Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Himmelsfrost: Das Gläserne Schloss
Himmelsfrost: Das Gläserne Schloss
Himmelsfrost: Das Gläserne Schloss
eBook464 Seiten6 Stunden

Himmelsfrost: Das Gläserne Schloss

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

"Sie soll den Namen des Himmels tragen. Einen Namen, der für die Menschen, die ihn hören, eine Hoffnung auf Freiheit ist."

Als ein mysteriöser Fremder in ihrem Dorf auftaucht, erfährt die junge Kriegerin Skyler, dass sie die verschollene Prinzessin der Eiswächter ist. Gemeinsam mit ihrer Tante bricht sie auf, um das Geheimnis ihrer Herkunft zu lüften. Dabei gerät sie mitten in einen Krieg zwischen den Wächtern der Elemente und dem gefürchteten Lixh-Clan.
Ihr einziges Ziel war es immer den Tod ihrer Eltern zu rächen, doch plötzlich scheint es, als würde das Überleben des gesamten Königreiches allein in ihren Händen liegen...
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum15. März 2021
ISBN9783753182711
Himmelsfrost: Das Gläserne Schloss

Ähnlich wie Himmelsfrost

Titel in dieser Serie (1)

Mehr anzeigen

Ähnliche E-Books

Allgemeine Belletristik für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Himmelsfrost

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Himmelsfrost - Linda V. Kasten

    Prolog

    Zwanzig Sekunden bis die Lichter ausgingen. Weitere zwanzig Sekunden bis die Wache vor der Tür ihre Stellung verließ. Fünf Sekunden, bis sich die Tür öffnete und eine Gestalt hinaus schlüpfte.

    Dreißig Sekunden bis die Gestalt mit wehenden Röcken am Ende des Flurs um eine Ecke bog.

    Hundertzwanzig Sekunden, um aufs Dach zu klettern.

    Eine Sekunde, um zu springen.

    Der Drache landete sanft zwischen den Bäumen, nahe einem schmalen Pass durch die Berge.

    »Ist dir jemand gefolgt?«, die Dunkelheit offenbarte einen jungen Mann.

    »Ich glaube nicht.« Ein schwarzer Haarschopf tauchte hinter den weißen Schuppen des Drachen auf.

    Die beiden blickten sich eine Weile schweigend an, als der Drache seinen Kopf gen Himmel reckte und leuchtende Flammen über den Nachthimmel züngelten, welche sich dem Tanz der Nordlichter anschlossen.

    Der junge Mann wandte sich an das Mädchen und nahm ihr Gesicht in seine Hände.

    Sie wusste, was er fragen wollte und nickte schnell. »Ihr geht es gut.«

    Er lehnte seine Stirn an ihre und blickte in ihre klaren, wunderschönen Augen. »Sie?«

    Das Mädchen lächelte.

    Er ergriff ihre Hände und schloss für einen Moment die Augen. »Ich …«

    Sie unterbrach ihn. »Nein. Sag es nicht. Sag es mir, wenn wir in Sicherheit sind, wenn wir es geschafft haben.«

    Ein Lächeln huschte über sein Gesicht.

    Sie blickten sich im stummen Einverständnis an und kletterten auf den Rücken des Drachen.

    Als sie stumm und leise hinauf in die Wolken glitten, legte das Mädchen ihren Kopf in den Nacken und flüsterte ein Gebet hinauf in den Sternenhimmel.

    Er legte ihr schützend die Arme um die Taille.

    »Sie soll einen Namen tragen, der sie daran erinnert, dass sie mächtiger ist als alle, die sich ihr in den Weg stellen. Einen Namen, der für die Menschen, die ihn hören, eine Hoffnung auf Freiheit ist.«, flüsterte er ihr ins Ohr.

    »Sie soll den Namen des Himmels tragen. Den Namen des Schlosses der Götter.«

    Das Mädchen wandte sich ihrem Gefährten zu »Denkst du, er weiß es?«

    Angst blitzte in ihren Augen auf.

    »Wir sorgen dafür, dass er es niemals erfährt.«

    Sie nickte und kletterte höher auf den Rücken des Drachens. Er folgte ihr.

    »Bereit, Prinzessin?«

    Ein Lächeln stahl sich auf ihre Lippen. »Bist du dir sicher?«

    »Schon vergessen? Ich habe es versprochen. In guten wie in schlechten Zeiten.«

    Als der Drache wiederholt seine eisblauen Flammen über den Himmel tanzen ließ, erleuchtete er die Silhouetten eines Paares, das dem Ozean entgegenstürzte.

    Ein glasklares Lachen erfüllte die Nacht, vermischt mit dem Duft nach Freiheit.

    1

    Füße versetzt. Knie gebeugt. Schultern leicht hochgezogen. Rechte Hand am Kiefer. Linke Hand kurz vor dem Gesicht.

    Einatmen.

    Krach.

    »Ich hab dir schon tausend Mal gesagt, du sollst vorsichtig mit diesem alten Ding sein!«

    Stöhnend richtete ich mich auf und klopfte mir Holzspäne und Stroh von der Kleidung.

    Stirnrunzelnd betrachtete ich den Boxsack, der von der Decke gestürzt war und einen Hagel aus Holz und Dreck auf mich hatte niederregnen lassen.

    »Ich hab dich gewarnt, dass das passiert, aber du wollest ja nicht hören.« Meine Tante stand Stirnrunzeln am Scheunentor und begutachtete das Loch in der Decke.

    »Das ist nicht meine Schuld! Ich hab Tom bestimmt ein Dutzend Mal gefragt, ob er mit mir ins Dorf fährt und irgendwas zum Reparieren besorgt.«, verteidigte ich mich.

    Seufzend sah Cora mich an. »Du weißt, dass das nicht so einfach ist Skyler. Kein Mensch stellt diese Dinger mehr her. Außerdem müssen …«

    »… müssen wir vorsichtig sein, mit wem wir Geschäfte treiben, schon klar Cora, ich weiß.«

    Cora kam zu mir und legte mir eine Hand auf die Schulter. »Wir suchen dir was anderes zum Verprügeln.«

    Ich lächelte sie an. »Schon okay, ich krieg das wieder hin.«

    Tränen stiegen ihr in die Augen. »Ich weiß Vögelchen, ich weiß. Es ist nur…«

    Cora holte tief Luft, als müsste sie sich wappnen für das, was sie als Nächstes sagte.

    »Es sind nun schon vier Wochen vergangen und ich hab einfach das Gefühl, dass du… naja, dass du zu streng zu dir selbst bist Sky. Weißt du, es ist okay, wenn man trauert.«

    Ich schluckte schwer und zwang, mich ruhig zu atmen.

    »Ich weiß Cora und mir geht es gut. Wirklich.«, versicherte ich ihr.

    »Gut!«, sie streckte die Hand aus und zupfte etwas Stroh aus meinem Haar.

    »Loretta hat heute früh Blumen vorbeigebracht. Ich dachte, du könntest sie… du weißt schon, der Ort sieht so trostlos aus und die Blumen würden sich dort bestimmt gut machen.«

    Ich wusste, dass sie das nicht als Vorwurf meinte und trotzdem versetzte es mir einen Stich. »Okay.«

    Die Zweige einer tief hängenden Weide kitzelten mich im Gesicht, als ich mit den Blumen in der Hand den Hügel hinab lief.

    Der Friedhof von Nebelhöhe war ein düsterer Ort. Kein Ort, an dem man begraben werden wollte, kein Ort, an dem ich Sie begraben wollte.

    Quietschend öffnete sich das Friedhofstor. Es war so alt und verrostest, dass es schwer zu glauben war, dass jemals eine Menschenseele diesen Ort betrat.

    Und das tat auch kaum einer. Dieser Ort war den Toten vorbehalten.

    Ich ließ mein Blick über die trostlose Ebene gleiten.

    Nebelhöhe war an sich kein schlechter Ort. Wahrlich ein wenig düster und nach Einbruch der Nacht trieben sich auf den Straßen vor der Kaserne ein paar eigenartige Gestalten herum, doch mit den weiten Wiesen und dem Wald, der hinter dem Friedhof aus der Erde schoss, sowie den Bergen in der Ferne, war die Stadt ein schönes Fleckchen Erde. Schöner als manch anderer Ort in Elianya.

    Als ich den schmalen Pfad zwischen den Gräbern entlang lief, ließ ich meine Augen über die Grabsteine wandern. Einige waren so heruntergekommen, man konnte kaum die Innenschrift lesen. Leise flüsterte ich nacheinander ihre Namen. Allaknox Wallstein, Venica Ebergruen, Maximilian von Ebendall…

    Ein Schauer lief mir über den Rücken. Meine Mutter hatte mir einst erzählt, dass wenn man die Namen der Toten an ihren Gräbern laut aussprach, sie um Mitternacht die Chance bekamen, für genau die Zeit, in der die Uhr zwischen Zukunft und Vergangenheit hing, auf der Erde zu wandeln.

    Sie konnten niemandem etwas tun, nichts bewirken und nicht gesehen werden, doch sie konnten nach ihren Liebsten schauen und über sie wachen. Für eine Minute konnten sie zurück zu den Lebenden.

    Als ich an ihrem Grab angekommen war, hielt ich inne. Ich zögerte, ihren Namen auszusprechen. So sorgsam hatte ich meine Gefühle die letzten vier Wochen weggesperrt. Der Gedanke, dass sie mich so sah, war unerträglich. Sie würde wissen, dass ich mein Versprechen gebrochen habe. Mein Versprechen, ohne sie weiterzumachen. Ohne sie glücklich zu werden.

    Ich holte tief Luft. Das war doch nur ein alberner Aberglaube!, ermahnte ich mich.

    »Soey.«

    So lange hatte ich es geschafft, meine Trauer wegzusperren. Aus Angst daran zu zerbrechen. Doch als ich ihren Namen aussprach, war es wie ein Pfeil ins Herz.

    Und plötzlich sprudelten all die Erinnerungen und Gefühle an die Oberfläche.

    Sie sprudelten aus dem dunkelsten Teil meines Herzens wie das Wasser aus einem gebrochenen Damm.

    Tränen liefen über meine Wangen und ich kniete mich vor das Grab, um die Blumen abzulegen. Der Boden war feucht und ich krallte meine Hände in die Erde.

    Ein klägliches Schluchzen drang aus meiner Kehle. Ich presste eine Hand auf meinen Mund, um nicht zu schreien. Ich wollte so gerne schreien. Schreien, bis meine Kehle brannte, bis meine Stimme versagte. Stattdessen legte ich meinen Kopf auf die feuchte Erde und ließ meine Tränen in den Boden sickern.

    Soey.

    Rotes, langes Haar. Karamellfarbene Augen und ein Herz größer als die Windberge.

    Vom ersten Augenblick an waren wir unzertrennlich. Zwei Waisen, die sich fanden, als sie sich am meisten gebraucht hatten.

    Ich hatte wenigstens noch Cora, doch Soey hatte niemanden. Wir fanden sie eines Nachts halb erfroren in unserer Scheune. Sie war die einzige Überlebende eines Angriffes des Lixh-Clans auf ein kleines Dorf nahe Nebelhöhe.

    Wir waren beide erst elf Jahre alt und da man von einem Elfjährigen, mehr tot als lebendigen, Mädchen keine Gefahr zu erwarten hatte, nahm Cora sie bei uns auf.

    Wir lebten erst seit wenigen Tagen in Nebelhöhe, als Soey zu uns stieß.

    Meine Eltern kamen bei einer ihrer Reisen hinüber zu den Feuerinseln ums Leben. Man erzählte uns, dass ihr Schiff von einem Sturm erfasst wurde. Sie und ihre Besatzung wurden zwei Tage später tot an der Küste Emyrias gefunden. Auf dem Schiff befand sich auch Coras Mann. Er war Heiler und Professor an der Wächterakademie Loralliea gewesen. Alecander deLarrison.

    Als Cora die Kunde erreichte, verließen wir das kleine Dorf Nahe der Küste und reisten Richtung Süden über die Windberge auf der Suche nach einem abgelegenen Dorf, wo man Fremde ohne Fragen aufnahm und jeder sich um seine eigenen Angelegenheiten kümmerte.

    Cora war der festen Ansicht, dass das Schiff meiner Eltern sabotiert worden war. Wie ich später erfuhr, hatten meine Eltern Feinde im Lixh Clan und auch hohe Persönlichkeiten Nerehlieas waren nicht gut auf sie zu sprechen gewesen.

    Vier Jahre später lernte meine Tante einen Lichtkrieger namens Thomas McRuper kennen.

    Als ich ihn kennenlernte, war ich begeistert. Nicht nur, weil er meine Tante glücklich machte und sie nach all den Jahren wieder herzlich lachen konnte, sondern auch weil er ein Lichtkrieger war. Endlich hatte ich jemanden, mit dem ich trainieren konnte. Meine Mutter hatte mir einiges an Kämpfen beigebracht, bevor sie starb, doch das Meiste hatte ich mir selber angeeignet, weshalb meine Technik oft eher schlampig war. Cora hingegen war eher friedlicher Natur und beherrschte das Heilen, nicht das Kämpfen.

    Als Cora Tom traf, war er auf dem Weg nach Nerehliea, um sich der königlichen Armee anzuschließen. Doch als er auf seiner Durchreise Cora kennenlernte, änderte er seine Pläne und beschloss zu bleiben.

    Er brachte mir so viel bei, wie er konnte und ich trainierte jeden Tag, um irgendwann so gut zu werden, wie ein richtiger Lichtkrieger. Natürlich würde ich nie eine Kriegerin des Lichtes werden, ich war schließlich keine Wächterin, das wusste ich, trotzdem war das kein Grund für mich aufzuhören.

    Es gab eine Zeit, da herrschte Krieg zwischen den Wächtern und den Menschen, die Wächter hielten sich für etwas Wertvolleres, Mächtigeres und die Menschen waren beherrscht von Eifersucht und Misstrauen. Das Abkommen sowie die Einführung des Rates von Nerehliea beendete die Kriege. Man entdeckte, dass auch Menschen in gewisser Weise Magie praktizieren konnten und als man dann einige Jahre später von einem Menschenjungen erfuhr, der ein Dämon besaß, was bis dahin nur den Wächtern vorbehalten schien, legten sich die Aufstände schließlich gänzlich.

    Bevor Tom zum Lichtkrieger wurde, war er ein Wächter des Eises.

    Er erzählte mir, wie er bei der Zeremonie zum Lichtkrieger die Magie der Eiswächter aufgeben musste und durch den Kuss der Sterne die Kraft der Krieger erlangte.

    Er lebte nun seit zwei Jahren bei uns. Wir hatten ein kleines Haus und eine Scheune etwas abseits vom Dorf und bemühten uns, keine große Aufmerksamkeit zu erregen.

    Alles schien okay, bis Soey plötzlich krank wurde.

    2

    Auf dem Weg zurück nach Hause gab ich mir alle Mühe, die Erde von meinem Gesicht und meinen Händen zu wischen, doch als ich an unserem Haus angekommen war, sah ich immer noch aus, als hätte ich im Dreck gewühlt.

    Wütend auf mich selbst griff ich nach dem Türknauf. Cora machte sich schon genug Sorgen um mich und wenn sie mich so sah, über und über mit Dreck bedeckt und geröteten Augen, würde sie höchstwahrscheinlich durchdrehen.

    Als ich durch die Tür trat, stand Tom im Flur. Er musterte mich von oben bis unten und seufzte.

    »Cora ist in der Küche, du hast zehn Minuten, bis das Essen fertig ist.«

    Dankbar nickte ich und verschwand nach oben ins Badezimmer. Ich liebte unser Badezimmer. Der Grund dafür war eine alte Badewanne, die fast das ganze Bad einnahm. Sie hatte einige Risse und die einst bronzefarbenen Standfüße waren alt und verrostet. Alles in allem schien sie nicht viel herzumachen, aber dank Tom besaßen wir einen kleinen Regenwasserspeicher auf dem Dach, mit dem man durch ein Rohr Wasser in die Wanne einlassen konnte. Zwar war es meist ziemlich kalt, aber im Gegensatz zu einem Bad im See der reinste Luxus.

    Die Badewanne war das Lieblingsstück meines Vaters gewesen. Er erzählte mir immer, sie stammte aus einer anderen Welt, genau wie viele seiner Bücher, die er gesammelt hatte.

    Ich interessierte mich am meisten für eine Welt Namens Sunex. Diese Welt besaß eine sich immer und immer wieder verändernde Materie. Unseres Wissens nach lebten dort keine Menschen oder andere Lebewesen. Die Wächter wussten nicht viel über Sunex und Expeditionen dorthin wurden streng untersagt. Sunex war eine der Dimensionen, die auch ohne das Eingreifen der Wächter überlebte. Ihre sich ständig verändernde Materie machte ein Absterben, aber auch ein Leben auf ihr, so gut wie unmöglich. Eine Welt, in der nichts dem anderen glich und nach einem Wimpernschlag alles anders war. Ein faszinierender Gedanke.

    Als wir unser altes Zuhause an der Küste verlassen mussten, war ich untröstlich, all die Artefakte, die mein Vater mit den Jahren gesammelt hatte, zurückzulassen, doch es ging nicht anders.

    Er erzählte mir immer, wie gerne er ein Weltenwanderer geworden wäre und ich war untröstlich seine Sammelstücke einfach so zurückzulassen.

    Eines Abends erzählte ich Tom von all den wundervollen Dingen, die mein Vater einst besessen hatte. Sechs Tage später stand er dann plötzlich dreckig und erschöpft, aber mit einem breiten Grinsen im Gesicht, vor unserer Tür.

    Cora, die sich schreckliche Sorgen gemacht hatte, weil er so plötzlich verschwunden war, fiel ihm lachend in die Arme.

    Hinter Tom stand ein kleiner, klappriger Heuwagen und in diesem Heuwagen, die Badewanne mit den Goldfüßen.

    Ein Klopfen an der Tür schreckte mich aus meinen Gedanken.

    »Was treibst du denn solange da drinnen? Das Essen wird kalt!«, erklang Toms Stimme von der anderen Seite der Tür.

    Ich seufzte und streifte mir ein frisches Oberteil über. »Ich komme sofort.«

    Mein schwarzes Haar band ich schnell in einem Zopf zusammen.

    Als ich meinem Blick im Spiegel begegnete, hielt ich einen Moment inne. Immer noch in der Vergangenheit versunken berührte ich die kleine Narbe an meiner Schläfe. Eine verblasste Erinnerung an die Zeit, als meine Mutter mir den Umgang mit Pfeil und Bogen beigebracht hatte.

    Ich setzte ein Lächeln auf, als ich ins Esszimmer trat. »Das riecht köstlich, Cora!«

    »Weißt du, das würde ich dir ja glauben, wenn du nicht aussähest wie eine gequälte Katze.«

    »Das ist mein bestes Lächeln!«, protestierte ich.

    Coras Miene wurde plötzlich ernst. »Sky, du musst nicht so tun, als würde es dir gutgehen, nur damit ich mir keine Sorgen mache. Ich bin zwar nicht deine Mutter, aber ich kenn dich trotzdem gut genug, um zu wissen, wann es dir schlecht geht und wann nicht.«

    Ich wollte etwas erwidern, doch Cora griff nach meiner Hand. »Du musst aufhören, dir die Schuld für Soeys Tod zu geben.«

    Sie drehte sie, sodass die aufgeplatzten Knöchel und blauen Flecken zum Vorschein kamen.

    Tränen glitzerten in ihren Augen. »Hör auf dich selbst zu bestrafen.«

    »Ich bestrafe mich nicht selbst. Ich trainiere.«, sagte ich und entzog ihr sanft meine Hand.

    »Du hättest ihr nicht helfen können, Sky.«

    Ich seufzte. Dieses Gespräch hatte ich Nacht für Nacht seit Soeys Tod mit mir selber geführt. »Das alles wäre gar nicht erst passiert, wenn wir nicht so leichtsinnig gewesen wären. Ich hätte es besser wissen müssen, als mitten in der Nacht in einem Gebirgsbach schwimmen zu gehen.«, erwiderte ich.

    Cora zögerte, als wüsste sie nicht, was sie erwidern sollte.

    »Sie verdient es, die Wahrheit zu erfahren.« Tom war unbemerkt im Türrahmen erschienen.

    Verwirrt blickte ich auf. »Was für eine Wahrheit?«

    Cora zögerte. Sie schaute zwischen mir und Tom hin und her. »Wir glauben, dass Soey nicht an einer Lungenentzündung gestorben ist, wir glauben… wir glauben sie wurde vergiftet.«

    »Ich verstehe nicht…«, verwirrt blickte ich von Cora zu Tom. »Wieso sollte jemand sie vergiftet haben? Du hast selbst gesagt, dass eine starke Lungenentzündung tödlich ist und höchstens von einem Wächter geheilt werden kann.«

    »Genau das ist der Punkt…«, Cora hielt inne. Sie biss sich auf die Lippe, als hätte sie bereits zu viel gesagt.

    »Cora? Was ist los? Was verschweigst du mir?«

    Cora sah sich nach Tom um, der ihr zunickte.

    Sie zögerte. »Ich… ich bin eine Wächterin, Skyler.«

    Ich glaubte, mich verhört zu haben.

    Cora seufzte. »Ich bin eine Wächterin der Natur.«

    »Aber…«, in meinem Kopf begann sich alles zu drehen. »Wieso solltest du mir das all die Jahre verschwiegen haben? Wieso… ich verstehe nicht?«

    Cora ließ sich schwerfällig auf einen der Holzstühle sinken. »Das ist… Der Punkt ist, dass ich sie hätte heilen können, Sky. Und ich habe es versucht. Wenn es eine Lungenentzündung gewesen wäre, hätte ich sie heilen können. Ich habe es wirklich versucht, aber es war, als würde etwas gegen meine Macht arbeiten. Es tut mir so unendlich leid.«

    Ich konnte nicht antworten, sondern starrte sie nur an. Ein Kloß hatte sich in meinem Hals gebildet.

    Cora fuhr sich hilflos durch ihr Haar. Im Schein der untergehenden Sonne leuchtete es in einem sanften Karamell. Nur selten hatte ich sie so aufgewühlt gesehen. Normalerweise war sie eine fröhliche junge Frau. Doch in diesem Moment sah sie aus, als wäre sie um Jahre gealtert.

    »Das war nicht die Art und Weise, wie ich es dir sagen wollte.«, begann sie.

    »Ach, das heißt, du hattest noch vor mir zu erzählen, dass du eine Wächterin bist?«, meine Verwirrung verwandelte sich in Wut.

    »Skyler…«, hob Cora an.

    »Lass es! Ich muss an die frische Luft, ich kann das jetzt nicht!«, ich stürmte an Tom vorbei aus der Küche.

    Bis ich die Scheune umrundet hatte und mit dem Rücken an die Holzwand gelehnt auf den Boden sank, konnte ich keinen klaren Gedanken fassen.

    Wieso sollte Cora mir verschwiegen haben, dass sie eine Wächterin war?

    »Sky?«, Cora ließ sich neben mir im feuchten Gras nieder.

    Ich wich ihrem Blick aus und starrte in die Ferne.

    »Bitte… es… es tut mir leid. Ich…«, ihre Stimme brach. »Ich habe alles getan, was ich konnte, um Soey zu retten.«

    Langsam sah ich sie an. »Das weiß ich, Cora. Ich versteh nur nicht, wieso du mir nicht die Wahrheit gesagt hast.«

    Cora wandte den Blick ab. »Das ist eine lange Geschichte.«

    In ihren Augen glitzerte der Geist der Vergangenheit und für einen kurzen Moment konnte ich all die versteckte Trauer und Verzweiflung darin erkennen.

    Vorsichtig erhob sie sich und hielt mir ihre ausgestreckte Hand hin. »Komm, es ist lange überfällig, dass ich dir etwas zeige.«

    3

    »Was ist das?«, fragte ich und berührte vorsichtig die kleine, verzierte Schatulle, die zwischen mir und Cora auf dem Boden stand.

    Wir saßen auf dem Dachboden unseres kleinen Hauses. Cora hatte unter ein paar losen Dielen eine alte Schatulle hervorgeholt, die nun unheilvoll zwischen uns stand.

    »Deine Eltern wollten, dass ich sie dir gebe, wenn du bereit dafür bist. Ich wollte noch ein paar Jahre warten, doch jetzt scheint mir der beste Zeitpunkt gekommen zu sein. Tom hat recht, du verdienst es die Wahrheit zu erfahren und es tut mir leid, dass ich… dass wir dich solange belogen haben. Wir wollten einfach, dass du sicher bist. Und nach dem Tod deiner Eltern… ich dachte, es sei endlich vorbei, aber jetzt da Soey und…«, ihre Stimme überschlug sich und ich nahm ihre Hand in meine. »Cora.«, meine Wut war verraucht und zurückblieb ein dumpfes Gefühl der Sorge. Noch nie hatte ich Cora so aufgewühlt erlebt. Ihre Hände zitterten und da war etwas in ihrem Blick, was ich seit langer Zeit nicht mehr gesehen hatte: Angst.

    »Was bereitet dir solche Sorgen, Cora?«

    Sie umklammerte meine Hand. »Ich liebe dich Skyler, das weißt du, oder?«

    Überrascht blickte ich in ihre Augen. »Natürlich weiß ich das! Sag mir bitte, was los ist. Was macht dir solche Angst?«

    Cora holte tief Luft. »Ich glaube, dass die, die deine Eltern getötet haben, jetzt hinter dir her sind.«

    »Aber wir wissen doch gar nicht, ob sie wirklich ermordet wurden.«

    Die Erwähnung des Todes meiner Eltern versetzte mir einen Stich.

    Cora blickte auf die Kiste zwischen uns.

    »Doch.«, flüsterte sie. »Doch Skyler, das wissen wir.«

    Sie schob mir die kleine Schatulle entgegen.

    »Meine Schwester hatte jemanden zum Feind, der so etwas wie Gnade nicht kennt.«

    Mit zitternden Händen nahm ich sie entgegen. Der Deckel war mit Symbolen verziert, welche mir entfernt bekannt vorkamen. Langsam glitten meine Finger zu dem Verschluss. Als ich aufschaute, nickte mir Cora zu.

    Ich zögerte. All die Jahre wollte ich wissen, was meinen Eltern zugestoßen war, doch plötzlich überkamen mich Zweifel. Meine Eltern waren für mich die zwei wichtigsten Menschen auf der Welt gewesen. Meine Vorbilder. Niemals würde jemand an sie heranreichen. Was war, wenn das, was sich in dieser Schatulle befand, dieses Bild von ihnen zerstören würde?

    Doch nichts war schlimmer, als mit einer Lüge zu leben. Und ich wollte die Wahrheit wissen. Ich wollte wissen, wofür sie gestorben waren, wer sie ermordet hatte.

    Ein dunkler Teil meiner Seele wollte nie glauben, dass sie in einen Sturm geraten waren, denn wie sollte man an einem Sturm Rache nehmen?

    Ich würde es zwar niemals zugeben, doch all die Jahre hatte ich nicht nur trainiert, um eine Kriegerin zu werden. Ich wollte ihren Tod rächen. Denjenigen leiden lassen, der ihnen das angetan hatte. Der mir das angetan hatte.

    Ich holte tief Luft und öffnete die Schatulle.

    Ein Brief und ein silbernes Schmuckstück lagen darin.

    Vorsichtig nahm ich es an mich. Es war die Kette, die meine Mutter immer bei sich getragen hatte. Außer an dem Tag, als sie und mein Vater nach Emyria aufgebrochen waren.

    Vorsichtig strich ich über den Anhänger in Form einer Pfeilspitze.

    »Sie hat ihn selbst gemacht.«

    Ich blickte auf zu Cora.

    »Sie war so stolz…«, ihre Stimme brach und sie wischte sich eine Träne von der Wange. »Sie ist aus Mondsilber gefertigt. Das härteste Material in ganz Elianya.«

    »Und das Magischste.«, fügte ich hinzu.

    »Ja.«, Cora schenkte mir ein kleines Lächeln. »Dein Vater hat ihn immer ihren kleinen Schutzengel genannt.«

    Und er hatte sie all die Jahre beschützt, bis sie ihn ablegte, dachte ich verbittert.

    »Komm her.«, Cora nahm mir die Kette aus der Hand und legte sie mir um den Hals.

    »Danke.« Meine Stimme war nur noch ein Flüstern und ich blickte auf die Pfeilspitze, die so lange den Hals meiner Mutter geziert hatte.

    Ich schloss für einen Moment die Augen, dann nahm ich den Brief aus der Schatulle.

    Mein kleiner Vogel,

    wenn Du meinen Brief liest, heißt das, dass Cora es für den richtigen Moment hielt, dir die Wahrheit über uns zu sagen.

    Es tut mir so unendlich leid, dich belogen zu haben, aber glaub mir Skyler, es gab keinen anderen Ausweg. Vielleicht gab es einen, doch wir hielten diesen Weg für den Richtigen.

    Du bist etwas ganz besonders, Sky, und das nicht nur, weil Du schlau und stark und wunderschön bist.

    Du bist eine Wächterin. Nicht nur irgendeine: Du bist Skyler Liviana Eltarsia, meine wundervolle Tochter, die zukünftige Königin des Eises und wenn es stimmt, was die Prophezeiungen sagen, die Trägerin des Schicksals der Welten.

    Seit dem Tod deiner Ur-Großmutter Liviana Eltarsia gab es keine richtig ausgebildete Königin des Eises mehr. Nach Ihr war meine Mutter an der Reihe Königin zu werden, doch Sie starb sehr früh. Da ich fliehen musste, als ich erfuhr, dass ich mit dir schwanger war, gab es seitdem keine auserwählte Königin mehr. Es ist fast wieder so wie vor tausend Jahren, als die Welten von Naturkatastrophen heimgesucht wurden. Die Natur und ihre Elemente dürfen nicht aus dem Gleichgewicht geraten. Es war egoistisch von mir wegzulaufen, das weiß ich jetzt, aber ich würde es wieder tun, Sky. Wir, dein Vater und ich, wir würden es wieder tun, nur damit Du in Sicherheit bist. Du bist das Wertvollste, das wir besitzen und diese, wie auch jede andere Welt, hat dich nicht verdient.

    Es ist grausam von uns, dich so damit zu konfrontieren und es tut uns so unendlich leid, dass wir nicht mehr bei dir sein können.

    Doch gleichgültig, für was du dich entscheidest, Sky, denk immer daran, du schuldest dieser Welt gar nichts. Wenn du dich dafür entschließt, einfach dein Leben weiterzuleben, wird dich niemand dafür verurteilen, weder dein Vater noch Cora und am allerwenigsten ich.

    Ich bin mit dir weggelaufen, damit du ein sicheres Leben führen kannst. Ohne gejagt zu werden und jede Nacht voller Angst einschlafen zu müssen.

    Du hast sicher von ihm gehört. Natürlich hast du von ihm gehört. Dem Lixh-Clan. Ein Haufen von Verrätern, die sich für etwas Besseres halten und jeden, der kein Wächter ist verachten und der Meinung sind, dass jeder Wächter alle Elemente beherrschen sollte und wir den anderen Welten nichts schuldig sind.

    Aber ich sollte sie vermutlich nicht verurteilen, schließlich hab auch ich alle im Stich gelassen.

    Der Grund, dass ich diesen Brief schreibe, ist, dass ich nicht weiß, wie lange ich noch zu leben habe. Dein Vater und ich haben etwas herausgefunden, dem wir auf den Grund gehen müssen.

    Du musst wissen, dass du in Gefahr bist. Als ich vor vielen Jahren eine Prophezeiung an den Kristallfällen erhalten habe, dachte ich, sie beziehe sich auf mich, aber es scheint so, als hätte sie dich gemeint. Das bedeutet, dass du diejenige bist, die für das Gleichgewicht der Welten verantwortlich ist und das somit du es bist, hinter der der Lixh-Clan her sein wird.

    Aber hab keine Angst, wir haben dafür gesorgt, dass sie dich niemals finden.

    Du hast sicher eine Menge Fragen und Cora wird dir alles beantworten, wenn du sie darum bittest.

    Gib ihr bitte nicht die Schuld daran, dass sie dir nicht die Wahrheit gesagt hat. Sie hat nur das getan, worum wir sie gebeten haben.

    Wir lieben dich, Skyler! Vergiss das nicht. Wir werden immer über dich wachen, egal wo du bist und welche Entscheidungen du triffst.

    Sei stark, kleiner Vogel!

    Deine dich über alles liebenden Eltern,

    Arabella & Geoffrey

    Eine Träne tropfte auf den Brief.

    Es schmerzte, die feine Handschrift meiner Mutter zu sehen und zu wissen, dass ihre Finger diesen Brief berührt hatten. Die Tatsache, dass ich mich nie von ihnen verabschieden konnte.

    Ich legte den Brief beiseite und betrachtete die zweite Seite:

    Jemand hatte sorgfältig die fünf Symbole der Wächter auf das zweite Blatt gezeichnet, vermutlich mein Vater.

    Unter jedem Symbol stand jeweils das Element mit Übersetzung in noctarialïum.

    Das erste Symbol war ein Dreizack, der an eine Welle erinnerte: Wasserwächter, Wayloc.

    Unter einem Blatt, auf dem ein kleines, verschnörkeltes Symbol prangte, stand: Wächter der Natur - Naravaî.

    Die Wächter der Lüfte hatten meiner Meinung nach das bemerkenswerteste Symbol:

    Zwei weiße Flügel, deren Spitzen einen Kreis bildeten: Mallyc.

    Fasziniert strich ich mit dem Finger über die Zeichnung. Sofort bildete ich mir ein, von einem leichten Luftzug im Nacken gekitzelt zu werden. Schnell zog ich die Hand wieder weg und schaute mir den Rest der Seite an.

    Die nächste Zeichnung konnte ich nicht richtig deuten. In der Mitte war ein verschnörkeltes Symbol zu sehen. Es war schwarz wie Asche und schien an den Rändern zu lodern, als hätte jemand die Tinte in Brand gesetzt und über das Papier gekippt.

    Ich streckte meine Hand aus, um es zu berühren, zog sie aber rasch wieder weg, als ich plötzliche Hitze spürte, die durch meinen Körper schoss.

    Schon bevor ich die Unterschrift sah, wusste ich, dass dies das Symbol der Feuerwächter war: Fabylis

    Das Symbol unter dem der Feuerwächter war das Symbol der Eiswächter, Dillian:

    Das Bild zeigte eine Kugel aus Eis, die aussah, als werde sie in tausend Teile gesprengt. In der Mitte der Eissplitter befand sich ein merkwürdiger Gegenstand. Ich besah mir den Gegenstand genauer, konnte aber nicht nachvollziehen, was er darstellen sollte. Vielleicht einen Kompass?

    Ich betrachtete die Symbole eine Weile, bevor ich den Brief zur Seite legte und nachdenklich in die Ferne schaute. Cora saß schweigend neben mir und schaute gedankenverloren in die Ferne. In ihren Augen spiegelte sich der Anflug eines schlechten Gewissens.

    Das war alles zu viel. Ich sollte plötzlich eine Wächterin des Eises sein? Wieso hatte ich dann all die Jahre meine Magie nicht gespürt? So etwas musste man doch wissen, oder etwa nicht? Ich versuchte, in mich hinein zu horchen, doch dort war absolut gar nichts. Ich fühlte mich leer und hintergangen.

    4

    Ich saß vor unserem kleinen Kamin im Wohnzimmer und nippte an einem heißen Becher Kräutertee.

    »Ich versteh immer noch nicht, was das Ganze mit Soey zu tun hat.«

    Tom starrte gedankenverloren aus dem Fenster. Er saß ein Stück von uns entfernt, sodass er sich möglichst weit weg vom Kaminfeuer aufhielt. Mir war früher schon aufgefallen, dass er sich, so gut es ging, von offenem Feuer fernhielt.

    Vermutlich eine Gewohnheit aus der Zeit, als er noch ein Wächter des Eises war.

    »Wir sind uns nicht ganz sicher, aber es könnte eine Verbindung mit dem Lixh-Clan bestehen.«, antworte Cora, die in eine Decke gehüllt neben mir saß.

    »Inwiefern? Warum sollte der Lixh-Clan Interesse daran haben Soey zu ermorden?«

    Cora schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass sie keines natürlichen Todes gestorben sein kann. Da war noch etwas anderes im Spiel.«

    »Wir glauben, dass der Lixh-Clan sie für dich gehalten haben könnte.«, fügte Tom hinzu.

    Ich fuhr mir aufgewühlt durchs Haar.

    »Ich brauche ein wenig frische Luft.«

    »Bleib nicht zu lange weg und entferne dich nicht von der Stadt.«, rief mir Cora hinterher, als ich mich erhob und Richtung Tür ging.

    »Und nimm dein Schwert mit.«, fügte Tom hinzu.

    Ich hüllte mich in meinen Mantel und trat vor die Tür. Kurz prüfte ich, ob meine Messer alle an ihrem Platz waren und machte mich auf den Weg ins Dorf.

    Seit dem Tag, an dem Cora mit mir untergetaucht war, trug ich immer eine Waffe bei mir. Ein Messer steckte in meinem Stiefel, ein anderes an meinem Gürtel und ein drittes, kaum sichtbar und gerade groß genug, um jemanden damit die Kehle aufzuschlitzen, war unter dem Lederarmband an meinem Handgelenk befestigt.

    Ich legte es nie ab. Niemals. Es war ein Geschenk von Soey. Sie hatte es, ein Jahr nachdem wir sie aufgenommen hatten, in einer Gasse hinter der Schenke gefunden. Es sollte mich beschützen. Und das tat es auch. Als ich dreizehn war, schlitzte ich einem Mann den Arm auf. Er war betrunken und versuchte, mich an den Haaren zu packen. Damals putzte ich in der Schenke, um Cora zu helfen, ein bisschen Geld zu verdienen. Eine Woche später kam er wieder. Er war erneut betrunken, packte meinen Kopf und schlug ihn auf den Tresen. Ich ließ die kleine Klinge hervorschnellen und holte aus. Drei Finger verlor der Mann an diesem Tag. Ich habe ihn seither nie wieder gesehen. Das war der Moment, an dem ich anfing jeden Tag zu trainieren. Ich übte an allem, was ich finden konnte, ging jagen in den Wäldern und kletterte stundenlang Dächer und Bäume hinauf. Den Blick

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1