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Seth: Ein Roman in drei Teilen
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eBook301 Seiten3 Stunden

Seth: Ein Roman in drei Teilen

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Über dieses E-Book

Entdecken Sie die fesselnde Entwicklung von Seth Merrick, einem hochintelligenten Kind, das zur politischen Führungsperson von Neu-Britannien aufsteigt. Tauchen Sie ein in eine Welt voller Liebe, Groll und Rache, durchzogen von Intrigen und dämonischem Hass. Ein Leben, gezeichnet von überraschenden Wendungen und außergewöhnlichem Fortschritt, erwartet Sie. Diese Geschichte verspricht, Ihre Neugier zu entfachen und Sie auf eine Reise mit unerwarteten Enthüllungen zu entführen. Bereit für ein Buch, das Ihre Vorstellungskraft herausfordert?
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum1. Jan. 2024
ISBN9783384073631
Seth: Ein Roman in drei Teilen
Autor

D.W. Briggs

D. W. Briggs wurde 1946 in einem Bergbaudorf in Yorkshire geboren. Er wanderte 1969 von England nach Deutschland aus. Sein Leben in Deutschland umfasst sieben Bundeskanzler, von Kiesinger bis Scholz. Als Familienvater und Unternehmer hat er ein ereignisvolles Leben in Deutschland verbracht. Seit 2019 ist er deutscher Staatsbürger.  Nichtsdestotrotz haben seine prägenden Jahre in England auf ihn als Briten und Yorkshire-Mann ihren bleibenden Eindruck hinterlassen.

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    Buchvorschau

    Seth - D.W. Briggs

    Eine seltsame Geschichte

    Es gibt nichts Seltsameres als Leute.

    Altes Yorkshire-Sprichwort

    Kapitel 1 – Muckthorpe Moorend

    Ein seltsamer Vorfall und die darauffolgenden dramatischen Ereignisse markierten einen Wendepunkt in seinem Leben, den Seth sich damals nicht hätte vorstellen können. Bevor ich mit seiner Geschichte beginne, werde ich von den Schauplätzen und Umständen dieser Geschehnisse erzählen.

    Seth ist in einem kleinen Dorf im Norden Englands aufgewachsen, ruhig und malerisch mit seiner sächsischen Kirche und dem Dorfplatz, umgeben von altertümlichen hübschen Steinhäusern. Seit der Zeit vor der normannischen Eroberung war Muckthorpe ein winziges Dörfchen gewesen, zwischen grünen Feldern, die ans Heidemoor grenzten. Hunderte Jahre hatte sich an der pastoralen Beschaulichkeit wenig geändert, bis zur Industriellen Revolution mit wachsender Nachfrage nach Brennstoff, um die Fabriken, Eisenbahnen und Haushalte des Landes zu versorgen. Das große Anwesen von Baronet Fitzallen, zu dem auch Muckthorpe gehörte, lag mitten in einem Gebiet mit reichen Kohlevorkommen. Nachdem die erste Mine 1869 abgeteuft worden war, hatte sich die kleine Ansiedlung schnell in ein Bergbaudorf mit Rücken an Rücken gebauten Reihenhäusern verwandelt. Bergmänner kamen von nah und fern, um in der Muckthorpe-Moorend-Kohlengrube Beschäftigung zu finden, gezwungen, mit ihren Angehörigen in überfüllten, düsteren Behausungen mit Krankheit und Benachteiligungen zu leben. Das Bild der bäuerlichen Idylle hatte sich für die kommenden Generationen drastisch verändert.

    Mehr als hundert Jahre lang waren die Straßen vom neuen Ortsteil Moorend Tag und Nacht Zeuge des Kommens und Gehens von Bergarbeitern bei Schichtwechsel gewesen. Die faktische Stilllegung der Kohleindustrie im ausgehenden 20. Jahrhundert läutete das Ende des Bergbauerwerbs ein und gab der Landschaft wiederum ein neues Gesicht. Zu Beginn des Jahrzehnts waren die Schandflecken der Schlackenhalden und Zechengebäude verschwunden, und mit der Erholung der Natur kehrte eine Atmosphäre des ländlichen Lebens nach Muckthorpe zurück.

    Als Seth Anfang des 21. Jahrhunderts geboren wurde, waren die Beseitigung der verfallenen Spuren des im Jahr 1987 geschlossenen Moorend-Bergwerks und die Regenerationsprogramme in vollem Gange. Die alte, enge, soziale Struktur der Bergbaugemeinde von Moorend hatte jedoch aufgehört zu existieren, ihre Häuser waren nun Wohnstätten für die, in den Nachbarstädten tätigen, Pendler geworden. Ein langweiliger Ort, identitätslos und vergessen, bis in der lokalen Presse und den regionalen Fernsehnachrichten über einen sonderbaren Unglücksfall berichtet wurde.

    Kapitel 2 – Wissen und Wesen

    Nachdem sie die ersten acht Jahre ihrer Ehe kinderlos geblieben waren, hatten seine Eltern alle Hoffnung, eine Familie zu gründen, bereits aufgegeben. Als seine Mutter dann doch noch überraschend schwanger wurde und einen Sohn zur Welt brachte, gaben sie ihm den Namen Seth, was „berufen" bedeutet.

    Sie erkannten früh, dass ihr Sohn etwas Außergewöhnliches an sich hatte. Er zeigte bereits in sehr jungen Jahren einzigartige Fähigkeiten. Voller Erwartungen beobachteten sie seine natürlichen Veranlagungen und überlegten, wie sie ihm helfen könnten, seine angeborenen Begabungen zu entwickeln. Sie merkten jedoch schnell, dass er ihren Bemühungen keine Aufmerksamkeit schenkte. Er kam mit jeder neuen Lernerfahrung allein zurecht und war vollkommen in der Lage, die Probleme seiner Kindheit selbstständig zu lösen. Es machte keinen Sinn, ihn drängen oder beeinflussen zu wollen, und sie fanden sich allmählich damit ab.

    Im Kindesalter verursachte er dauernd Probleme in der Schule, indem er durch sein geschwätziges und zappeliges Verhalten den Unterricht störte. Die Menschen um ihn herum konnten sich keinen Reim aus seinen irritierenden Handlungen machen. Seine Lehrer beschwerten sich ständig und drohten, ihn vom Unterricht auszuschließen. Als die Situation eskalierte, beschlossen seine Eltern, eine psychoanalytische Beratung aufzusuchen, um der Ursache seiner Persönlichkeitsstörung auf den Grund zu gehen. Der Psychologe attestierte die Begleiterscheinungen seines extrem hohen IQ, die sich bei dem schleppenden Unterrichtstempo in totaler Langeweile äußerten. Während seine Klassenkameraden sich mit ihrem Unterrichtsstoff und den Aufgaben plagten, brauchte er einen Text nur einmal lesen, und dieser war bereits in seinen grauen Zellen gespeichert.

    Er hatte keine Freunde. Die anderen Kinder waren langweilige Gesellschaft, ihr kindisches Spiel zu albern. Am liebsten war er allein und verbrachte seine Zeit mit Büchern und Enzyklopädien oder er beschäftigte sich mit Denkspielen und Geschicklichkeitsübungen an seiner Playstation. Stundenlang studierte er die faszinierende Geografie von Google Earth auf dem PC seines Vaters und schon bald hatte er die ganze Welt in der Tasche.

    Als Einzelkind lebte er mit seinen Eltern in einem modernen Scheunenumbau im alten Muckthorpe-Dorf. Sein Vater, Adam Merrick, war der Bezirksarchitekt und seine Mutter, Evelyn, eine Stationsschwester im örtlichen allgemeinen Krankenhaus. Die Schließung der Mine und die daraus resultierende desolate Lage im eine Dreiviertelmeile entfernten Moorend hatten kaum Auswirkungen auf ihr Leben, und sie hatten sowieso wenig Kontakt mit den Bewohnern der City, wie die tristen Reihenhäuser von den Dorfbewohnern genannt wurden. Ihre Freunde waren meist gutverdienende Paare, und sie genossen es, Gäste in ihrem komfortablen Zuhause einzuladen.

    Seth hatte kein Interesse an Gleichaltrigen, sobald Besuch mit Kindern auftauchte, machte er sich rar. Ihm war es gleichgültig, Kontakt zu seinen sozial gleichgestellten Altersgenossen zu pflegen, ganz zu schweigen von der Bekanntschaft mit Nachkommen vom „Pütt-Volk" aus Moorend.

    Er bevorzugte die Gesellschaft von Erwachsenen, aber wenn er meinte, dass ihre Unterhaltung langweilig wurde, dachte er sich drollige Fernsehwerbung, Quizshows oder Science-Fiction-Geschichten aus und spielte sie bis ins kleinste Detail durch. Er konnte alle Ideen, die ihm in den Sinn kamen, fantasievoll ausschmücken. Seine Eltern und ihre Freunde waren an sein seltsames Verhalten gewöhnt und versuchten trotzdem, ein normales Gespräch fortzusetzen. Abwechslungsversuche mit Brettspielen endeten unweigerlich in Wutanfällen, wenn klar war, dass er nicht gewinnen würde. Alles in allem war er ein eigenartiger Junge, ein selbstsüchtiger Bengel und ein schlechter Verlierer, wenn die Dinge nicht liefen, wie er wollte.

    Ab seinem elften Lebensjahr durchlief er eine verfrühte und kurze Pubertät. Mit fünfzehn war er überdurchschnittlich groß, hatte eine schlanke, athletische Statur, war gutaussehend, selbstbezogen, lässig und faul. Was auch immer er tat, es war nicht mehr als das absolut Notwendige.

    Die Beziehung zu seinen Eltern war liebevoll, aber ohne große Emotionen; das Familienleben unkompliziert und entspannt. Seine Eltern achteten auf gute Umgangsformen und Verantwortung, aber insgesamt verwöhnten sie ihn ziemlich. Er stellte selten Forderungen an sie, war aber daran gewöhnt, dass sie seinen Wünschen nachkamen. Seine privilegierte Situation stellte er nie in Frage.

    In der Schule hatte sich die Situation mittlerweile beruhigt. Nachdem er die Lehrer an die Grenzen ihrer Belastbarkeit getrieben hatte, erkannte die Schulleitung, dass er nicht nur schneller, sondern auch anders lernte und der normale Lehrplan für ihn ungeeignet war. Letztendlich gaben sie ihm die Möglichkeit, selbstständig mit eigener Stoffauswahl zu lernen. Infolgedessen kam eine wirkliche Kommunikation mit dem Lehrpersonal nicht zustande und es blieb bei einer angemessenen Aufsicht für den Rest seiner Schulzeit.

    Die pädagogische Freiheit ließ ihm viel Raum für andere Aktivitäten. Obwohl er in allen Schulsportarten gut war, konnte er keinen Bezug zur Gruppenmentalität des Mannschaftssports finden. Außerschulische körperliche Aktivitäten mied er eher. Der Kampfsport jedoch interessierte ihn, und nach einer plötzlichen Laune, seine latente Energie zu mobilisieren, schloss er sich dem örtlichen Boxclub an. Er lernte schnell die Technik von Angriff und Verteidigung, mit einem starken Schlag und einer guten Beinarbeit. Der Trainer ermutigte ihn, sein boxerisches Talent weiterzuentwickeln, und betreute ihn bei Juniorenturnieren. Bald hatte er einige Trophäen und Medaillen vorzuweisen.

    Das Arbeiten mit dem Sandsack und meilenweites Laufen über Landwege verbesserten seine Schlagkraft und Ausdauer, aber nach einer Weile fand er auch das langweilig und eintönig. Für die anderen Jungen war er ohnehin ein Sonderling, der kein Interesse daran hatte, sich mit ihnen einzulassen, und die Boxhalle sofort nach dem Training wortlos verließ. Am Ende kam er mit dem kollektiven Training und der Kameraderie in der Boxschule nicht klar und gab es auf. Er hatte damals keine Ahnung, dass dieser vorübergehende Ausflug in das Feld der Faustkämpfe eine schicksalhafte Rolle bei den kommenden Ereignissen spielen würde.

    Trotz der Zeitplanprobleme, alle Fächer unter einen Hut zu bringen, schloss er sechs Abiturfächer mit Auszeichnung und in beispiellos jungem Alter ab.

    Im September, kurz nach seinem sechzehnten Geburtstag, sollte er sein erstes Jahr an einer renommierten Universität beginnen, um Anthropologie, Soziologie und Wirtschafts- und Politikwissenschaften zu studieren. Zu diesem Zeitpunkt störte es ihn nicht, dass er lernen würde, die Gesellschaft aus rein akademischer Perspektive zu betrachten.

    Während seine Mitschüler, die alle älter waren, entweder Partys feierten oder in den Sommerferien waren, fehlte Seth jegliches Interesse an solchen für ihn faden Aktivitäten. Seine Welt war derart von seinen Gedanken bestimmt, dass er nicht auf das achten konnte, was außerhalb seines Kopfes vor sich ging. Mit jeder Idee, die ihm in den Sinn kam, identifizierte er sich so sehr, dass für die Wahrnehmung der Menschen um ihn kein Raum blieb. Sein Zeitgefühl war völlig anders, ein Augenblick konnte endlos dauern, weil er mit allen Sinnen auf einen Gedanken fixiert war. In seiner eigenen Zeitwelt schienen die Grenzen zwischen Gegenwart, Zukunft und Vergangenheit durchlässiger zu sein. Fantasie war für ihn oft selbstverständlicher als Realität. Er isolierte sich mehr und mehr, sodass nichts, was in der realen Welt geschah, ihn so sehr bewegte, dass er darauf reagieren wollte.

    Er war empfindungslos gegenüber Emotionen der Sympathie und Kameradschaft und reagierte nur auf die trägen Rufe von Apathie und Ungeduld in ihm. Zu keiner Zeit dachte er über seine Selbstgefälligkeit nach oder den Grund für die Zwietracht, die ihn von seinen Zeitgenossen trennte. Er versuchte nur, seine egoistischen Sehnsüchte zu befriedigen, alles andere schien sinnlos und unvereinbar. Im großen Ganzen aber fühlte er sich lustlos und gelangweilt und konnte kaum abwarten, mit dem Studium zu beginnen, um seine permanente Sucht nach Wissen zu befriedigen. Er wollte die Zeit totschlagen, dabei aber so wenig Energie wie möglich aufwenden.

    Kapitel 3 – Der Schacht

    Es war Mitte Juli, ein warmer und sonniger Frühnachmittag. Seth saß an seinem Schreibtisch und überlegte, was er mit sich anfangen sollte, zu faul, um sich um etwas Konkretes zu bemühen. Seine Mutter, die gerade von ihrem Frühdienst nach Hause gekommen war, fand das schmutzige Frühstücksgeschirr und angeknabberte Mittagssnacks auf dem unaufgeräumten Küchentisch vor. Sie war beunruhigt, dass ihr Sohn zu viel Zeit zuhause verbrachte und machte sich Sorgen wegen seiner Teilnahmslosigkeit. Nach einem kurzen Klopfen an der Tür und einem „Hallo Seth" rauschte sie durch den Raum, öffnete die Fenstertür sperrangelweit und komplimentierte ihn, ohne Wenn und Aber, hinaus an die frische Luft. Mit der Autorität einer leitenden Krankenschwester gegenüber einem missmutigen Patienten befahl sie ihm unmissverständlich, sich zusammenzureißen und sich etwas Bewegung zu verschaffen. Widerwillig unterwarf er sich der Anweisung seiner Mutter.

    Er musste nicht weit laufen – an den tristen Hinterhöfen von Moorend vorbei –, um das wilde Moorgelände zu erreichen, wo er allein und ungestört von Passanten spazieren konnte. Muckthorpe war ein kleines Dorf, in dem sich alle kannten, und er wollte nicht in ein zufälliges Gespräch verwickelt werden. Er ging schnell, ebenfalls in der Hoffnung, eine mögliche Konfrontation mit Burschen aus der City zu vermeiden. Außer ein paar jungen Frauen, die mit ihren kleinen Kindern im Park spielten und ihn nicht beachteten, begegnete er niemandem.

    Mit verlangsamtem Schritt folgte er dem alten Schlackenpfad durch das Moor, den so viele Generationen von Bergleuten zu ihren langen Schichten unter Tage gegangen waren. Er ließ die Banalität von Moorend hinter sich, atmete den Duft der letzten Ginsterblüten in der warmen Sommerluft und lauschte dem Summen der Hummeln in der Glockenheide. Seine Gedanken schwebten in der Ferne und stellten sich weitverändernde Zukunftsvisionen vor.

    Dann drängten sich ihm, wie aus dem Nichts, Bilder dieser Männer und Jungen in den Sinn, die hier bei jedem Wetter zur Arbeit getrottet waren. Er schauderte, als er ihre Gegenwart da draußen in dem einsamen Moor spürte, mit ihrem aschgrauen Teint auf dem Weg zur Zeche und den kohlschwarzen Gesichtern auf dem Heimweg. Als ob er dort nicht hingehörte, wich er den gespenstischen Gestalten aus und lief in das Moor hinein. Aufgeschreckte Schnepfenvögel zerstreuten sich im Zickzackflug, als er beinahe in einen kleinen Tümpel im hohen Pfeifengras hineingetreten wäre.

    Um seine Gedanken neu zu ordnen, nahm er sein Smartphone aus der Tasche, fluchend, dass er den Akku nicht aufgeladen hatte, bevor seine Mutter ihn rausgeschmissen hatte. In das Handy vertieft, merkte er nicht, dass er geradewegs auf ein Dickicht aus Farnen und Gestrüpp zulief.

    Dann erinnerte er sich an die wilden Himbeersträucher, die in diesem Teil des Moores wuchsen. Die Dorfkinder waren immer zu dieser Jahreszeit mit Körben und Schüsseln dorthin gegangen, um die roten Früchte an den wuchernden Sträuchern zu sammeln. Gleichzeitig wurden die Mäuler mit dem saftigen süßen Schmaus gestopft, mit Würmern und allem. Manchmal stritten rivalisierende Dorf- und City-Kids um die Ernterechte. Irgendjemand landete immer in den Brennnesseln und die Gegner suchten gemeinsam nach Ampferblättern, um den Ausschlag damit einzureiben. Das signalisierte meistens das Ende des Gefechts.

    Halb mit den Gedanken bei den Himbeersträuchern und halb mit seinen Apps beschäftigt, übersah er die Reste eines verfallenen Sicherheitszauns. Sein Fuß blieb in einem zertrampelten, mit Wildpflanzen überwucherten Stacheldraht hängen und er stolperte in ein Büschel Farnkraut hinein. Kaum hatte er sein Gleichgewicht wiedererlangt, stieß sein Schuh gegen eine niedrige, ringförmige Backsteinmauer, die im dichten Gewächs versteckt war. Ehe er sich versah, befand er sich mit verschrammten Schienbeinen auf der anderen Seite der Mauer in verheddertem Dornengestrüpp. Als er durch die Schlingpflanzen und totes Unterholz taumelte, fiel ihm aus dem Augenwinkel ein ebener grüner Fleck auf. Mit einem Seitensprung gelang es ihm, auf der scheinbar sicheren, moosbedeckten Fläche zu landen.

    Plötzlich gab es ein lautes Knacken und Splittern, als der Boden unter seinen Füßen nachgab und seine Beine durch aufplatzendes Grünzeug und zerbrechende Hölzer nach unten durchbrachen. Das Smartphone flog ihm aus der Hand, als er im freien Fall durch die Öffnung krachte und von dem Erdloch verschlungen wurde.

    Der Sturz war kurz und heftig. Seine Stirn knallte gegen etwas Hartes und Kantiges, was einen Funkenregen, wie von einem Hammerschlag auf glühendem Eisen, vor seinen Augen aufblitzen ließ. Der Kollision folgte unmittelbar ein harter Aufprall, als seine Fersen schräg abrutschten und sein Hinterteil auf eine geneigte Oberfläche aufschlug. Er spürte, wie seine linke Hüfte schmerzhaft aufgescheuert wurde, als er mit Schlagseite einen steilen Abhang hinunterschlitterte. Plötzlich knallten seine Füße auf einen flachen Untergrund und die Knie und Sprunggelenke gaben nach als er mit einem wuchtigen Ruck zum Stillstand kam. Mit verstauchtem Knöchel, scharfem Stechen in der Hüfte und dumpfem Schmerz im Gesäß blieb er halb aufrecht auf der Schräge liegen. Sein Kopf drehte sich und tat übel weh. Er tastete vorsichtig über die Stirn, wo Blut aus einer Schnittwunde sickerte und sich bereits eine große Beule bildete.

    Allmählich wurde Seth klar, in welcher Situation er sich befand. Er war offensichtlich in eine Art Bodensenke gefallen und krachend unten angekommen. Zum Glück lief das Loch nicht gerade nach unten und er hatte den Sturz überlebt. Es dauerte eine Weile, bis sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Es gab gerade genug schwaches Tageslicht von oben durch das Loch, um seine Umgebung auszumachen. Er lag in einem muffigen, feuchten und schmutzigen röhrenförmigen Hohlraum mit einem Durchmesser von etwa dreieinhalb Metern. Am Fuß einer steilen Gefällstrecke ruhten seine Füße auf etwas, das eine Holzplattform zu sein schien. Laub- und Zweigreste und Fragmente von moosbedecktem morschem Holz lagen auf der Schräge verstreut. Auf einmal wurde ihm klar, dass er in einen alten Lüftungsschacht gefallen sein musste.

    Im letzten Schuljahr hatte er das Kohlebergwerksmuseum mit seiner Schulklasse besucht. Ein pensionierter Steiger hatte sie 250 Meter tief zur Sohle heruntergebracht und erklärt, wie die Kohle abgebaut worden war. Er hatte sie aufgeklärt über die Gefahren von giftigen und explodierenden Gasen und die Funktion von Ventilationsschächten und Wettertüren in den Gängen. Nach der Führung hatten sich die anderen Schüler für die angebotenen Aktivitäten interessiert. Seth zog es eher in die Museumsbibliothek, in der er beiläufig Fotoarchive und ein altes Sicherheitshandbuch durchblätterte. Er hatte schon immer die phänomenale Fähigkeit, alle Arten von Informationen aufzusaugen, und nun kam ihn plötzlich eine von ihm zufällig gelesene Vorschrift in den Sinn: Eine Landeplattform muss an jedem Ort unter Tage installiert werden, an dem eine Leiter gegenüber einer anderen Leiter versetzt ist. Die Neigung und die Plattform hatten den Sturz aufgefangen und ihm das Leben gerettet.

    Als er sich umsah, konnte er keine Leitern sehen, aber auf der Schrägstrecke waren zwei Reihen Löcher zu erkennen, die auf eine vorherige Befestigung hinwiesen. Die hölzerne Plattform schien solide genug zu sein, mit stabilen Balken, die in die gemauerte Schachtauskleidung eingebettet waren, aber eine Nassfäule ließ die Beplankung am Rande bereits verfallen.

    Obwohl jede Bewegung schmerzte, machte er einen vorsichtigen Versuch, über den Rand des Podests zu spähen, schrak aber sofort mit Entsetzen zusammen. Er schaute in eine schwarze Leere, nur wenige Zentimeter vor sich. Instinktiv sprang er zurück, seine Füße rutschten auf der glitschigen Plattform aus und er schlug mit dem Hinterkopf auf.

    Als wäre er von einem Blitz getroffen, durchbohrte ein brennender Schmerz seinen Schädel und versetzte ihn in eine Art Delirium. Vor seinen Augen schossen Sterne in alle Richtungen, schienen sich zu bündeln und zu flammenden humanoiden Formen zu verschmelzen. Als ob ihre ineinander verschlungenen, tanzenden und wiegenden Bewegungen sein ganzes Wesen einfangen würden, konnte er sich dem bizarren Fluss der geheimnisvollen Flammen nicht entziehen. Dann glitten die feurigen Körper, einer nach dem anderen, auf die Mündung des Abgrunds zu und zögerten einen Moment, als wollten sie ihn dazu verleiten, ihnen zu folgen. Er machte die Augen zu, entschlossen, all das Feuerwerk aus seinem Kopf zu verbannen. Mit den Händen vorm Gesicht hielt er sie fest geschlossen, bis der Schmerz nachließ und er seine Gedanken sammeln konnte. Als er sie wieder öffnete, waren die Flammen verschwunden, aber er war immer noch benommen und hatte Schwierigkeiten, klar zu denken.

    Den Kopf in die Hände gestützt, versuchte er, sich auf die beste Vorgehensweise zu konzentrieren. Selbst ohne Verletzungen war es unmöglich, die steile und glitschige Steigung zu erklimmen. Das Rufen nach Hilfe schien zwecklos, denn es gab kaum die Chance, dass jemand zufällig vorbeiging. Seit dem Abriss des Zechenhofs wurde der Schlackenpfad nicht mehr benutzt und war teilweise mit Unkraut überwachsen. Die Einheimischen, die mit ihren Hunden spazieren gingen, bevorzugten die eingetretenen Wege am Rande des Moores. Abgesehen davon, war er weit weg in die Büsche gewandert und in seiner unterirdischen Lage wahrscheinlich außerhalb der Hörweite des Pfades.

    Der Drang, wieder in den Schacht hinunterzuschauen, war unwiderstehlich, und dieses Mal erblickte er etwas, das wie rostige Metallrohre aussah, die direkt unter dem Plattformsims herausragten. Es war eine Leiter. Es gab kaum Licht, aber er konnte gerade noch einen Sicherheitskäfig und die ersten paar Sprossen ausmachen, die in die pechschwarze Öffnung hinabführten. Die Gedanken, die ihm in diesem Moment durch den Kopf schossen, machten ihm Angst. Welchen Sinn könnte es haben, sein Leben zu riskieren, indem er in eine verlassene Mine hinabstiege?

    So rätselhaft wie es war, gab es aber tatsächlich nur eine Leiter nach unten. Was auch immer der Grund dafür gewesen war, die Leiter nach oben zu entfernen, machte es keinen Unterschied für die prekäre Situation, in der er sich befand. Es war nicht möglich, zurück nach oben zu klettern, der Weg nach unten in völliger Dunkelheit war voller Risiken und Ungewissheit, und der Zweck solch eines tollkühnen Unterfangens mehr als fraglich. Wenn es hingegen eine kleine Chance gäbe, einen anderen Weg vom Boden des Schachtes zur Oberfläche zu finden, wäre nicht jede noch so geringe Möglichkeit besser, als darauf zu warten, an Hunger und Durst zu sterben? Was wollten die feurigen Erscheinungen von ihm? War das alles wirklich nur Einbildung? Wollten sie ihm vielleicht den Weg zeigen?

    Immer noch unsicher, ob er hinabsteigen sollte, begann er, so laut er konnte, den Schacht hinaufzuschreien. Er rief minutenlang um Hilfe und lauschte zwischendurch auf jede Reaktion. Mit jedem Ruf brummte es zunehmend in seinem Kopf, und nach einer erfolglosen halben Stunde entschied er spontan, die Leiter hinunterzusteigen.

    Sein verstauchter Knöchel schwoll an, aber die Schmerzen waren noch erträglich. Vorsichtig öffnete er seine Hose, um sich die

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