In der ostpreußischen Heimat: Eine friedliche Kindheit
Von Gerhard Hopp
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Über dieses E-Book
Gerhard Hopp
Der Autor wurde 1931 in Schönau, Kreis Preußisch Holland/Ostpreußen geboren und besuchte dort zuletzt die Oberschule in der Kreisstadt. Der Einmarsch der Roten Armee beendete die Schullaufbahn des Dreizehnjährigen, der grauenvolle Gewalttaten der Russen miterleben musste. Die Rettung erfolgte durch die deutsche Wehrmacht, die auch die Flucht ermöglichte. Nach der Entlassung aus dem dänischen Internierungslager Ende 1946 konnte er den Schulbesuch fortsetzen und studieren. Er wurde Lehrer an einem Gymnasium und unterrichtete Deutsch, Französisch und Philosophie.
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Buchvorschau
In der ostpreußischen Heimat - Gerhard Hopp
Meinen lieben Eltern in dankbarer Erinnerung gewidmet
Die Erinnerungen an seine Kindheit haben den Autor nicht losgelassen. Deshalb hat er sich entschlossen, sie trotz seines fortgeschrittenen Alters zu Papier zu bringen. Sie sind beispielhaft für die Bewohner des kleinen ostpreußischen Dorfes und deren Leben auf dem Dönhoffschen Gut. So entstand ein genauer, eindrücklicher Erlebnisbericht über die Kindheit eines Jungen im damals noch friedlichen Ostpreußen, bis im Januar 1945 durch den Einmarsch der Sowjetarmee seine idyllische Welt brutal zerstört wurde.
Der Autor ist Jahrgang 1931, wurde in Schönau, Kreis Preußisch Holland geboren, besuchte zunächst die Dorfschulen in Schönau, Rogehnen und Quittainen und wurde dann auf Veranlassung seines Lehrers zur Sankt Georgenschule, Gymnasium für Jungen und Mädchen, in Preußisch Holland geschickt. Mit dem Einmarsch der Sowjetarmee endete die Schulzeit des Dreizehnjährigen in Ostpreußen. Nach dramatischer Flucht und längerer Gefangenschaft in Dänemark gelangte er nach Schleswig-Holstein und konnte trotz widriger Umstände den Schulbesuch fortsetzen. Danach studierte er und wurde Lehrer an einem Gymnasium, wo er Deutsch, Französisch und Philosophie unterrichtete.
Der Autor
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Die Familie
Erster Weltkrieg
Zweiter Weltkrieg
Frühe Kindheit
Hildes Lehrjahre
Haus und Garten
Hofarbeit
Eigene Ernte
Die Teiche
Herbstzeit
Jagdabenteuer
Dorfklatsch
Jugendstreiche
Weihnachten
Die Zwölften
Silvester
Ostern
Saure Wochen
Erntefest
Kriegerfest
Sonntagsvergnügen
Meine Schulzeit
Im Erholungsheim
Im Krankenhaus
Gabe und Last der Frau Link
Zwischenfall bei der Trauerfeier
Schulzeit in Rogehnen
Schulzeit in Quittainen
Kriegsdienst an der Heimatfront
Beim „Jungvolk"
Oberschule in Preußisch Holland
Die kleine Hochzeitsgesellschaft
Die bescheidene Festtafel
Meine Lehrerinnen und Lehrer
Leben in Preußisch Holland
Güteradressbuch
Skizze von Schönau
Liste der Familien
Einwohnerliste von Schönau
Anhang
Anmerkungen zur Sankt Georgenschule
So sprachen wir in Schönau
Schönau – Ein Nachruf
Nachwort
Vorwort
Obwohl nun schon so viele Jahre nach der Flucht vergangen sind, war die Zeit in der ostpreußischen Heimat so prägend, dass die Erinnerung daran immer wach geblieben ist. Menschen, Begebenheiten und Orte, die für die Kindheit von Bedeutung waren, drängten sich mit zunehmendem Alter immer stärker ins Bewusstsein, wollten Wortgestalt annehmen und festgehalten werden. Wer einmal einen großen Verlust erlitten hat, das gilt für die Heimat wohl in besonderem Maße, wird verstehen, warum ein Vergessen unmöglich ist. Das Ergebnis ist dieser Bericht, soweit die Wahrnehmung und das Gedächtnis eines Dreizehnjährigen in der Lage waren, Gesehenes, Gehörtes und selbst Erlebtes zu bewahren und nun als Greis wiederzugeben. Dankbar bin ich allen, die damals zu meiner persönlichen Entwicklung beigetragen haben, vor allem meinen Eltern, Verwandten, Nachbarn, Freunden und Lehrern und auch denen, die mir Anregungen durch Erzählungen und Bildmaterial gegeben haben, welche in diesen Bericht eingeflossen sind. Die Fortsetzung meines Lebensweges, die mit der Flucht beginnt, ist Thema eines weiteren Bändchens.
Die Familie
Zweiter Weihnachtstag 1931, abends zehn Uhr. Doktor Gerhard Uhse hat den Weg von Quittainen nach Schönau bei eisiger Kälte nicht umsonst gemacht. Er holt einen Winzling an das Licht der Welt, genauer gesagt, an das Licht einer trüben Petroleumfunzel, stellt fest, dass er schon bläulich angelaufen ist, und verhilft ihm mit dem üblichen Klaps − wahrscheinlich waren mehrere nötig − zum ersten Schrei. Die Zyanose signalisiert: Das war knapp. Immerhin war ich fast vier Wochen überfällig.
Was ließ mich so lange in der mütterlichen Geborgenheit verharren? Und warum bemühte sich niemand früher um mich? Wenigstens auf diese Frage gibt es eine plausible Antwort: Auf dem Lande wartete man eben, bis sich die Natur selber half. Als sie nun doch nicht half, musste Dr. Uhse nachhelfen, und er tat es mit Erfolg.
„Herr Doktor, wie kann ich Ihnen danken?, soll meine Mutter erschöpft und glücklich gefragt haben. „Nennen Sie den Jungen doch nach mir, wenn Sie sich noch nicht auf einen Namen festgelegt haben; das würde mich freuen
, soll der Doktor geantwortet haben. So geschah es dann auch. Es war eine schwere Geburt gewesen. Mutter und Kind hatten in Lebensgefahr geschwebt: ein Omen für das spätere Leben?
Wir waren nun zu viert: meine Eltern, meine Schwester Hilde und ich. Meine Schwester hatte zum Zeitpunkt meiner Geburt vor etwa drei Wochen gerade ihren zehnten Geburtstag gehabt, und zwar am 1. Dezember. Wie mir später erzählt wurde, war sie gar nicht davon begeistert gewesen, einen kleinen Bruder zu bekommen. Sie fürchtete, auf mich aufpassen zu müssen, weil meine Mutter, wie es auf dem Land damals üblich war, als Scharwerkerin mitarbeiten musste. Dem Gutsherrn dagegen war jeder Nachwuchs willkommen, der später eine billige Arbeitskraft sein würde.
Hier stehe ich in unserem Garten. Herbst 1936 (5 Jahre)
Meine Mutter Anna, geborene Eichler, war einunddreißig Jahre alt, als sie mich gebar. Sie wurde am 13. Mai 1900 in Einhöfen, Kreis Preußisch Holland geboren und war eins von dreizehn (!) Kindern. Davon starben einige noch im frühen Kindesalter; ihre Brüder Adolf und Hermann Eichler sind im Ersten Weltkrieg in den Karpaten gefallen. Gustav wohnte mit seiner Familie in Schönau, Fritz war in Elbing ansässig und auf der Schichau-Werft beschäftigt. Paul lebte in seiner Nähe und starb recht früh an Tuberkulose. Schwester Berta hatte den Bergbauangestellten Karl Lunkwitz in Bochum geheiratet und Martha, die jüngste Schwester (1907 ‒ 1990), war die Frau von dem Landwirt August Knoblauch geworden. Bis zur Flucht 1945 bewirtschafteten sie ihren Bauernhof in Conradswalde / Westpreußen und wohnten später in Westfalen, wo sie sich eine Hühnerfarm aufbauten.
Als Mutter etwa vierzehn Jahre alt war, zog die Familie Eichler nach Schönau. Dort fand ihr Vater August eine Arbeit als Stellmacher. Er zimmerte Bretter- und Leiterwagen, Bracken (Deichselquerhölzer), Harken, Forken-, Schaufel- und Axtstiele. Um sich ein Zubrot zu verdienen, schnitzte er Holzschuhe, für den Winter als Kurzstiefel, für den Sommer als Holzpantoffeln, die wir „Schlorren" nannten. Für mich hatte er einmal einen kleinen Bollerwagen gebaut. Seine Frau, also Mutters Mutter, starb an Krebs, als sie etwa Mitte vierzig war. Die Stiefmutter war nicht gut zu den fremden Kindern, und meine Mutter muss sehr unter ihr gelitten haben. Deswegen hatten wir keinen Kontakt zu Eichlers.
Mein Opa August (1861 – 1942) war nicht groß und hatte eine sehr gerade Haltung beim Gehen; karsch nannten wir so eine Haltung. Und weil dabei die Brust hervortrat, sagte Mutter, wenn sie ihn sah: „Do geht dä Brostebrecher." Meine Mutter und ich sind erst in die Wohnung meiner Großeltern gegangen, als Opa gestorben war. Er war in der kleinen, niedrigen, etwas dunklen Stube aufgebahrt bahrt. Einundachtzig Jahre alt war er geworden. Ich war damals elf Jahre alt. Über dem linken Auge hatte ich eine Geschwulst, einen so genannten Grützbeutel. Meine Mutter hatte gehört, dass diese Missbildung verschwinden würde, wenn sie vom Finger eines Toten berührt würde. Da sie manchmal etwas abergläubisch war, sah sie nun eine Gelegenheit gekommen, mich von diesem unschönen Gebilde zu befreien. Wie aber sollte das gehen? Der Tote lag mit gefalteten Händen im offenen Sarg; die Finger konnte man nicht auseinanderbiegen. Also redete Mutter mir zu,