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Die vergessenen Kinder
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eBook432 Seiten5 Stunden

Die vergessenen Kinder

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Über dieses E-Book

Die Kriminalpolizei und ein Dorf werden mit der Vergangenheit konfrontiert.
Beim Abriss des Feuerwehrhauses wird eine riesige autarke Bunkeranlage entdeckt. Einundzwanzig tote Kinder liegen in einem Schutzraum.
Die polizeilichen Ermittlungen ergeben sehr schnell, dass die Toten nicht die sind, die 1944 bei einem Luftangriff verschüttet wurden.
Haben die Kinder damals den Luftangriff überlebt?
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum31. März 2014
ISBN9783847624301
Die vergessenen Kinder

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    Buchvorschau

    Die vergessenen Kinder - Herbert Weyand

    Prolog

    Schon Minuten lag das Brummen in der Luft, als plötzlich die Bomber der Alliierten, wie Heuschrecken die Sonne verdeckten. Bomben fielen in dichtem Hagel vom Himmel und explodierten beim Aufschlag. Die Erde bebte und die Mauern wankten. Doch sie hielten der Belastung des Drucks und den erdbebenartigen Wellen stand.

    Die Kinder saßen zusammengekauert im Schutzkeller und hörten entsetzt auf den gewaltigen Lärm um sie herum und über ihnen. Die Schockwellen trafen sie körperlich. Zum Weinen blieb keine Zeit. Das Entsetzen und die Angst nahm ihnen die Stimme.

    Auch, wenn die Maschinen schon geraume Zeit zu hören waren, erfolgte der Angriff der Alliierten überraschend und der Großteil des Dorfes schaffte es nicht in den Schutzraum.

    Die Landung der Amerikaner und Engländer in der Normandie war natürlich Gesprächsthema der letzten Tage. Hitler forderte die Menschen der Dörfer auf, ihre Heimat zu verlassen … die englischen Radiosender forderten das Gegenteil. Die Wehrmacht fegte auf der Flucht am Dorf vorbei. Nur wenige Soldaten machten im Dorf halt. Und wenn auch nur, um zu plündern und den Bewohnern Widerstand einzuimpfen.

    Die Kinder lebten seit Tagen in dem einzigen Schutzraum des Dorfes und die Einwohner wechselten sich täglich bei deren Versorgung ab. Weil die Wehrmachtssoldaten flüchteten, war klar, dass die Vorzeichen des Krieges umgekehrt wurden. Die Angst vor den Eroberern wurde genommen, weil, von einem Augenblick auf den anderen, das Gerücht im Raum stand, die Amerikaner würden die Orte verschonen und niemandem etwas tun, der sich ergibt. Weit gefehlt.

    Nach weniger als einer Stunde war der Spuk des Angriffs vorüber. Am nächsten Tag rückten die Alliierten an. Die Tanks der Amerikaner walzten durch die wenigen Straßen des Dorfs. Die Einwohner jubelten den Eroberern zu, die, ungeachtet der Ovationen, die Überlebenden des Luftangriffs wie Vieh zusammengetrieben und am 16. November in das Camp Vught nach Nordbrabant brachten, und internierten. In dem nunmehr leeren Dorf wurden die Häuser von den anrückenden alliierten Soldaten besetzt.

    Niemanden scherten die Einwände von ängstlichen Eltern, deren Kinder im Schutzkeller waren.

    Erst Jahre später fiel einem ehemaligen amerikanischen Soldaten in seinen Memoiren auf, dass in diesem Dorf beim Einzug der Siegermächte keine Kinder lebten. Keiner der internierten Einwohner war damals jünger als zehn Jahre.

    Nach dem Krieg kehrten die Einwohner zurück. Das Gelände über dem Luftschutzkeller war verwüstet und glich einer Mondlandschaft. In vielen Gesprächen kamen die Familien überein, das Massengrab nicht zu öffnen. Die Totenruhe sollte nicht gestört werden. Viele Eltern der verschütteten Kinder hatten den Krieg nicht überlebt. Die Trauerarbeit für andere wollte im Grunde niemand übernehmen. In diesem Krieg gab es so viele Tote, sodass der Mensch, müde und abgestumpft wunde. Sie wendeten sich der Zukunft zu und machten einen Schnitt mit der Vergangenheit. Ein neuer Lebensabschnitt begann und sie machten sich daran, ihre Häuser aufzubauen. Die neu geborenen Kinder wuchsen in dem Wissen heran, dass ihre älteren Geschwister während des Krieges umkamen. Eine ganze Generation und mehr war ausgelöscht.

    Die Stunde null begann, denn die Häuser waren ausgeraubt und alle Wertgegenstände als Kriegsbeute weggeschafft. Selbst die vergrabenen Schätze in ihren sicheren Verstecken der Gärten waren und blieben verschwunden. Das Dorf stand vor dem Nichts und wurde Meister im Entwickeln von Überlebensstrategien. Industrie gab es keine, lediglich Landwirtschaft.

    Mit dem Wiederaufbau der Schule wurde 1949 begonnen. Zwei Jahre später wurden die ersten Kinder eingeschult.

    Das Feuerwehrhaus wurde auf dem Fundament des zerstörten Bunkers aufgebaut, neben dem grauen Haus aus der Vorkriegszeit, 1931 stand im Giebel. Niemand dachte an die Kinder, die dort ihr Grab gefunden hatten. Das damalige Geschehen war ausgelöscht.

    Nach und nach verdrängten die Familien des Dorfes die Gräuel des Krieges. Die Männer fanden Arbeit auf den umliegenden Zechen oder auf der Glasfabrik in Herzogenrath. Das Lebenskarussell drehte ein Zacken weiter.

    1955 rückten Bagger an und bauten auf dem Grundstück gegenüber dem Sportplatz, der zur Schule gehörte, Kies ab. Faktisch die Fortsetzung der aufgefüllten Kiesgrube aus den Anfängen des Jahrhunderts. Niemand machte sich Gedanken um den hohen Bretterzaun, der die Abgrabungsstelle vor Blicken und unbefugtem Eindringen schützte. Es wurde so viel geklaut.

    Langsam sickerte durch, dass das Abgrabungsgelände, ungefähr dreißigtausend Quadratmeter Land, an Fremde verkauft worden war, die nicht im Dorf lebten und das Förderrecht der Firma Bernstein Kies gehörte. Nutznießer war Karl Dreßen, ein älterer Bauer, der 1952 das Dorf mit unbekanntem Ziel verlassen hatte und somit den Einwohnern aus der Ferne ein Schnippchen schlug.

    Als der Bretterzaun 1959 entfernt wurde, sahen die Dorfbewohner auf eine dichte Buchenhecke, die mindestens schon drei Jahre gewachsen war. Es war der Sommer, der mit Hitzerekorden aufwartete und in dem es von Mitte März bis Ende September nicht regnete. Es war auch der Sommer, in dem junge Familien Angst hatten, ein Contergan geschädigtes Kind zu bekommen.

    Die Zufahrt zu dem Grundstück lag dem Dorf abgewandt. Die Straße wurde vor einigen Jahren, extra neu gebaut. Sie führte auf die L42, der Straße zum Militärflugplatz, und kam aus dem Nichts. Der Beginn oder das Ende, je nach Betrachtungsweise, lag am Heiderand.

    Im Winter, als die Hecke licht wurde, sahen Spaziergänger und Bewohner einen Gebäudekomplex, der im Dorf seinesgleichen suchte. Im Verborgenen war das Gebäude gewachsen und es sollte den Bewohnern verborgen bleiben. Denn nie setzte jemand, der im Ort wohnte oder verwandtschaftliche Beziehungen dorthin unterhielt, einen Fuß über die Schwelle der Villa.

    Wenigen fiel die Errichtung des Komplexes auf, weil der Umbau des Feldflugplatzes zu einem Flughafen der Royal Air Force in unmittelbarer Nähe zur gleichen Zeit stattfand. Das militärische Sperrgebiet verlief hart an der Grenze des neuen Anwesens, sodass durchaus der Eindruck entstehen konnte, die ehemalige Kiesgrube gehöre dazu. Die Spekulationen der Dorfbewohner gingen dementsprechend in diese Richtung. Hinzu kam, dass die Zuneigung, der alliierten Engländer den Deutschen gegenüber, sich in Grenzen hielt.

    Als, Anfang der achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts, die NATO Air Base entstand, verschwendete niemand mehr Gedanken daran, dass, zwischen Flughafengelände und dem Gebäude, ein Abstand von mehreren Hundert Metern entstand. Der Sicherheitsbereich des militärischen Geländes wurde einfach enger gezogen. Zweihundert Meter jenseits der Verbindung zur Landstraße wurde der Sicherheitszaun für den Bereich der Base errichtet. Neue Arbeitsplätze standen in Aussicht und die Konzentration, um die möglichen Bewohner der Villa, ließ nach. Das Dorf hatte sich an den Klotz gewöhnt.

    *

    28. Mai 2012

    Der Tag, für die Anwohner Hinter den Höfen und dem Küfenweg, begann bescheiden. Nicht nur dort. Der, sich stetig wiederholende laute Schlag begann Punkt sieben Uhr. Viele wurden aus den schönen Träumen gerissen, die sonderbarerweise nur in den frühen Morgenstunden auftraten. Andere kniffen mit letzter Kraft den Schließmuskel des Harnleiters zusammen, um noch einige Minuten im Bett zu retten.

    Mit dem ersten lauten Schlag … vorbei.

    Kinder, deren Minuten, bis sie zum Schulbus oder in den Kindergarten mussten, geplant waren, stürzten ans Fenster oder zur Tür. Dem älteren Herrn, drei Häuser die Straße hinunter, fiel die Kaffeetasse aus der Hand. Er war schwerhörig und dachte, sein Gehör wäre wiedergekommen, weil er das Klopfen an der Türe hörte. Als er sie öffnete, stand niemand dort, doch das Klopfen blieb. Er beschloss, den Arzt aufzusuchen.

    Die Schockwellen der Schläge setzten sich im Boden fort und vibrierten noch einige Hundert Meter weiter. Katzen suchten miauend das Weite. Hunde der Nachbarschaft bellten tobend. Eltern schrien ihre Kinder an, weil die Zeit drängte und Kinder weinten, weil die Eltern schrien.

    Die breite Schaufel des Baggers schlug auf das Dach des Feuerwehrhauses, immer wieder und wieder. Nach einer halben Stunde ein kleiner Erfolg. Ein Riss. Weitere zehn Schläge. Ein erstes Loch brach ins Innere des Gebäudes.

    Die freiwillige Feuerwehr hatte ausgedient und das ehrwürdige Gebäude wurde abgerissen. Heutzutage konnte man bei einem Brand abwarten. Vor fünfzig Jahren war das anders. Vielleicht brannten die Häuser damals besser und schneller oder die Versicherungspolicen waren nicht so lukrativ. Im Dorf wurde gemunkelt, dass die Landesregierung überlege, das generelle Rauchverbot auf die Haushalte auszudehnen, in deren Orten es keine Feuerwehr gab. Auf dem Bolzplatz an der alten Schule sollte eine Raucherecke eingerichtet werden. Auf jeden Fall wurde das Dorf, bei Gefahr, nun von der Nachbargemeinde bedient. Für die Bewohner ein großer Verlust. Das Feuerwehrfest war immer eine gut besuchte, feucht fröhliche Veranstaltung.

    In der vergangenen Woche, direkt nach der Frühkirmes der Schützen - auf dem Zelt durfte übrigens noch geraucht werden, da stand aber auch das Feuerwehrhaus noch - begannen die Beschäftigten der Stadt damit, das große automatische Tor und die Kunststoffteile abzubauen. Tagelang stießen die Arbeiter mit breiten Kratzern die Teerpappe vom Flachdach. Nicht nur Mülltrennung in den Haushalten, auch beim Abriss des Gebäudes. Der Feuerwehrausfahrt gegenüber war die Straße aufgerissen. Die Lebensader wurde abgetrennt und das endgültige Aus der Feuerwehr besiegelt. Was ist eine Feuerwehr ohne Wasser? Das Wasserwerk trennte die Verbindung der Leitung, die über Jahrzehnte den Schmutz von Geräten und Fahrzeugen beseitigte.

    Im Vorfeld war die Stadt bemüht, das Gebäude loszuwerden. Die Stadtverwaltung suchte eine andere Nutzung, denn der Abriss war nicht billig. Die Bemühungen, das Gebäude einer anderen Nutzung zuzuführen, liefen ins Leere, weil die Instandhaltung und Betreibung keinen wirtschaftlichen Nutzen versprach und für die ortsansässigen Vereine zu teuer war.

    Nach und nach stürzte das lang gestreckte Gebäude nach innen. Dicke Staubwolken wirbelten über den Vorplatz der Schule, die in ungefähr fünfzig Metern Entfernung stand und seit der Bildungsreform Ende der siebziger Jahre nicht mehr für den Lehrbetrieb genutzt wurde. In der ersten Etage des alten Gebäudes lagen zwei ehemalige Lehrerwohnungen, die von der Stadt vermietet wurden.

    Mit dem Feuerwehrhaus wurde auch der hohe Mast, samt Sirene, abgebaut. Manch einem wurde angst und bange. Der auf- und abschwellende Ton diente schließlich nicht nur zur Warnung vor einem Brand, sondern auch dem Katastrophenschutz.

    Vom Feuerwehrhaus gesehen, lag rechts der Spielplatz, an den sich der Bolzplatz mit Grillstelle für die Jugendlichen des Dorfes anschloss. Daneben streckte sich die hohe Buchenhecke, hinter der ein zweistöckiger Gebäudekomplex aus der Nachkriegszeit lag, dem etwas Geheimnisvolles anhaftete. Links lagen die Gärten der Grundstücke, deren Häuser im Küfenweg lagen.

    Binnen zwei Tagen war das Feuerwehrhaus dem Erdboden gleichgemacht. Lediglich das Betonfundament lag deplatziert auf der geräumten Fläche, ungefähr fünfzig Zentimeter unter Bodenniveau. Die Arbeiter beratschlagten, wie sie am besten weiter vorgehen sollten. Die Mehrzahl war dafür, den Betonklotz dort zu belassen und das Loch mit Recyclingmaterial zu füllen und rote Asche, wie auf dem Rest des Platzes, aufzubringen.

    Die Platte musste weg, ordnete der Baudezernent der Stadt Geilenkirchen an.

    Der Bagger schaufelte also weiter und begann links vom ehemaligen Gebäude. Er hob die Erde auf den bereitstehenden Laster.

    „Stopp, rief Josef Dohmen, ein kräftiger, ungefähr ein Meter neunzig großer Arbeiter und hob die Hand. „Da ist etwas. Mach‘ mal langsam. Er stieg mit dem Spaten bewaffnet in das Loch und krabbelte nach wenigen Minuten, schnell wieder heraus. „Eine Bombe. Und was für ein Kaliber. Wir müssen absperren." Er klebte sein Handy an die Backe und rief im Bauhof an. Eine halbe Stunde später rückten weitere Fahrzeuge der Stadt mit Absperrgittern und die Polizei an.

    „Ein Blindgänger, bestätigte der ältere Polizeibeamte und kratzte sich ausgiebig am Kopf. „Ich habe schon einige gesehen. Das ist eine amerikanische Zehnzentnerbombe. Normalerweise haben die einen Langzeitzünder und der Kampfmittelräumdienst müsste schnell damit fertig werden. Er stieg in sein Auto und holte über Funk weitere Anweisungen. „In fünfhundert Meter Umkreis die Häuser räumen, stellte er fest, als er wieder ausstieg. Die Kollegen sind gleich hier.

    „Das sind zwei Drittel des Dorfes", sagte Josef Dohmen zu seinem Kollegen, der mit den Schultern zuckte.

    Weniger als eine halbe Stunde später begann die Polizei mit der Räumung der Häuser. Zwei Beamte fuhren um das Dorf herum und näherten sich über die Zufahrtsstraße des etwas außerhalb liegenden Gebäudekomplexes. Er war nur von hier zugänglich, lag jedoch in dem halben Kilometer Radius des Sicherheitsbereiches. Sie hielten vor dem riesigen schmiedeeisernen Tor, dessen Angeln rechts und links in stabiles Gemäuer eingelassen waren. Je fünf Meter maß ein Flügel in der Breite und sieben Meter in der Höhe, ungefähr einen Handbreit unter der Regenrinne des Hauses. Nichts signalisierte Leben. Keine Klingel, kein Klopfer. Ratlos sahen die beiden Polizisten sich an.

    „Was wollen Sie?", fragte die Stimme aus einer nicht zu identifizierenden Quelle.

    „Sie müssen ihre Wohnung oder ihre Wohnungen räumen. Auf dem Platz neben Ihrem Grundstück wurde ein Blindgänger gefunden, der heute entschärft wird", erklärte der kleinere der Beamten dem Tor oder der Wand, er wusste es nicht.

    „Ja, in Ordnung. Vielen Dank", sagte die Stimme.

    „Wir müssen die Evakuierung begleiten", brachte der andere Polizist seine Anweisung an den Mann.

    „Das ist unnötig. Wir werden die Wohnungen verlassen." Die Stimme klang bestimmt, ließ keinen Widerspruch zu.

    „Das geht nicht. Wir müssen sicher sein, dass alle Häuser geräumt sind, begehrte der kleinere. „Öffnen Sie das Tor.

    „Verschwinden Sie", stellte die Stimme abschließend und ohne Emotionen fest.

    „Aber …", begann der Beamte und wurde von seinem Kollegen am Weiterreden gehindert, weil er ihm am Arm zupfte und eine Kopfbewegung zum Fahrzeug machte.

    „Da können die Bonzen ran. Wir fahren", sagte er im Auto.

    Das Technische Hilfswerk baute in Windeseile eine kleine Zeltstadt auf und koordinierte das Durcheinander der heranfahrenden PKW, die auf eine Wiese, nahe der Heide gelegen, gelenkt wurden. Gott sei Dank war das Wetter der letzten Tage trocken, sodass keine größeren Probleme auftraten. Nicht jeder war begeistert über das unverhoffte Zeltlager und viele trugen das Herz auf den Lippen. Die Helfer hatten alle Hände voll zu tun.

    *

    Hauptkommissarin Claudia Plum verließ in der Waldstraße ihr Haus, als das Handy leise Mozarts kleine Nachtmusik spielte. Edgar musste auf seine Runde und sie hatte keine Lust auf einen Anruf. Nach einem kurzen Blick auf das Display nahm sie das Gespräch an.

    „Plum", meldete sie sich.

    „Frau Plum. Gut, dass ich Sie erwische, Dengler der Staatsanwalt war an der Strippe. „Wo sind Sie?

    „In Gottes freier Natur. Mein Dackel muss Gassi. Sie wollte ihm nicht auf die Nase binden, wo genau sie war. Verdammt fluchte sie. Wenn Dengler während ihres Urlaubes anrief, brannte es irgendwo. „Sie müssen Amtshilfe leisten. In Ihrem Dorf wurde eine Bombe gefunden und soll in den nächsten Stunden entschärft werden.

    „Ich habe davon gehört. Unser Haus liegt an der Grenze des Evakuierungsbereiches."

    „Neben der Bombe befindet sich ein Gebäude, dessen Bewohner nicht zugänglich sind und der örtlichen Polizei, die Überprüfung der kurzzeitigen Aussiedlung, nicht gestatten. Ich möchte, dass Sie sich dieser Angelegenheit annehmen." Dengler klang eindringlich.

    „Nicht schon wieder. Ich habe Urlaub, murrte die Beamtin. „Beim letzten Mal hatte ich eine Entführung am Hals.

    „Tun Sie mir den Gefallen. Wir haben im Moment niemanden frei. Den Tag Urlaub hängen Sie hinten an."

    „Nun gut. Ich wollte immer schon einmal in die Trutzburg. Sie schaltete das Handy aus. „Edgar, wir müssen heute in die andere Richtung. Claudia schlug fluchend den Weg zum Kämpchen ein. Den Dackel nahm sie mit. So konnte sie zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen.

    Claudia Plum war zweiunddreißig Jahre alt und leitete seit zwei Jahren die Aachener Mordkommission. Die Liebe hatte sie nach Grotenrath verschlagen, dem Dorf in dem Sie geboren wurde und ihren Bruder auf tragische Weise verlor. Mit ihren einhundertsiebzig Zentimetern war sie keine große, aber auch keine kleine Frau. Ihre Figur war sportlich schlank. Aus dem intelligenten Gesicht sahen graue Augen lebensfroh und häufig auch skeptisch in die Welt. Das brünette Haar lockte halblang bis auf die Schultern. Ein objektiver Beobachter würde sie als attraktiv und interessant bezeichnen. Sie trug eine verwaschene Jeans und Birkenstocklatschen sowie über das Shirt eine leichte helle Leinenjacke. Also ihr absolutes Freizeitoutfit. Im Dienst trug sie normalerweise Kostüm mit Bluse. Das einzige Zugeständnis an ihren Beruf waren dann ein Paar vergammelte Sportschuhe, die sie immer im Auto mitführte, falls es ins Gelände ging. Claudias Beruf war ihre Leidenschaft. Ungern erinnerte sie sich an die Auseinandersetzungen mit ihren Eltern, die sie im Familienbetrieb wissen wollten. Heute verstand sie, weshalb.

    Erst vor wenigen Wochen erfuhr sie von ihrem Bruder Fabian, der brutal vergewaltigt worden war und wie ein Stück Müll auf den Komposthaufen des Friedhofs geworfen wurde. Sie hatte die Tat mit angesehen, jedoch aus ihrem Bewusstsein verdrängt. Nach mehr als zwanzig Jahren hatte sie den Täter überführt und damit sich gegenüber, die letzte Legitimation für ihre Berufswahl erlangt.

    Ihr Gesicht trug einen mürrischen Ausdruck, als sie am Küfenweg rechts abbog und etwa einhundert Meter weiter, den linken geteerten Wirtschaftsweg nahm. Damit betrat sie die private Sperrzone des Grundstücks, wie das Hinweisschild signalisierte. Claudia schritt zügig auf die Zufahrt Anwesens zu, dessen Bewohner sie von der Evakuierung überzeugen musste. Während sie dem Grundstück näherkam, stiegen zwei Hubschrauber aus dem Innenbereich des Anwesens empor und flogen nach Norden. Was mochte dort geschehen? Eine Frage, die immer wieder gestellt wurde. Sie verließ den geteerten Feldweg und erreichte die Privatstraße. Nach wenigen Schritten quietschten Reifen vor und hinter ihr. Die beiden schwarzen Mercedeslimousinen mit getönten Scheiben zwangen sie zum Halt.

    „Was wollen Sie hier? Das ist Privatgrund. Können Sie nicht lesen?" Ein dunkelhaariger, wild aussehender Riese sprang mit einem mächtigen Satz aus dem Auto und musterte sie drohend.

    „Nicht so hastig", sagte Claudia ruhig, trotz des Schrecks, den sie gerade durchlebte, um niemanden zu provozieren.

    „Ich gebe Ihnen gleich hastig", knurrte der Mann.

    „Bleiben Sie cool, beruhigte sie. „Ich greife jetzt in meine Tasche und nehme meinen Ausweis heraus. Sie fasste vorsichtig in die Gesäßtasche, fischte nach der Plastikkarte und hielt sie hoch. „Hauptkommissarin Plum. Kriminalpolizei. Ich bin für die Evakuierung dieses Grundstücks zuständig." Sie zeigte auf den riesigen Bau, der mit Feldbrandsteinen gebaut oder verklinkert, in einhundert Meter Entfernung die Landschaft verbaute. Sechzig oder fünfundsechzig Meter Kantenlänge dachte sie. Dieser blöde Wachmann will mich aufhalten. Sie empfand keine Furcht.

    „Verschwinden Sie ganz einfach", sagte der Mann.

    „Ich werde jetzt zu diesem Gebäude gehen und die dort lebenden Menschen zum Sammelplatz bringen." Sie geriet langsam in Rage. Was bildete der Typ sich ein? Ein Gorilla in Menschengestalt.

    „Sie werden gar nichts. Er fasste an sein Ohr und lauschte irgendwelchen Ansagen, die er wahrscheinlich über Funk bekam. „Sehen Sie, er deutete mit der Hand zu dem riesigen Tor, das sich langsam öffnete. Die Evakuierung läuft. Wir bekommen das alleine hin."

    Eins, zwei, drei, vier …, zählte Claudia die verdunkelten Mercedeslimousinen, die das Gelände verließen. Zwölf an der Zahl und ein großer Reisebus mit ebenso undurchsichtigen Scheiben. Dahinter landeten zwei Hubschrauber, wahrscheinlich die, die vorhin von dort gestartet waren. „Ihren Namen, bitte, forderte Claudia.

    „Sagen Sie einfach Schneider zu mir, antwortete er nach kurzem Zögern. „Jetzt verschwinden Sie. Sie werden das Gelände so oder so nicht betreten. Ich verbürge mich für die Sicherheit der Bewohner dieses Komplexes.

    „So einfach kommen Sie mir nicht davon." Claudia geriet in Zorn. Was bildete der sich ein?

    „Und ob", sagte er ruhig, stieg in das Auto und folgte dem Bus. Das Tor verschloss wieder und selbst, wenn sie spurtete, würde sie es nicht schaffen.

    Hilflos, gedemütigt und rasend vor Wut stand sie am Straßenrand. „Was für ein Arsch", fluchte sie. Claudia zückte ihr Handy und rief den Staatsanwalt an. Sie schilderte kurz das Geschehen.

    „Ich informiere die örtliche Polizei darüber, dass das Gebäude geräumt ist. Vielen Dank, Frau Plum", sagte Dengler kurz und merkwürdig frostig. Er brach das Gespräch ab.

    Dann stand sie mit Edgar allein in weiter Flur und gab sich einen Ruck. Zu dem einen Arsch kam ein weiterer. Wollten die sie veralbern? Nachdenklich trat sie den Rückweg an und hatte das altbekannte Drücken in den Gedärmen, das nahendes Unheil anzeigte.

    Seit eineinhalb Jahren lebte sie hier und fragte sich, wie alle Einwohner des Dorfs, was wohl hinter den Mauern dieses Hochsicherheitstraktes geschehen mag. Die Hubschrauber, die jeden Tag dort starteten und landeten, mussten einen Sinn haben, der sich jedem Außenstehenden entzog. Die Fahrzeuge, die das Gebäude verließen, hatten allesamt verspiegelte Scheiben. Sie wusste von den Nachbarn, dass das Gebäude nach dem Krieg errichtet wurde. Es wurde als Kastell, Trutzburg, Hochsicherheitstrakt oder Knast bezeichnet. Sie kannte niemanden, der schon einmal Kontakt mit den Bewohnern hatte. Vor Monaten hatte sie ihre Kollegin Oberkommissarin Maria Römer aus purer Neugierde darauf angesetzt. Maria war die PC-Spezialistin ihres Teams und es gab kaum etwas, das sie, falls es irgendwo im Netz stand, nicht fand. Das Gebäude existierte nicht und war selbst auf Google Earth nicht verzeichnet. Sie taten das damit ab, weil der militärische Sicherheitsbereich der NATO Air Base an das Gelände des Anwesens grenzte und irgendwann, in grauer Vorzeit, mit einschloss. Jetzt war endlich die offizielle Gelegenheit gegeben in diese geheimnisvolle Villa einzudringen und sie wurde ausgebremst. Sie würde am Ball bleiben, so sicher wie das Amen in der Kirche.

    *

    Die Bombe neben dem Fundament war freigelegt und der Kampfmittelräumdienst war dabei, die Umgebung des Zünders zu säubern.

    Experten gehen davon aus, dass zwanzig Prozent, der im Zweiten Weltkrieg abgeworfenen Bomben, Blindgänger sind. Die Fluggeschwindigkeit der Abwurfmaschinen spielte dabei ebenso eine Rolle, wie vorher explodierende Bomben, deren Luftdruck dem Projektil eine andere Flugrichtung geben konnte. Bomben, die mit dem Körper gegen eine Wand prallten, taumelten zu Boden, ohne dass der Zünder punktgenau aufschlug.

    Der Entschärfungstrupp legte vorsichtig ein Gestell um die Bombe. Es sah fast aus, wie eine Ständerbohrmaschine. Vorsichtig brachten sie einen Ring um den Zünder an und zogen ihn durch Druck von einer Hydraulikmaschine, die drei Meter neben ihnen Öl komprimierte, an. Daumendicke Leitungen liefen zu dem Gestell. Nach einer letzten Prüfung suchten die zwei Entschärfer Schutz hinter einer dicken Stahlwand, an der ein Flachbildschirm befestigt war. Ein Dritter hantierte mit einer Tastatur und nickte den beiden zu. Sie hoben die Daumen.

    Mit dem Druck auf die Entertaste zog das Gestell gegen den Bombenkörper. Ein dumpfes Geräusch, nicht lauter wie der Korken, der aus einer Weinflasche gezogen wurde, und der Zünder war getrennt. Die Maschine hatte die Gewindegänge kaputt gezogen. Ein unspektakulärer technischer Vorgang, der nicht ungefährlich war.

    Der Greifarm des Baggers fuhr wieder in das Loch und hob die unscharfe Bombe, die in dicken Stahlseilen hing, heraus. Sein Gestell schwenkte zu einem Lastwagen, auf dem das Geschoss abgeladen wurde.

    „Ihr macht dann weiter, forderte der Bauhofleiter seine Leute auf. „Aber schön vorsichtig. Nicht, dass noch einer in die Luft geht, lachte er meckernd. Er hatte einen Witz gemacht.

    Josef Dohmen sah ihm zu, wie er in seinen Geländewagen stieg und davonfuhr.

    „Wir machen Pause. Josef deutete seelenruhig zur Bank-Tisch-Kombination, die einen Ruhebereich des Spielplatzes kennzeichnete. Erst vor Kurzem wurde sie vom Trommler- und Pfeiferkorps des Dorfes gespendet und aufgebaut. „Der Zauber hat vier Stunden gedauert. Ich habe Hunger. Er sah nach oben. Das tackende Geräusch der Propeller lag in der Luft.

    Noch war der Hubschrauber nicht zu sehen. In den letzten Tagen konnten sie den Flugverkehr aus dem Gebäudekomplex und wieder hinein verfolgen. Drei bis vier Mal täglich landete und startete eine Maschine.

    Während der Pause der Bautruppe wurde die Evakuierung aufgehoben.

    „Scheiße. Hier ist ein großer Hohlraum", rief der Baggerführer. Das Loch war jetzt über vier Meter tief und zehn Meter breit an einer Betonkante entlang und kein Ende in Sicht. Längst waren die Arbeiter sicher, dass an den alten Geschichten etwas dran war. Seit sie denken konnten, erzählten die alten Dorfbewohner von einem Bunkerkomplex unter der alten Schule, und zwar aus einer Zeit des Ersten Weltkriegs.

    Die Baggerschaufel hing vor der Oberkante eines Lochs in der Wand, das möglicherweise rechteckig nach unten zog, ungefähr zwei Meter mal ein Meter groß, wie ein Eingang.

    Josef Dohmen bedeutete, die Schaufel herauszuziehen. Er kletterte hinein. „Lass‘ mich langsam runter. Ich schau‘ mal nach. Langsam senkte sich der Arm in die Grube und hielt vor dem Loch. „Scheinbar eine Türe. Sie ist nach innen gefallen. Dahinter ein Hohlraum. Ich kann sonst nichts erkennen. Zu dunkel, rief er nach oben. „Hol‘ mich hoch. Nachdenklich kletterte er heraus. „Die Wand nach innen ist mindestens ein Meter dick, berichtete er. „Wir sollten noch einige Schaufeln Erde herausholen."

    „Ruf‘ Heiner an. Sonst bekommen wir noch einen Anschiss." Heiner Offergeld war der Leiter des Bauhofs.

    „Er wird alles in die Wege leiten, sagte Josef, nachdem er das Gespräch beendet hatte. „Wir sollen das Loch … den Eingang freilegen und wieder absperren. Ja ich weiß, wehrte er den Einwand seine Kollegen ab. „Um unsere Absperrung eine weitere ziehen. Der Hänger mit den Gittern steht ja noch da." Er wies zu den Linden, wo der Anhänger mit der Absperrung für die Bombenentschärfung noch stand.

    *

    Claudia war noch keine zehn Minuten von ihrem Spaziergang zurück, als das Telefon schrillte. Sie zuckte zusammen. Kurt der Spinner hatte wieder den Ton eines alten Wählscheibentelefons eingestellt. Jedes Mal erschrak sie.

    „Hallo Claudia. Maria hier."

    „Ich hab‘ Urlaub. Was ist denn jetzt schon wieder?", meldete sie sich ungehalten. Maria rief nur an, wenn etwas Dienstliches anlag.

    „Was hast du mit dem Staatsschutz zu tun?", fragte Maria platt.

    „Gar nichts. Was soll die Frage?"

    „Hier läuft alles durcheinander."

    „Ja und? Wie gesagt, ich hab‘ Urlaub."

    „Fabian hat vorhin angerufen. Er wird sich wohl bei dir melden."

    „Was ist jetzt mit dem Staatsschutz?"

    „Ich bin erleichtert, dass du zuhause bist. In deinem Dorf kannst du mit den Typen nicht in Berührung kommen. Hier geht das Gerücht, du habest dich heute Morgen mit der Landesbehörde für Verfassungsschutz angelegt."

    „Ich? Claudia war empört. „Heute Morgen hab‘ ich auf Wunsch Denglers eine Evakuierungsmaßnahme begleitet. Warte mal. Da war schon eine komische Situation. Sie überlegte. Dieser Wachmann oder was er immer war, Schneider. „Vor ungefähr zwanzig Minuten hab‘ ich mich mit einem Arsch angelegt. Schneider hieß der. So ein riesiger Urzeitmensch. Davon könnt ihr nichts wissen. Und Staatsschutz? Nein, so sah der nicht aus."

    „Ich will dich nur warnen."

    „Danke Maria."

    Claudia lehnte gegen die Arbeitsplatte der Küche und knabberte ein Stück Schokolade. Während sie mit Maria telefonierte, wurde ihr ganz komisch. Sie tippte auf Unterzucker. Ein Grund, irgendeine Süßigkeit zu naschen. Sie konnte sich das leisten. Egal wie viel und was sie aß, sie wog immer um die siebenundfünfzig Kilo. Doch auch die Nascherei vertrieb das Gefühl nicht, das, wie sie wusste, nichts Gutes bedeutete. Was geschah dort draußen hinter den Mauern? Keinen Augenblick bezweifelte sie, dass Schneider vom Verfassungsschutz war. Doch was hatten die Bewohner in der burgähnlichen Anlage damit zu tun?

    „Hast du schon gehört? Kurt kam aus dem Garten in die Küche. „Am Feuerwehrhaus …

    „Ja. Ich war schon im Einsatz, das weißt du doch. Sie unterbrach ihn, wie immer. Wenn er einmal ins Erzählen geriet, hörte er nicht auf. „Die Bombe.

    „Nicht die Bombe. Er winkte ab. „Die Baggerschaufel ist in einen unterirdischen Raum gefallen. Vielleicht ein Bunkersystem oder etwas Ähnliches.

    „Ein Bunker. Sie sah sinnend zu Kurt. Schön, dass ich den gefunden habe, dachte sie. Er zählte fünfunddreißig Lenze, war etwa 190 Zentimeter groß und hatte breite Schultern und schmale Hüften. Mittelblondes Haar lockte sich, wie in den sechziger Jahren, um die jungenhaften Züge. Kurt war der neugierigste Mensch, den sie kannte. Er steckte seine Nase in alles hinein. Grüne Augen sahen sie gespannt an. „Ich wusste heute Morgen schon, dass irgendeine Sch … auf uns zukommt. Sie verschluckt das Sch Wort.

    „Was hast du damit zu tun?"

    „Ich weiß noch nicht. Doch mein Gefühl trügt mich selten, wie du weißt."

    Und ob, dachte er und erinnerte sich an die haarsträubenden Aktionen der letzten eineinhalb Jahre. „Du hast doch Urlaub. Sollen wir an die See fahren?" Mit See war die Nordsee gemeint, die gerade einmal einhundertachtzig Kilometer entfernt lag.

    „Nein. Lieber nicht. Vorhin bei der Evakuierung hatte ich die Begegnung mit der dritten Art. Maria rief mich an. Der Verfassungsschutz hat sich über mich beschwert. Jetzt bin ich natürlich neugierig." Sie lächelte grimmig.

    „Ach, er winkte ab. „Das sind zahnlose Tiger. Das weißt du doch. Die sind auf das Husten von Flöhen programmiert.

    „Hast du einen Zoologiekurs absolviert?"

    „Du weißt, was ich meine, er grinste verschmitzt. „Hunde, die bellen, beißen nicht. Im Moment wird das Gelände abgesperrt.

    „Was machen die jetzt eigentlich?", fragte sie.

    „Keine Ahnung. Die schicken jemanden dort hinein oder reißen ganz einfach weiter ab. Er zuckte mit den Schultern. „Ich mach‘ uns einen Kaffee. Er werkelte an der Senseo Maschine herum. Normalerweise brühten sie Kaffee, aber so im späten Nachmittag konnte es auch einmal schnell gehen.

    Kurt war einer der Männer, die alles Selbst machten. Ein Allroundtalent, das schon einmal etwas falsch machte … was dann teurer wurde, als wenn er von vornherein den Handwerker geholt hätte. Auf jeden Fall beherrschte er seine Küche und das war ja schon viel für einen Mann.

    „Ich spring‘ schnell unter die Dusche", schmunzelte Claudia bei ihren Gedanken und zählte. Sie kam bis zwei.

    „Da komm‘ ich aber mit. Den Kaffee mach‘ ich später." Er ließ bewusst lüstern seinen Blick über ihre Figur gleiten.

    „Ich bin zuerst oben", rief sie und spurtete schon die Treppe zum Bad hoch. Er jagte hinterher und packte sie im Flur. Unten schrillte das Telefon. Claudia zuckte zusammen, ergab sich jedoch Kurts Liebkosungen.

    *

    Bericht der vergessenen Kinder I (1944) Klaus

    Plötzlich hört der Bombenlärm auf. Die Erde bebt nicht mehr. Langsam werden die Kinder unruhig.

    „Ich schau‘ mal nach der Tür", sage ich, einer der beiden Erwachsenen, die mit den Kindern im Schutzkeller sind.

    Seit wenigen Tagen dokumentiere ich unsere Eindrücke und Erlebnisse, in der Hoffnung, eines Tages an die Oberfläche zu gelangen. Falls dies nicht gelingt,

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