkte. Ihr war, als würde

    eine große Last von ihr abfallen. Völlig aufatmen vermochte sie aber erst, als sie auf das

    Schloss ihrer Familie zuritt, und Mari mit nachhallendem Hufschlag über die offen stehende

    Zugbrücke in den Innenhof trabte.

    Schon im Stall hatte Elija jedes zweifelnde Gefühl der Angst schon wieder vergessen, und

    nachdem sie ihre Stute gut versorgt hatte, flüsterte sie ihr zu:

    „Was hältst du davon, wenn wir morgen noch mal hin reiten und schauen, ob das Fohlen

    wieder kommt?"

    Mit dem wie zustimmendem Schnauben der Stute war die Sache besiegelt.

    Am Abend traf Elijana ihren Vater und ihren jüngsten Bruder im kleinen Speiseraum zum

    Essen. Im Gegensatz zur prunkvollen Speisehalle, in der größere Essen mit Gästen und

    offizielle Feste gegeben wurden, war der Speiseraum eher einfach gehalten. Außer einem

    großen, mit Tüchern behangenem Tisch und den gut gepolsterten, aber schmucklosen Stühlen

    standen keine Möbel in dem Raum, die Wände waren mit wenigen Gemälden der Familie

    geschmückt.

    Es war einer der wenigen Räume, in dem man nicht von kostbaren Erbstücken erdrückt

    wurde; einer der wenigen Räume, in dem Elija und ihre Brüder sich als Kinder frei bewegen

    konnten, ohne die Angst, etwas Wertvolles umzuwerfen. Einer der Räume, in denen der

    König Vater war und weniger auf Etikette und mehr auf herzliches Miteinander achtete.

    Viktor lebte wie Elija noch im heimatlichen Palast, wo er eine militärische Ausbildung

    durchmachte, um in Kürze Befehlshaber der Wache zu werden.

    Ihr älterer Bruder Frede hatte seine eigenen Ländereien, ein stattliches Herzogtum, welches er

    regierte, bevor es an der Zeit für ihn war, das Erbe seines Vaters anzutreten.

    Elijas Vater hatte an diesem Abend gute Nachrichten, er kündigte zwischen zwei Bissen

    Braten an, dass Frede im Sommer zu Besuch kommen würde und auch seine Frau und seine

    Tochter Anni, die im Winter erst geboren war, mitbringen würde.

    Elija freute sich so, ihren ältesten Bruder und seine temperamentvolle, fröhliche Frau wieder

    zu sehen und endlich ihre kleine Nichte kennen zu lernen, dass sie für eine Weile in

    Gedanken mit den Planungen des Besuchs verweilte und gar nicht mithörte, wie ihr Vater und

    Bruder wieder zu militärischen Belangen übergingen. Etwas, was Elija am Tisch nicht gern

    hatte und häufig mit einem Schmollen quittierte, was zumindest ihren Vater zum Schweigen –

    und ihren Bruder zum Schimpfen – brachte.

    „Sind die Zeugenberichte glaubhaft?"

    Elija wusste nicht, worum es im Gespräch ging, doch ihr Vater schien besorgt, eine tiefe

    Mittelfurche teilte seine eh schon faltige Stirn.

    Viktor räusperte sich und spülte seinen letzten Bissen mit einem großen Schluck Wein

    herunter. Er wirkte euphorisch, wie kurz vor einer aufregenden Jagd. Die Wangen glühten

    erregt in seinem Gesicht.

    Elija musterte ihn prüfend. Er hatte sich verändert in den letzten Monaten. Alles kindliche war

    aus seinem Gesicht gewichen, seine ehemals rundlichen Züge waren nun scharf geschnitten

    und seine blauen Augen waren ganz anders als die des Vaters geworden: Entschlossen und

    kühl, ohne ein einziges Lachfältchen darum herum.

    Elija fiel ein, dass Frede immer ihres Vaters Augen gehabt hatte – gutherzig und warm –und

    auch von der gleichen wasserblauen Farbe. Ob diese Ähnlichkeit geblieben war? Oder hatte

    auch er sich verändert?

    „Sie häufen sich zumindest", antwortete Vikor, nachdem er ausreichend Wein getrunken

    hatte. „Letzte Woche sah eine Frau angeblich einen Elfen, fast noch ein Kind, sagte sie, dann

    behaupteten Holzfäller, im Wald eine kleine Gruppe fragwürdiger Gestalten gesehen zu

    haben. Gestern und vorgestern waren es dann ein Wanderer und ein Bauer. Letzterer

    behauptet, drei oder vier junge Elfenkerle hätten ihm ein Brot und einige Rüben gestohlen. Er

    sagt, er hätte sie gesehen. Seine Frau allerdings meint, er wäre einfach sternhagelvoll

    gewesen."

    Viktor lachte und König Gerog schnaufte verärgert.

    „Elfen, hier in dieser Gegend!" Er schüttelte skeptisch den Kopf. „Niemals haben sich die

    Teufel in diese Gegend gewagt – was sollten die auch hier wollen! Nirgends ist die Wache in

    größerer Stärke aufgestellt."

    „Vielleicht geht es ihnen um die Gefangenen im Turm?", fragte Viktor, doch sein Vater wank

    ab.

    „Auszuschließen. Darin sitzt keiner, der irgendwie von Bedeutung wäre. Und wenn es so

    wäre, dann kämen sie mit einer Streitmacht und würden keine Knaben schicken."

    „Vielleicht", brachte sich Elijana nachdenklich ins Gespräch ein, als sie unbehaglich an den

    düsteren Turm dachte, der als Kerker diente, „ist jemand inhaftiert, der nur für einige Elfen

    eine Bedeutung hat? Vielleicht ist es seine Familie oder Freunde, die ihn suchen?"

    Der König schmunzelte und schüttelte den Kopf.

    „Du sollst dir keine Gedanken über solche Belange machen, davon verstehst du nichts,

    Kleines." Ein paar Sekunden verweilte sein Blick liebevoll auf seiner Tochter, ehe er fort

    fuhr. „Du denkst, sie seien Menschen, die füreinander einstehen, die Liebe und Mitgefühl

    empfinden. Aber so ist es nicht. Sie sind wie Tiere. Sie denken nur an sich und tun nichts, was

    ihnen keinen Vorteil bringt."

    „Sie sehen halt fast so aus wie wir", bemerkte Elija nachdenklich. „Da vergisst man dies

    schon mal."

    „Ja, das tun sie. Aber sie sind primitiv und triebhaft, sie werden nur durch ihre eigenen

    Bedürfnisse gelenkt und fühlen nichts als ihre blanke Gier."

    „Daher sollten wir die Sichtungen ernst nehmen, Vater", sagte Viktor begeistert. „Lass mich

    morgen mit ein paar Männern ausreiten und in den Dörfern noch einmal die Menschen

    befragen. Vielleicht finden wir etwas heraus."

    „Natürlich, tu das. Ich glaube zwar nicht, dass es sich wirklich um Elfen handelt, aber es ist

    natürlich gut, wenn wir jeden Hinweis ernst nehmen. Das gilt auch für dich Elija – sei

    vorsichtig und reite nicht zu weit fort."

    „Bestimmt nicht, Vater!", sagte Elija, und hoffte dabei nicht rot zu werden.

    3 Nicht Mensch, nicht Elf ...

    Am nächsten Morgen konnte Elija das gemeinsame Frühstück kaum abwarten. Doch sie ließ

    sich Zeit um ihrem Vater keinen Grund für besondere Aufmerksamkeit zu geben. Wenn sie

    sich jetzt verdächtig machte, konnte sie das Einhornfohlen vergessen.

    Elija war sich sicher, dass es wieder kommen würde, auch wenn ihr nicht klar war, woher sie

    das wusste. Auf dem Weg zu den Stallungen durchquerte sie auf dem Dienstbotenweg die

    Küche und steckte in einem unbeobachteten Moment ein frisches Hühnerbein ein, das mit

    vielen anderen bereit lag um für das Abendessen vorbereitet zu werden.

    Wenig später saß Elija im Sattel und ritt geradewegs auf den geheimnisvollen Wald zu.

    Wieder überkam sie ein furchtsames Schaudern, als sie das Waldstück der silbrigen Bäume

    durchquerte, wieder verstärkte sich die Angst mit jedem Trabtritt ihres Pferdes bis sie kurz

    vor einer Panik stand, und wieder brachte die zauberhafte Lichtung Erleichterung, obwohl sie

    auch heute das Gefühl beobachtet zu werden, nicht von sich weisen konnte.

    Elija ließ Mari grasen und setzte sich selber ein wenig ins weiche Gras um zu warten, ob das

    Fohlen kommen würde. Tatsächlich musste sie nicht lange verweilen und es knackte im

    Geäst. Zögernd schritt das Einhornfohlen auf die Lichtung und schien sie mit einem kleinen

    Schnauben zu begrüßen, als es sie sah.

    Langsam, um es nicht zu erschrecken, stand Elija auf und griff in ihrer Tasche nach dem

    mitgebrachten Fleisch. Das Fohlen schnupperte erregt und kam rasch näher. Nur eine

    Armlänge stand es entfernt. Elija hielt ihm das Fleisch hin und es begann hungrig Stücke

    heraus zu beißen und zu reißen, verschlag sie gierig und fraß zuletzt auch den Knochen, der

    knirschend seinen harmlos scheinenden Zähnen nachgab. Zufrieden schleckte eine rosa Zunge

    etwas Blut von den weichen Lippen und es blickte Elija an, als wollte es sich für das Mahl

    bedanken.

    Elija wurde mutiger und trat einen Schritt näher. Sie streckte ihre Hand aus, berührte das

    weiche, flaumartige Fell am Hals. Das Fohlen schien überhaupt nicht mehr ängstlich, wie

    selbstverständlich ließ es sich streicheln, als wollte es kein wildes Tier, sondern ein

    freundliches Reitpony werden. Elija kraulte es an den Ohren und ließ ihre Finger vorsichtig

    über das dunkelgraue Horn gleiten. Noch war es kurz und stumpf – nicht lange und es würde

    eine spitze, gefährliche Waffe abgeben. Elija kam der Gedanke, ob es wohl möglich war,

    Einhörner zu zähmen. Sie kannte Legenden von tapferen Männern der Vergangenheit, die

    Einhörner gezähmt hatten, die auf ihnen reiten konnten wie auf Pferden. Sie erinnerte sich an

    die Bilder in der großen Halle des Schlosses – Elfen, die auf blutäugigen Einhörnern in die

    Schlacht ritten.

    Doch ihr Vater hatte sie immer gelehrt, dass dies nur Märchen gewesen waren – Einhörner

    konnten nicht gezähmt werden. Andererseits … wenn man sie früh genug an Menschen

    gewöhnte … und dieses hier war in jedem Falle noch jung, sehr jung.

    „Wo ist denn nur deine Mutter?", fragte Elija leise.

    „Tot", kam hinter ihr eine Antwort.

    Elija schrie laut auf vor Schreck und wirbelte herum, das Einhornfohlen stieg steil auf die

    Hinterbeine und trat die Flucht an. Elija hatte den Mann, der nun wenige Meter hinter ihr

    stand und wie in Gedanken ihre Stute Mari am Hals kraulte, nicht kommen hören.

    „Wer … wer bist du? Und … was willst du?", stotterte Elija und versuchte ihre Stimme

    selbstsicher und mutig klingen zu lassen. „Geh von meinem Pferd weg."

    Der Fremde dachte nicht daran, er schien sie einfach zu ignorieren. Er war in einen ähnlichen

    Umhang gekleidet wie sie selbst ihn beim Reiten trug, nur war seiner aus einfachstem Leinen,

    alt und verschlissen. Die Kapuze fiel ihm tief in die Stirn. In der Helligkeit auf der Lichtung

    konnte sie sein Gesicht im Schatten der Kapuze nicht mal erahnen.

    Nur an der Statur konnte Elija erkennen, dass es ein Mann sein musste. Er war groß, sicher

    eineinhalb Kopf größer als sie (und Elija war groß für eine Menschenfrau!), und schlank.

    ‚Ein Elf!’, schoss es ihr durch den Kopf und sie begann den Boden nach einer möglichen

    Waffe abzusuchen. Doch hier lag nicht mal ein Reisigzweiglein auf dem Boden, erst recht

    kein wehrhafter Knüppel. Und ihr silberverzierter Dolch, den sie immer bei sich trug, war an

    Maris Sattel befestigt, wo er im Moment besseren Zugriff darauf hatte, als sie.

    „Du solltest deinem Pferd den Sattel abnehmen, wenn du so lange rastest", sagte er plötzlich

    und kam ein Stück auf Elija zu. Elija wich wiederum ein paar Schritte zurück, doch blieb

    dann stehen – wohin sollte sie hier schon fliehen, wenn ihr Pferd für sie unerreichbar war. Er

    stand zwischen ihr und Mari – und hinter Mari war der einzige Pfad, der aus diesem Kreis

    herausführte. Andererseits … das Fohlen hatte sich auch durch das Unterholz der Baumwand

    arbeiten können. Wenn sie …

    Die Aussicht, zu Fuß blindlings in diesen kalten, seltsamen Wald zu flüchten, schien Elija

    nicht viel klüger, als mit bloßen Händen gegen den Fremden kämpfen zu müssen, zumal er sie

    eh verfolgen würde. Elija war stark für eine Frau, bei zwei älteren, rauflustigen Brüdern war

    das überlebenswichtig. Allerdings waren Elfen, wenn der Fremde denn einer war, körperlich

    überlegen.

    Der Mann blieb mit etwas Abstand stehen und hob sich die Kapuze vom Kopf. Elija wagte,

    etwas aufzuatmen. Er hatte tiefbraunes Haar und hellbraune Augen, enorm schöne, sanft

    geschwungene, große Augen, musste Elija irritiert feststellen. Seltsame Augen.

    Er war selbst nicht älter als sie, allenfalls ein oder auch zwei Jahre, und sein Gesicht sah nicht

    unfreundlich aus. Das war bestimmt kein Elf.

    „Ich danke dir für das Fleisch", sagte er und nickte mit dem Kopf in Richtung des Fohlens,

    was einige Meter hinter Elija wieder aus dem Unterholz geklettert war und nun freudig auf

    den Fremden zuging und sich von ihm Streicheln und Klopfen ließ. Seine Stimme war

    angenehm warm. Er zog ein kleines, blutiges Stück aus einem Lederbeutel am Gürtel und

    schob es dem Fohlen zwischen die Zähne.

    „Sie hat immer Hunger, ich komme kaum nach, sie zu füttern."

    Über sein Gesicht huschte ein flüchtiges Lächeln, ein hübsches Lächeln. Seine Augen waren

    wirklich zauberhaft schön. Sie schienen in allen Facetten zwischen orange und braun zu

    schillern, und leuchteten, je nach Lichteinfall, bei seinen Bewegungen sogar golden auf.

    Elija konnte ihn eine Weile nur anstarren.

    „Du fütterst es?", fragte sie ihn verwundert.

    „Ja du etwa nicht?" Jetzt lächelte er erstmals sie an und Elija fühlte sich, als würde ihr ein

    bisschen schwindelig werden.

    „Ihre Mutter wurde erschossen", erklärte der Fremde dann wie teilnahmslos, nur seine Miene

    verfinsterte sich etwas. Zwischen seinen Augen erschien eine kleine Falte auf seiner Stirn.

    „Sie haben sie aus reiner Mordlust erschossen, ihr das Horn genommen und ihren Körper

    liegen gelassen."

    Elija lief es kalt den Rücken runter. Ihre Brüder waren auch schon auf der Jagd nach

    Einhörnern gewesen, sie wusste, wie stolz sie auf die Hörner waren und wie wertvoll diese

    waren.

    „Es sind gefährliche Tiere", sagte sie schwach.

    „Gefährlich?", zischte der Fremde aufgebracht, und für einen winzigen Moment schienen

    seine Augen pechschwarz und grausam und Elija kam der erschreckende Gedanke, dass er

    doch ein Elf sein musste.

    Mit dem nächsten Augenblick jedoch sah er wieder aus wie zuvor, und Elija war sich nicht

    mehr sicher, ob ihre Nerven ihr einen Streich gespielt hatten.

    „Sie sind nicht gefährlicher als du und ich", erklärte er ruhig. „Sie töten, wenn sie Hunger

    haben und sie töten, wenn sie angegriffen werden. Oder ihre Fohlen schützen wollen." Er

    strich dem kleinen Einhorn behutsam über den Rücken. „Sie hier, ist noch zu klein um alleine

    zu überleben. Ihre Mutter hatte keine Chance, ihr das Jagen beizubringen. Sie ist auf meine

    Hilfe angewiesen."

    „Dann hast du sie gezähmt?"

    „Ja", knurrte der Fremde, in einer seltsamen Stimmlage, die dem Mädchen einen Schauer

    nach dem anderen über den Körper liefen ließen. „Ich hatte keine Wahl. Sie wäre an der Seite

    ihrer toten Mutter verhungert. Ob ein zahmes Einhorn jedoch besser ist als ein totes, wage ich

    noch zu bezweifeln."

    Elija zog die Stirn kraus.

    „Was ist schlecht an einem zahmen Einhorn?"

    Der Fremde sah sie verwundert an.

    „Ist dir das nicht klar? Sie scheut die Menschen nicht mehr. Sie ist freundlich auf dich

    zugegangen – jeder andere Mensch hätte es ausgenutzt und ihr einen Pfeil in die Brust gejagt,

    und damit geprahlt, ein wildes Einhorn getötet zu haben." Seine Worte waren kühl, seine

    Stimme ebenso.

    „Oh!, sagte Elija bestürzt. „Ich … ich kann euch helfen!, rief sie dann. „Wir bringen sie zu

    unseren Stallungen, dort bekommt sie alles was sie braucht. Keiner wird ihr etwas antun,

    wenn ich es verbiete. Sie ist doch nicht gefährlich!"

    Der Fremde verdrehte die Augen, offensichtlich genervt, aber nicht direkt unfreundlich.

    „Du kannst ein Einhorn nicht in einen Stall

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