Schwarze Schwingen: Todesengel küsst man nicht
Von Ela Mang
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Buchvorschau
Schwarze Schwingen - Ela Mang
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1
»Was denkst du, soll ich das Teil hier auch noch mitnehmen?« Die Stimme meiner Freundin erklang dumpf aus den Tiefen ihres Kleiderschranks. Ich saß im Schneidersitz auf ihrem Bett und kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Seit einer gefühlten Ewigkeit, oder genauer gesagt, seit einer guten Stunde kramte Kara nun bereits in ihrem Schrank und warf diverse Kleidungsstücke auf einen Haufen, der sich in der Mitte ihres Zimmers bereits auf Mount-Everest-Höhe türmte. Daneben lagen zwei geöffnete Koffer und eine Reisetasche. Schminkutensilien, Badetücher und ein kleiner Schuh-Berg rundeten das Chaos ab. Karas sonst so ordentliches Zimmer glich einem Schlachtfeld. Nur einmal hatte ich mir erlaubt, sie darauf hinzuweisen, dass sie vielleicht ein klein wenig zu viel einpackte.
»Melanie Mary Jankins, du wirst mir noch dankbar sein für meine Weitsicht beim Packen.« Sie hatte drohend mit dem Finger vor meinem Gesicht herumgefuchtelt, ihre blauen Augen hatten gefährlich unter zusammengezogenen Brauen aufgeblitzt. Ganz bestimmt würde ich das. Aber vorher würde ich ihr noch helfen müssen, das ganze Zeug nach Kroatien zu schleppen. Und das lag ja bekanntlich nicht gerade um die Ecke von Sevenoaks. Genau genommen lag es am anderen Ende Europas. Und genau dort sollte es für die perfekten Ferien auch liegen. Natürlich schaffte Kara es nicht lange, ihre strenge Oberlehrermiene aufrecht zu erhalten. Kichernd verschwand sie wieder in ihrem Schrank.
»Sag schon, Mel, was hältst du von dem Teil?«
Ich betrachtete das schwarz-weiß-gepunktete Rüschen-Etwas, das eigentlich aus zwei Komponenten bestand, mit einem Kopfschütteln. »Das ist kein Bikini, das ist ein Zirkuszelt.«
»Das ist Retro«, verbesserte mich Kara.
So was hatte ich schon befürchtet. Retro und Vintage waren zurzeit Karas Lieblingsbegriffe. Teile, in denen nicht einmal meine Grandma auf die Straße gegangen wäre, fand sie total schick.
Ich grinste. »Von mir aus ein Retro-Zirkuszelt. Willst du das wirklich anziehen?«
Kara zog eine Schnute, die sie in Kombination mit ihrem kurzen roten Haar und den Sommersprossen zuckersüß wirken ließ. Dieses Gesicht gefiel mir nicht. Es kündete zumeist drohendes Unheil an – und zwar für mich.
»Ich nicht, aber du.« Wusste ich’s doch! »Ich zieh den hier an.« Damit zog sie ein zweites, diesmal ein rosa geblümtes Zirkuszelt aus dem Schrank.
»Wo hast du denn diese Schrecklichkeit her?« Das Teil war so hässlich, dass ich schon wieder beeindruckt war.
»Von Grandma, das ist ein Original. Sie hat es von ihrer Mum. Wenn wir uns damit am Strand blicken lassen, sind wir bestimmt der Hingucker.« Sie lächelte glücklich.
»Kara, wenn wir uns damit bei den Kids blicken lassen, sind wir die Lachnummer der Insel. Aber von mir aus, pack sie ein. Mit den zwei Dingern ist dann sowieso schon der halbe Koffer voll.«
»Spielverderber«, brummte Kara und warf die beiden Zirkuszelte in den Koffer.
Eine weitere Stunde später hatten wir es mit vereinten Kräften geschafft, die beiden Koffer und die Reisetasche zu schließen. Karas Schrank war beinahe leer.
In der Küche angekommen, stapelten wir Karas Gepäck zu meiner Reisetasche. Dort sollte es die halbe Küche blockieren, bis uns Karas Eltern morgen zum Flughafen bringen würden.
»Lieber Gott, bist du sicher, dass du nur einen Monat weg sein wirst? Es sieht eher so aus, als wolltest du ausziehen.« Karas Mum beäugte amüsiert das Koffer-Gebirge. »Du wirst Übergepäck bezahlen müssen.«
»Ich weiß.« Mit einem Blaubeermuffin zwischen den Zähnen warf sie mir einen Verschwörerblick zu, ehe sie mir auch einen Muffin in die Hand drückte. »Wir brauschen dasch aber allesch dringend mit.«
»Mit vollem Mund spricht man nicht, auch nicht in Kroatien«, tadelte Karas Mum sie halbherzig.
»Isch weisch.« Sie schluckte und sagte dann: »Du bist die beste, Mum! Ich werde dich und deine Blaubeermuffins vermissen.«
Wir aßen den ganzen Teller leer und unterhielten uns mit Karas Mutter über unser bevorstehendes Abenteuer, bis ich mich schließlich auf den Heimweg machte. Erst als ich wieder alleine war, fand ich Zeit, über das nachzudenken, was wir morgen tun würden. Wow, wir würden es tatsächlich durchziehen? Es schien erst gestern gewesen zu sein, dass Kara mit dieser Idee dahergekommen war. »Dieser Sommer wird der Sommer unseres Lebens.« Das war der Satz, mit dem alles begonnen hatte. Wie hätte ich ahnen sollen, dass es möglicherweise der letzte Sommer meines Lebens sein würde? Kara hatte beschlossen, dass es für zwei Mädchen in unserem Alter nicht mehr anging, mit den Eltern in den Urlaub zu fahren. »Aber die lassen uns doch niemals alleine fahren. Wir sind erst sechzehn.«
»Sechzehneinhalb«, hatte mich Kara verbessert. »Und ich werde im Sommer siebzehn.«
»Ja, ja, das weiß ich doch.« Ich hatte das Argument mit einer lässigen Handbewegung beiseite gewedelt. Immer musste sie mir unter die Nase reiben, dass sie älter war. »Aber das wird auch keinen Unterschied machen. Zumindest nicht bei meiner Mum.«
»Bei meiner auch nicht. Aber wir fahren ja auch nicht einfach so in den Urlaub. Wir werden in einem englischen Sommercamp für Kinder und Jugendliche in Kroatien arbeiten.«
»Werden wir?« Ich musste ziemlich dämlich dreingesehen haben, denn Kara war in schallendes Gelächter ausgebrochen. Kara hatte ihren Laptop aufgeklappt und in Windeseile die Internetseite gefunden, auf der alles bis ins kleinste Detail beschrieben stand: »Sommer, Sonne, Strand und ein bisschen Kinderhüten. Das ist perfekt! Und dort gibt es bestimmt viele süße Jungs.«
Oha, daher wehte also der Wind! Das Problem mit Kara und den Jungs war, dass sie anscheinend ein Faible für Drama und die Art von Romeos hatte, die wussten, dass sie Romeos waren und auch dementsprechend für Drama sorgten. Ich wollte mir gar nicht vorstellen, wie sich ein solches Romeo-und-Julia-Szenario im Feriencamp gestalten würde. Denn leider war ich immer diejenige, die Julia alias Kara dann trösten musste, wenn sich Romeo alias Ken, Patrick oder zuletzt Phillip aus der Affäre zog. Nicht durch Tod, sondern durch Sätze wie: »Wir passen einfach nicht zusammen.« oder noch schlimmer »Lass uns doch Freunde bleiben.« Kara war diejenige, die danach immer tausend Tode starb und sich fest vornahm, sich nie wieder zu verlieben. Aber da es ja bekanntlich so eine Sache mit Vorsätzen ist, lag ihr Rekord der Nicht-Verliebt-Phase bei ganzen drei Monaten. Nun waren es bereits wieder zwei Monate, seit besagter Phillip-Romeo die Bildfläche verlassen hatte. Sätze wie: »Wenn ich mich je wieder verlieben sollte, hast du die Erlaubnis, mir auf den Kopf zu schlagen« oder »Als allerbeste Freundin musst du mich ins Kloster begleiten« gehörten der Vergangenheit an. Kara war bereit, sich wieder zu verlieben, mehr als bereit. Ich seufzte. Jedenfalls hatte sie es geschafft, mich zu dieser Feriencamp-Geschichte zu überreden, obwohl ich den Sommer lieber zu Hause verbracht hätte. Nicht etwa weil es so toll war, den Sommer zuhause in Sevenoaks zu verbringen, sondern weil ich Mum nicht so gerne alleine lassen wollte. Auch sie machte eine schwere Zeit durch, nachdem sie sich von ihrem langjährigen Freund getrennt hatte. Ob Stan auch »Lass uns doch Freunde bleiben« zu ihr gesagt hatte, wusste ich nicht. Aber er hatte damit nicht nur Mum, sondern auch mich verlassen. Ich mochte Stan. Er war immer nett zu mir gewesen und hatte sich bemüht, mir meinen Dad zu ersetzen, so gut es ging. Dad hatte sich nämlich aus den Staub gemacht, da war ich gerade vier Jahre alt gewesen. Er hatte uns für einen tollen Job in den USA verlassen. Wofür Stan uns verlassen hatte, wusste ich auch nicht. Er hatte versucht, es mir zu erklären. Aber ich hatte mich geweigert zuzuhören. Mum litt anders als Kara. Weit weniger dramatisch. Still und leise, und das machte es noch beängstigender. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass sie gar nicht mehr sie selbst war, so als hätte sie die Lust am Leben verloren. Und Mum und Kara waren nicht die einzigen Beispiele dafür, was Liebeskummer aus einem Menschen machen konnte. Mir würde das nicht passieren. Nach der Sache mit Mum und Stan hatte ich einen Pakt mit mir selbst geschlossen. Ich würde mich nicht verlieben, niemals. Ich wollte nicht wie ein heulendes Elend enden, so wie Kara alle paar Monate oder schlimmer noch, wie Mum. Liebe war wie die Sache mit dem Rauchen, eine Sucht. Und wenn man damit gar nicht erst anfing, musste man auch niemals damit aufhören. Ich fand diese Theorie sehr einleuchtend. Solange ich mich daran hielt, konnte in Kroatien nichts schiefgehen. Und es war ja nur ein Monat. Mum hatte das auch so gesehen und mich mehr oder weniger gezwungen, es zu tun. Sie hätte so etwas auch machen sollen, als sie in meinem Alter gewesen war, hatte sie gesagt. Sie hatte Recht. Es war eine tolle Gelegenheit, und ich freute mich tatsächlich auf die Arbeit mit den Kindern. Ich hatte mir schon des Öfteren überlegt, später einmal Lehrerin